Polizei und Staaatsanwaltschaften gehen auch 170 Jahre später mit penetranter Regelmäßigkeit gegen linke Medien und Buch- oder Infoläden vor. Die Arrlässe und Vorwände wechseln, aber immer ist das Ziel, unliebsame Veröffentlichungen und freie Diskussionen zu unterbinden: In den 50er Jahren wurden Zeitungen der illegalisierten KPD verboten, in den 60er Jahren traf es Veröffentlichungen der Studentenbewegung, in den 70er Jahren waren die Infoblättter dran, unter anderem mehrmals die Zeitschrift radikal. 1995 wurden erneut Buchläden wegen der radikal durchsucht. Einige der angeblichen HerausgeberInnen der Zeitschrift wurden eingeknastet. Aber nicht zuletzt die breite Solidarität mit den vom radikal-Verfahren Betroffenen führte dazu, daß dieses mit jahrelangen Observationen und Lauschangriffen groß aufgezogene Verfahren derzeit juristisch von einem "Terroristenprozeß" zu einem Verfahren minderer Bedeutung schrumpft.
Am 13. 2. 97 wurde in Hamburg der Buchladen
in der Osterstraße und die Wohnung eines der zwei
GeschäftsführerInnen vom Landeskriminalamt durchsucht.
Gesucht wurden Exemplare der Interim Nr. 399, sowie Lieferscheine und
Rechnungen, die Auskunft über die Lieferanten der Interim geben.
Im April bekamen die beiden Beschuldigten jeweils einen Strafbefehl
über DM 3200.-. Nachdem dagegen Widerspruch eingelegt wurde, ist
eine Hauptverhandlung für den 12.8.97 vor dem Amtsgericht
Tiergarten in Berlin terminiert worden.
Im Juni 97 holte der
Berliner Innensenator - im Zuge der politischen Bestrebung, Berlin zu
einer "sauberen" Hauptstadt zu machen, zu einem
großen Schlag gegen die seit zehn Jahren in Berlin erscheinende
Interim aus. Mit bombastischen Aufwand von 500 Polizisten und
Staatsschützern wurden Anfang Juni ein Dutzend Wohnungen und
eine Druckerei durchsucht, und mehrere Personen vorläufig
festgenommen. Die Vorwürfe sind juristisch gesehen eher
geringfügig: es geht um "Billigung oder Aufforderung zu
Straftaten", weil in der Interim u.a. Erklärungen zu
Anschlägen abgedruckt und diskutiert wurden.
So wurden in einer inkrimierten Nummer mit dem Schwerpunkt
Stadtentwicklung neben Beiträgen
zu Städtebau in Berlin und Europa, feministischer Kritik an
Wohnungspolitik, Migration, Castor-Tranporten auch eine
Bastelanleitung zur Herstellung von Brandsätzen und ein
BekennerInnen-schreiben zu einem Brandanschlag
veröffentlicht.
Die Gerichtsverhandlung am 12.8.97 gegen die GeschäftsführerInnen des Buchladens in der Osterstraße ist der erste Prozeß, der sich gegen den Verkauf der Interim richtet. Mit ihm wird versucht, die staatlichen Zensurabsichten durchzusetzen: BuchhändlerInnen sollen gezwungen werden, sämtliche Bücher und Zeitschriften so zu lesen, daß sie strafrechtlich relevante Äußerungen erkennen und die betreffenden Publikationen aus dem Verkehr ziehen: Selbstzensur ist erwünscht - bei Verweigerung flattert der Strafbefehl.
Dies ist der erste Prozeß wegen Vertrieb der
Interim. Mit einer Verurteilung soll für weitere Verfahren gegen
Buch- und Infoläden der Boden bereitet werden. Außerdem
soll im Rahmen dieses Verfahrens eine juristische Handhabe gegen die
angeblichen RedakteurInnen und DruckerInnen der Interim hergestellt
werden. Daher ist der an sich eher kleine Prozeß von
größerer Bedeutung. Bisher ist die Interim als Zeitschrift
nicht verboten; ermittelt wurde wegen einzelner Beiträge in
einzelnen Ausgaben. Niemand, der/die sie vertreibt, kann bisher
allein schon deshalb belangt werden.
Es geht in diesem
Prozeß gegen Zeitschrift und Buchhandel um politische
Gesinnung. Verfolgt werden Schriften, die praktische Konsequenzen
haben können. Gedanken, die nicht nur ausgesprochen, sondern
auch ausgeführt werden, weil sie aufklären, weil sie die
Möglichkeit zum Widerstand aufzeigen und damit Bereitschaft zum
Handeln wecken.
Linke Verlage und Buchläden haben es seit ihren Anfängen
Ende der 60er Jahre geschafft, die Meinungs- und Informationsmonopole
dieser Gesellschaft zu unterlaufen. Sie sind
Gegenöffentlichkeit:
Wir linke Hamburger Buchprojekte stellen klar, daß wir eine
Beschränkung von Gegenöffentlichkeit nicht hinnehmen
werden. In den Massenmedien, aber auch in den Programmen etablierter
Verlage und in den Sortimenten bürgerlichen Buchhandels war und
ist diese kaum zu finden. Berichte und Meinungen von Gruppen und
Individuen, die das herrschende Gesellschaftssystem von links
kritisieren, sind allen Interessierten zugänglich zu machen.
Wir erklären uns solidarisch mit dem Buchladen in der
Osterstraße und all denen, gegen die nun in Berlin wegen der
Interim vorgegangen wird.
Wir werden über den aktuellen Stand des Verfahrens weiter
informieren.
Praktische Möglichkeiten der Solidarität:
Bücher generell bei linken Buch- und Infoläden kaufen oder
bestellen: Je ökonomisch sicherer die Projekte sind, desto
stärker können sie politisch sein.
- Die Interim oder auch andere kriminalisierte Zeitschriften lesen,
diskutieren und kritisieren, und vielleicht selbst weiterverbreiten
- Für die Prozeßkosten Geld auf das Spendenkonto
einzahlen
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