Hinter dem Leittransparent "Gegen Ausbeutung und Unterdrückung ! Zusammen kämpfen! Es gibt keine Alternative zur Revolution" setzten sich für die recht lethargische und etwas resignative Stimmung in Berlin doch überraschend viele Menschen in Bewegung. Gute Stimmung wollte jedoch nicht so richtig aufkommen: von Anfang an war die Demo von willkürlichen Bullenangriffen (wg. Sonnenbrillen als "Vermummung") und auseinanderlaufenden Demoteilnehmerlnnen geprägt. Nur Wenige schafften es den Angriffen geschlossen entgegenzutreten. Die ersten Reihen mußten mehrmals die Leittransparente gegen die Zugriffe der Bullen verteidigen. In der Gormannstraße fuhr plötzlich ein Wasserwerfer vor dem Lauti in die Demo. Im Laufe der Demo wurden ca.50 Menschen festgenommen.
Der Mangel an Fahnen, Transparenten und Parolen machte die Demo zusätzlich ausdrucksarm, und liel3 den Teil alkoholisierter, sexistische Sprüche klopfender Demoteilnehmer stark in den Vordergrund rücken. Hier fiel die diesjährige 1.Mai-Demo weit hinter übliche "Standards" zurück. Eine Möglichkeit dem in Zukunft wieder effektiver entgegenwirken zu können, ist die Organisierung fester Ketten und Blöcke, nicht nur an der Demospitze. Blöcke und Ketten sind kein Ritual; sie gewährleisten außer besserer Durchsetzungsmöglichkeiten gegen Alkohol und Sexisten, die Bestimmung de~ politischen Ausdrucks einer Demo und einen effektiveren Schutz gegen Bullenübergriffe.
Trotz der Einschüchterungsversuche kam es am Nachmittag und Abend zu militanter Gegenwehr, entstand großer Sachschaden, wurden Bullen verletzt. Daß Schönbohm auf seiner Pressekonferenz am 2. Mai den Polizeieinsatz als vollen Erfolg für sich verbucht hat, war im Sinne der Strategie: Berlin als Hauptstadt und zukünftiger Regierungssitz braucht BRD-weit und international das Image einer sicheren und sauberen Stadt. Dies herzustellen ist Schönbohms Aufgabe. Jede größere Randale schadet diesem Image. D.h. für die öffentliche Berichterstattung: Herunterspielen der Auseinandersetzungen, Entpolitisierung, Darstellung der poli-zeilichen Stärke. Diese.Form der Berichterstattung ist nicht neu. Neu ist die Härte mit der und Schönbohms Regie gegen jegli-che linke Widerstandsäußerung in der Hauptstadt vorgegangen wird. Es liegt an uns allen, darauf passende Antworten zu geben.
Auf der anderen Seite drohte das AOK mehrmals mit dem Verlassen des Vorbereitungskreises, sobald sich andeutete, daß ein Großteil der Gruppen ihre Position nicht teilte und sich nicht als Bündnisposition durchsetzten ließ. Dies zeugt für uns von feh-lender Kompromißbereitschaft, die in jedem Bündnis vonnöten ist. Das AOK hat auf dem Nachbereitungstreffen geäußert, daß ihr lnteresse in erster Linie nicht die Beteiligung an der Vorbe-reitung der 1. Maidemo war, sondern die Möglichkeit, innerhalb der Vorbereitung die Gräben und Trennlinien zu den so bezeichne-ten stalinistischen Gruppen am 0-platz tiefer ziehen zu können. Wir haben uns der tiefergehenden inhaltlichen Diskussion über die hinter diesen Abgrenzungen stehenden innerlinken Konflikte widersetzt. Nicht, weil wir keinerlei inhaltliche Positionen hätten, sondern weil wir vertreten, daß perspektivische inhaltliche Diskussion nur dort sinnvoll ist, wo auch politische perspektivi-sche Zusammenarbeit ernsthaft angestrebt wird. Die 1.Maidemovorbereitung ist für uns der Rahmen, um eine breite linksradikale Bündnisdemo vorzubereiten, und nicht, um innerlin-ke Spaltungen zu vertiefen. Seit Jahren wird in den 1. Maivorbereitungen in Berlin die selbe Erfahrung gemacht: Daß die Diskussionen und Streitereien keinen Millimeter zur Klärung der linken Konflikte beitragen, sondern v.a. einen abschreckenden Effekt für linksradikale Politik darstellen. Gerade für Jüngere sind die schließlich nicht nur ideologisch, sondern auch szene-sumpf-internen, jahrelangen Konflikte über-haupt nicht mehr nachvollziehbar.
Wir wollen, daß aus diesen Erfahrungen gelernt wird und werden deshalb auch im nächsten Jahr wieder für eine gemeinsame 1. Maidemo ab Rosa Luxemburg Platz eintreten. Der 1. Mai ist uod--bleibt Kampftag aller revolutionärer Linken. Inhaltliche Unterschiede können/müssen in verschiedenen Aufrufen und Blöcken nach außen getragen werden.
Wir gehen davon aus, daß nicht nur die meisten Ostdeutschen ein gestörtes Verhältnis zum revolutionären ersten Mai haben. Oaß eine Demo keinen Ersatz für kontinuierliche politische Arbeit darstellt, sondern eine symbolische Aktion mit der Funktion der öffentlichen Wahrnehmbarkeit darstellt, ist eine Binsenweisheit. Die Bennenung sozialer Probleme ist selbstver-ständlicher Inhalt einer revolutionären 1.Maidemo, allerdings mit der Option auf Lösung dieser Probleme durch eine revolutionäre Umwälzung. Aus linksradikaler Sicht blieben für uns keine nachvollziehbaren Gründe, die wirklich gegen eine Demo durch den Prenzelberg sprachen.
Es gab und gibt für uns genügend politische Gründe, die für eine Route durch den Prenzlauer Berg sprechen. Eine positive Bezugnahme auf den Widerstand gegen die Bullenprovokationen zum Walpurgisnachtfest 1994 und 1995, auf die Demonstration dort am 1.5.96, auf die militanten Auseinandersetzungen der letzten Jahre seit der "Wiedervereinigung", einen Gegenpol zu setzen gegen die im Vorfeld des 1. Mai angekündigte Veranstaltung der Jungen Union für einen "sauberen chaotenfreien" Kiez. Müßig zu erwähnen, daß der Prenzlauer Berg genauso von Umstrukturierung und sozialer Verttreibung betroffen ist, wie andere Innenstadtbezirke auch. Trotz weitgehender Übereinstimmung im Bündnis in der Frage der fehlenden Stichhaltigkeit der am Kiezpalver geääußerten Argumente,wollten AOK und AntiAtomPlenum aus Rücksicht auf die Stimmung zwischen angeblichen Ost-und Westgruppen, sowie zur Wiederbelebung des Diskurses zwischen Ost und Westlinker auf die Demoroute ändern. AOK und Anti-Atom-Plenum machten 2 Wochen vor dem 1. Mai die Abänderung der Route, durch Mitte, zur Bedingung für ihre weitere Teilnahme an der Demovorbereitung. Wir wollten auch an dieser Frage das Bündnis nicht platzen lassen und ließen uns deshalb auf die Routenänderung ein.
Auch im nachhinein beurteilen wir diese Entscheidung als politisch völlig falsches Signal. Die Ereignisse rund um den Kollwitzplatz am 30.04., die komplette Abriegelung des gesam-ten Gebietes und das Verbot der Walpurgisnachtfeier wurden widerstandslos hingenommen. Die Tatsache, daß sich sogenannte radikale Linke aus diesem Gebiet ebenfalls vehement und vor allem öffentlichkeitswirksam (taz sei dank) gegen eine revolu-tionäre Demo und "westimportierte Krawalle" ausgesprochen haben, vereinfachte die öffentliche Legitimation der Abriegelung und Bullenkontrollen für Schönbohm und Konsorten am 30.04. ganz erheblich. Wir erwarten von einer politisch öffentlich so agierenden Gruppe wie dem Ostblock, daß sie die Konsequenzen des von ihr öffentlich inszenierten Diskurses abschätzen kann. Wer vor dem 1. Mai die Stimmung gegen eine revolutionäre Demo schürt, schafft, willentlich oder nicht, Akzeptanz für die Maßnahmen derer, die jegliche revolutionäre Äußerung gegen die herrschenden Verhältnisse unterbinden wollen.
Der herbeigeredete angebliche Ost-West-Konflikt offenbart für uns einen gänzlich anderen Hintergrund. Die Einschätzung und der Bezug zu militanten Auseinandersetzungen, der Umgang mit kommunistischer Geschichte und ihren verschiedenen Vertretelnnen (der allzuoft zu plattem Antikommunismus ver-kommt) und die unterschiedlichen Alltags-Politikansätze, sind keine Ost-West Konflikte, sondern seit Jahrzehnten Kern heftiger Auseinanderwsetzungen innerhalb der Linkend im Allgemeinen. Die angeblich linksradikale Ostidentität in diesen Fragen, hat die Realität längst als Konstrukt entlarvt. Allein innerhalb des Bündnisses gab es kaum noch eine Gruppe die nur aus West-oder Ost -Sozialisierten zusammengesetzt ist. Selbst auf der Kiezpalaververanstaltuzng gab es Stimmen von sich selbst als "Ossis" bezeichnenden Demobefürworterlnnen, die sich für die Positionen der Gruppe "Ostblock" schämten. Weder die Themen noch die Schärfe der Auseinadersetzungen sind etwas Neues. Mit widerlichen populistischsten Bezugnahmen auf "die Kiezbevölkerung, gewachsene Strukturen und Lebensräume", die jeglicher Gesellschafts,- bzw. Klassenanalyse entbehren, sollen der Prenzlauer Berg ruhig und die Grünanlagen sauber gehalten werden. Nicht mit uns.
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