BERLIN, 12. August. Der Versuch der Berliner Staatsanwaltschaft, zwei Hamburger Buchhändler wegen des Verkaufs der linksorientierte Zeitschrift Interim zu belangen, ist am Dienstag gescheitert. Das Amtsgericht in Berlin-Moabit sprach die beiden Beschuldigten vom Vorwurf frei, durch daß Anbieten von Interim mittelbar zu Straftaten aufgerufen zu haben (Az.: 264 CS 381/97). Die Verteidigung beurteilte den Prozeß als "peinliche Panne der Justiz. Er fand in Berlin und nicht in Hamburg statt, weil bei Verfahren zu Pressedelikten der Erscheinungsort des beanstandeten Mediums ausschlaggebend ist.
Ein verdeckt ermittelnder Polizeibeamter hatte im Dezember vergangenen Jahres im Laden der Angeklagten die Interim-Ausgabe 399 gekauft, die auf den Seiten 32 und 33 einen detaillierten Bauplan für Brandsätze enthielt. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft boten die Händler Susanne M. und Peter O. zu diesem Zeitpunkt zwei Exemplare der Heftnummer zum Kauf an. Die Bastelanleitung, die der polizeiliche Scheinaufkäufer im Innern des Heftes fand, endete mit dem Gruß: "So, das war's, viel Spaß!".
Daraus leitete die Anklage den hinreichenden Verdacht ab, daß sich die Buchhändler schuldig gemacht hätten, Schriften zu vertreiben, in denen zu Straftaten aufgefordert werde. Die Frage, ab die Beschuldigten den Inhalt des Hefte tatsächlich kannten, kennen konnten oder über-haupt hktten kennen müssen, etellte sich die Anklagt offenkundig nicht. Am Prozeßtag selbst forderte sie aber schließlich selbst den Freispruch mit der Begründung, es eei nicht nachzuweisen, daß die Angeklagten um die Inhalte der Interim-Nummer wußten.
Die aber war nach Ansicht der Anwälte Sven Lindemann und Sven Lansen von Beginn an klar. In ihren Plädoyers warfen aie der Staatsanwaltschaft vor, die Anklage ohne Anlaß und ohne jede Aussicht auf eine Verurteilung erhoben tu haben. Angesichte der eicheren Gewißheit eines Freispruchs sei es eine "Dreistigkeit", mehreren Prozeßbeteiligten die Reise von Hamburg nach Berlin zugemutet zu haben. Anwalt Lindemann äußerte zudem den Verdacht, der Prozeß sei nur angestrengt worden, um künftige Verfahren rund um Interim rechtfertigen zu können. Zuvor hatte der Auftritt des als Scheinaufkäufer agierenden Ermittlers Wolfgang L. für Heiterkeit im Gerichtssaal gesorgt. Bis zum Ende der nur einstündigen Verhandlung herrschte Unklarheit über seine tatsächliche Identität. L. räumte ein, eine Perücke zu tragen. Auch ergab ein Vergleich seines Äußeren mit seinem Paßbild, daß er zur Tarnung offenbar eine Brille trug. Die Verteidiger verlangten deshalb eine Schriftprobe, um sicherzustellen, daß es sich bei dem Zeugen tatsächlich um den ermittelnden Polizisten handelte.
Interim, ein Mitteilungsblatt der links-autonomen und antifaschistischen Szene, wird schon seit 1988 in Berlin hergestellt und gerät seitdem immer wieder ins Fadenkreuz von Polizei und Staatsschutz. Erst im Juni inszenierte die Berliner Staatsanwaltschaft eine der größten Razzien in der Nachkriegsgeschichte der Stadt, um unter Einsatz von 800 Beamten die Herausgeber und Drucker der Interim zu fassen.
FR 13.8. Von Ulrich Fichtner
Zur Übersicht der aktuellen Nummer