Die erfolgreiche Einverleibung abweichender Formen in die komplexere Organisation der offiziösen Systene sollte weniger als Niederlage denn als Aufforderung verstanden werden den Impuls, der die Form hervorbrachte woanders zu beleben (frei nach konkret 3/95, S 54, dort in Bezug auf das Label Mille Plateaux formuliert)
Es gibt viele gute Argumente, die Love-Parade zu kritisieren. Erstmals im Sommer 1989 organisiert, symbolisiert sie neben dem enormen Anwachsen der Techno-Szene ihre kommerzielle Verwertung. Diese Entwicklung führte zur Reduktion von Techno auf eine Stilrichtung, gegenkulturelle Momente wurden fast völlig verdrängt. Die "schnelle Integration von Underground in das große Spektakel der Freizeitindustrie"(SPEX 1/95, S. 15) ist jedoch kein Zwangsmechanismus, sondern Ergebnis von (fehlenden) Kämp- fen. Von linker Seite wird vernachlässigt, wie es zu der Profitorientierung dieser Veranstaltung kam. Was sonst richtigerweise betont wird: Die Historizität von Phänomenen, das wird hier vergessen.
Der Hate-Parade-Aufruf legt den Urschleim des linken Nichtverhal tens im Kulturbereich offen. Er ist ein weiteres Beispiel für die absolute Ignoranz gegenüber kulturellen Prozessen. Das alte Lager-Denken scheint noch immer wirksam zu sein: Der Freund meines Feindes ist mein Feind. Nur weil sich Diepgen und Stah mer für die Parade einsetzen, ist sie gleich bekämpfenswert. Anstatt innerhalb der Love-Parade traditionelle "Aktions formen" zu propagieren, hätte die radikale Linke allen Grund, sich mit ihrem Nicht-Verhalten gegenüber kulturellen Phänomenen auseinanderzusetzen. Die Linke hat die Chance vertan, von Beginn an in der Techno-Szene mitzuwirken. In der britischen Rave-Szene beispielsweise ist eine bewußte und politische Verweigerungshaltung zu finden -im Gegensatz zu Deutschland. in GB vernetzten sich von Beginn an zahlreiche gegenkulturelle Gruppen mit den Rave-Veranstaltern. Obwohl selbstverständlich auch dort der Zugriff großer Konzerne nicht ausblieb, vollzog sich die Kommerzialisierung nicht so rei bungslos und unwidersprochen wie in Deutschland.
Die wirrste Entgleisung der Hate-Parade-ProtagonistInnen ist das In-eins-setzen der ultraverwertbaren Form der Love-Parade mit der dort aufgelegten Musikrichtung: Techno. Wer von der Kritik an der kapitalistischen Indienstnahme von Pop-Phänome-nen hin zur infragestellung von Techno insgesamt schliddert, kann wohl mit Recht "(...) Agentendien-ste(n) für die symbolische Ordnungspolizei" geziehen werden (konkret 3/95, S. 54). Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, daß der Bereich der Kultur-kritik am ehesten die Gefahr der Koppelung linker und rechter Diskurse birgt. Gerade die Kritik an Medien und Technologie weist oft auffallende übereinstimmungen auf. (siehe: Jacob, Günther, Self-Fulfilling Prophecy in: SPEZIAL 103, S. 27).
post scriptum: Selbst wenn der Aufruf bloß ein Fake sein sollte, um Verunsicherung zu stiften, illustriert er vorhandene und ernstgemeinte Positionen, die hinterfragt werden müssen, wenn der Kampf um kulturelle Hegemonie ernstgemeint sein soll.
beatagentur, berlin den 27. juni 97
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