Angehörigen Info

24.1.1997

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Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD

Libertad-Transparent-Aktion

Hungerstreikerklärung von Gefangenen aus der MRTA

Auch im Gefängnis hören wir nicht auf, gegen die Folter, den Hunger und den Tod zu kämpfen.

An die internationale Öffentlichkeit

An die Menschenrechtsorganisationen

An die peruanischen Bürgerinnen und Bürger

Die politischen Kriegsgefangenen aus der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru, MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru) im Hochsicherheitsgefängnis "Miguel Castro Castro" in Peru wenden sich an die internationale Öffentlichkeit, um folgendes mitzuteilen:

- die systematische Verletzung unserer grundlegendsten Rechte

- die Weigerung der Regierung, uns als kriegführende Kraft innerhalb des bewaffneten Konflikts anzuerkennen, der das gesamte peruanische Staatsgebiet erfaßt hat, und gleichzeitig die Nichterfüllung der Grundnormen internationaler humanitärer Gesetze.

Angesichts dieser Tatsachen haben wir uns entschlossen, als Protest- und Kampfmaßnahme ab dem 16. Dezember einen unbefristeten und massiven Hungerstreik durchzuführen. Wir verlangen von der Regierung und den zuständigen Organen die Beachtung und Erfüllung folgender Punkte:

1. die Beendigung der Isolation und der diskriminierenden Behandlung von C. Victor Polay Campos und anderen Führungskräften sowie ihre öffentliche Vorführung (zur Information über ihren Zustand). Wir fordern ihre Verlegung in ein ziviles Gefängnis.

2. Sofortige Aufhebung des Antiterrorgesetzes Nr. 25475, welches zivile und militärische Richter "ohne Gesicht" und Schnellverfahren ohne Recht auf Verteidigung vorsieht.

3. Sofortige Aufhebung der Sonderhaftordnung (geschlossene Ordnung), die die grundsätzlichsten national und international anerkannten Menschenrechte verletzt und beschneidet. Insbesondere fordern wir die Einhaltung der Normen des internationalen humanitären Rechts.

4. Eine menschenwürdige Behandlung der Gefangenen und bessere Haftbedingungen (juristische Betreuung, Ernährung, Gesundheit, Arbeit etc.)

Unsere revolutionäre Bewegung bekräftigt einmal mehr, weiter mit dem peruanischen Volk zu kämpfen, das heute in Hunger und Elend gedrängt wird.

Auch im Gefängnis hören wir nicht auf, gegen die Folter, den Hunger und den Tod zu kämpfen.

Wir hoffen auf das Verständnis der internationalen Öffentlichkeit und darauf, daß unser Kampf entsprechend breit bekannt wird. Wir kämpfen für das Leben und für eine gerechte, humanitäre Behandlung.

Mit revolutionären Grüßen

Kollektiv der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru-MRTA

Gefängnis Miguel Castro Castro

Lima - Peru

Erklärung der Angehörigen

Seit dem 16.12.96 sind die Gefangenen aus dem Kollektiv der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru -MRTA im Gefängnis "Miguel Castro Castro" in Peru im unbefristeten Hungerstreik.

Wir, die Angehörigen der Gefangenen aus der RAF in der BRD, unterstützen die Forderungen der Gefangenen:

- nach Beendigung der Isolation und der diskriminierenden Behandlung von C. Victor Polay Campos und anderer Führungskräfte sowie ihre öffentliche Vorführung (zur Information über ihren Zustand) und deren Verlegung in ein ziviles Gefängnis;

- nach sofortiger Aufhebung des Antiterrorgesetzes Nr. 25475, das zivile und militärische Richter "ohne Gesicht" (vermummt) und Schnellverfahren ohne Recht auf Verteidigung vorsieht;

- nach sofortiger Aufhebung der Sonderhaftordnung (geschlossene Ordnung), die die grundsätzlichsten national und international anerkannten Menschenrechte verletzt, und nach Einhaltung der Normen des internationalen humanitären Rechts;

- nach menschenwürdiger Behandlung der Gefangenen und besseren Haftbedingungen (juristische Verteidigung, Ernährung, Gesundheit und Arbeit etc.).

Wir wissen, was die politischen Gefangenen in Peru durchmachen.

Wir wissen, daß sie in Lebensgefahr sind,

daß schon 1986 Hunderte von politischen Gefangenen an einem Tag ermordet wurden und daß sich seit der Regierung von Fujimori die Bedingungen der politischen Gefangenen brutal verschärft haben.

Victor Polay Campos ist, wie auch andere politische Gefangene, innerhalb einer Marinebasis in einem Gefängnis, das sich 8 m unter der Erde befindet, in Isolation, 24 Stunden am Tag.

Gefängnisse in über 3000 bzw. über 4000 m Höhe wurden gebaut, in denen die Gefangenen ohne Heizung, ohne Fensterglas auch im Sommer niemals Temperaturen über 12-15 Grad erleben, die meiste Zeit aber Temperaturen um oder unter null.

Wir wissen, daß Folter an der Tagesordnung ist.

Das Essen ist mit Ratten und Ungeziefer vermischt; es gibt keine medizinische Versorgung, Besuche nur 30 min. im Monat ...

Wir fürchten um das Leben der Gefangenen. Viele sind schwer krank, und einige sind an den unmenschlichen Bedingungen bereits gestorben.

Aus unseren Erfahrungen im Kampf um das Leben und die Freiheit von unseren Angehörigen, den Gefangenen aus der RAF, wissen wir, was es bedeutet, mit einem Staat konfrontiert zu sein, der die Identität und das Leben der Gefangenen zerstören will.

Wir fühlen mit den Gefangenen und ihren Angehörigen.

Wir wissen, daß die einzig angemessene Forderung für das Leben der Gefangenen ist, sie freizulassen.

Das ist auch das Ziel des Guerilla-Kommandos aus der MRTA, das die japanische Botschaft in Lima/Peru besetzt hat.

Wir, die Angehörigen der Gefangenen aus der RAF, unterstützen die Forderung:

Freilassung aller Gefangenen aus der MRTA und aller Gefangenen, denen MRTA-Mitgliedschaft vorgeworfen wird.

Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit.

10.1.97

Die Angehörigen der Gefangenen aus der RAF

Die Botschaftsbesetzung der MRTA in den bürgerlichen Medien

Seifenoper des Grauens

Lima. Seit einigen Wochen ist das Medieninteresse der ganzen Welt auf eine Villa in San Isidro, einem Nobelviertel Limas, Peru, gerichtet. Am 17. Dezember stürmte ein 24köpfiges Kommando der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) die japanische Botschaft und machte anfangs ca. 1.000 prominente Gefangene aus Politik, Diplomatie, Industrie und Militär. Die Zahl der Gefangenen ist zwar zu Redaktionsschluß auf ca. 70 zusammengeschrumpft, dennoch ist der Faustpfand in den Händen der MRTA hoch. Unter den Gefangenen der revolutionären Bewegung befinden sich wichtige Figuren der peruanischen Elite aus Politik, Wirtschaft und Militär.

Am 21. Dezember sandte die Autonome Antifa (M) ein Solidaritätsfax an das MRTA-Kommando in das Botschaftsgebäude. Auch autonome Gruppen aus Berlin schickten Solidaritätserklärungen. In der Presseerklärung der Antifa kritisiert die Gruppe die Berichterstattung über die Besetzung in den Medien. War anfangs noch von "Untergrundkämpfern" oder "Guerilleros" die Rede, hat sich heute die Terminologie in "Gangster" (Göttinger Tageblatt) oder "Terroristen" zugunsten eines Konfrontationskurses gewandelt, schreibt die Gruppe. Wurden zunächst noch die katastrophalen politischen Bedingungen in Peru, die Armut und die politische Unterdrückung thematisiert, gegen die die MRTA kämpft, wird nun versucht, deren Politik zu diffamieren.

Ganz gleich welche Zeitung man aufschlägt, ist von "Kaltblütigkeit", "eiskaltem Kalkül" (tageszeitung) und von einem "Terrorakt" (Frankfurter Rundschau) die Rede. Die Wortwahl zur Beschreibung der Ereignisse gleicht eher der über ein Blutbad oder Massaker als über eine Gefangennahme, bei der bis Redaktionsschluß noch niemand sein Leben lassen mußte oder ernsthaft verletzt wurde. Glaubt man den bürgerlichen Medien, sind die feinen Diplomaten, Politiker und Industriellen wahren Qualen ausgesetzt. Es mangelt jedoch nicht an Brot und Wasser, nicht an medizinischer Versorgung, noch sind die Gefangenen Folterexzessen ihrer Peiniger ausgesetzt, nein, anfangs waren die Toilettenartikel, Seife, Rasierzeug und ein frisches Hemd Mangelware. Ein später freigelassener deutscher Diplomat beschrieb seinen Aufenthalt als "längste Cocktail-Party", die er erleben durfte.

Die gleichgeschalteten bürgerlichen Medien komponieren derzeit eine wahre Seifenoper des Grauens, die an Zynismus kaum zu überbieten ist. Denn nur ein paar Kilometer entfernt von den noblen Villen der Calle Edison, jenseits von Sekt und Kaviar, in den zahlreichen Slums der Millionenmetropole gibt es weder fließend Wasser noch genügend Reinigungsmittel zur lebenswichtigsten Hygiene.

Derzeit schießt sich die Presse auf Néstor Cerpa Cartolini ein, einen historischen Kämpfer der MRTA, der unter dem Namen Comandante Evaristo die Botschaftsbesetzung anführt. Der Spiegel treibt es dabei besonders geschmacklos und schreibt, Cartolini neige zur "Fettleibigkeit", und dichtet ihm eine "exhibitionistische Veranlagung" an (Spiegel 1/97). Stil und Wortwahl des Spiegel kommen nah an den Verleumdungsstil und die Hetztiraden der NS-Propagandisten heran. Heute werden freigelassene Gefangenen, die Verständnis für das Vorgehen der Guerilla äußern oder Cartolini "Führungsstärke" und persönliche Sympathie bekunden, als von einem bösen Virus Befallene dargestellt. Die Krankheit soll sich das "Stockholm-Syndrom" nennen. Doch rührt die Solidarität der Gefangenen mit denen, die sie gefangenhalten, eher aus der bitteren Erfahrung her, daß am Ende der Gegner der gleich sein wird, die Spezialeinheiten und Sicherheitsexperten aller G7-Staaten von USA bis BRD und ihrer Vasallen, deren Ziel es immer und mit allen Mitteln war, revolutionären Widerstand zu vernichten, oder "auszurotten", um Fujimori zu zitieren, "koste es, was es wolle".

(aus: EinSatz!, Zeitung für autonome Politik, 1/97)

***

Ergänzend möchten wir erwähnen, daß einige deutsche Presseorgane den Europavertreter der MRTA, Isaac Velazco, diffamieren.

Besonders exponiert haben sich der Tagesspiegel und der Stern, die ihre Informationen vom Staatsschutz und direkt z.B. vom peruanischen Generalkonsulat aus Berlin beziehen (Tagesspiegel 19.1.97).

Im Stern 2/97 bezeichnet Joachim Rienhardt Isaac als "Terroristen". In diesem Artikel wird auch ein Foto von ihm veröffentlicht mit der Bemerkung. Lebt als Asylbewerber im Hamburger Schanzenviertel. Der peruanische Genosse ist anerkannter politischer Flüchtling!

Im Tagesspiegel unterstellt Roman Goergen Isaac direkten Kontakt zum Kommando Edgard Sanchez in Lima.

Weiterhin setzt er sich mit der Bundesanwaltschaft in Verbindung. O-Ton BAW: "V. ist nur eine Person. Somit ermitteln wir nicht wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung".

Auch Menschen, die sich für die berechtigten Forderungen des peruanischen Volkes einsetzen, werden angegriffen, wie z.B. der PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf oder der Journalist Peter Nowak.

Fakt ist, daß gerade die VertreterInnen der MRTA hier in Europa zu den wenigen gehören, die authentische Informationen zu Peru bekanntmachen können.

Das ist den Herrschenden samt ihrer Medien ein Dort im Auge.

Noch eine Ergänzung:

Den Gefangenen der MRTA wird selbst Besuch ihrer Angehörigen nicht gewährt, faktisch besteht eine Kontaktsperre.

Solidaritätsaktionen werden von den Meinungskartellen unterschlagen.

In der BRD gab es mehrere Kundgebungen vor peruanischen Vertretungen (Berlin, Bonn, Hamburg ...). Im Ausland gab es eine Kundgebung und eine Demo von 500 Menschen in Rom am 17.1. Ebenfalls gab es am 18.1. eine Kundgebung in Dänemark.

In Argentinien wurde versucht, die peruanische Botschaft zu besetzen, als das nicht klappte, gab es eine Kundgebung. In Toronto/Kanada wurde die Botschaft besetzt. Beide Aktivitäten ereigneten sich am 17.1.

In der Türkei haben politische Gefangene eine Solidaritätserklärung verfaßt.

Die Proteste können auch direkt nach Lima gefaxt werden:

Aprodel (peruanische Menschenrechtsorganisation) 4326915Gute Kontakte Bonn - Lima

Solidarität mit der peruanischen MRTA in Berlin

150 Menschen führten am 18.1. eine Solidaritätskundgebung mit der MRTA vor dem peruanischen Generalkonsulat in Berlin durch. Eine Woche zuvor hatten das Generalkonsulat und die peruanische Botschaft in Bonn in gleichlautenden Erklärungen die Botschaftsbesetzung in Lima als "terroristischen Akt" bezeichnet.

Zur Kundgebung aufgerufen hatte die antiimperialistische Gruppe "Venceremos" aus Berlin, die in einem Redebeitrag betonte, daß sich ihre Solidarität mit der MRTA nicht nur auf die Abwehr der Repression beschränke, sondern auch das gemeinsame Ziel, die sozialistische Revolution, einschließe. Wie reibungslos die Kontakte zwischen deutschen und peruanischen Repressionsorganen funktionieren, schilderte die RAF-Gefangene Heidi Schulz in einem Brief: Eine peruanische Regierungsdelegation hat 1987 das Hochsicherheitsgefängnis Köln-Ossendorf besucht und sich dabei besonders über die dort praktizierten Methoden der Isolation von Gefangenen informiert (siehe Bericht S. 4). In einer Grußadresse rief der Europavertreter der MRTA, Isaac Velazco, dazu auf, in der Solidarität gerade jetzt nicht nachzulassen.

Für den 25. Februar ist in Hamburg eine Solidaritätserklärung in Vorbereitung.

(Nach einem Artikel von Peter Nowak in der jungen Welt vom 20.1.)

Grußadresse von Isaac Velazco

an die Berliner Kundgebung

Genossinnen und Genossen!

Tupacamaristische Grüße an die TeilnehmerInnen der heutigen Kundgebung. In diesem Moment brauchen wir mehr Unterstützung und Solidarität von allen Personen, die die Freiheit der GenossInnen, die als politische Gefangene Geiseln der Fujimori-Diktatur sind, zu ihrer Sache gemacht haben.

Die Welt muß unterrichtet sein über die dramatische Situation unserer GenossInnen in Perus Knästen, den Versuchen von Fujimoris und der Militärs, sie physisch und moralisch zu vernichten. Sie muß unterrichtet sein über den "demokratischen" Charakter des Regimes, die Pressezensur und den allgemeinen Grad der Verelendung der Bevölkerung. Wir wollen eine politische Lösung des Konflikts. Wir wollen Frieden für unser Land, aber nicht den Frieden der Friedhöfe, nicht den Frieden der Friedhofsruhe, sondern einen Frieden auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit.

Brüder und Schwestern, am 31. Dezember sagte Comandante Huertas, Chef der politisch-militärischen Operation: "Wir fürchten keine Drohung, wir fürchten nicht die Arroganz der Diktatur. Wir harren bis zur letzten Konsequenz aus, weil wir nicht rückwärts gehen."

Vorwärts auf unserem Weg. Bis zum Sieg!

Tupac Amaru lebt und wird siegen!!!

Isaac Velazco, Internationaler Vertreter der MRTA, Hamburg, den 16.1.97

Offener Brief

an Alberto Fujimori, Präsident der Republik Peru

Sehr geehrter Herr Präsident,

wir, 150 Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen aus 12 verschiedenen Ländern Europas, haben uns in Zürich zur Vorbereitung des II. Interkontinentalen Treffens gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit getroffen.

Wir halten fest, daß wir uns am I. Interkontinentalen Treffen in Chiapas/Mexiko verpflichtet haben, für die Freilassung all derer zu kämpfen, die wegen ihres Einsatzes für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte gefangen sind.

Wir wissen, daß in Peru Abertausende an den Folgen der neoliberalen Politik sterben. Deshalb ist die Befreiung aller, die sich in Peru gegen diese Ungerechtigkeit aufgelehnt haben, unerläßlich. Sie sitzen in Gefängnissen, die auf ihre physische und psychische Vernichtung ausgerichtet sind.

Wir verstehen die Aktion der MRTA, die jene als Geiseln genommen hat, die national und international mitverantwortlich sind für die mit militärischen und ökonomischen Mitteln ausgeführten Massaker.

Wir solidarisieren uns mit dem Hunger- und Durststreik der Gefangenen der Haftanstalt Castro Castro für die Respektierung ihrer Menschenrechte.

Wir weisen das Manöver der USA zurück, welche mit einer sog. militärischen Lösung drohen und eine politische Lösung nur unter der Bedingung als möglich erachten, daß die MRTA ihre Forderung nach Befreiung der politischen Gefangenen fallenläßt.

Hochachtungsvoll

Die Vollversammlung des Vorbereitungstreffen für das II. Interkontinentale Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit

Zürich, den 22. Dezember 1996

Wir drucken an dieser Stelle den in Berlin vorgelesenen Bericht von Heidi Schulz über die Besichtigung des Gefängnisses Ossendorf durch eine peruanische Delegation ab, der, obwohl aus dem Jahr 1987, in brennender Aktualität die Zusammenarbeit zwischen der BRD und Peru bei der Widerstandsbekämpfung aufdeckt.

Kollaboration

BRD - Peru

ende februar (1987 - red.) war ja eine delegation aus peru in bonn, mit dem peruanischen justizminister. in den nachrichten hieß es, die gespräche gingen um die verstärkte zusammenarbeit bei der bekämpfung des terrorismus, und besonders würde sich der peruanische justizminister für die organisierung des deutschen strafvollzugs interessieren.

ich hatte die peruanische delegation am 26.2. hier mitgekriegt, als ich im trakt beim anwalt war; jedenfalls ist den peruanern die funktionsweise von den trennscheibenzellen erklärt worden, das war nicht zu überhören, und die anstaltsleitung war dabei. einer von der peru-delegation meinte, das sei hier alles sehr human, entgegen der stimmen, z.b. von anwälten, die das gegenteil behaupten würden, und durch die konzept sei die kontrolle besser zu praktizieren als z.b. durch vaginaluntersuchungen bei weiblichen gefangenen.

in diesem stil lief das ab. er wollte auch wissen, was sie an sicherheitsvorkehrungen gegen hubschrauber hätten. anschließend wollten sie sich die b-zellen anschauen; die sind im trakt kameraüberwacht.

wir wissen das ja schon lange, wie eng der austausch von erfahrungen über die widerstandsbekämpfung ist und daß das deutsche "modell" der vernichtung von gefangenen und ihre formen der guerilla-bekämpfung überallhin exportiert wird.

die deutschen b. machen in peru auch polizeiausbildung. wenn man das dann so hautnah erlebt, wie diese peru. strafvollzugstypen auf die deutsche isolationstechnologie abfahren, diejenigen, die für die massaker an den peruanischen gefangenen auch verantwortlich sind, daran kommt es auf den boden, wie es ist, wie eng alles zusammenhängt - die angst der herrschenden um ihre macht; unsere situation hier und die der gefangenen dort; der kampf dort und der kampf hier; die gemeinsamen und sich vereinheitlichenden anstrengungen der konterrevolution, auf internationaler ebene gegen alle, die um befreiung kämpfen.

darin haben wir hier wirklich eine besondere verantwortung, das isolationsprogramm zu brechen; es wird sonst überallhin exportiert mit den 16jährigen brd-erfahrungen und militärisch durchgesetzt, wie gegen die gefangenen in peru, die gegen ihre geplante verlegung in isolationsknäste gekämpft haben.


ein brief von rolf-klemens wagner

für mich steht unsere freilassung auf der tagesordnung. das ist mein unmittelbares ziel, und dieses interesse bestimmt meine praktischen schritte

eigentlich will ich gar nicht von dieser elenden diskussion ums "aussteiger-programm" das ja nichts reales ist, nur ein leerwort der medienpropaganda) im zusammenhang mit seidler reden, weil ich sie auf gar keinen fall etwa fortsetzen will. ich will im gegenteil auf das kommen, was mich umtreibt, was ich für wirklich diskussionsnotwendig halte.

aber gut: öffentlich zu erklären, sich in jedem fall stellen zu wollen, egal was passiert, auf die idee wäre ich sicher nicht gekommen, und eine rückkehr ausgerechnet über den vs einzufädeln, ist auch unmöglich. aber ob seidler nicht am ende doch noch auf die nase fällt, ist noch lang nicht ausgemacht. was die baw ist, wissen wir ja, und sie wird auch nach der abweisung der beschwerde gegen die aussetzung des haftbefehls nicht lockerlassen, trotz allem. sie braucht unbedingt und egal wie einen täter, sonst kann sie nicht "abschliessen". sie wird ihn auch weiter unter druck setzen, um alles, was er über sein exil und vor allem die alte antiimperialistische und autonome scene im rhein-main-gebiet weiss, herauszuquetschen. so funktioniert eben politische repression.

so weit, so schlecht zwar, aber bis dahin lässt mich das alles ziemlich kalt. irre wird es für mich bei den reaktionen auf eva. die bedingungslosigkeit der rückkehr und der vs darin sind ja nun nicht ihre sache. sie hatte gar nicht die wahl, als sie angesprochen wurde, war das längst alles gelaufen. hätte sie seidler dafür abstrafen sollen, indem sie die raf-story, diese ganze lügengeschichte der baw an ihm kleben lässt? ihre entlastenden aussagen hatten allein den zweck, ein subjektiv und objektiv sinnloses exil beenden zu helfen. und dass solche unhaltbaren lagen beendet werden müssen, steht für mich ausser frage.

entlastende aussagen haben wir im übrigen schon bei verschiedenen gelegenheiten gemacht, ohne dass das je zu einer prinzipienfrage hochstilisiert worden wäre.

dass eva für ihre intervention jetzt regelrecht exkommuniziert wird, ist symptomatisch für den zustand dieser linken.

es zeigt sich ja nicht erst an der aktuellen scheissdebatte, es treibt mir schon lang den adrenalinspiegel hoch, dass ideologiefestigkeit und abstrakte prinzipientreue zu den entscheidenden kriterien werden, die an die stelle von politischer praxis treten.

der grund dafür liegt offenbar darin, dass die lage so schlimm, die kräfte so schwach, die substanz so karg sind, dass sich das gefühl verbreitet, es geht alles bachab, alles fliegt auseinander. also muss die notbremse gezogen werden - nur der bezug klarer, sozusagen eherner ideologischer positionen erscheint dann als chance, den laden einigermassen beieinander zu halten (und wer sich mit dem polit-surrogat nicht identifiziert, fliegt raus).

alles konvergiert schliesslich im inzwischen stark abgehobenen interesse an "aufarbeitung" und "aufbau", und das eben an den alten ideologischen schemata statt an konkreten politischen themen.

ich weiss, dass ich damit manchen, die sich im kräftezehrenden metropolensumpf abrackern und dabei auch konkrete politische arbeit machen, nicht gerecht werden, aber die bestimmen auch nicht die lage.

es stimmt ja - und damit bin ich endlich beim thema - die lage ist erbärmlich.

der springende punkt aber ist doch, dass man - wenn man sie verändern will - anders mit ihr umgehen muss als mit ideologieprodukten und prinzipienhuberei, man kommt ihr nicht bei damit, dass man sich ellenlang über seidlers (bzw. evas vermeintliche) bourgeoise fehler auslässt. das führt nur zur selbstreferenz, dient nur der ideologisierten selbstverständigung (und objekt dafür zu sein, weise ich zurück).

die lage, in der wir jetzt stecken, ist das ergebnis der letzten 7/8 jahre.

89 hatten wir grade den letzten grossen hs gemacht. in der folge kam ich nach 10 jahren iso hierher nach schwalmstadt, ansonsten hatte sich an der lage der gefangenen kaum etwas geändert. allerdings gab es eine relativ breite politische einsicht in die erkenntnis, dass es mit uns gefangenen nicht ewig so weitergehen kann, dass wir rausmüssen. das kam zusammen mit dem historischen moment (von dem es später allerdings auch wieder überrollt wurde), dass der untergang der ,alten weltordnung' sich schon deutlich abgezeichnet hatte und damit auch eine relativ offene situation entstanden war, in der vieles möglich gewesen wäre.

das ist dann sehr schnell von 2 seiten zugenagelt worden.

von der politik, die wusste, dass wir eine wirkliche zäsur wollten. es ging ja damals zunächst ums innehalten, die politisch blind gewordene fahrt auf den eingefahrenen gleisen zu beenden, die erfahrungen zu reflektieren, die fundamental neue lage zu begreifen, um kriterien für eine politische neuorientierung zu erarbeiten, für die auch die raf hätte umgestaltet werden müssen, nicht nur von der form oder den methoden her, sondern vor allem in den politischen bezügen. wie konkret, war offen. darüber wollten wir reden, offen, mit allen, die daran interessiert waren herauszufinden, ob sich aus der neuen lage eine linke, emanzipatorische option eröffnet.

aber eine solche perspektivische diskussion durfte auf gar keinen fall stattfinden. politiker und apparate haben radikal jede initiative, jeden schritt dorthin verhindert, die zl sowieso, aber auch das offene, über die ekd vermittelte diskussionsprojekt, die besuchergruppen - eben einfach alles, was uns wie beschränkt auch immer die teilnahme an der gesellschaftlichen auseinandersetzung ermöglicht hätte.

damit war klar, sie setzen weiter auf vernichtung.

das zweite brett kam - objektiv interagierend mit der ,kinkel-initiative' - von links.

die illegalen hatten jahrelang diskussionsansätze zur neuorientierung weggedrückt, bis sie an einem bestimmten punkt offenbar richtig erschrocken sind, aber nicht wussten, wie da rauskommen. da haben sie sich den zäsur-gedanken, den sie bis 3 wochen vor der erklärung april 92 strikt abgelehnt haben, geschnappt, schien er doch die möglichkeit herzugeben, aus der verfahrenen sache irgendwie rauszuschrammen. allerdings musste er für dieses interesse umgebogen, zu etwas anderem gemacht werden. dabei kam dann eine moralisierende selbstkritik raus, aus der keiner wirklich was begreifen kann, verbunden mit dem illusionären bezug auf die "sozialen bewegungen", die "gegenmacht von unten" oder neuerdings die "systemoppositionellen kräfte". von all dem kann weder für anfang der 90er jahre noch für heute die rede sein. die einzig erkennbare ,bewegung' ist diese wirkliche grundwelle nationalistisch-rassistischer politik, kongenial von oben und unten betrieben, eben der pakt der herrenmenschen mit den herrschenden.

gestützt und weitergetrieben wurde diese entwicklung von den celler gefangenen, die - wie man sich vielleicht noch erinnert: im gestus von ,einsichtigen' und mit problemlosem zugang zu den medien - auf der "raf-debatte" beharrten, die immer gemeint war als moralische "aufarbeitung" und nicht als politische reflexion gemachter erfahrungen, und sich der "situations.debatte", also der politischen analyse der neuen lage, verweigerten.

wenn wir auf der schiene mitmachten, hiess es, gäbe es eine mobilisierung, die die aus dem hs völlig in den schatten stellen würde - eine grandiose selbstüberschätzung als strategen. tatsächlich lief ja gar nichts anderes, als dass sie mit immer neuen vorleistungen der ,kinkel-initiative' hinterhergehechelt sind. daran ist auch das eigentliche interesse klar geworden: teilhabe. das war genau der haken, an dem kinkel und co die sache an sich ziehen konnten. die politische diskussion, die schon da war, wurde abgewürgt und wir der politischen justiz ausgeliefert ("die prozesse spielen jetzt keine rolle" - o-ton celle), die einmal mehr die staatsräson an uns exekutieren konnte. unser zusammenhang war in mehrere teile zersprengt und wir in eine unhaltbare lage manövriert.

und in der köcheln wir seit 93 vor uns hin, während die linke die raf "aufarbeitet", je nach interesse moralisierend oder ideologisieren, ohne dass dabei irgendetwas für heute brauchbares herausgekommen wäre.

im übrigen läuft es mit dem abschliessen des kapitels metropolenguerilla nicht so ganz nach wunsch. weil es eben den politischen prozess, in dem die geschichte hätte verarbeitet werden können, nicht gegeben hat, nimmt sich jetzt jeder das, was er will, und macht sich sein eigenes bild. so gibt es auf die geschichte des bewaffneten kampfes ungefähr so viele sichtweisen wie leute bzw. grüppchen.

so ist das eben jetzt. aber das hat vielleicht auch ein gutes, es verhindert wenigstens das schubladisieren, den "erledigt"-stempel. die sache liegt halt unabgeschlossen und anstössig in der landschaft.

immer noch das produktivste in der entstandenen situation.

das zweite hauptwort in der linken debatte ist "aufbau", worunter verstanden wird: kräfte sammeln, reorganisieren, ideologieproduktion. und wenn man fragt, auf was das praktisch zielt, heisst es: auf die systemgrenzen. dahinter steht die vorstellung, die bürgerliche politik sei zunehmend unfähig, probleme wirklich zu lösen, die konflikte schlügen immer unvermittelter durch und brächten über kurz oder lang das ganze "system" zum einsturz. und wenn dann alles darniederliegt, müsste ja zwangsläufig was neues entstehen, und möglichst eben die wahre proletariermacht, der wirkliche kommunismus, und dafür braucht es eben organisierte kräfte, die man jetzt schon bereitstellen muss.

das verharren in den alten denkmustern, in mehr oder weniger geschlossenen entwürfen, konzepten, systemen macht blind für die reale entwicklung, die den point of no return längst hinter sich gelassen hat.

was ist denn das system?

die internationale finanzoligarchie, die ihre finger überall im fett hat und behalten will (plus die, die sie für irgendwas braucht). wo soll denn da eine grenze sein? kapitalverwertung, konkurrierende ausbeutung und die darunterliegende kapitalistische grundstruktur von selektion setzen sich brachial durch, sicher nicht widerspruchs- und konfliktfrei, aber eine quasi immanente grenze gibt es nicht. für die herrschenden ist die entwicklung tatsächlich offen, um den preis allerdings von massenvernichtung, aber skrupel gibt es, wie man weiss, kaum. wie es danach aussehen wird - keine ahnung, ausser dass es in jedem fall wieder hierarchisierte gewaltverhältnisse sein werden.

dagegen gäbe es nur eine politische grenze, die gesetzt werden müsste. das aber kommt nicht aus der ideologie oder den prinzipien. das kann nur aus subjektiver aktivität, aus praktisch-politischer intervention kommen. und es geht auch nicht stellvertretend/paternalistisch ,fürs proletariat', und als bewaffneter arm in irgendeiner ,bewegung', zu dem die illegalen die raf umwidmen wollten, schon gar nicht. das kann jeder nur aus sich und für sich selbst, zusammen mit anderen, für die die grenze gegen den durchmarsch auch überlebensnotwendig ist. und dann ziele, perspektiven und die nächsten praktischen schritte bestimmen.

ein alter hut eigentlich.

der blosse gedanke daran, was die linke uns gefangenen freiweg abverlangt, ist mir unerträglich: eine existenz in erstarrter pose, als folie für alle möglichen projektionen, für die ausdifferenzierung der abstrakt-ideologischen ,kämpfe' lehne ich kategorisch ab. mir fällt dabei immer dieser satz ein, den ich mal in einem linken text gelesen habe. "die gefangenen sind ein kostbares gut" - niederschmetternd.

im knast oder dem blossen ausharren liegt keinerlei perspektive, sondern nur - das lässt sich absehen - die zerstörung auch noch des letzten quentchens produktivität.

für mich steht unsere freilassung auf der tagesordnung. das ist mein unmittelbares ziel, und dieses interesse bestimmt meine praktischen schritte.

es gibt nach unserer ganzen prozess- und haftgeschichte und angesichts der grundsätzlich veränderten lage für weitere sinnlose jahre im knast keinen grund, ausser dem einen: rache an ein paar übriggebliebenen gefangenen.

Flugblatt zum Plakat "perspektive freiheit" (s. Info 189)

Für die Freiheit der Gefangenen aus der RAF

Freiheit für alle politischen Gefangenen aus
linken Bewegungen weltweitEin Plakat zu den 10 Gefangenen aus der RAF. Ihre Gesichter, ihre Namen, kurze Auszüge aus von ihnen verfaßten Briefen und Texten, die Forderung, sie endlich alle freizulassen. Warum?

Wir wollen es so. Sie haben, wie alle linken politischen Gefangenen, das Recht darauf, sofort freizukommen, und das um so dringender, da sich auf Grund der langen Haftdauer und der Isolation ihr Gesundheitszustand stark verschlechtert hat.

Daß dieses Recht nicht von heute auf morgen und schon gar nicht mit den Gesetzbüchern der Herrschenden unter dem Arm durchgesetzt werden kann, ist sicherlich vielen bewußt. Gerade deshalb sollte es keinen Grund geben, die Perspektive ihrer Freilassung aus den Augen zu verlieren, aber viele, diesen Prozeß endlich in Gang zu bringen. Wir sind nicht ohnmächtig, wenn wir nicht stillstehen; die Freilassung von Hanna Krabbe und allen anderen war auch kein Geschenk, vielmehr das Ergebnis von Mobilisierungen.

Ein erster Schritt zu einer neuen Mobilisierung ist, die Anonymität, in der sich die Gefangenen befinden, zu durchbrechen, sie und die Geschichte, aus der sie kommen, in Erinnerung zu rufen - daher das Plakat:

Bewaffneter Kampf; Leben in der Illegalität; Verzicht auf alle Bequemlichkeiten, die dieses System trotz allem noch zu bieten hat; einen Schritt konsequent in die andere Richtung - gegen den Strom -gehen, in solidarischer Verbundenheit mit den Befreiungsbewegungen im Trikont. Den Staat hier und seine führenden Köpfe als Motor und Funktionsträger der weltweiten Unterdrückung und Ausbeutung nicht nur zu benennen, sondern auch den ernsthaften Versuch zu unternehmen, sie zu stoppen, das lag in den 70ern nach der Einschätzung vieler durchaus im Bereich des Möglichen. Der übermächtige Staatsapparat drohte zeitweilig, sein Gewaltmonopol nicht aufrechterhalten zu können, und zögerte keinen Moment, liberales Gehabe und Rechtsstaatlichkeit fallen zu lassen, um zu zeigen, was noch zu seinem Repertoire gehörte: Sondergesetzgebung, Killfahndung, Folter ...; in Stammheim setzte der Staat ein Denkmal.

Trotz ständig drohender Repressionen bot die RAF auch in den 80ern noch vielen eine Orientierung, selbst solchen, die diesen Weg selbst nicht gehen wollten. Aktionen der Guerilla waren ein willkommenes Mittel, die eigene empfundene Machtlosigkeit zu kompensieren, und motivierten, selbst aktiv zu werden.

Um zu verhindern, daß das Beispiel "RAF" Schule macht, daß eine breitere Auseinandersetzung mit ihren Inhalten und Zielen stattfindet, wurde und wird an den Gefangenen demonstriert, was jeder/m blüht, die/der es wagt, sich radikal gegen dieses System zu wehren: Knast ohne Ende, der Versuch, die Persönlichkeit zu brechen.

Das System, gegen das wir uns nicht wehren sollen, ist im Begriff, sich weltweit durchzusetzen: der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, Hunger, Krieg, der Kollaps des globalen Ökosystems, Rassismus, Sexismus, die Verelendung in unseren Köpfen und Beziehungen.

Leistung-Konsum, Leistung-Konsum, Leistung-Augenzufernseheran, das ist hier, das ist absurd, aber noch der angenehmere Teil dieser Welt. Aber ein sinnvolles Leben hier, in einer Gesellschaft, deren Wohlstand basiert auf der Zerstörung alles Menschlichen weltweit, wie kann das gehen?

Was können die Intelligenz des Menschen, die Transparenz des Glases, die Festigkeit des Betons, der Glanz des Metalls, Fernseher, Computer, alle Errungenschaften der Technik für einen Wert haben, wenn sie dazu dienen, Unterdrückung und Ausbeutung zu perfektionieren, Menschen lebenslänglich einzusperren und sie ihrer Sinneswahrnehmungen zu berauben?

Der Entzug des sinnlich Erfahrbaren, die Abstumpfung der Sinne, die allmähliche Zerstörung der menschlichen Identität, und auf nichts anderes zielen die Herrschenden genauer, haben ihre Entsprechung in dem Versuch der Zerstörung der politischen Identität der Gefangenen aus der Linken in den Knästen weltweit. Die menschliche Identität beinhaltet Eigenschaften wie Interesse und Gefühle füreinander, Verantwortungsbewußtsein und Lust auf Randale, also alles Risikofaktoren für das Funktionieren von ,Leistung und Konsum'. Die politische Identität entwickelt sich bei vielen aus dem Bewußtsein, daß Lebenssinn nur gegen die herrschende Realität zu finden ist, im Kampf um Befreiung. Wie dieser Kampf sich in Zukunft gestalten wird, darüber müssen wir, die die Realität, so wie sie ist, nicht als endgültige akzeptieren, uns auseinandersetzen.

Ein Anfang hin zu einer neuen Perspektive besteht in der Aufarbeitung von Geschichte allgemein (Entstehung von Herrschaftsverhältnissen, Kontinuitäten und Brüchen darin ...) und der Geschichte der Linken im besonderen, 25 Jahre bewaffneter Kampf und der um die Freilassung der politischen Gefangenen sind daraus nicht wegzudenken.

Die Perspektive für die Gefangenen heißt Freiheit!

Das Plakat "PERSPEKTIVE FREIHEIT" für die Gefangenen aus der RAF ist da. Zu bestellen bei:

Gruppe Lotta

c/o Schwarzmarkt

Kleiner Schäferkamp

20537 Hamburg

Spendenkonto: Verein zur Förderung von Informationen, HASPA, BLZ 200 505 50; Kt-Nr. 1127/210829, Stichwort: "Gruppe Lotta"

Berichtigung

Eva Haule ist nicht, wie im Info 189 geschrieben, seit 1996, sondern seit 1986 inhaftiert.


Ein Bericht des Berliner Solidaritätskomitees

Knastbesuch bei Benjamin Ramos Vega

Am 20. Dezember haben wir Benjamin Ramos Vega im Knast Alcála Meco in Spanien besucht. Benjamin ist ein Aktivist der radikalen Linken aus dem katalanischen Barcelona. Als er verhaftet wurde, schloß er sich dem Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen an. Benjamin wird vorgeworfen, 1994 eine Wohnung für ein ETA-Kommando angemietet zu haben. Sein Prozeß vor dem höchsten spanischen Gericht wegen "Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Bande" soll in den nächsten Monaten beginnen.

Wir kennen Benjamin seit seiner Festnahme in Berlin vor fast genau zwei Jahren. Während der sechzehn Monate, die er in Berlin-Moabit unter Sonderhaftbedingungen inhaftiert war, versuchten wir, zusammen mit anderen linken Gruppen und Menschenrechtsorganisationen seine Auslieferung an den spanischen Staat zu verhindern. Benjamins Anwältinnen und Anwälte führten das Auslieferungsverfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht. Es war eine lange juristische und politische Auseinandersetzung mit den spanischen und deutschen Behörden. Die Auslieferung war so aber nicht zu verhindern. Die Partnerschaft der EU-Staaten, "internationale Terrorismusbekämpfung", drückte schwerer als die Zeitungskommentare und Demonstrationen auf die deutsche Justiz. Am 5. Juni 1996 übergaben deutsche Polizisten Benjamin im militärischen Sperrgebiet auf dem Flughafen Berlin-Tegel ihren spanischen Kollegen. Aber: So reibungslos, wie sich Politiker und Polizisten ihren Akt der europäischen Zusammenarbeit gewünscht hatten, lief es nicht: "Auslieferung trotz Folter", "Von Berlin nach Costa Tortura" - so kommentierte selbst die deutsche Bürgerpresse die Übergabe des politischen Flüchtlings an der deutschen liebstes Urlaubsland. Warum?

Die Anklage der Madrider Generalstaatsanwaltschaft gegen Benjamin war nur deshalb zustandegekommen, weil Angehörige der paramilitärischen Guardia Civil belastende Aussagen gegen Benjamin von einem anderen politischen Gefangenen durch Folter erpreßt hatten. Eine Auslieferung honoriert die Folter natürlich, zumal in den Prozessen gegen die baskischen UnabhängigkeitskämpferInnen häufig noch die Folterer als Zeugen der Anklage auftreten.

Benjamin ist mit dem HIV-Virus infiziert. Durch die Isolationshaft in Berlin-Moabit war seine Immunabwehr schon erheblich geschwächt. Und daß HIV-infizierte Gefangene in den spanischen Knästen, wo regelmäßig TBC-Epidemien grassieren, adäquat behandelt werden, behauten nur die Gefängnisverwaltung und die Regierung.

Das Berliner Kammergericht beugte sich diesen Fakten. Im Oktober 1995 forderten die Richte von Spanien Garantien für die Einhaltung der Menschenrechte von Benjamin Ramos Vega: Es dürfen keine durch Folter erpreßten Aussagen gegen ihn verwendet werden, er darf nicht isoliert werden und muß medizinisch adäquat versorgt werden. Später wurde das alles wieder unter den Teppich gekehrt, weil sich der spanische Staat, schließlich Mitglied der Europäischen Union, eine Demokratie also, durch solche Forderungen beleidigt sah. Heute sitzt Benjamin über ein halbes Jahr in spanischen Knästen. Selbstverständlich hat sich kein Vertreter der deutschen Botschaft nach seinen Haftbedingungen erkundigt.

Im Baskenland

Bevor wir zum Knastbesuch fahren, bleiben wir einige Tage in Hernani, einer Kleinstadt im Baskenland. Hernani liegt nur ein paar Kilometer von der Großstadt Donosti/San Sebastian entfernt. An der Straße zwischen Donosti und Hernani fahren wir zuerst an der ehemaligen Sommerresidenz des Diktators Franco vorbei. Ein paar hundert Meter weiter kommt "La Cumbra": eine von hohen, mit Videokameras bestückten Mauern umgebene Villa im Besitz des spanischen Innenministeriums. Im Keller der Villa wurden 1983 die beiden baskischen Flüchtlinge Lasa und Zabala, die von der Todesschwadrone GAL aus Frankreich entführt worden waren, gefoltert und totgeschlagen. Heute weiß man, daß ihre Mörder Mitarbeiter der Guardia Civil waren und aus der nahegelegenen Kaserne Intxaurrondo kamen. Dort residiert heute wieder der Chef der spanischen Anti-ETA-Fahndung, General Galindo. Er hat vor einem Jahr eine Beförderung und vor einem Jahr Haftverschonung bekommen. 1983 leitet er unter anderem die "Verhöre" gegen Lasa und Zabala. Insgesamt über tausend Anzeigen wegen Folterungen hat es gegen ihn gegeben. In seinem Dienstzimmer sammelt er angeblich Unterhosen der 500 ETA-Mitglieder, die er verhaftet haben will. Galindo: General, Folterer, Drogenhändler, Leiter der Antiterrorabteilung des Innenministeriums. Einer der meistgehaßten Personen im Baskenland. Zwei Tage nach unserer Ankunft schoß die ETA vier Raketen auf sein Hauptquartier Intxaurrondo ab. Nicht zum ersten Mal.

In Hernani wohnen ungefähr 20.000 Menschen. In den Kneipen hängen die Bilder der 21 politischen Gefangenen, die aus dem Ort stammen. An den Häuserwänden die Gesichter der sich aktuell im Hungerstreik befindenden Gefangenen. Die Leute erzählen uns, daß in den letzten zwanzig Jahren 19 Militante aus Hernani von der spanischen Polizei erschossen wurden. Vor kurzem wurde der linke Bürgermeister der Unabhängigkeitspartei Herri Batasuna von einer lokalen Allparteienkoalition abgesetzt. Daraufhin gab es eine Schlägerei im Rathaus.

Hernani ist eine Hochburg der baskischen Unabhängigkeitsbewegung. In der Wochenbeilage der sozialdemokratischen Zeitung El Pais war Anfang Dezember eine zehnseitige Reportage über das Städtchen erschienen, das Hauptthema war die "jugendliche Straßengewalt". Die Polizei versucht, ihrer mit Sondereinheiten und Videoüberwachung in den Straßen Herr zu werden. Aus dem in El Pais gezogenen Vergleich mit "Beirut" spricht die Angst.

Die Kleinstadt Hernani befindet sich im Belagerungszustand: Einheiten der baskischen Polizei "Ertzaintza", vom Hamburger Verfassungsschutz Anfang der 80er Jahre aufgebaut und in der BRD trainiert, sind in einer Kaserne am Stadtrand stationiert. Nachts stehen sie auf der zentralen Straßenkreuzung, mit Sturmhauben vermummt, schwere Waffen im Anschlag. Drei Stunden nach unserer Ankunft versuchen sie, in die Altstadt vorzudringen. Die engen Gassen des Stadtzentrums scheinen für die Polizei feindliches Gebiet, eine "no-go-area", zu sein. Sie schießen faustgroße Gummigeschosse auf die Jugendlichen, die sich ihnen aus den Kneipen kommend in den Weg stellen. Schnell wird von einer Baustelle ein Zementmischer auf die Straße geschoben. Ein Steinhagel hält die Polizisten zurück.

Vor einigen Wochen waren vier Jugendliche aus Hernani festgenommen worden. Sie sollen 90 Anschläge verübt und einer Organisation angehört haben, von deren Existenz nur das spanische Innenministerium und die Presse weiß: die grupos x, eine imaginäre Abteilung der ETA, die Sabotageaktionen und den Straßenkampf der Jugendlichen koordiniert. Es sind extra neue Gesetze verabschiedet worden, um auch Jugendliche wegen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" verurteilen zu können. Fünf Jugendliche aus dem Nachbarort Renteria haben zehn Jahre gekriegt, weil sie einen Molotow-Cocktail geworfen haben sollen. Am 17. Dezember abends um sieben werden völlig unerwartet die vier Jugendlichen aus Hernani wieder entlassen, es gibt keine Anklage gegen sie. In den Straßen wird die Nachricht die ganze Nacht gefeiert, es wird getrunken, gesungen und getanzt. Die Eltern und sogar Großeltern der vier Jugendlichen sind dabei, überglücklich. Alle warten jetzt auf die vier, die von Madrid aufbrechen und irgendwann nachts in ihrer Heimatstadt ankommen werden. Die Polizei nimmt unterdessen zwei Jugendliche fest, die mit einer txalaparta, einem traditionellen baskischen Instrument, auf dem Weg in die Altstadt sind. Eine Provokation. Hunderte Menschen umringen die Ertzaintzas, die bedrohlich mit ihren Gewehren auf uns zielen. Sie stoßen uns zurück, dann schießen sie über unserer Köpfe weg. Die beiden txalaparta-Spieler kommen kurz danach frei. Sie werden mit Händeklatschen begrüßt, gehässige Parolen gegen die Polizei schallen durch die Gasse.

Um vier Uhr morgens kommen die entlassenen Gefangenen an. Sie werden umringt, von allen Seiten umarmt und beglückwünscht. Hunderte Menschen haben sich auf dem Platz vor dem Rathaus versammelt. Sie bilden einen Kreis. Die entlassenen Gefangenen - der jüngste ist vielleicht fünfzehn Jahre alt - stellen sich in der Mitte auf. Sie verbeugen sich, als zu ihrer Begrüßung ein traditioneller Tanz aufgeführt wird. Schwestern und Mütter überreichen ihnen Blumensträuße. Dann rufen die Jugendlichen "Es lebe das freie und sozialistische Baskenland", "Es lebe ETA-militar" und "Es leben die baskischen politischen Gefangenen", die Menge antwortet ihnen. Zum Schluß singen sie gemeinsam das Lied der baskischen Gefangenen. Viele heben ihre Fäuste.

Alcála Meco

Benjamin sitzt in Alcála Meco, fünfzig Kilometer nordöstlich von Madrid, 500 Kilometer vom Baskenland und 500 Kilometer von seiner Heimatstadt Barcelona. Der Knast liegt zwei bis drei Kilometer außerhalb der nächstgelegenen Stadt Alcála de Henares in einem militärischen Sperrgebiet. Es sind drei Gebäudekomplexe: die Knästen Alcála II und Madrid II sowie eine Kaserne der Guardia Civil.

Zum Knast kommt man nur mit dem Auto. Für BesucherInnen gibt es keinen Parkplatz, nur für Schließer und Guardia Civil. 500 Meter vor dem Knast ist eine Straßensperre und ein Wachhäuschen. Wir müssen davor auf dem Acker parken. Dann sagen wir den Gardisten, wen wir besuchen wollen, sie schreiben sich unsere Personalien auf. Wir gehen die Straße entlang bis zum Knasttor. Rechts von uns Madrid II, wo irgendwo Benjamin sitzt. Es ist ein relativ neues Gebäude, ein verwinkelter vierstöckiger Plattenbau mit massiven Betonmauern drumrum. Schießscharten und Kameras. Wieviele Gefangene hier sitzen, wissen wir nicht. Zwischen den beiden Knasteingängen liegt die Abfertigungshalle für BesucherInnen, die wie ein abgehalftertes Tourismus-Infozentrum aus den 60ern aussieht. Drinnen ist alles nikotingelb und schmuddelig. Die einzige Toilette, das Männerklo, ist völlig zugepißt. Der Kaffeeautomat ist kaputt. Es gibt keine Heizung, es ist kälter als draußen. Dort, wo früher laut Beschilderung Tabak und Zeitungen verkauft wurde, ist jetzt ein Bretterverschlag. Es sind ungefähr fünfzig BesucherInnen da, viele davon Roma. Wohlhabend sieht niemand aus. Es gibt zwei Schalter, einen für Besuche und einen für Paket und Geldeinzahlungen. Wir melden uns am ersten Schalter an, eine Frau gibt unsere Personalien in den Computer und nimmt uns die Pässe ab. Dann müssen wir warten, bis wir aufgerufen werden. Nach einer Dreiviertelstunde gehen wir zum zweiten Schalter und erkundigen uns, wann denn jetzt der Besuch ist. Keine Antwort. Dann sagen wir: Wir wollen Geld einzahlen. Die Schließerin ignoriert uns völlig, fängt an zu telefonieren. Das Telefon fällt ihr runter. Wir beschweren uns. Dann füllt sie irgendwelche Quittungsvordrucke aus. Schließlich nimmt sie das Geld, nach weiteren Protesten unterschreibt sie sogar die Quittung. Nicht mit ihrem Namen, sondern mit einer Nummer. Als wir später darüber reden, hatten wir übereinstimmend den Eindruck, daß sie unter Drogen stand.

Ein Paket dürfen wir nicht abgeben, das geht nur jede zweite Woche. Auf einem Anschlag lesen wir, daß die Pakete "aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen" nur Nüsse, Trockenfrüchte, Kleider und Zeitungen enthalten dürfen. Alles andere, auch Papier und Briefmarken, sind verboten. "Zum Wohl der Inhaftierten". Das gibt es alles im Knast zu kaufen - zu astronomischen Preisen, versteht sich. Weil bald Weihnachten ist, dürfen außerdem einmalig drei Schokoladenriegel mitgeschickt werden.

Jede halbe Stunde kommt ein Schließer und ruft entweder "Strafhaft", "U-Haft" oder "Vis-à-vis". Vis-a-vis sind zweistündige Angehörigenbesuche ohne Trennscheibe, die einmal im Monat in einem großen Saal stattfinden, wenn sie genehmigt werden. Benjamin sitzt, obwohl er formal in U-Haft ist, in der Strafthaft-Abteilung, wie die übrigen 27 politischen Gefangenen in Alcála Meco auch. Das hat Symbolwert! Wir gehen also mit, als "Strafhaft" gerufen wird.

Wir werden mit zwanzig anderen BesucherInnen in den Vorraum des eigentlichen Knastgebäudes gebracht. Dort müssen wir wieder warten. An den Wänden und Glastüren hängen überall Plakate mit der Parole: "Freiheit für José Antonio" und dem Gesicht des Schließers, den die ETA vor knapp einem Jahr entführt hat, um ein Ende der Mißhandlungen der Gefangenen zu erreichen. Die Konfrontation ist deutlich spürbar hier. PASS, ein Bündnis sogenannter Pazifisten, solidarisiert sich seit zwei Jahren mit den Industriellen und Schließern, die in der Hand der ETA sind. Viele Schließer sind dabei. Jeden Montag machen sie Kundgebungen, die mit ebensolcher Regelmäßigkeit von Gegendemonstrationen begleitet werden. Im August 1995 tötete die baskische Polizei die 57jährige Gegendemonstrantin Rosa Zarra mit einem Gummigeschoß, angefeuert von den "Ma-ta-los!" - "Tötet sie!" - Rufen wohlanständiger Pazifisten. Im Baskenland hatten wir eine Videoaufnahme davon gesehen. Auch zu sehen war, wie Schließer einen Bus baskischer Angehöriger vor einem Knast mit Steinen bewarfen. Wir denken an die Hungerstreikerklärung der Gefangenen: "Die Schließer wollen sich als Opfer darstellen, obwohl sie die direkten und brutalsten Agenten der Repression sind". Die durch die PASS-Plakate sichtbare politische Mobilisierung der Schließer rundet das Bild ab, das uns die gesamte Einrichtung schon vermittelt, bevor wir richtig drin sind: Zynismus, Verachtung, Haß gegen die Gefangenen und ihre BesucherInnen.

Ein neuer Schließer fertigt uns am Metalldetektor ab. Er stinkt nach Schnaps, ist sternhagelblau und kann gerade noch die Namen auf den Personalausweisen in seiner Hand lesen. Die Kontrollen sind wesentlich ungenauer als in deutschen Gefängnissen. Nach einem weiteren, fensterlosen Warteraum werden wir über einen kleinen Hof zum Besuchstrakt gebracht.

Der Besuchstrakt besteht aus zwölf nebeneinanderliegenden Kabinen, jede ungefähr eineinhalb Quadratmeter groß und mit einem Hocker möbliert. Symmetrisch gegenüber, durch eine Glaswand getrennt, die identischen Kabinen der Gefangenen. Alles ist ekelhaft, man will nichts anfassen. Außer den Vis-à-vis laufen die Besuche grundsätzlich mit Trennscheiben. Die Scheibe ist fettig. Unter der Trennscheibe ist eine Leiste mit stecknadelkopfgroßen Löchern angebracht, dahinter noch Fliegengitter und irgendein Stoff. Da kann man nichts durchstecken und nur sehr schlecht verstehen. Vor der Löcherleiste hat jemand ganz klein die Buchstaben ETA ins Holz geritzt.

Dann kommt Benjamin! Wir freuen uns! Er sieht aus wie immer, wie in Berlin, dasselbe Hemd, die gleiche Brille, alles ... Er freut sich auch, wir trommeln von beiden Seiten an die Scheibe. Es ist schön, aber beklemmend, wie im Terrarium. Er sagt gleich, daß er absichtlich das Hemd angezogen hat. Er sieht gut aus, das paßt so gar nicht in die Umgebung. Zu viert haben wir gerade Platz in der Kabine. Zu zweit knien wir vor der Sprechleiste, wir können kaum etwas verstehen. Wenn jemand von uns irgendein anderes Geräusch macht, ist es ganz aus. Man muß schreien, ein "normales" Gespräch ist unmöglich. Wir haben 40 Minuten Zeit. Benjamin erzählt zuerst von seinen Haftbedingungen. Er ist allein auf der Zelle, in einem kleinen Trakt mit knapp hundert Gefangenen. Tagsüber haben sie Umschluß, aber Benjamin ist viel auf der Zelle. Er hat ein Fernstudium angefangen, Physik und Mathe. Er muß viel lernen, weil er im Februar eine Prüfung hat, und als noch Salvador, ein baskischer Genosse, mit ihm auf der Zelle lag, kam er nicht dazu. Salvador war von Frankreich abgeschoben worden. Er wurde von der Guardia Civil gefoltert. Nach zwei Monaten in Alcála Meco haben sie ihn dann ohne Anklage rausgelassen. Jetzt sind außer Benjamin noch drei Politische im Trakt, das sind vergleichsweise viele. Wir fragen ihn nach seinem Verhältnis zu den sozialen Gefangenen. Oh, sagt er, sie nehmen Drogen, knallen sich zu, um sich keine Gedanken zu machen. Viele sind krank, haben offene Wunden und kümmern sich nicht drum. Auch nicht um die Hygiene. Es ist eng und laut im Trakt, alles ist schmutzig ... das konnten wir uns lebhaft vorstellen. Er sagt, daß seine Abwehrkräfte schwinden. Das Blutbild wird immer schlechter, die Zahl der T4-Zellen ist schon auf unter 200 gesunken. Er fühlt sich nicht krank, aber es ist klar, daß es für ihn hier gefährlich ist, wegen der Krankheiten, die hier grassieren. Wir fragen nach der TBC-Epidemie, die vor zwei Monaten hier herrschte. Ja, es stimmt, sie mußten die Duschen abstellen. Benjamin empört sich, daß sich niemand von der deutschen Botschaft hier hat blicken lassen. Und die Schließer? Sie sind korrekt. Wir fragen, ob sie prügeln. Nein, sie schlagen mich nicht. Er erzählt, daß sie ihn im wesentlichen in Ruhe lassen, es hat noch keine Zellenrazzia gegeben, es ist ihm zumindest nicht aufgefallen, falls sie die Zelle durchsucht haben. Sie behandeln dich herablassen, siezen dich in einem Tonfall, der dich spüren läßt, was sie über dich denken. Einmal sagte ein Schließer, er solle doch nach Auschwitz gehen, da könnte er seine Ruhe haben. Dazu kommen die ewigen Auseinandersetzungen mit der Verwaltung. Lange mußte er um seine ärztlich verordnete Diät kämpfen. Um eine Decke zu kriegen, mußte er schon erkältet sein und dann noch mehrere Briefe an den Direktor schreiben. Die Hälfte seiner Bücher für das Studium wurde ihm nicht ausgehändigt. Wir fragen, ob er viel Besuch hat und ob er viel Post kriegt. Einmal im Monat kommen die Geschwister, sonst kaum jemand. Eine Genossin aus Katalonien mit ihrem Sohn. Er erzählt, wie schwierig es ist, Sprechscheine zu kriegen. Das kann Monate dauern, und als er nach Alcála Meco verlegt wurde, verfielen die Genehmigungen, die er für baskische BesucherInnen bekommen hatte. Post kriegt er viel, kann aber nicht auf alles antworten, weil er nur zwei Briefe in der Woche schreiben darf. Die behält er sich zum Großteil für seine Berliner Freundin auf. Am liebsten kriegt er Postkarten. Er macht sich Gedanken, ob es von Deutschland aus noch juristische Möglichkeiten gibt. Er fragt, ob seine Berliner Anwältin Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht hat. Wir müssen verneinen. Er fragt, ob sein Asylverfahren in der BRD noch weiter läuft. Das wissen wir nicht, sagen ihm aber, daß es unwahrscheinlich ist und daß es auf keinen Fall dazu führen könnte, daß er freikommt. Er ist ungeduldig, weil es immer noch unklar ist, wann sein Prozeß anfängt. Er ist schon bald zwei Jahre in Untersuchungshaft. Nach dem Urteil kann Benjamin einen Antrag auf Verlegung nach Katalonien oder ins Baskenland stellen und außerdem Entlassung wegen Haftunfähigkeit beantragen. Wir sagen, daß wir versuchen, eine Prozeßbeobachtung zu organisieren.

Dann ist die Zeit um. Wir reden noch, bis der Schließer das zweite Mal kommt. Dann verabschieden wir uns, trommeln wieder an die Scheibe. Dann geht Benjamin ...

Wir kriegen die Pässe zurück und verschwinden. Es ist kalt und beklemmend.

Bevor wir ins Auto steigen, machen wir ein Foto vom Knast. Das ist natürlich verboten, aber was soll's? Prompt kommen die drei Gardisten vom Wachhäuschen mitsamt Vorgesetzten. Ein kleiner, drahtiger Militär mit Schnurrbart und abgehackten Worten. Er sammelt die Pässe und Autopapiere ein und läßt sie ein drittes Mal kontrollieren. Er will den Film haben. Dann könne er sich die Bilder angucken, die vom Knast rausschneiden und uns den Rest zuschicken. Wir reißen den Film raus und können losfahren. 3.000 Kilometer bis Berlin, genauso weit, wie die Angehörigen aus dem Baskenland fahren müssen, um die 36 Gefangenen in den nordafrikanischen Kolonien zu besuchen.

Berlin, den 2.1.1997

Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega, Wilhelmstraße 8, 10963 Berlin,

Fax (0 30) 2 51 85 39

Das Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega fordert dazu auf, den im folgenden abgedruckten Offenen Brief weiterzuverbreiten und sich bei dem Vorsitzenden des 4. Strafsenats des Berliner Kammergerichts, Dr. Nöldeke, für das Leben und die Gesundheit von Benjamin Ramos Vega einzusetzen.

Offener Brief

Dringender Aufruf für das Leben und die Gesundheit von Benjamin Ramos Vega!

Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega

Wilhelmstr. 9

10963 Berlin

Fax (0 30) 2 51 85 39

an

Herrn Dr. Werner Nöldeke

Vorsitzender des 4. Strafsenats des Berliner Kammergerichts

Witzlebenstr. 4-5, 14057 Berlin

Fax (0 30) 32 092 266

Sehr geehrter Herr Dr. Nöldeke,

wir wenden uns mit diesem Offenen Brief an Sie, weil wir der Meinung sind, daß Sie weiterhin für das Leben und die Gesundheit von Benjamin Ramos Vega verantwortlich sind.

Benjamin Ramos Vega hatte vom 28. Januar 1995 bis zu seiner Auslieferung an den spanischen Staat am 5. Juni 1996 in Berlin-Moabit in Auslieferungshaft gesessen. Er soll das Kommando Barcelona der baskischen Befreiungsbewegung ETA durch Anmieten einer Wohnung unterstützt haben.

Sie, Herr Dr. Nöldeke, haben als Vorsitzender Richter des 4. Strafsenats des Kammergerichtes Berlin mit Beschluß vom 13. Oktober 1995 seine Auslieferung von Zusicherungen des spanischen Staates abhängig gemacht. U.a. haben Sie gefordert, daß der Verfolgte (d.i. Benjamin Ramos Vega) "die Untersuchungshaft ohne Isolation verbüßen muß" und daß "es dem Verfolgten nach seiner Auslieferung gestattet werden soll, die Rechte eines normalen Untersuchungsgefangenen wahrzunehmen ..." Ferner soll für Benjamin Ramos Vega, der HIV-positiv ist, eine "sachgerechte medizinische Behandlung der Erkrankung ... gewährleistet sein". Sie haben mit Beschluß vom 27. Dezember 1995 die Auslieferung von Benjamin Ramos Vega für rechtlich zulässig erklärt, obwohl Sie von der Verteidigung während des Auslieferungsverfahrens eindringlich darauf hingewiesen wurden, daß in dem von spanischer Seite eingereichten Aide Mémoire die erbetenen Zusicherungen im wesentlichen nicht erteilt wurden. Die Verteidigung hat Sie auch mehrfach (z.B. im Antrag vom 20. September 1995) darauf aufmerksam gemacht, daß "die gesundheitliche Versorgung für den Personenkreis der HIV-Positiven, zu dem der Verfolgte gehört, in spanischen Gefängnissen mehr als unzureichend ist". "Gleichfalls sind die sanitären Bedingungen so, daß die große Mehrzahl der HIV-Positiven Häftlinge in Spanien regelmäßig aufgrund der mangelhaften sanitären Verhältnisse an opportunistischen Infektionen erkranken, insbesondere an Tuberkulose, was einen Großteil der Todesfälle in Untersuchungs- oder Strafhaft in spanischen Gefängnissen zur Folge hat." Diese allgemeinen Zustände in den spanischen Gefängnissen sind von der Verteidigung hinreichend belegt worden, u.a. durch ein Urteil des Landgerichts Kleve, das durch einen erschütternden Bericht über die Verhältnisse in spanischen Gefängnissen dazu veranlaßt wurde, einen Tag Auslieferungshaft in Spanien auf drei Tage hier zu verbüßender Freiheitsstrafe anzurechnen. Es kann Ihnen, Herr Dr. Nöldeke, also keinesfalls verborgen geblieben sein, in welche Situation Sie Benjamin Ramos Vega ausliefern.

Wir, das Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega, haben am 20. Dezember 1996 Benjamin Ramos Vega im Gefängnis von Alcála Meco, wo er zur Zeit einsitzt, besucht. Wir haben uns vor Ort über seine Haftsituation in den sieben Monaten seit seiner Auslieferung, über seinen Gesundheitszustand und über die Einhaltung der Zusicherungen informiert. Wir mußten mit Befremden feststellen, daß weder Sie, Herr Dr. Nöldeke, noch die deutsche Botschaft noch irgendeine andere offizielle Stelle, die für die Auslieferung mit verantwortlich ist, sich bisher überhaupt in irgendeiner Weise über die Situation von Benjamin Ramos Vega informiert hat. Wir fragen Sie: Welchen Wert haben Zusicherungen, wenn niemand ihre Einhaltung prüft?

Direkt nach seiner Auslieferung wurde Benjamin Ramos Vega im Gefängnis von Carabanchel in der Nähe von Madrid inhaftiert. Dort wurde er auf die Krankenstation verlegt, zusammen mit Gefangenen, die an ansteckenden Infektionskrankheiten wie z.B. Tuberkulose litten, daneben Drogenabhängige auf Entzug oder im Kampf gegen die "Abstinenz". Benjamin Ramos Vega erhielt dort keine Diät, obwohl diese ärztlich verordnet worden war; ebensowenig ein homöopathisches Präparat, das er vor seiner Festnahme eingenommen hatte. Da die Krankenstation von Carabanchel völlig überfüllt ist, wird Benjamin Ramos Vega am 2. Juli 1996 dort heraus verlegt und isoliert. Erst auf seinen Protest hin wurde die Isolation am 6. Juli aufgehoben. Am 17. Juli erhielt er -nachdem er mit Hungerstreik gedroht hatte - seine Diät. Zehn Tage später wurde er in das Gefängnis von Alcála Meco verlegt, wo ihm wiederum die Diät vorenthalten wurde. Erst Mitte August erhielt er sie. In Alcála Meco sind die hygienischen und sanitären Bedingungen derart schlecht, daß ab Oktober dort Tuberkulose in einem solchen Ausmaß grassierte, daß die warmen Gemeinschaftsduschen abgestellt werden mußten, um eine weitere Ausbreitung der Infektionskrankheit zu verhindern. Eine ärztliche Untersuchung im Herbst ergab, daß die Anzahl der T4-Helferzellen, die ein Maßstab für die Abwehrkräfte von Benjamin Ramos Vega sind und die vor seiner Festnahme bei 400 im Normalbereich lagen, mittlerweile auf 190 gefallen sind!!!

Dazu Benjamin Ramos Vega: "Man hätte mich nicht isolieren dürfen, und wenn die grundlegenden hygienischen Bedingungen akzeptabel gewesen wären, wären meine Blutwerte in den letzten fünf Monaten nicht in dieses kritische Stadium gefallen. Wenn ich sie mit den letzten Ergebnissen in Moabit vergleiche, sind sie um über die Hälfte gesunken. Das heißt, ich befinde mich in einem Zustand, in dem sich ,opportunistische Krankheiten' leicht entwickeln können."

In Alcála Meco ist Benjamin Ramos Vega, obwohl formal Untersuchungshäftling, in der Strafhaftabteilung inhaftiert. Er befindet sich also keinesfalls in "normaler Untersuchungshaft". Er ist u.a. zusammen mit Drogenabhängigen inhaftiert, bei denen die Gefahr von Infektionskrankheiten und damit die Ansteckungsgefahr für Benjamin Ramos Vega erwiesenermaßen besonders hoch ist. Seine Kommunikation - schriftliche wie mündliche - wird in Alcála Meco, ebenso wie in Carabanchel, überwacht. Seine Post, auch die an seine Anwältin, kann nicht nur vom zuständigen Richter, sondern auch von jedem beliebigen Schließer gelesen werden.

Die Haftsituation von Benjamin Ramos Vega ist also genau so schlecht, wie es Ihnen die Verteidigung in Berlin vorausgesagt hat. Wie auch von der Verteidigung vorausgesagt, werden die Garantien von seiten des spanischen Staates nicht eingehalten. Das hat zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Benjamin Ramos Vega geführt. Es besteht Lebensgefahr! Wir sind der Meinung, daß er inzwischen haftunfähig ist.

Wie Sie, Herr Dr. Nöldeke, aus dem Antrag der Verteidigung vom 4. Dezember 1995 wissen, sind 1994 183 Personen mit AIDS in spanischen Gefängnissen verstorben, von denen 100 einen Antrag auf vorzeitige Entlassung gemäß Artikel 60 der Haftordnung gestellt haben, aber aufgrund der Bearbeitungszeiten von durchschnittlich sieben Monaten die Entscheidung über ihren Entlassungsantrag nicht mehr erlebt haben. Ferner hat die Verteidigung Sie schon im Antrag vom 20. September 1995 darauf hingewiesen, daß in Spanien überlange Untersuchungshaftzeiten gang und gäbe sind, was auch schon vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kritisiert worden ist. Benjamin Ramos Vega ist jetzt bereits fast zwei Jahre in Haft, davon sieben Monate in Spanien, und für einen Prozeß gegen Benjamin Ramos Vega gibt es immer noch keinen Termin, obwohl der, der unter Folter die Aussagen gemacht hat, die zu seiner Verhaftung führten, längst verurteilt ist. Diese Verschleppung ist eine weitere Gefahr für die Gesundheit von Benjamin Ramos Vega. Wir erwarten von Ihnen, Herr Dr. Nöldeke, daß Sie sich als der für die Auslieferung Verantwortliche persönlich für die Haftsituation von Benjamin Ramos Vega und die Einhaltung der von Ihnen selbst geforderten Garantien einsetzen. Wir erwarten, daß das wegen der kritischen Gesundheitssituation von Benjamin Ramos Vega sofort und in aller Intensität geschieht.

Wir weisen Sie darauf hin, daß wir diesen Brief mit gleicher Post der spanischen und deutschen Öffentlichkeit, Mitgliedern der Parlamente und internationalen Menschenrechtsorganisationen zur Kenntnisnahme zusenden.

gez.

Solidaritätskomitee Benjamin Ramos Vega


Termine

Hamburg, 25.1., 12.00 Uhr

Demonstration: Solidarität mit der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru in Peru!

Treffpunkt und Auftaktkundgebung am Gänsemarkt. Peru Solidaritätskomitee, unterstützt von Rote Hilfe - Aktivengruppe Hamburg, Kurdistan Solidarität Hamburg und Palästina-Solidarität

Oldenburg, 31.1., 20.00 Uhr

40 Jahre KPD-Verbot. Alhambra, Hermannstr. 83

Eschweiler, 1.2., 11.00 Uhr

"Kein neues Nazi-Zentrum in NRW" -antifaschistische Demonstration. Seit einigen Monaten ist der Herausgeber der Nazi-Postille Europa vorn, Manfred Rouhs, samt Verlag in Eschweiler ansässig. Bekannt ist der Inhaber des Verlages als Funktionär der Deutschen Liga für Volk und Heimat. Er plant mit führenden Nazikadern, das Haus als Nazi-Zentrum überregionaler Bedeutung auszubauen. Dies gilt es zu verhindern! Info-Telefon: 0 24 03 / 21 10 16. Treffpunkt am Talbahnhof

Eningen, 1.2., 14.30 Uhr

Bundesweite antifaschistische Demonstration "Gegen faschistische Zentren - in Eningen und anderswo!" Der JN-Bundesvorsitzende wohnt in Eningen. Faschistisches Schulungszentrum in Betrieb. Nach der Demo Kulturprogramm, Verpflegung und Rock gegen Rechts in der Licht und Kraft Halle. Treffpunkt auf dem Parkplatz von Wandel und Goltermann (an der Hauptstraße, Ortseingang Eningen aus Richtung Reutlingen)

Halberstadt, 7.2., 19.00 Uhr

Im Jugendzentrum Zora wird der Film "Was aber wären wir für Menschen gezeigt, ein Film zur Geschichte der RAF bis 77.

Hamburg, 7.2., 13.00 Uhr

Erster Prozeß mit dem Vorwurf gefährlicher Körperverletzung und Widerstand. Ein zweiter Prozeß wegen Landfriedensbruch und Widerstand wird wahrscheinlich im März 1997 stattfinden. Hintergrund waren die bundesweiten Durchsuchungen wegen AIZ, radikal, K.O.M.I.T.E.E. und RAF am 13.6.96. Als Reaktion auf den Angriff der BAW hatte am 16.6.95 eine Demo stattgefunden. Zwei Menschen haben deswegen jetzt Verfahren.

Berlin, 8.2., 13.00 Uhr

Bundesweite Demo: Siemens zerschlagen! Sofortige Stillegung aller Atomanlagen weltweit! Sofortige Stillegung des herrschenden Systems!

Aschaffenburg, 22.2.

Naziaufmarsch verhindern! Antifademo, um den mittlerweile traditionellen Naziaufmarsch an diesem Tag in der Stadt zu verhindern. 1993 zog bei einem Angriff von 20 Nazis auf eine Gruppe von 5 albanischen Flüchtlingen ein schon schwer verletzter Albaner ein Messer und erstach einen Angreifer. Es gibt seither Aufmärsche mit jährlich wachsender Beteiligung für den toten Nazi, zuletzt 1996 mit 350 Teilnehmern.


Dänemark / Schweiz

Neues zu Marc Rudin ...

Marc Rudin wird am 18.2.97 in die Schweiz verlegt. Er muß noch für vier Jahre dort absitzen.

Am 12.2. findet eine Informationsveranstaltung in Kopenhagen statt (19.00 Uhr, Blågårdens Mdborgerhus / Nørrebro.

Am 16.2. gibt es eine Abschieds-Solidaritäts-Demo:

16.2., 14.00 Uhr, overfor Vester Fængsels hovedindgang, Vigerslev Allé 1

Butzbach

... und zu Lutz Balding

Lutz Balding, Gefangener in Butzbach, über den wir schon mehrfach berichteten, schrieb uns über seine Haftbedingungen:

"Ich bin jetzt seit dem 21.11.96 wieder in Hessen, und zwar, wie angekündigt war, im Butzbacher Knast. Seit Ankunft hier bin ich im Käfig in Absonderung, d.h. Einzelfreistunde, Einzelduschen - Einzel-Alles - vor Verlassen des Käfigs körperliche Durchsuchung, der Käfig darf nur durch zwei Schließer gemeinsam geöffnet werden, tägliches Filzen des Käfigs und Kontingentierung persönlicher Sachen wie z.B. schriftliche Unterlagen, Bücher ... Einzelbesuch bei akustischer Überwachung. Der Käfig an sich ist eine Sonderzelle ohne bewegliche Einrichtung, Spezialgitter mit Maschendraht davor, Fenster nur ca. 5 cm weit in Kippstellung zu bringen, ca. Meter vor der eigentlichen Zellentür ein Gitter mit Tür quer durch den Raum.

Begründet wurde das ganze, daß man mich vorerst ,besonders beobachten' muß, da ich ein ,äußerst fluchtwilliger Gefangener' sei.

Angekündigt wurde - durch AL (Anstaltsleiter) Windenbach -, daß diese Bedingungen zum 1. Februar 97 teilweise aufgehoben werden sollen. Mal sehen, was draus wird."

Rom

Christel Fröhlich wurde nach Frankreich ausgeliefert!

Am 21. November ist Christel Fröhlich-Padula nach einem Jahr Auslieferungshaft im römischen Gefängnis Rebibbia von Italien nach Frankreich ausgeliefert worden. Die Auslieferung wurde vom obersten italienischen Gericht anhand des europäischen Auslieferungsrechtes durchgesetzt, dabei wurde eine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe des internationalen, französischen Haftbefehls nicht vorgenommen, da dies nach dem europäischen Auslieferungsrecht gar nicht vorgesehen ist.

In dem französischen Auslieferungsersuchen wurde Christel vorgeworfen, einen PKW, Opel Kadett, am 19.4.1982 in Ljubljana unter dem Namen Stadelmann bei der Firma Hertz gemietet zu haben, der am 22.4.1982 in Paris in der Rue Marbeuf 33, in der sich die Redaktion einer libanesischen Exilzeitung befand, explodierte. Im Haftbefehl des französischen Untersuchungsrichters vom 21.11.1996 wird ihr, wegen der behaupteten Verwicklung in diesen Anschlag, zusätzlich die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der "Carlos-Gruppe", vorgeworfen. Es wird weiterhin ausgeführt, daß Frankreich nach "anderen Militanten" suche bzw. Personen ausfindig machen wolle, die etwas "wissen" könnten.

Wir haben bereits im März 1996 in einem Flugblatt dargestellt, daß die Anschuldigungen des französischen Untersuchungsrichters auf unbelegten Behauptungen und falschen Schlußfolgerungen - aus Angaben in Stasi-Akten - beruhen (siehe Kasten).

An dieser Sachlage hat sich nichts geändert. Die Ermittlungsverfahren in der BRD, die sich auf denselben Vorwurf bezogen, sind eingestellt worden.

Trotzdem wird nun in Frankreich ein Strafverfahren gegen Christel eröffnet. Der Verfahrensablauf unterscheidet sich in vielen Punkten von der deutschen Variante.

Alle Ermittlungen werden von einem Untersuchungsrichter geleitet, Akten können nur bei ihm eingesehen und dort kopiert werden. Die Gefangenen haben keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Für sämtliche Verfahren mit politischem Hintergrund ist der Untersuchungsrichter Bruguiere zuständig. Die Dauer der Untersuchungshaft ist nicht gesetzlich festgelegt, es heißt lediglich, sie sollte einen Zeitraum von 4-5 Jahren nicht überschreiten. Eine Haftprüfung wird jährlich vom Untersuchungsrichter durchgeführt, sie kann aber auch jederzeit vom Anwalt beantragt werden.

Nach Abschluß der Ermittlungen erstellen drei Richter, die zum siebenköpfigen Strafsenat gehören, eine Anklageschrift. Die Gerichtsverhandlung selbst wird dann in einem sehr kurzen Zeitraum (34 Verhandlungstage) durchgeführt. Im Falle einer Verurteilung werden Auslieferungs- und Untersuchungshaft angerechnet.

Christel ist jetzt im Frauengefängnis in Fleury Merogis in der Nähe von Paris. Dort sind ca. 3.000 Frauen inhaftiert, sie kommen mehrheitlich aus Ländern der sogenannten "Dritten Welt". Sie gehört wie alle politischen Gefangenen in Frankreich zur Kategorie der "besonders überwachten Personen". Christel ist im Gegensatz zu den meisten anderen in einer Einzelzelle untergebracht, hat aber mit anderen gemeinsamen Hofgang.

Wir müssen davon ausgehen, daß die Ermittlungen sich über eine lange Zeit hinziehen werden, und weisen deshalb nochmals auf das Spendenkonto hin:

Solidaritätskonto für Christel Fröhlich

Willms, Kto-Nr. 32437196. BLZ 250 501 80, Stadtsparkasse Hannover

Unsere Forderung gilt unverändert:
Christel muß freigelassen werden!

Solidaritätsgruppe zu Christel Fröhlich, c/o annabee Buchladen, Gerberstr. 6, 30169 Hannover (Dez. 1996)

1In der Begründung des Auslieferungsersuchens wird behauptet, daß sich bei Zeugenaussagen in Jugoslawien eine große Ähnlichkeit zwischen Christel und der Frau, die das Auto gemietet hat (mit dem Paß Stadelmann) ergeben hätte - anscheinend reicht es neuerdings für Anschuldigungen aus, wenn man nur so ähnlich aussieht.

2 Die Spitze der Konstruktion von Anschuldigungen ist allerdings die Behauptung, daß sich aus den Stasi-Unterlagen - die seit 1991 in der BRD ausgewertet und verwertet werden - ergeben hätte, daß Christel die Person war, die unter dem Namen Stadelmann das Auto angemietet hätte. In den Stasi-Unterlagen allerdings befindet sich dazu lediglich die Aufzeichnung eines sogenannten Abschöpfungsgesprächs mit einer IM Schäfer. Diese IM berichtet über den Inhalt eines Stern-Artikels (Stern 44/1982) von dem Journalisten Rudolf Müller, der in diesem Artikel genau diese Behauptung (Christel gleich Stadelmann) aufstellt. So erhalten anscheinend Behauptung eines Zeitschriftenschreibers Beweiskraft, wenn sie nur irgendwo in den Stasi-Unterlagen auftauchen.

3 In den Unterlagen des französischen Auslieferungsersuchens wird unterschlagen, daß bereits 1983 in der BRD (Staatsanwaltschaft Hannover) wegen des Anschlags in der Rue Marbeuf gegen Christel ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, das erstmals 1985 eingestellt wurde, dann 1991 eben wegen der Auswertung besagter Stasi-Unterlagen wieder aufgenommen wurde und 1994 wieder eingestellt wurde, da sich keine neuen verwertbaren Fakten ergeben hätten, obwohl die Staatsanwaltschaft dabei auch die französischen Ermittlungsergebnisse berücksichtigt hat.


Monika Haas

Prozeßerklärung

Vor einem Jahr, am 18. Januar 1996, hat dieses Verfahren gegen mich zum ersten Mal begonnen. Ich hatte mich damals - obwohl mir bewußt war, daß ich mich in einem politischen Verfahren befinde - für eine ausschließlich juristische Prozeßstrategie entschieden. Mir ging es darum zu beweisen, daß ich hier völlig zu Unrecht angeklagt bin.

Schon der äußere Rahmen zu Prozeßbeginn zeigte, daß ich es nicht einfach haben werde. Obwohl ich hier seit 15 Jahren mit meinem drei Kindern lebe, mein Arbeitgeber das Land Hessen ist - ich also nicht aus dem Untergrund heraus hier vor Gericht gestellt wurde -, lief alles nach der gängigen "Terroristenschablone" ab. Das Gerichtsgebäude ist umstellt mit jungen ängstlichen Männern und Frauen, die, sich an ihren Maschinenpistolen festhaltend, ein groteskes Szenario abgeben. Ich wurde quasi über Nacht zu einer ganz gefährlichen Person stigmatisiert.

Anfangs hatte ich noch die Illusion, daß sich dies ändern werde, wenn die Beweisaufnahme zeigen wird, daß die Anklageschrift eine Konstruktion von geheimdienstlichen Intrigen - die den Hintergrund abgeben - ist. Noch nie habe ich mich so gründlich getäuscht. Mit dieser Strategie, die politische Ebene zu vernachlässigen, mußte ich scheitern. Einem hochpolitischen Prozeß, der von professionellen Rechtsbeugern gegen mich geführt wird, kann nicht alleine mit juristischen Mitteln begegnet werden. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgericht Frankfurt schert sich nicht um Recht und Gesetz. Die Art und Weise der "Wahrheitsfindung", so wie sie hier offensichtlich üblich ist, zeigt die Absicht: Ich soll um jeden Preis verurteilt werden.

Die vom Bundesgerichtshof vorgegebene "strenge und besonders kritische Überprüfung" der Stasi-Akte "OV-Wolf" wurde durch die Bundesanwaltschaft und den verhandelnden Senat geradezu ins Lächerliche verkehrt. So beschränkten sich die Fragen des Senats und der Bundesanwaltschaft darauf, daß sich die geladenen Stasi-Offiziere gegenseitige Arbeitszeugnisse ausstellen durften. Die Ungereimtheiten und Widersprüche, die in den Akten vorhanden sind, wurden tunlichst nicht angesprochen. Der Senat will nichts wissen. Dieses System wurde bei allen Zeugen beibehalten. Abgefragt wird vermeintlich Belastendes, alles, was dem widerspricht, wird unterdrückt. Bei der Befragung der Zeugen durch die Verteidigung kommt es auch schon mal dazu, daß die Fragen nicht vom Zeugen, sondern von Bundesanwaltschaft oder Senat beantwortet werden.

Nicht vermeidbar waren bei dieser Prozeßführung Befangenheitsanträge gegen einzelne Senatsmitglieder. Gegen Richter Zeiher, wegen seiner in der Öffentlichkeit gemachten Bemerkung: "Wir haben so viel gegen die Frau Haas in den Akten, damit kriegen wir sie!"

Richter Zeiher bestritt diese Äußerung. In seiner dienstlichen Stellungnahme gesteht er zwar ein, er habe lediglich im engsten Familien- und Freundeskreis erklärt, daß auch nach der Zurücknahme der Zeugenaussage von Souhaila Andrawes noch erheblicher Tatverdacht bestehe, wobei auch der weitere Akteninhalt zu berücksichtigen sei, jedoch war diese Darstellung, um es vorsichtig auszudrücken, nicht ganz korrekt. So weiß ich inzwischen, daß zu dem erwähnten Freundeskreis auch Herr B. zu Gast im Hause Zeiher war. Beim gemeinsamen Essen gab es damals für Richter Zeiher nur ein Thema, der Fall Haas. Selbst nach dem Hinweis von Herrn B., er möchte all diese Informationen nicht haben und er glaube es im übrigen auch nicht, war Richter Zeiher nicht zu stoppen. Fast den ganzen Abend versuchte er, seine Gäste von meiner Schuld zu überzeugen. Wohlgemerkt, zu Prozeßbeginn und vor der Beweisaufnahme hatte er sich sein Urteil gebildet. Aber Richter Zeiher fühlt sich trotzdem nicht befangen!

Ähnliches gilt für die dienstliche Erklärung von Richter Schieferstein. Obwohl mindestens drei der anwesenden Journalisten seine während der Hauptverhandlung gemachte Äußerung "Der Zeuge Lund werde jetzt nicht wegen so eines unerheblichen Details vernommen", wörtlich mitgeschrieben hatten, behauptete der Vorsitzende Richter, er hätte das nicht gesagt. Bei dem "unerheblichen Detail", wie er es definierte, geht es immerhin um die von Souhaila Andrawes gemachte Aussage: "Monika Haas hat nicht die Waffen gebracht." Sie hatte diesen Satz mehrfach während ihrer Urteilsverkündung ausgerufen.

Die Befangenheitsanträge wurden jeweils erwartungsgemäß abgelehnt. Wer, so frage ich mich, gibt diesen Richtern das Recht zu diesem permanenten Machtmißbrauch?

Das sind aber noch längst nicht alle Betrugsmanöver, die der Senat zu bieten hat.

Begründet durch die Tatsache, daß der Anklage im Verlauf der Hauptverhandlung Zeuge für Zeuge weggebrochen war, stellte meine Verteidigung am 31.10.1996 einen Antrag auf Haftentlassung. in einer umfänglichen Einlassung zur Sache hatte ich außerdem detailliert zu dem Anklagekonstrukt Stellung genommen. Der Haftentlassungsantrag wurde mit Beschluß vom 14. Januar 1997 abgelehnt. Meine Einlassung zur Sache - immerhin mehr als 40 Seiten - wurden mit keinem Wort berücksichtigt. Ebenso unberücksichtigt blieb die gesamte Beweisaufnahme seit dem letzten Ablehnungsbeschluß vom 27. August 1996. Da es keine Begründung für eine Fortdauer der Haft geben kann, wird wieder auf die Akten zurückgegriffen, als gäbe es diese Verhandlung nicht. Zudem werden Zeugen Worte in den Mund gelegt, die sie nicht gesagt haben. Mit so einer gezielten Lüge wird beispielsweise in dem Beschluß vom 14.1.1997 gearbeitet, um den Operativvorgang "Wolf" des MfS weiter gegen mich benutzen zu können.

Wäre dies ein normales Verfahren, es hätte schon längst beendet werden müssen. Auch die falschen Beschuldigungen, die Souhaila Andrawes unter großem psychischen Druck in Oslo gemacht hat, hätten schon längst keine Relevanz mehr. Wie gesagt, wäre dies ein normales Verfahren. Hier ist aber absolut nichts normal.

Wie groß der rechtsfreie Raum ist, in dem dieses Verfahren stattfindet, wurde auf besonders zynische Weise am letzten Verhandlungstag deutlich. Oberstaatsanwalt Siegmund von der Bundesanwaltschaft, der hier als Zeuge geladen war, erklärte im Verlauf der Befragung, daß die norwegische Regierung nicht bereit gewesen wäre, Souhaila Andrawes nach Deutschland auszuliefern, wenn ihr hier eine lebenslängliche Freiheitsstrafe droht. Somit hat Souhaila Andrawes selbst - indem sie Kronzeugin wurde - ihre Auslieferung nach Deutschland erst möglich gemacht. Die Bedingungen der norwegischen Regierung hatte ihr die Bundesanwaltschaft vorenthalten, anders hätte die Erpressung ja auch nicht funktioniert. Pech für Souhaila Andrawes, und ich meine das ohne jede Häme. Für mich ist sie letztlich ebenso ein Opfer des hier herrschenden Verfolgungswahns, wie ich es bin, Opfer auch deshalb, da die politisch Verantwortlichen auf höchster Ebene sich 1978 gegen eine Auslieferung von Souhaila Andrawes nach Deutschland entschieden hatten. Mit dieser Entscheidung hatten sie damals ihren "Bestrafungsanspruch" aufgegeben.

Das jetzige Vorgehen, weil man(n) sie so dringend als Kronzeugin brachte, verstößt zweifelsfrei gegen Artikel 6 (1) Satz 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Von den Täuschungsmanövern, die mit ihr gemacht wurden, ganz zu schweigen.

Die Summe meiner Erfahrungen im letzten Jahr - und ich habe jetzt nur die gravierendsten Vorkommnisse benannt - ist nicht gerade ermutigend. Ich befinde mich jetzt seit 28 Monaten in Haft. In den letzten neun Monaten, seit dem Neubeginn meiner Verhandlung, wurde bislang 32mal verhandelt. 15 der 32 Verhandlungstage hatten eine durchschnittliche Verhandlungsdauer von einer Stunde. Maximale Verhandlungsdauer eines "normalen" Prozeßtages beträgt 4 Stunden. Diese permanente Verschleppungstaktik ist unglaublich zermürbend, und das soll sie auch sein.

Richterliche Unabhängigkeit wird vom 5. Strafsenat offensichtlich - unabhängig von rechtsstaatlicher Norm - begriffen.

Damit kann und werde ich mich nicht abfinden.

Das oder besser gesagt mein Problem ist, daß die meisten Menschen, die die Entstehungsgeschichte der Anklage und später dann die Hauptverhandlung gegen mich interessiert wahrnehmen, dem entweder mit Resignation gegenüberstehen oder aber der Meinung sind, es handele sich dabei um eine derart überschraubte und hochgepuschte Angelegenheit, daß sie sich durch die Gesetzgebung eines Rechtsstaates von selbst erledigt. Dem ist aber ganz offensichtlich nicht so.

Die weitgehend fehlende Öffentlichkeit macht es dem Senat nicht schwer, diese Anklage durchzupeitschen und zur Verurteilung zu bringen. Was ich deshalb dringend benötige, ist mehr Öffentlichkeit und öffentliche Kontrolle, die dieses Gericht in die Grenzen des Gesetzes verweist.

Alles, was ich brauche, ist ein faires rechtsstaatliches Verfahren.

Monika Haas, 21. Januar 1997


Erklärung zu den radikal-Verfahren

Besser spät als nie!

Lange ist es schon her, daß die BAW am 13.6.1995 zu ihrem großen Schlag gegen verschiedene linksradikale Gruppen ausholte. Gegen acht Leute gab es Haftbefehle mit dem Vorwurf "Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung radikal".

Wir sind sieben von ihnen, der achte - Matthes - ist erst seit dem 25.11.1996 wieder aufgetaucht und zu kurz zurück, um an diesem Text mitwirken zu können.

Wir haben aus verschiedenen Gründen bis heute nichts Gemeinsames von uns hören lassen, denken aber, daß es schon lange überfällig ist, etwas zu unserer Situation und zu unseren Überlegungen öffentlich zu sagen. Dieser Text soll zumindest kurz darstellen, was bei uns Stand ist.

Zu unserem Bedingungen gehört, daß wir sieben Leute sind, die aus verschiedenen Städten und politischen Zusammenhängen kommen und die sehr unterschiedliche Vorstellungen und Herangehensweisen an ein solches Verfahren haben. Vor allem dieses machte und macht es uns sehr schwer, einen Umgang mit der Repression zu finden. Trotzdem ist unser Anspruch und Ziel, mit den Unterschieden konstruktiv umzugehen und nicht gegen-, sondern miteinander zu arbeiten.

Um dieses Ziel erreichen zu können, war und ist es notwendig, unsere Widersprüche, Positionen und Gemeinsamenkeiten genauer herauszuarbeiten. Dabei haben wir es kaum geschafft, nach vorn zu diskutieren, vielmehr lag unser Schwerpunkt u.a. in der Aufarbeitung und der Auseinandersetzung mit dem Inhalt von über 70 Aktenordnern usw.

Was zu unseren Unterschieden noch hinzu kam und anfangs sehr bestimmend war:

Wir hatten nach einem halben Jahr Knast bzw. nach einem Jahr Abtauchen (bei Glosch sogar eine Verbindung von beidem) viel nachzuholen. Das beinhaltete, daß wir in die Solibewegung, in unsere Zusammenhänge und Diskussionen hineinwachsen mußten.

Hauptsächlich beschäftigen uns zur Zeit folgende Fragen:

Aus den Einschätzungen des Angriffs ergeben sich verschiedene Schwerpunkte in der Soli- und Prozeßarbeit, d.h. einerseits die radikal in den Mittelpunkt zu stellen oder andererseits die Bedeutung und Tragweite für die radikale Linke zu thematisieren.

Welches Verhältnis haben wir zum angegriffenen Projekt radikal?

Was wird wann und wie aus den Akten veröffentlicht?

Hierbei stehen sich die Interessen gegenüber, der radikalen Linken etwas mitteilen zu wollen, dabei aber den Schergen keine Zuarbeit zu leisten. (Dazu gehören auch Fragen aus der Solibewegung, die sich mit den Auswirkungen des 13.6.1995 auf die radikal beschäftigen.)

Wie sehr lassen wir unser Leben von den Vorbereitungen auf den Prozeß bestimmen, wo sind unsere individuellen Grenzen?

Wie stellen wir uns eine Prozeßführung oder unser Verhalten im Gericht vor ...?

Zu diesen und noch weiteren Fragen gibt es unter uns bis zu sieben verschiedene Positionen. Wir sind dabei, Kompromisse zu finden und Vorstellungen zu entwickeln, wie wir an die Prozesse rangehen wollen.

An den Fragen, ob, wieviel und an welchen Punkten wir gemeinsam im Verfahren agieren werden, wird sich auch für die Soliarbeit und die Prozeßbegleitung einiges entscheiden.

Wir haben es bis heute nicht geschafft, bestimmte klare Vorgaben zu machen, statt dessen haben wir unsere Uneinigkeit in die Solibewegung hineingetragen, was sich dort auf die Arbeit destruktiv auswirkte.

Wir versuchen, dies umzusetzen, indem wir uns öfter treffen und noch mal alles daran setzen, eine gemeinsame Auseinandersetzung über den 13.6.1995 zu führen und zusammen eine Herangehensweise an den Prozeß zu entwickeln. Dabei ist uns inzwischen allen klar, daß unsere unterschiedlichen politischen Vorstellungen nebeneinander stehenbleiben müssen, sich aber nicht gegenseitig blockieren dürfen.

Wir hoffen sehr, daß uns das gelingen wird.

Das Ganze hört sich jetzt wahrscheinlich alles sehr schwammig bzw. abstrakt an, aber einige Punkte genauer zu fassen, scheitert momentan noch an unseren oben angerissenen Unterschieden.

November 1996

Ente, Rainer, Jutta, Werner, Ulli, Glosch und Cracker


Bundesweiter Aktionstag am 18.3.1997

Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit !

Am 18.3.1996 haben wir unter dem Motto Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit einen bundesweiten Aktionstag durchgeführt. Die Idee kam vom Bundesvorstand der "Roten Hilfe". Diese hatte bereits in den 20er Jahren solche Aktionstage durchgeführt. Initiiert wurde das Ganze schließlich von der Initiative "Libertad! Kampagne für einen internationalen Kampftag für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit". In 14 Städten haben daraufhin verschiedene linke Gruppen Kundgebungen, Veranstaltungen, Demonstrationen und andere Aktionen durchgeführt (einen guten Überblick über den Verlauf des Aktionstages 1996 bietet die bei Libertad! erhältliche "Dokumentation 18.3.1996" die für 4,- Mark und Porto bestellt werden kann). Der Aktionstag wurde von allen beteiligten Gruppen als Erfolg angesehen. Deshalb haben wir beschlossen, auch 1997 einen bundesweiten Aktionstag zu machen. Im Laufe dieses Jahres wurde die Idee auch international aufgegriffen. Auf dem von der EZLN im Sommer veranstalteten "Intergalaktischen Kongreß gegen den Neoliberalismus" in Chiapas/Mexiko haben Delegierte aus verschiedenen Ländern vereinbart, einen solchen Aktionstag gleichzeitig durchzuführen, erstmals am 10.12.1997. Koordiniert werden soll dieser erste "Internationale Aktionstag" auf einem Folgekongreß, der voraussichtlich im Sommer nächsten Jahres in Europa stattfinden wird (.......) Für 1997 wünschen wir uns eine Beteiligung von weiteren politischen Gruppen und wollen daher die Einladung möglichst weit verbreiten. Alle Gruppen, die sich mit den Themen "Politische Gefangene" , "Repression und Widerstand " und "Internationale Solidarität" beschäftigen, sollen die Möglichkeit haben, ihre Inhalte und Aktionsformen einzubringen. Thematisiert werden sollen nicht nur die "Alten", also die Gefangenen aus der RAF, oder die "Neuen", z.B. die durch die Razzien vom 13.6.95 Betroffenen und die vielen mit Repression bedrohten AntifaschistInnen. Thematisiert werden sollen auch die zahlreichen kurdischen Gefangenen oder aufgrund des PKK-Verbots politisch Verfolgten. Darüber hinaus rückt auch immer stärker der Widerstand von inhaftierten oder von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen ins Zentrum des politischen Geschehens. Auch dies sollte am 18.3.97 gemeinsam an die Öffentlichkeit gebracht werden. Was diese Bereiche vereint, ist die Solidarität mit allen politischen Gefangenen aus emanzipatorischen Bewegungen und der Kampf gegen jede staatliche Unterdrückung (....). Solidarität bedeutet für uns: Alle, die von staatlicher Unterdrückung bedroht oder betroffen sind, haben ein Anrecht auf Unterstützung, aber auch die Verpflichtung einander zu unterstützen. Das beinhaltet keine bedingungslose Loyalität. Die politischen Inhalte der verschiedenen Gruppen sollen durchaus Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung seien, aber der gemeinsame Feind, staatliche Unterdrückung, sollte auch gemeinsam bekämpft werden. (....) Dafür kann der 18.3.96 ein Forum sein!

(Aufruf von Libertad!)


Kurdenverfolgung

2. Kurdenprozeß in Düsseldorf

In dem sog. 2 Düsseldorfer Kurdenprozeß, der am 14.1. begann, sind die drei Kurden Nihat Asut, Haydar Ergül und Achmet Yavuz unter anderem nach dem Willkürparagraphen 129a StGB (Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaft in einer "terroristischen Vereinigung") angeklagt. Sie sollen außerdem angeblich verantwortlich sein für "2 Anschlagsserien auf ca. 170 Banken, Reisebüros und Geschäfte von Türken" im Juni und November 1993. Haydar Ergül wies in einer politischen Erklärung die Anklage zurück und forderte die Einstellung des Verfahrens. "Das Gericht hat kein Recht, uns wegen unseres Kampfes für ein freies Kurdistan auf die Anklagebank zu setzen". Die drei sind seit Mai bzw. Dezember 95 unter Isolationsbedingungen in U-Haft, der Prozeß findet in dem für den ersten (für die BAW weitgehend gescheiterten) PKK-Prozeß, der 1988 begann, hergerichteten "Hochsicherheits"-Prozeßbunker statt, er wird sich über ein Jahr hinziehen, es sind über 100 Zeugen und Sachverständige geladen und bisher 43 Verhandlungstage angesetzt. Dieser Prozeß wird als besonders bedeutend unter den verschiedenen Prozessen gegen Unterstützer des kurdischen Befreiungskampfes eingeschätzt.

Haydar Ergül erklärte, daß er und alle anderen ca. 200 kurdischen politischen Gefangenen in der BRD vom 15. bis zum 21.1. aus Protest gegen die vom UNHCR geplante Räumung des Flüchtlingslagers Etruó in Südkurdistan in einen Hungerstreik treten werden.

Es hat sich eine Prozeßgruppe gebildet, die den Prozeß kritisch beobachten, Gegenöffentlichkeit schaffen, die Angeklagten betreuen und unterstützen will.

(Nach biji und einer Information der Prozeßgruppe Düsseldorf)

Nächste Prozeßtermine:

18.1., 4.2., 5.2., 11.2., 24.2., 26.2, 27.2., 3.3., 4.3.

Alle Hauptverhandlungstermine finden im Nebengebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf, Tannenstr. 26 (Lippe-Haus) statt.

Nächste Prozeßtermine im Hamburger 129a-Prozeß gegen Azime, Meryem und Sait

28.1., 29.1., 5.2., 6.2., 11.2., 12.2., 19.2., 20.2., 25.2., 26.2.

Jeweils 9.30 Uhr

Der Prozeß findet im Staatsschutzsaal im Hauptgebäude Sievekingplatz in Hamburg statt. Der Eingang ist an der Seite am Park, hintere Tür mit Sicherheitsschleuse.


Solidarität mit dem Befreiungskampf

Repression gegen Frauen/Lesben

Wir sind weiße deutschen Frauen/Lesben aus unterschiedlichen Gruppen und Nicht-Organisierte, die die Frauen/Lesben-Demonstration am 9. März 1996 in Bonn zusammen mit kurdischen Frauen vor- und/oder nachbereitet haben. Wir überlegen an weiteren praktischen Möglichkeiten, den Kampf der Kurdinnen um Befreiung als Frauen und für ein freies Kurdistan und die feministischen Frauen/Lesben-Kämpfe hier miteinander zu verbinden. In diesem Rahmen haben wir jetzt festgestellt, daß mehrere einzelne Frauen/Lesben aus bundesdeutschen Frauen/Lesben-Zusammenhängen von repressiven Maßnahmen bedroht sind. Wir wollen die Vereinzelung der betroffenen Frauen/Lesben verhindern und Euch hier über die einzelnen Verfahren, wie wir diese und die damit einhergehende Repression einschätzen, kurz informieren:

Die einzelnen Verfahren laufen in folgenden Zusammenhängen:

die Demonstration am 18.11.95 in Köln, die von verschiedenen deutschen Gruppen "Für eine politische Lösung in Kurdistan" initiiert wurde. Nachdem die Demonstration im Vorfeld verboten wurde, fand eine Spontan-Demonstration gegen das Verbot statt, bei der es einen Frauen/Lesben-Block gab und in deren Verlauf mehrere Hunderte TeilnehmerInnen eingekesselt und festgenommen wurden.

um die Frauen/Lesben-Demonstration am 9. März 1996 in Bonn unter dem Motto "Für den weltweiten Frauen/Lesben-Befreiungskampf! Freiheit für Kurdistan!", an der mehrere tausend kurdische und einige hundert deutsche Frauen/Lesben teilnahmen. Unter dem Vorwand "Zeigen verbotener Symbole des kurdischen Befreiungskampfes" wurde die Demonstration über 9 Stunden lang eingekesselt.

um die Frauen/Lesben-Solidaritätskundgebung am 18.7.96 in Köln zu dem Hungerstreik von türkischen und kurdischen politischen Gefangenen in türkischen Gefängnissen. Es nahmen ca. 40 Frauen/Lesben daran teil. Nach ihrer Auflösung wurden die Frauen/Lesben massiv von den B. angegriffen: Es kam zu zehn Festnahmen, wobei zwei Frauen schwer verletzt wurden.

Konkret handelt es sich bei den Verfahren um folgende:

gegen zwei Frauen, die bei der Demonstration am 18.11.95 festgenommen wurden, findet (voraussichtlich Anfang 1997) ein Prozeß in Brühl wegen Widerstand und Körperverletzung statt,

gegen zwei Frauen wird wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und das Vereinsgesetz ermittelt, weil sie die 9.-März-Demonstration angemeldet haben,

gegen eine Frau wird wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz ermittelt, die an der Frauen/Lesben-Kundgebung am 18.7.96 in Köln teilgenommen hat,

gegen eine Frau wird auch im Zusammenhang mit der Köln-Kundgebung wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt,

eine dritte Frau, die ebenfalls an der Kundgebung am 18.7. teilnahm, bekam unvermutet eine Zahlungsaufforderung über 69 Mark, weil eine B. angeblich eine Knieverletzung hat. Wenn sie der Zahlungsaufforderung nicht nachkommt, droht ihr ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung.

Im gleichen Zeitraum (Frühjahr/Sommer 96) machte der Verfassungsschutz Anwerbeversuche in Marburg, Braunschweig und Freiburg gegen zwei deutsche Frauen und eine nichtdeutsche Frau. (...)

Unser Ziel ist es, die Vereinzelung von uns Frauen/Lesben zu durchbrechen und eine sich internationalistisch bestimmende Frauen/Lesben-Bewegung aufzubauen.

Darin ist für uns wichtige Haltung: gegen alle Spaltungs- und Abschreckungsversuche unsere Einheit weiter zu erkämpfen.

Für den Aufbau einer starken Frauen/Lesben-Bewegung weltweit

Freiheit für Kurdistan

Adresse für Frauen/Lesben, die ebenfalls in diesem Zusammenhang von (Ermittlungs-)Verfahren betroffen sind:

Komitee zur Vorbereitung des 9.3.96, c/o Frauen/Lesben-Referat, AStA der JLU, Otto-Behagel-Str. 25d, 35394 Gießen


Türkei

Rechtsanwälte festgenommen

Unser Büro (das Büro der Rechtsanwälte des Volkes in Istanbul - Red.) wurde am 7. Januar 1997 um 11.30 Uhr durch 10 Polizisten der Anti-Terror-Abteilung gestürmt. Für die Durchsuchung gaben die Polizisten weder eine Begründung an, noch hatten sie einen richterlichen Durchsuchungsbefehl, sie durchsuchten zweieinhalb Stunden unser Büro und nahmen 7 anwesende Personen, darunter 2 Rechtsanwälte, fest.

Nach dem Erlaß 11/37 des Justizministeriums vom 27. Januar 1971 darf das Büro eines Rechtsanwaltes nicht durch die Polizei, sondern nur durch die Staatsanwaltschaft durchsucht werden. Die Durchsuchung war also ungesetzlich. Am 6. Januar wurden ebenfalls ungesetzlich die Häuser von Rechtsanwälten durchsucht. Außer in Ausnahmesituationen, wenn beispielsweise Fluchtgefahr besteht, ist es gesetzlich verboten, Häuser anzugreifen. Gleichzeitig werden mit so einer ungesetzlichen Durchsuchung die Sicherheit der betroffenen Personen sowie die Schweigepflicht und die Gesetz, an die die Rechtsanwälte gebunden sind, verletzt.

Während Rechtsanwalt Efka Bolac, Rechtsanwaltspraktikant Alper Saral, Jurastudentin Selda Kaya, die Sekretärinnen Zeynep Ertürk und Safia Öztürk freigelassen wurden, werden unser Rechtsanwalt Metin Narin und der Besucher des Büros Ibis Varol weiterhin festgehalten. Interessant ist, daß in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Fatih zu der Durchsuchung nur die Festnahme von Metin Narin, nicht aber die der anderen sechs Festgenommenen erwähnt wird. Daraus kann man ablesen, daß das ungesetzliche Verhalten der Polizei von der Staatsanwaltschaft offen unterstützt wird. (...)

. Das Ziel der Polizei ist es, diese Ungesetzlichkeiten zur Regel zu machen und wie und wann es ihnen paßt anzugreifen. Auch das Staatssicherheitsgericht ist Baumeisterin dieser Gesetzlosigkeit. Deswegen werden wir auch gegen das Staatssicherheitsgericht bei den zuständigen Stellen entsprechende Schritte einleiten.

Dieser Angriff, der gegen unsere gesetzmäßige Verteidigung der Rechte unserer Mandanten durchgeführt wurde, wird mit Sicherheit nicht der letzte sein. Aus diesem Grund rufen wir alle für die Verletzungen der Menschenrechte sensiblen Kreise auf, gegen Komplotte und gegen die Gefangenen geplanten neuen Massaker einzuschreiten.(...)

Rechtsbüro des Volkes, Istanbul, Januar 1997


Sofortige Freilassung beantragt

Neue Anträge von Mumia Abu-Jamal

Mit der Feststellung, daß die verfassungsmäßigen Rechte des afro-amerikanischen Journalisten und Todeskandidaten Mumia Abu-Jamal durch das Öffnen und Kopieren seiner Anwaltspost durch die Gefängnisbehörden verletzt wurden, hat ein Bundesgerichtsurteil jetzt überraschend Bewegung in den Fall von Abu-Jamal gebracht. Gestern (Ende Dezember - Red.) stellte Abu-Jamals Rechtsanwalt Len Weinglass daraufhin zwei neue Anträge beim Obersten Gerichtshof von Pennsylvania. "Mit dem ersten Antrag fordern wir das Gericht auf, die Verletzung von Abu-Jamals verfassungsmäßig garantierten Rechten bei seiner Entscheidung über Abu-Jamals Berufungsantrag auf ein neues Verfahren mit einzubeziehen", so Weinglass gegenüber jW. "Mit dem zweiten Antrag fordern wir die sofortige Freilassung von Abu-Jamal und die Aufhebung der Anklage gegen ihn. Wenn das Gericht dem nicht folgen sollte, beantragen wir zumindest ein neues Verfahren und eine neue Anhörung."

Abu-Jamal hatte die Gefängnisbehörde von Pennsylvania verklagt, nachdem sich herausgestellt hatte, daß die gesamte Korrespondenz mit seinen Anwälten zur Vorbereitung der Wiederaufnahme-Anhörung im August 1995 von den Gefängnisbehörden geöffnet und Kopien an die Generalstaatsanwaltschaft von Pennsylvania weitergeleitet worden waren. Das Bundesgericht stellte fest, daß dadurch unter anderem Pennsylvanias Gouverneur in der Lage war, Abu-Jamals Hinrichtungsbefehl zu unterschreiben, bevor Abu-Jamal einen Antrag auf Wiederaufnahme seines Verfahrens stellen konnte.

Heike Kleffner, Philadelphia, in: junge Welt, 28./29.12.96

Von Mumia Abu Jamal ist dieser Tage eine zweites Buch erschienen. Das neue Buch ist bislang nur in den USA und in Englisch erhältlich:

DEATH BLOSSOMS

Reflections from a Prisoner of Conscience

Foreword by Cornel West

Preface by Julia Wright

Plough Publishing House, January 1997

ISBN 0-87486-068-5, softcover, 194 pages, $12.00


Inhaftiert aufgrund eines Auslieferungsantrags der BRD

Sofortige Freilassung von Róisín McAliskey

Aufgrund eines Auslieferungsantrags der BRD wird Róisín McAliskey, die im fünften Monat schwanger und inzwischen aufgrund der fortgesetzten Inhaftierung schwer krank ist, weiterhin in Auslieferungshaft festgehalten. Auch die BRD-Behörden haben eine Freilassung auf Kaution bisher verhindert. Róisín muß dringend freigelassen werden, um eine angemessene medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Festnahme

Die 25jährige Róisín McAliskey ist die Tochter der auch in der BRD bekannten Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Bernadette McAliskey, die sich in einer persönlichen Erklärung zu den Vorfällen äußerte (s. Kasten). Róisín selbst ist Absolventin der Belfaster Universität und in Community-Gruppen aktiv.

Róisín, die im fünften Monat schwanger ist, wurde am 20. November 1996 in ihrem Haus von der nordirischen Polizei RUC (Royal Ulster Constabulary) festgenommen und in das Verhörzentrum Castlereagh in Belfast gebracht. Dort wurde sie z.T. 15 Stunden am Tag verhört, ihr wurde der Schlaf entzogen, und sowohl dem Hausarzt als auch Familienangehörigen wurde der Zutritt verweigert. Nach sechstägigem Verhör wurde keine Anschuldigung gegen sie erhoben.

Auslieferungshaft

Aufgrund eines Auslieferungsantrages der BRD-Behörden wurde Róisín am 26. November nach London geflogen und in Auslieferungshaft genommen, ohne daß ihre Familie oder ihre AnwältInnen davon unterrichtet wurden. Ein Polizeiarzt zeigte sich über ihre gesundheitliche Situation besorgt und sagte, daß sie in eine Entbindungsstation verlegt werden solle. Trotzdem wurde sie in den Londoner Frauenknast Holloway gesperrt, wo sie in Isolationshaft saß, ununterbrochen künstlichem Licht ausgesetzt war und benötigte Medikamente nur mit Verzögerung erhielt.

Erst über eine Woche nach der ursprünglichen Festnahme konnten Familienangehörige sie hier das erste Mal besuchen, mitgebrachtes frisches Obst wurde ihr allerdings nicht gestattet. Zudem wurden ihr die dringend notwendigen vorgeburtlichen Untersuchungen weiterhin verweigert.

Ohne Benachrichtigung ihrer Angehörigen oder ihrer Anwältin wurde Róisín McAliskey am 30. November in den Männerknast Belmarsh verlegt, in dem es keinerlei Einrichtungen für gefangene Frauen gibt. Hier wurde sie 24 Stunden am Tag in einer verdreckten Zelle ohne Heizung eingesperrt und erhielt z.T. einen ganzen Tag lang nichts zu essen. Als sie am 3. Dezember unter schweren Magenkrämpfen litt und den Notschalter in ihrer Zelle betätigte, dauerte es über eine Stunde, bis überhaupt jemand kam. Ein Gefängnisarzt stellte fest, daß sie über keine weiteren Nahrungsreserven für die Schwangerschaft verfügt. Er forderte eine ununterbrochene medizinische Überwachung sowie weitere medizinische Untersuchungen.

Zwar ist Róisín seitdem wieder im Frauenknast Holloway, doch hat sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ein ärztliches Gutachten spricht von einem Zustand "fortgeschrittener Aushungerung". Die dringend nötige medizinische Versorgung wird ihr weiterhin verweigert. Sie leidet unter streßbedingtem Asthma und verliert zunehmend an Gewicht. Róisín ist weiterhin in Isolationshaft, wird auf dem Weg zum Gericht nackt durchsucht und hat keinen Zugang zu Tageslicht.

Die Rolle der BRD-Behörden

Anträge auf Freilassung auf Kaution wurden bei den bisherigen Haftprüfungen abgelehnt. Auch die BRD-Behörden, deren Auslieferungsantrag die Grundlage für Róisíns Inhaftierung bildet, stimmten hierbei gegen eine solche Freilassung.

Der Auslieferungsantrag steht offensichtlich in Zusammenhang mit einem Angriff der IRA auf einen britischen Militärstützpunkt in Osnabrück vom Juni 1996. Auch für den im Süden Irlands festgenommenen Jim Corry haben die BRD-Behörden einen Auslieferungsantrag gestellt. In keinem Fall haben sie bisher irgendwelche Papiere vorgelegt, die Auskunft über die Art der Anschuldigung geben.

Róisín McAliskey muß sofort freigelassen werden, da im Knast sowohl die Schwangerschaft als auch ihre Gesundheit gefährdet ist. Dies haben mehrere ärztliche Untersuchungen, u.a. auch durch Polizei- und Gefängnisärzte, bestätigt.

Wir fordern alle Gruppen und Einzelpersonen auf, entsprechende Briefe an die deutsche Botschaft in London zu schreiben oder zu faxen.

Redaktion "Spirit of Resistance"

Briefe/Faxe an:

Jürgen Oesterhelt

Embassy of the Federal Republic of Germany

23 Belgrave Square, London N7 0NU, England

Fax: 00 44-171-8 24 14 35

Nachtrag:

Am Dienstag, den 17.12., fand vor dem deutschen Botschaft in Dublin eine Kundgebung der "Róisín McAliskey Justice Group" mit 100 TeilnehmerInnen statt.

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Berichtigung

Im Artikel "Weibliche irische Kriegsgefangene fordern Gleichbehandlung" im Info 188 unterlief uns ein Satzfehler. Die Gefangenen wurden nicht, wie wir schreiben, 1996, sondern zehn Jahre vorher, am 18.3.1986, vom Gefängnis Armagh nach Maghaberry verlegt. Sorry.


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