TITLE>Interim 440
'Wie freilich die Beherrschten die Moral, die ihnen von den Herrschenden kam,stets ernster nahmen als diese selbst, verfallen heute die betrogenen Massen mehr noch als die Erfolgreichen dem Mythos des Erfolgs. Sie haben ihre Wünsche. Unbeirrbar bestehen sie auf der Ideologie, durch die man sie versklavt." (T. W. Adomo, M. Horkheimer)
Ein Ruck geht durch Deutschland. Nein, liebe VerschwörungstheoretikerInnen. nicht eine vermeintliche rote oder gar jüdische Weltverschwörung putscht die Studierenden dieses Landes fur Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh auf. Der höchste Nachtwächter dieses Landes himself läßt die Puppen tanzen. Das Problem: Dem Untemehmer wiederum sind die Hochschulabsolventen schon heute oft zu alt und mit zu wenig verwertbarem Wissen für die Berufspraxis ausgestattet.' (R. Herzog, Aufbruch in der Bildungspolitik. Rede auf dem Berliner Bildungsforum vom 5.11.97) Dies ist die Bildung, fur deren verbesserte Weiterexistenz an deutschen Hochschulen gestreikt wird. Keine Kritik mehr daran, daß das vermittelte Wissen vor allem einem dient: der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Nicht einseitig in seiner Verwertbarkeit und damit Minimierung, sondem vor allem in seinem ideologischen Gehalt. Wer an diesem Bildungsbegriff interessiert ist, versucht die eigene Eliterolle zu festigen und zementiert eine dauerhafte soziale Ungleichheit, an der er/sie, wenigstens das zu unserem Amusement, zumeist selbst taxifahrend zugrunde geht. (Die neue Perspektive des City-Klo-Pachtens ist hier noch nicht bedacht.)
Niemandem scheint aufzufallen, daß die am notwendigsten erscheinende Forderung dem notwendig gefälschten Bewußtsein zum Opfer fällt: die Erkenntnis, daß Bildung nicht nur bruttosozialproduktfördernd, dessen größter Teil sowieso von anderen abgesaugt wird, sondern auch der Beginn sozialer und politischer Emanzipation ist. Tatsächlich aber muß mensch konstatieren, daß dies nicht im Interesse aller Studierenden liegt. Die soziale Spaltung der Studis ist auch die Basis einer ideologischen. Wer ernsthaft damit rechnet (und vielleicht dies zurecht), daß er/sie der kleinen, aber nötigen Elite des deutschen Standorts bald zuzurechnen sei, der kann bewußt gegen andere von Sozialabbau Betroffene hetzen: der/die wird im Zweifelsfall kleinen, elitären, an die Konzerne angebundenen Unis seine/ihre Sympathie entgegenbringen. Gerade an der FU Berlin vertritt das rechte "FU-Bündnis" genau diese Linie, die aber in weiten Teilen der Studierendenschaft verankert zu sein scheint. Wer aber nicht nur Probleme mit zu wenig Mitteln an der Uni, sondem mit zu hoher Miete, scheiß Maloche in der "Freizeit", rassistischer und sexistischer Diskriminierung, kurzum mit nicht nur struktureller, sondern universeller kapitalistischer alltäglicher Barbarei hat, der/die sollte die Lehre der Unis generell in Frage stellen. Wer "ideologiefreie" Gesetze paukt, die sozial Ungleiche gleich behandeln wollen; wer Firmen organisieren lernt oder sie mit naturwissenschaftlichen Grundlagen ausstattet. um Profit zu realisieren; wer Bomben bauen kann, ohne zu fragen, wer sie benutzt; wer philosophiert, ohne es als Ansatz konkreter Befreiung zu begreifen; wer therapieren will, ohne aus der Krankheit die Waffe zu schmieden, der/die wird kaum die Waffe der Kritik in der Hand halten, aus der die Kritik der Waffen kommen soll.
Linke, und dies ist heute, in Zeiten offensichtlicher Reformunfähigkeit, lediglich revolutionäre Politik, muß mit der schonungslosen Denunziation der bürgerlichen Mythen und Ressentiments beginnen, die die kapitalistische Realität gewährleisten. "Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten. " (K. Marx)
VON HERRSCHENDER IDEOLOGIE, UM BEFREIUNG ZU ERKÄMPFEN!