"Im Schutz von Wasserwerfern und über 13 000 Polizisten und gegen den heftigen Widerstand tausender Demonstranten hat am Mittwoch Nachmittag der umstrittene Castor-Transport (...) das Zwischenlager Gorleben erreicht. " (SZ, 6.3.1997)
Es ist unübersehbar: Der Widerstand gegen atomare Anlagen hat in den letzten drei Jahre starken Aufwind bekommen. Das Thema "sofortiger Ausstieg" ist wieder an der Tagesordnung. Keine Zeitung, kaum eine Fernsehsendung, die nicht darüber berichtet hätte. Den Konzernen (Siemens/KWU) und ihren rechtsstaatlichen Durchsetzungsorganen der etablierten Parteien scheint es nicht gelungen zu sein, den breiten Anti-Atom-Konsens zu beseitigen. Trotz millionenteurer Werbekampagnen und einer längeren Pause, in der kein AKW mehr gebaut wurde, greift die Vernebelung der Köpfe in diesem Feld nicht so, wie es in anderen Bereichen tadellos funktioniert.
Dieses gesellschaftliche Klima scheint günstig für oppositionelle Gruppen innerhalb dieses breiten Widerstands Fuß zu fassen. Die Frage dabei ist allerdings, ob dieser auf ein Ziel beschränkte Widerstand nicht früher oder später in die Sackgase führt? Wie kann verhindert werden, daß sich in der Vergangenheit gemachte Fehler in diesem Bereich wiederholen? Inwiefern ist es möglich, den sich organisierenden Kämpfen eine gesamtpolitische, radikale Ausrichtung zu geben? Eine Richtung, die Bedingung nicht nur für das Ende der Atomtechnologie, sondern der Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise undder Ausbeutung der Menschen und der Natur sein könnte?
Im Folgenden wollen wir unterschiedliche Vorgehensweisen betrachten und um unserer Meinung nach fehlende Punkte ergänzen.
I.
Beginnen möchten wir mit den Bürgerinitiativen, die sich vielerorts
immer wieder als Reaktion auf Großprojekte des Staates gründen.
Sie sind relativ spontane Zusammenschlüsse, die die Verhinderung
eines bestimmten, unerwünschten Projektes zum Ziel haben. Sie
entstehen aus direkter persönlicher Betroffenheit, nicht aus der
Analyse der politischen Verhältnisse. So bekämpfen sie die
augenfälligsten Symptome des Kapitalismus, jedoch nicht die
Bedingungen, die sie erst ermöglichen. BIs sind nicht in jedem Fall
ein Sprachrohr der Mehrheit der Bevölkerung einer Region. Die
Oberpfalz (Wackersdorf) z.B. war durch die Schließung von Stahl- und
Braunkohlewerken (BBI, Maxhütte) von hoher Arbeitslosigkeit, extrem
niedrigem Lohnniveau und hoher Abwanderungsrate v.a. junger Menschen
betroffen. Die BI setzte sich jedoch vorwiegend aus der neuen
Mittelschicht und EigenheimbesitzerInnen zusammen. Ihre Politik war
daher auf den ökologischen Aspekt beschränkt. Atomkraftwerke und
Endlager beispielsweise sind mit ihren nicht zu verleugnenden
Gefahren für die Umwelt ein für jeden Menschen konkret faßbarer
Punkt. Sie stellen die Spitze des kapitalistischen Eisbergs dar, die
trotz massiver Vertuschung und Propaganda nicht zu verdecken ist.
Weit schwieriger zu erkennen ist die darunter liegende Basis: die
einzig nach Profit strebenden Konzerne, die staatlichen Organe, die
ihr Tun unterstützen und fördern und schließlich die Mechanismen, die
die Verwertung und Ausbeutung allen Lebens beinhalten und
erstgenanntes hervorbringen.
Der dem Kapitalismus innewohnende Zwang nach ständiger
Profitsteigerung geht nicht allein langfristig auf Kosten von Wasser,
Luft, Boden, der Pflanzen- und Tierwelt und den damit einhergehenden
Folgen für alle Menschen; er geht hier und jetzt auf Kosten derer,
die im Produktionssystem an unterster Stelle stehen oder aus diesem
herausfallen. So bedeutet der vielgepriesene sogenannte
technologische Fortschritt in Wahrheit Rationalisierung, d.h.
Entlassung in Arbeitslosigkeit und Armut.
Innerhalb dieser untersten Stufe der Lohnabhängigen (sowohl
diejenigen, die für ihr Geld immer mehr schuften müssen, als auch
jene, die immer weniger Sozialhilfe bzw. Arbeitslosengeld bekommen)
existiert eine zusätzlich ausgebeutete Gruppe - zahlenmäßig
mindestens die Hälfte der Bevölkerung -: Frauen. Denn sie sind es,
die in der Regel nur 80% des Lohnes ihrer männlichen Kollegen
verdienen, als erstes ihren Job verlieren, wenn es zu Entlassungen
kommt, oftmals sich dann aber nicht arbeitslos melden, da sie dem
unbezahlten, jedoch gesellschaftlich erwarteten Job ohne jeden
Rechtsschutz der Mutter, Ehe- und Hausfrau nachgehen. Sofern sie
nebenher noch eine bezahlte Arbeit ausführen können, tragen sie
doppelte Belastung. Ist der Ehemann arbeitslos, wird von ihnen
erwartet, seinen Frust so gut wie möglich zu kompensieren (sexuelle
Dienstleistungen, Zielscheibe seiner Aggression sein). Nicht wenige
lassen sich sterilisieren, um sich auf dem Arbeitsmarkt besser
verkaufen zu können (eine Frau, die garantiert keinen bezahlten
Mutterschutz in Anspruch nimmt, ist so ertragreich wie ein Mann).
II.
Die Kämpfe der Autonomen gegen die Atomerergie hatten/haben oftmals
ebenso keine klare politische Ausrichtung. Meist können sie nicht
mehr sein, als der militante Arm einer auf Ausstieg aus der Atomkraft
gerichteten Bewegung. Auch die überspringende Militanz auf Teile der
ansässigen Bevölkerung ist daher nicht mehr als eine
symptombekämpfende Haltung.
Bisher wurde es wohl nirgendwo erreicht, daß von der starken in der Bevölkerung verankerten Bewegung ausgehend Impulse von autonomen Gruppen für den Kampf um eine grundlegende Änderung der Produktionsbedingungen kamen. Dies würde , z.B. das Aufgreifen regionaler sozialer Probleme, Entlassungen von ArbeiterInnen, fehlende Jugendprojekte etc. beinhalten. Indern eine radikale Politik dort anfängt, wo die Bevölkerung steht, kann begonnener Protest zum andauernden Widerstand werden.
"(...) Da fällt mir auf, daß wir in der Region nie eine Schulung mit "Lohn, Preis und Profit"- Lesen angeboten haben. Unser Konzept, vor dem Hintergrund der Kämpfe die Verknüpfung der abstrakten Zusammenhänge aufzuzeigen, ist auch deshalb nicht aufgegangen. Sonst gäbe es vielleicht heute in der Region eine Gruppe von 15 oder mehr bewußten Leuten und wir ständen jetzt besser da. " (ein ehemaliger autonomer WAA-Kämpfer in: "Abgebrannt - eine Wiederaufarbeitung des Widerstands in Wackersdorf 1981-'88 aus autonomer Sicht")
III.
Was heißt das für den FRM II. für Garching. für München?
Als erstes muß aufgezeigt werden, daß die Propaganda, die uns den Fotschungsreaktor schmackhaft machen will, in keinem Punkt den wirklichen Tatsachen entspricht: Sie sagen "Schaffung neuer Arbeitsplätze" - tatsächlich aber wird nach Methoden gesucht, die menschliche Arbeitskraft einsparen sollen. Sie reden von "Wissenschaft und Forschung" - in Wirklichkeit aber wird im Bildungsetat permanent auf Kosten der SchülerInnen und StudentInnen gekürzt (wir bewegen uns geradewegs auf eine Gesellschaft zu, in der nur noch wenige Reiche Zugang zu Bildung und Wissen haben werden), während das Kultusministerium Millionen in dieses Projekt fließen läßt.
Weiterhin muß klargemacht werden, daß der Staat das durchsetzt, was marktwirtschaftlich lohnend ist. Wobei es völlig gleichgültig ist, ob es sich um einen Forschungsreaktor, eine WAA, den Transrapid oder ein Einkaufszentrum handelt.
Denen, die jetzt den FRM II in Garching aus ökologischen und pazifistischen Gründen ablehnen, müssen wir vom Teilbereichskampf zur grundlegenden Kritik der Verhältnisse im Kapitalismus verhelfen. Wir müssen die Verbindung aufzeigen zwischen den Kämpfen am Bauzaun von Siemens' FRM II und den Kämpfen der ArbeiterInnen im Siemenswerk gegen Lohnkürzungen und Entlassungen...
Allein der Ausstieg aus der Atomwirtschaft und das Umsatteln auf andere Energiegewinnungsmethoden wird an dem Problem, daß die Lohnabhängigen durch die Besitzenden und die Frauen durch die Männer ausgebeutet werden, nichts ändern. Das Land Schweden gab am 11.6.97 seinen Ausstieg aus der Atomproduktion bekannt. Der Ausstieg aus dem kapitalistischen Produktionssystem wird deswegen jedoch keineswegs in Erwägung gezogen.
Eine Art von Strategie ist es, auf gesetzlichem Wege zu versuchen, einen besonders auffälligen Auswuchs des Kapitalismus zu verhindern, wie BI's es tun. Dies bedeutet, daß der Staat als prinzipiell neutrale (zwischen uns und den Konzernen stehende) Instanz angesehen wird, die es gilt mitzugestalten und die verbesserungsfähig ist. Gibt der Staat in diesem einen Punkt dann scheinbar tatsächlich nach (s. Wackersdorf), wird die Bewegung, nachdem kein Ziel mehr vorhanden ist, ins Leere laufen, versickern, sich selbst auflösen. Die andere Strategie, die wir für die einzig mögliche halten, lehnt diese Staatsform in ihrer Gesamtheit ab, da sie sie als unreformierbar ausbeuterisch erkannt hat. Sie will versuchen, die Kämpfe gegen Ausbeutung aus allen verschiedenen Bereichen zusammenzuführen. Das bedeutet, aufzuzeigen, daß soziale, feministische, ökologische und antifaschistische Bewegungen nicht unabhängig voneinander stehen. Eine Politik, die dies durchzusetzen vermag, kann weniger leicht zerschlagen und an unterschiedlichen Vorgehensweisen z.B. der Gewaltfrage gespalten werden. Denn alle diese Teilbewegungen beruhen auf dem Widerstand gegen das alles durchdringende System des Kapitals.
Dieses Papier richtet sich nicht gegen BI's, legalistischen und reformistischen Widerstand. Es will ausdrücklich keine Spaltung propagieren, sondern unseren Standpunkt darlegen und für Diskussionen sorgen. Wir akzeptieren andere Herangehensweisen und möchten gleichberechtigt mit ihnen zusammenarbeiten. D.h. wir sind kooperativ, stehen jedoch in allen Punkten zu unserer hier dargelegten Meinung.
kontakt:
zusammen kämpfen,
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81667 münchen,
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