Die RAF ist tot – aber nicht der Kampf um Befreiung!
Irgendwo. Im März '98 erklärte die Rote Armee Fraktion (RAF) nach 28jähriger Geschichte bewaffneter Aktionen ihre Auflösung. Dieser Schritt war überfällig und längst erwartet, nachdem über lange Monate nichts mehr von der RAF zu hören war. Genauso, wie die Linke insgesamt in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung in der Gesellschaft verlor, war von der RAF nicht zu erwarten, daß von ihr neue Impulse für die Neubildung der Linken ausgehen würden. Doch Häme oder Kopfschütteln sind in keinster Weise angebracht. Die RAF war über 28 Jahre der Versuch, den mörderischen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen konsequenten Widerstand entgegenzusetzen. Sie entstand aus dem richtigen Bewußtsein, den antiimperialistischen Kampf der weltweiten Befreiungsbewegungen hierher, ins Zentrum der Macht, zurückzutragen. Sie entstand aus der Erkenntnis, daß die sozialen Bewegungen und die Guerilla im Trikont, die mit US und NATO-Interventionen und dem schmutzigen Krieg der von BND und CIA ausgebildeten Counterguerilla konfrontiert sind, nur erfolgreich sein können, wenn es in den Metropolen, im Herzen der imperialistischen Bestie, kein ruhiges Hinterland gibt. "Schafft eins, zwei, viele Vietnams!"- die Gründung der RAF war der ernstzunehmende Versuch, diese Parole der 68er Linken in die Tat umzusetzen, was sich in den ersten Jahren der RAF überwiegend in Angriffen auf US-Militäreinrichtungen ausdrückte. Anfang der 70er stießen die Aktionen der RAF-Militanten, z. B. der Angriff auf das US-Headquarter in Heidelberg, von wo aus Luftangriffe auf den Vietcong geleitet wurden, teilweise auf breite, wen auch klammheimliche Zustimmung. Zu dieser Zeit waren laut Umfragen gut 20% der Bevölkerung bereit, Militante aus der RAF vor den Verfolgungsbehörden zu verstecken. Kein Wunder also, daß der BRD-Sicherheitsapparat alles daran setzen mußte, das gesellschaftliche Klima zu kippen und die RAF wie die revolutionäre Linke insgesamt zu isolieren und zu zerschlagen. Diese Chance bot sich ihnen in der Konfrontation von 1977. Der Überwachungsstaat war längst auf den Weg gebracht, Rasterfahndung und Isolationsfolter zur "Praxistauglichkeit" ausgereift. Der politische Fehler der RAF, während der Schleyer-Entführung zur Befreiung der politischen Gefangenen der Entführung einer Urlauber-Lufthansamaschine durch ein palästinensisches Kommando zuzustimmen, kippte die durch die gleichgeschalteten Medien aufgebauschte Stimmung gegen die Guerilla endgültig. Die in der Bevölkerung erfolgreich herbeigepuschte Pogromstimmung gegen die Gefangenen aus der RAF setzte das Signal, auf das der Krisenstab so lange gewartet hatte: Die angeblichen "Selbstmorde" der Gefangenen in Stammheim waren nach der Erstürmung der Lufthansa-Maschine durch ein GSG9-Kommando nur noch eine Formsache.
Von der Niederlage '77 konnte sich die RAF nicht mehr erholen. Es war dem Staat endgültig gelungen, einen Keil zwischen die Guerilla und den Großteil der außerparlamentarischen Linken zu treiben, vom Rest der Bevölkerung ganz zu schweigen. Das Bewußtsein, daß sich die Aktionen der Guerilla nur gegen die herrschenden Strukturen, gegen die Verantwortlichen von Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung richteten, war nicht mehr aufrecht zu erhalten. "Wer Mallorca-Urlauber überfällt, der frißt auch kleine Kinder" - nicht schwer für die Herrschenden, dieses Bild zu vermitteln. In der Folge war es nur noch ein kleiner Teil der radikalen Linken, die sich in den Aktionen der RAF wiederfanden. Auch der Versuch der RAF, in den 80er Jahren mit dem Front-Konzept ein Zusammenkommen mit den radikalen sozialen Bewegungen (Anti-Atom, HausbesetzerInnen etc.) auf nationaler Ebene und mit der Aktionsfront mit Action directe (Frankreich) und Brigate Rosse (Italien) auf westeuropäischer Ebene zu schaffen, konnte keinen Neuanfang mehr ermöglichen. Hier wirkte sich bereits aus, was heute von der RAF in ihrer Auflösungserklärung selbstkritisch angemerkt wird: das Fehlen einer politisch-sozialen Organisation, die gleichberechtigter Bestandteil neben der bewaffneten Politik der RAF hätte sein können.
Zu groß war inzwischen die Distanz zwischen den Aktionen der RAF, die nur noch isoliert wahrgenommen werden konnten, und der repressiven gesellschaftlichen Realität, mit der die Klasse, zu deren Befreiung die RAF angetreten war, konfrontiert war. Anders als zu Beginn der 70er, als die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Texten der RAF noch eine wichtige Rolle spielten (z.B. der Bezug auf die Streikbewegung 1971, in "Stadtguerilla und Klassenkampf" vom April 1972), bewegten sich die Stellungnahmen der RAF-Militanten nun eher auf abstrakt-militärischer Ebene. Für Menschen, die sich in konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen befanden, in JobberInneninitiativen, in der Lateinamerika-Solibewegug oder in der Antifa, blieb nur wenig Raum, sich mit der RAF auf einer gleichberechtigten Ebene auseinandersetzen zu können. Der Versuch der RAF, mit den Aktionen Anfang der 90er (Erschiessung des Treuhand-Chefs Rohwedder, Sprengung des Knasts von Weiterstadt) wieder konkrete Bezüge zur gesellschaftlichen Situation in der BRD herzustellen und in Diskussion mit der Rest-Linken zu treten, kam zu spät. Das Fehlen eines organisatorischen Rahmens, einer politisch-sozialen Organisation, die diese Diskussion ermöglicht hätte, war nicht mehr gutzumachen. Ein Fehler übrigens, den die gesamte radikale Linke zu verantworten hat, denn die RAF hatte nie die Möglichkeit, so eine Organisation aus der Illegalität heraus aufzubauen.
Die Auflösung der RAF ist aus ihrer Geschichte heraus konsequent. Sie ist der Abschluß des Kapitels RAF in der Geschichte der revolutionären Linken der BRD, nicht aber der Abschluß des bewaffneten Kampfes für alle Zeit. So lange es gesellschaftliche Verhältnisse gibt, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" - so lange das Herz der Bestie schlägt und jeden Tag aufs neue kapitalistische Barbarei produziert, so lange wird es auch den Kampf um Befreiung geben. Die Mittel dazu wird sich die radikale Linke nicht von ihren Gegnern diktieren lassen.