Fetisch Gewalt oder die Geburt des Antifaschismus aus der Platzwunde?

6 Fragen an einige angeblich überhaupt nicht verblödete AntifaschistInnen

In der "interim 428" (Seite 11) habt Ihr Euch mit einer kurzen Notiz zu Wort gemeldet, die u.a. folgende Passage enthält: "In der Nacht zum l8. Juli 1997 haben wir in Berlin-Friedrichshain den langjährigen Nazi-Kader Lars Burmeister getroffen und ihn für seine faschistischen Aktivitäten zur Rechenschaft gezogen. Spätestens wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hat und am nächsten Morgen über die Herkunft seiner Platzwunden nachgedacht hat, wird ihm klar geworden sein, daß die Parole "Schlagt die Faschisten - wo Ihr sie trefft" kein blöder Spruch ist." Jene Zeilen sind, mit Verlaub, abstoßend! Sie atmen so mancherlei, nur nicht den Geist autonomen Selbstverständnisses! Warum das aus meiner Sicht so ist, möchte ich im folgenden begründen; da es mir 'unterm Strich' um Austausch und nicht um Anmache geht, habe ich mich bemüht, nicht nur provozierende Fragen zu stellen, sondern diese gleichzeitig auch - zumindestens in Ansätzen - zu begründen. Vorweg allerdings sei zur Vermeidung von Mißverständnissen noch auf Folgendes hingewiesen: In meiner Kritik geht es nicht im Geringsten um die Legitimität und Notwendigkeit physischer und anderer Militanz auch und vor allem gegen FaschistInnen; mir ist sehr wohl klar, in welcher Weise militante Gegenwehr gerade im Osten Berlins dazu beigetragen hat, für viele Menschen das Bewegen im öffentlichen Raum wieder ein wenig sicherer gemacht zu haben. Hierum kann und soll es nicht gehen; und auch geht es nicht um den Faschisten Lars Burmeister; daß dieser ein schlicht gefährlicher ,Mensch ist und es als solcher verdient, bekämpft zu werden, ist ebenfalls über jeden Zweifel erhaben. Worum es allerdings geht, ist die Art und Weise, wie und mit welchem Selbstverständnis Ihr - zumindestens Eurem ll-Zeiler zur Folge - jenen Kampf zu führen scheint; denn das ist, wie schon gesagt, abstoßend: Eure Notiz läßt nicht im geringsten so etwas wie eine innere Distanz gegenüber der von Euch praktizierten - und von mir als solcher gar nicht in Frage gestellten - körperlichen Militanz erkennen; im Gegenteil: Ihr tut so, als ab es das Allernormalste und Allerselbstverständlichste der Welt wäre, immer und überall und aus jeder Situation heraus FaschistInnen auf ernsthafte Weise körperlich zu verletzen. An keiner Stelle äußert Ihr Bedauern darüber, daß es überhaupt notwendig ist, mit körperlicher Gewalt gegen andere vorzugehen; nirgendwo ist von so etwas wie einem 'Müssen' die Rede oder von einem 'blieb uns gar nichts anderes mehr übrig'; und auch stellt Ihr noch nicht einmal in Ansätzen die Überlegung an, ob es auch möglich gewesen wäre, Lars Burmeister auf weniger gewaltvolle - oder meintwegen militante - Weise einen Denkzettel zu verpassen. Unterstrichen wird jene scheinbar bruchlose Fixierung auf körperliche Militanz dann noch durch die zynische Art und Weise, wie Ihr die von Euch zugefügten Platzwunden zu 'Erkenntnisstützen' erklärt. Kurzum: Eure Zeilen erwecken den Eindruck als ab Euch körperliche Militanz nicht nur problemlos vom Schnürchen geht, sondern auch noch - gleichsam als Extragabe - mit Stolz erfüllt; letzteres schlußfolgere ich aus dem bemüht brachial anmutenden Hinweis,daß Ihr keine Blöde-Sprüche-KlopferInnen wäret, sondern allzeit kampfbereite Tatmenschen, die FaschistInnen "immer und überall (und so oft wie möglich)" bereit wären, "zur Rechenschaft" zu ziehen. (Von dem zwielichtigen und durchaus verräterischen Bedeutungsreichtum, der in der christlich bzw. bürgerlich-patriarchalen Begrifflichkeit des 'Zur-Rechenschaft-Ziehens' mitschwingt, sei im Moment einmal abgesehen - vielleicht ist es ja doch nur eine Begrifflichkeit gewesen...)

Soviel als Vorspann - jetzt zu meinen jeweils ausführlich kommentierten und durchaus beabsichtigterweise polemisch formulierten Fragen:

  1. Liege ich mit meiner Vermutung tatsächlich richtig, daß Ihr über keine weitergehende innere Distanz zu der von Euch praktizierten antifaschistischen Militanz gegen Personen verfügt? Oder anders: Was bedeutet es für Euch, Faschos zu schlagen? Erfüllen 'Punkt- oder K.0.-Siege' Euch mit Genugtuung, oder bleibt immer so etwas wie ein fader Nachgeschmack zurück? Wichtig sind jene Fragen aus meiner Sicht deshalb, weil die ausdrückliche und willentliche Anwendung psychischer bzw. körperlicher Militanz für alle revolutionär, linksradikal, autonom oder sonstwie Gesonnenen ersteinmal eine Grenze bzw. stärker noch: ein Tabu darstellen sollte; und zwar nicht im Sinne eines von oben kommenden Gebotes, sondern im Sinne eines schlichten inneren Bedürfnisses. Idealerweise sollte dies die Maxime jedes emanzipatorischen Handelns sein. Der Grund für diese hier nicht näher erläuterbare Behauptung ist schlicht: Körperliche bzw. psychische Militanz ist die extremste und deshalb folgenreichste Form des Angriffes auf einen anderen Menschen (unter "psychischer Militanz" gilt es, Drohungen, Erpressungen u.ä. sich vorzustellen); denn während der Angriff auf materiellen Besitz die davon betroffene Person immer nur indirekt in Mitleidenschaft zieht und Ihr dadurch die Möglichkeit einräumt, sich innerlich von eben jenem Angriff zu distanzieren und hierdurch ihre eigene Würde aufrecht zu erhalten, ist dies bei psychischer bzw. physischer Militanz nicht mehr oder nur sehr schwer möglich; denn bei solcherart Angriffen existiert ein innerer Rückzugsraum nicht mehr; vielmehr steht hier der Mensch selbst auf dem Spiel: Jeder psychische bzw. körperliche Angriff zielt nämlich direkt auf Körperlichkeit und Emotionalität und damit auf das, was Mensch-Sein in seiner innersten Existenzhaftigkeit ausmacht. Genau in diesem Sinne stellt aber psychische bzw. physische Militanz eine grundsätzlich existentiellere Erfahrung dar als andere 'Denkzettel'; und dies gilt nicht nur für die Angegriffenen selbst, sondern auch für die AngreiferInnen: Auch für diese macht es nämlich einen gefühlsmäßigen und gedanklichen Unterschied aus, ob sie materielles Eigentum oder Menschen angreifen; daß Letzteres keine moralische Forderung ist, sondern Realität, wird u.a. daran deutlich, daß selbst dort, wo Menschen aus rassistischen, antisemitischen, sexistischen oder anderen Motiven psychisch und körperlich verfolgt werden, diese Angriffe seitens der TäterInnen mit sehr viel weitergehenden Strategien der Entmenschlichung bzw. Dehumanisierung einhergehen als dies bei lediglich materieller Ausbeutung der Fall wäre; denn nur wenn das konkrete menschliche Gegenüber in seiner schlichten Menschhaftigkeit herabgesetzt und dadurch entmenschlicht ist,wird in solchen Fällen (die sich natürlich von Angriffen auf Faschos, Sexisten etc. unterscheiden und deshalb auf keinen Fall mit politisch motivierter Militanz verwechselt werden dürfen) die direkte physische und psychische Gewaltausübung möglich. Zurück. Aus jenen Überlegungen folgt aber: gibt es - trotz aller Einwände und Tabus - dennoch Gründe, eben jene Maxime (der psychischen und körperlichen Unangreifbarkeit) zu überschreiten - und solche Gründe gibt es in 'unserer' Gesellschaft bekanntlich zuhauf - dann sollte diese Grenzüberschreitung nur als taktische vollzogen werden, d.h. als ein leider nicht umgehbares Mittel zum Zweck - einen Zweck, dessen Ziel es sein muß, solche gesellschaftlichen Umstände zu erkämpfen, die die körperliche, psychische und materielle Unversehrtheit aller Menschen garantieren. Gemünzt auf die in konkreten körperlichen Auseinandersetzung Steckenden und damit auch auf Euch, bedeuten jene zugegebenerweise ein wenig abstrakt daherkommenden Überlegungen zweierlei: Erstens sollte als Kern jener von mir als unabdingbar bezeichneten taktischen Einstellung gegenüber körperlicher Militanz jeder Angriff auf Faschos zumindest nachträglich politisch (und damit auch moralisch) begründet bzw. kritisiert werden, und zwar deshalb, weil es sich bei solcherart Angriffen um die Überschreitung einer eigentlich unüberschreitbaren Grenze handelt. Und zweitens sollte - als Ausdruck hiervon - personelle Militanz als ambivalente Angelegenheit empfunden werden, als etwas, das in bestimmten Situationen zwar unumgänglich sein mag, das aber trotzdem ein notwendiges Übe1 bleibt, und deshalb auch notwendigerweise Übelkeitsgefühle hervorrufen sollte: vor, während und nach entsprechenden Auseinandersetzungen; Militanz gegen Personen sollte also nur im Widerspruch mit sich selbst vollzogen werden (können). Genau hier setzt aber meine Kritik an: nicht nur verfügt Ihr nicht im Mindesten über irgendwelche politischen Begründungen dafür, weshalb es legitim und notwendig gewesen ist, Lars Burmeister in jener Nacht anzugreifen; was Ihr aufbietet, sind nichtssagende (weil für ganz andere Zwecke ersonnene) Agit-Prop-Parolen, nicht mehr! Nein, schlimmer noch als das, scheint Ihr darüberhinaus, psychische bzw. körperliche Militanz nicht als etwas in Euch selbst Widersprüchliches zu empfinden; Euer 'RekennerInnenschreiben' ist in diesem Sinne auch gänzlich widerspruchsfrei; es enthält noch nicht einmal den leisesten Zweifel an eben jener durchaus nicht abwegigen Widerspruchsfreiheit: denn natürlich kann es auf der persönlichen Ebene Dutzende guter Gründe dafür geben, aus einem körperlichen Vergeltungs- bzw. Einschüchterungsschlag Befriedigung zu ziehen; ohne Frage, dies kann und darf es geben; nur darf es damit aber nicht sein Bewenden haben; vielmehr bedürfen solcherart Empfindungen der selbstkritischen Thematisierung! A11 das fehlt jedoch; Gewalt gegen FaschistInnen scheint stattdessen eine runde Sache für Euch zu sein. Genau das aber ist gefährlich; wo die Überschreitung einer eigentlich nicht überschreitbaren Grenze nicht mehr als problematisch empfunden und statt dessen in Wild-West-Manier glorreicher Kampfvollzug verkündet wird, dort stimmt etwas nicht! Vor allem setzt Euch das aber dem Verdacht aus, Nazis mehr oder weniger entmenschlicht zu haben, als Voraussetzung dafür, Eure nicht mehr hinterfragten und deshalb fetischisierten Angriffe auf Faschos reibungslos (anstatt widerspruchsreich) ablaufen zu lassen. Wäre das aber der Fall - und ich frage Euch dies hiermit explizit - dann würde es sich hierbei um einen nicht entschuldbaren Tabubruch handeln: Denn Mensch bleibt Mensch, egal ab Fascho oder nicht!

  2. Verfügt Ihr in Eurem Vorgehen über verschiedene Eskalationsstufen? Wenn ja, warum habt Ihr Euch bei Lars Burmeister dazu entschlossen, die praktisch höchste Eskalationsstufe zu wählen? Warum habt Ihr Euch nicht damit begnügt, ihn z. B. mehr oder minder komplett zu entkleiden und ihn praktisch nackt und ohne Schlüssel, Geld und Papiere nach Hause zu schicken? Die aktuellen Temperaturen wären doch hierfür geeignet gewesen! Wichtig ist jene Frage für mich aus denselben Gründen wie den eben schon genannten: Dort, wo Ausnahmen von einer anundfürsich gültigen Regel gemacht werden, bedarf es jedesmal der sorgfältigen Begründung bzw., wenn das nicht möglich ist, der nachträglichen Selbstkritik. Andernfalls droht die Ausnahme zur Regel zu werden; und das wäre verheerend! Auch in diesem Punkt ist Euer Schreiben unbefriedigend; es gibt auf keine der entsprechend möglichen Fragen eine Antwort!

  3. Stichwort Platzwunde: Was versteht ihr unter Platzwunden? Gehören dazu auch Kopfverletzungen? Wenn ja, gibt es irgendwelche Schlagtechniken, die sicherstellen, daß es 'nur' bei der oberflächlichen Platzwunde bleibt? Wichtig ist dies deshalb, weil Kopfverletzungen (wie Ihr sicherlich selber wißt) grundsätzlich das Risiko bergen, Gehirnblutungen hervorzurufen; und solche wiederum können tödlich enden oder mehr oder weniger umfassende Lähmungen erzeugen. Einer solchen Gefahr gilt es aber vorzubeugen; sie im Rahmen irgendwelcher Bestrafungsaktionen fahrlässig in Kauf zu nehmen, ist für mich gänzlich unakzeptabel - so wie es für mich überhaupt unakzeptabel ist, in nicht-revolutionären Zeiten und aus einem offensiven Angriff heraus solche nicht-rückgängig-machbaren Verletzungen oder gar Tötungen zuzufügen. Ich bitte um Aufklärung auch in diesem Punkte; Eure zynischen Platzwunden-Sprüche helfen hier nämlich keinen Deut weiter.

  4. Jene Frage fällt ein wenig aus der Reihe und mag zudem voyeuristisch klingen, ist aber zum besseren Verständnis dennoch notwendig: Was habe ich mir eigentlich darunter vorzustellen, daß Ihr Lars Burmeister "getroffen" habt? Und weiter: Wie habe ich mir die ernsthafte Bestrafung eines Besoffenen durch einen antifaschistischen Stoßtrupp auszumalen? Angemerkt sei hierzu Folgendes: Die Vorstellung, mehrere sich als Autonome bezeichnende AntifaschistInnen verabreichen einem dahertorkelnden Faschisten aus eigenem Antrieb - sowie widerspruchs- und begründungsfrei - eine gefährliche Tracht Prügel ist mir so unangenehm, daß meine Phantasie an diesem Punkte tatsächlich ein wenig aussetzt.

  5. Für den Fall, daß Ihr wider meinen Vermutungen sehr wohl problemorientiert, bewußt und kalkuliert den Faschisten Lars Burmeister eingeschüchtert habt: findet Ihr nicht, daß es aus politischen Gründen notwendig gewesen wäre, Euch nicht mit einer popeligen und unterm Strich nichtssagenden Erklärung zufrieden zu geben, sondern stattdessen ein wenig ausführlicher Eure Überlegungen und Erkenntnisse kenntlich zu machen? Denn nur so ist es doch möglich, sich angemessen zu vermitteln, Differenzen zu vermeindlich ähnlichen Praktiken deutlich zu machen und auf diese Weise Mißverständnissen vorzubeugen.

  6. Schließlich: Auf die an dieser Stelle eigentlich vorgesehene Frage möchte ich zur Vermeidung von Irritationen verzichten; begnügen möchte ich mich deshalb lediglich mit dem fragenden Hinweis, daß der Euch von mir unterstellte distanzlose, unüberlegte und zynische Umgang mit körperlicher Militanz in jeder Hinsicht zutiefst von patriarchalen Denk- und Handlungsmustern durchtränkt zu sein scheint! Kann das sein?

Zum Abschluß noch folgendes: Für den Fall einer Antwort bitte ich auf etwaige Retourkutschen a la: "findest Du nicht, Dutzende jährlich durch Faschisten Ermordete und Verletzte..." zu verzichten; denn die Antwort hierauf ist klar: FaschistInnen sind eine Gefahr und verdienen als solche Gegenwehr; sowohl körperliche als auch solche, die auf ihren Besitz gerichtet ist. Davon zu untertscheiden ist allerdings das Wie des physischen Kampfes und nur um dieses ist es mir im Moment zu tun.

Fridolin

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