Über die Schwierigkeiten bei der Namensgebung für kurdische Neugeborene

Türkischer Innenminister gründet Kommission "Gefährliche Namen"

Ein Bericht des türkischen Menschenrechtsvereins IHD

In den letzten Monaten des vergangen Jahres hatten Studentinnen und Studenten in verschiedenen Gebieten der Türkei eine "Antragskampagne mit der Forderung nach muttersprachlichem Unterricht" begonnen. Kurze Zeit später, im Dezember 2001, ließ der türkische Innenminister in einem Erlass die kurdische Namensgebung unterbinden. Weiter ordnete er an, dass in allen Städten Namenskommissionen zu gründen seien, um zu verhindern, dass Neugeborenen andere als türkische Namen erhalten.

Nach diesem Erlass häuften sich die Vorfälle, bei denen Einwohnerregisterämter Anträge von Eltern ablehnten, die ihren neugeborenen Kindern kurdische Namen geben wollten.
Neben der Ablehnung ihrer Anträge mussten Eltern willkürlich Repressionen und Festnahmen erdulden. Diejenigen, die ihren Kindern kurdische Namen geben wollten, waren Maßnahmen im Rahmen der Anti-Terror-Bekämpfung ausgesetzt.

Gegen diese Menschen wurden vor Staatssicherheits- und Landgerichten Verfahren eingeleitet.

Der geheime Erlass

Innenminister Rüstü Kazim Yücelen hatte seinem Erlass der Ende letzen Jahres mit dem Vermerk "Geheim" an 81 Provinzgouverneure ging, die Einwohnerregisterämter vor kurdischen Namen gewarnt

In dem Erlass heißt es: “Der Artikel 16/4 des Einwohnergesetzes Nummer 1578 legt fest, dass `Namen, die unserer nationalen Kultur, Sitten und Gebräuchen widersprechen und die Gefühle der Öffentlichkeit verletzen, nicht verwendet werden dürfen` und im Artikel 77/2 der Arbeitsvorschriften für die Dienstleistungen bei Einwohnerangelegenheiten ist festgehalten, welche Schritte in einem solchen Fall einzuleiten sind. Dieser Artikel besagt: ‘Auch wenn eine Verletzung des Einwohnergesetzes 1578 Artikel 16/4 von Behörden des Einwohnerregisteramtes klar zu erkennen ist, so muss - wie es aus dem Erlass hervorgeht - die Geburtsurkunde mit dem vorgesehenen Namen dem Familienregister weitergeleitet und die Meinung des Ministers eingeholt werden.’ Ich wünsche, dass dieses Thema zur Kenntnis genommen wird und das Notwendige umgesetzt wird."

Das erste Verfahren wurde in Dicle/Diyarbakir eröffnet

Nachdem der Erlass an die Gouverneure und Einwohnerregisterämter geschickt worden war, leitete die Gendarmeriekommandantur eine rückwirkende Untersuchung in Dicle bei Diyarbakir ein. Am 21. 12. 2001 beantragte der Gendarmeriekommandant mit dem Dokument Nummer 5832 bei der Staatsanwaltschaft von Dicle die Änderung der Namen von insgesamt 21 Kindern aus sieben verschiedenen Familien aus den Dörfern Meydan, Ugrak, Bozoba, Üzümlü und Cavli, die in der Zeit von 1985 bis 2001 zur Welt gekommen waren und angeblich Namen erhalten hätten, die die PKK ihren Kämpfern als Kode-Namen geben würden: Berivan, Rojda, Zilan, Baver, Velat, Serhat, Kendal, Zinar, Hebun, Baran, Rojhat, Agit, Zelal und Zozan.

Das Landgericht Dicle hat mit der Forderung nach Änderung dieser Namen ein Verfahren eröffnet. Am 9. April 2002 hat das Landgericht Dicle das Türkische Sprachinstitut nach Sinn und Ursprung dieser Namen befragt. Daraufhin hat dieses dem Gericht die angeforderten Informationen zu den gefährlichen Namen erteilt. Dem nach haben die Namen folgende Bedeutung:

Berivan: die Melkerin
Zilan: ein Flussname
Rojda: Sonnenaufgang
Baver: Glaube (Überzeugung)
Velat: Heimat
Serhat: Grenzgebiet
Kendal: Berg
Zinar: Felsenriff
Hebun: existieren
Baran: Regen
Rojhat: der Tag ist gekommen
Zelal: klar, rein und hell
Zozan: Alm

Der Richter Sirvan Ertekin am Landgericht Dicle hat während der Verhandlung die Antwort des Vorsitzenden des Türkischen Sprachinstituts, Sükrü Haluk Akalin, verlesen. Mit dem Vermerk, dass die Namen Baver, Baran und Serhat einen persischen Ursprung hätten, wurden ihre Bedeutungen vorgetragen. Die anderen Namen seien in ihrem Wortbau nicht türkisch und entsprächen somit nicht dem Namensgebungsrecht der türkischen Namen. Der Verteidiger Rechtsanwalt Firat Anli erklärte, dass diese Namen nicht den nationalen Bräuchen und Sitten widersprächen, dass mit diesen Namen in der Türkei TV-Serien gedreht und ausgestrahlt würden, die Bevölkerung großes Interesse gegenüber diesen Namen aufbrächte und es zudem rechtswidrig sei, dass die Staatsanwaltschaft ein solches Verfahren eröffne. Aus diesem Grunde beantragte er die Ablehnung des Verfahrens. Der Richter Sirvan Ertekin lehnte anschliessend das Verfahren aus verfahrensrechtlichen Gründen ab.

Das Türkische Sprachinstitut

Das Türkische Sprachinstitut agiert als Gutachter und recherchiert Ursprung und Bedeutung von Namen. So wurden im Jahre 2000 von Gerichten und anderen Einrichtungen Informationen zu 45 Namen, im letzten Jahr zu 125 Namen und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres zu 160 Namen Auskünfte angefordert, ob es sich dabei um türkische Namen handle und ob diese nationaler Kultur, Sitten und Gebräuchen entsprächen. So antwortete das Türkische Sprachinstitut auf die Frage nach Ursprung und Bedeutung des Namens Rojda, dass es aus seinen vorhandenen Quellen den Ursprung nicht herausfinden könne und auch die Bedeutung nicht wisse, aber da es offensichtlich kein türkischer Name sei, würde es der nationalen Kultur, Sitten und Gebräuchen widersprechen, wenn einem türkischen Kind dieser Name gegeben werde. Das Gericht hat, sich auf diese Bewertung stützend, die Annullierung des Namens beschlossen und die Eltern aus Angst, ihr Kind würde ohne Namen bleiben, haben notgedrungen einen anderen Namen vorgeschlagen. Dieser Alternativname Nafise wurde vom Gericht als Wunsch der Eltern angegeben und beschlossen. Diesem Urteil zufolge widersprechen alle nichttürkischen Namen der nationalen Kultur, den Sitten und Gebräuchen. Es ist bedenklich, dass Gutachten einer Institution, die weit davon entfernt ist, wissenschaftlich zu arbeiten, bei Gerichten zur Grundlage für Urteile genommen werden.

Nach Medienberichten hat die Gendarmeriekommandartur Diyarbakir am 26. Dezember 2001 eine Liste mit 600 Namen angefertigt und diese der Staatsanwaltschaft weitergeleitet mit der Forderung, Verfahren zu eröffnen mit dem Ziel, diese Namen zu annullieren. Der Gendarmeriekommandant erklärte, dass die Beantragung von kurdischen Namen eine Politisierungsbemühung der PKK darstelle. Staatsanwalt Sait Gürlek hat daraufhin den Justizminister um dessen Meinung angeschrieben. Parallel wurde in Bismil, Kulp, Hazro und Lice bei Diyarbakir Eltern vom Einwohnerregisteramtsleiter der Provinz damit gedroht, sie zu diffamieren, wenn sie diese Namen ihren Kindern geben wollten.


Am 11. April stellte die Staatsanwaltschaft Diyarbakir beim Türkischen Sprachinstitut eine Anfrage über 36 kurdische Namen, darunter Berin, Delal, Jiyan, Tajdin, Pelsin, Rozin, Rozerin, Rojda, Rojhatciya, Rojin, Ruji, Rotinda, Robinm Rubar, Rojiyan, Rojekin, Sirvan, Siban, Zelal, Zilan und Ziran.

Bekam das Institution im Jahre 2000 die häufigsten nachfragen zu den Namen Aleyna, Almila, Almira, Sümeyye, Helin, Tuana, waren es 2001 Mislina, Aleyna, Almila, Almira, Secen, Aybüke, Oguzhan, Beyza, Sude, Melisa, Helin, Zilan, Janset, Rojda und Berk und im Jahre 2002 Alpagut, Aleyna, Alara, Aybüke, Sude, Didar, Melodi, Melisa, Lara, Rojda, Baver, Zilan, Berfin, Delal, Berivan und Sirvan. In den Anfragen werden gemäß dem Einwohner- und Nachnamengesetz Informationen aingefordert, ob besagter Name der türkischen Sprache und der nationalen Kultur, der Sitten und Gebräuchen entspricht.

Die Experten der Wortwissenschaftabteilung des türkischen Sprachinstituts versuchen den Ursprung und die Bedeutung der angefragten Namen mit Hilfe von Lexika herauszufinden. Bei den nicht aufzufindenden Namen wird der schriftliche Vermerk zurück geschickt "nimmt keinen Platz in den gegenwärtigen Quellen und in der Tradition der Namensgebung ein" .

Die Verantwortlichen dieser Institution erklären, dass sie keine Anfrage direkt als positiv oder negativ bewerten und auch nicht wie folgt: "Das Türkische Sprachinstitut erkennt diesen Namen an.” oder “In der Türkei ist es ein häufig angewandter Name." Die Verantwortlichen fügen noch hinzu, dass es viele Namen mit arabischem (z.B Havva, Ayse, Emine, Ahmet, Muhammet, Ali und Hasan) und persischem Ursprung (z.B. Sadi, Gül, Gülnaz, Gülendam, Gülperi, Berin, Berna, Beste und Ahu) gebe, die seit Jahrhunderten angewandt und somit als türkisiert betrachtet würden. Sie würden nur als Gutachter die notwendigen Informationen weiterleiten, das Urteil überließen sie der Justiz.

Ein Name ist ein an die Person gebundenes Individualrecht. Niemand kann einen bereits erteilten Namen annullieren und die Person namenlos lassen. Ein solches Institut kann auch kein Gerichtsbestandteil sein. Aus diesem Grunde haben Bestimmungen sowohl im Einwohnergesetz als auch in anderen Gesetzen keine Berechtigung, einen erworbenen Namen annullieren zu lassen.

Weil jeder Mensch eine eigenständige Persönlichkeit ist, hat er das Recht, sich von anderen zu unterscheiden. Aus diesem Grunde ist der Name ein mit Lebensrecht und Würde zu vergleichendes Recht. Dieses Recht kann einem Menschen nicht entzogen werden. Die Urteile der Gerichte haben deshalb das Lebensrecht der Betroffenen klar verletzt. Der Artikel 2 der Verfassung der Türkei, lässt ein solches Verfahren nicht zu. Damit wurde sogar die eigene Verfassung verletzt.

Jeder Minderheit und jeder Volksgruppe muss das Recht zugestanden werden, sich zu artikulieren und ihre Kultur auszuüben. Es ist ein schwerer Schlag gegen die demokratischen Werte und individuellen Freiheiten, wenn einer Volksgruppe nicht gestattet wird, ihren Kindern Namen in ihrer eigenen Sprache zu geben. Ein friedliches und gerechtes Zusammenleben kann nur garantiert werden, wenn Menschen, Gruppen und Völker mit ihren Identitäten und Eigenschaften in gegenseitigem Respekt und Toleranz leben können.

Das Recht von Kurdinnen und Kurden, ihren Kindern kurdische Namen zu geben, war auch in der Bundesrepublik keine Selbstverständlichkeit. Bei der Namensgebung wurden Namenslisten der Türkei zur Grundlage genommen, und weil kurdische Namen dort nicht aufgelistet sind, wurden auch hier den kurdischen Eltern die kurdische Namensgebung untersagt. Durch Aufklärungsarbeit, Rechtsstreitigkeiten und andere Initiativen können Kurdinnen und Kurden ihren Kindern - wenn auch nicht überall und problemlos - kurdische Namen geben. Ein für viele Menschen selbstverständliches Recht ist für die Kurden einnoch zu erkämpfendes Recht. Allein dieses eine Beispiel unterstreicht, inwieweit der Kampf der Kurdinnen und Kurden ein Demokratiekampf und ein Kampf für mehr Freiheiten ist, nicht nur für die Kurden und Türken, sondern gegen die Demokratidefizite auf der ganzen Welt.

(Als Quelle für diesen Text diente der Bericht über das Verbot der kurdischen Namen des Menschenrechtsverein IHD/Diyarbakir vom September 2002)