Schafft Rote Hilfe ! Tradition der Solidarität nicht vergessen Buchbesprechung von Monika Morres Emigration,
Asylrecht, politische Flüchtlinge, Fluchthilfe, Passfälschung
– allesamt Begriffe, mit denen wir tagtäglich konfrontiert
sind. Die Methoden des Staates, politisch unliebsame Menschen, deren Aktivitäten
und Institutionen zu kriminalisieren und zu diffamieren, sind allen, die
für eine andere Vorstellung von Leben und Politik kämpfen, nur
zu gut vertraut. In besonderem Maße gilt dies für politische
Flüchtlinge, die sich in Deutschland exilpolitisch betätigen,
die ihre legitimen Rechte einfordern und für ihre Belange selbstbewusst
eintreten. Kollidiert dieses Engagement mit den Interessen und Zielsetzungen
des deutschen Staates, lässt die Repression nicht lange auf sich
warten. Kurdinnen und Kurden können diesbezüglich auf eine lange
Erfahrung zurückblicken. In unzähligen Prozessen gegen Kurdinnen
und Kurden spielten und spielen sie eine zentrale Rolle. Neu ist das alles
jedoch nicht. Schon vor 70 Jahren war die Flucht vor den politischen Verhältnissen,
vor Repression und Verfolgung für viele der einzige Ausweg, ihr Leben
zu retten. Damals war die gerade entstandene Sowjetunion Zufluchtsort
für zahlreiche radikale Linke. So sind 1923 mehr als 100 000 nichtrussische
Menschen in die junge Sowjetunion geflohen, darunter 60 000 LettInnen
und 12 000 PolInnen. Auch 60 Deutsche beantragten politisches Asyl in
einem Land, dessen Verfassung eine Anerkennung als politisch oder religiös
Verfolgte ausdrücklich garantierte und ihnen seinerzeit die vollen
Staatsbürgerrechte zusicherte. Dass
Flucht vor Unterdrückung, Polizei- und Justizwillkür, politischer
Verfolgung und Vertreibung, aber auch Solidarität und Hilfeleistung,
bereits den Alltag in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
prägten, ist nachzulesen in der hervorragenden Promotionsarbeit des
Münchener Historikers Dr. Nikolaus Brauns, die 2003 im Pahl-Rugenstein-Verlag
als Buch erschien. Es handelt sich um die historische Geschichte der Roten
Hilfe, einer Vorfeldorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands
(KPD). Wissenschaftlich fundiert und akribisch recherchiert, unter Nutzung
des aktuellsten Archiv- und Quellenmaterials, führt der Autor in
sehr gut lesbarer Form durch die wechselhafte politische Geschichte Roten
Hilfe Deutschland (RHD) von ihrer Entstehung in der revolutionären
Phase nach dem 1. Weltkrieg bis zur Zeit des antifaschistischen Widerstands
am Ende der 1930er Jahre. Auf 348 großformatigen Seiten vermittelt
er anschaulich und umfassend die Darstellung einer Massenorganisation
mit rund einer halben Million Mitglieder, die in dieser Form in noch keiner
Veröffentlichung über die Weimarer Republik erschienen ist.
Unverständlich vor dem Hintergrund, dass zu den GründerInnen
bzw. UnterstützerInnen der Roten Hilfe immerhin so bekannte Persönlichkeiten
zählten wie Kurt Tucholsky, Thomas Mann, Wilhelm Pieck, Albert Einstein
oder Clara Zetkin. Erinnert wird in dem Buch an die Niederschlagung des Januaraufstandes 1919 in Berlin, die bayerische Räterepublik, gegen die mit blutigen so genannten “wilden Freigerichten” vorgegangen wurde. Arbeiterfrauen ergriffen aus dieser Situation die Initiative und gründeten die damals rein karitative Frauenhilfe. Die Frauen kümmerten sich um die zahlreichen politischen Gefangenen, sammelten Geld, Kleider- und Lebensmittel, Tabakwaren und Beinprothesen. Trotz ihrer rein humanitären Aktivitäten, wurde in der Presse gegen die Frauenhilfe polemisiert und gehetzt, bis schließlich die Polizei dem Druck nachgab und deren Mitglieder verfolgte. Aus der Notwendigkeit, nicht nur die Gefangenen, sondern auch deren zahlreichen proletarischen Familienangehörigen zu unterstützen, entwickelte sich aus der Frauenhilfe die Hilfsorganisation Rote Hilfe. Rosa Aschenbrenner, Landtagsabgeordnete der KPD, wurde 1924 Leiterin des bayerischen Rote Hilfe-Komitees. War die obere Führungsebene der Roten Hilfe zwar durchweg von Männern dominiert und Frauen zumeist auf praktische sozialpolitische Tätigkeiten beschränkt, gab es dennoch herausragende Aktivistinnen, wie Clara Zetkin oder Jelena Stassowa, von Lenin “Genossin Absolut” und vom russischen Volk “die alte Bolschewikin” genannt. 1873 als Tochter einer Petersburger Adelsfamilie geboren, war sie seit 1898 für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) und nach deren Spaltung für die Bolschewiki aktiv. Sie beteiligte sich auch an der russischen Revolution. 1921 wurde sie von der Komintern nach Deutschland delegiert, wo sie mit falschen kanadischen Papieren einreiste und durch eine Scheinehe mit Ernst Wilhelm einen gültigen deutschen Pass erhielt. Ihre wichtigste Aufgabe war der Aufbau der RHD. Sie führte die Geschäfte der gesamten Organisation. Um während des Verbots der RH ab Dezember 1923 dennoch die Familien politischer Gefangener unterstützen zu können, hatte Jelena Stassowa unter ihrem angeheirateten und unverdächtigen Namen Lydia Wilhelm eine legale Struktur geschaffen und 1924 erfolgreich einen Hilfsverein gegründet. Die Künstlerin Käthe Kollwitz oder auch die Frauenrechtlerin Helene Stöcker gehörten zu den Gründungsmitgliedern. “Lydia Wilhelm” wurde Geschäftsführerin des Vereins. Nach Beendigung ihrer Arbeit in Deutschland wurde sie 1927 stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees der Internationalen Roten Hilfe (IRH) und später zur Vorsitzenden des ZK der russischen MOPR, der Internationalen Organisation zur Unterstützung von Kämpfern der Revolution. Nach dem Tod von Clara Zetkin 1933, leitete sie bis 1937 die IRH. Einheitsfront im Kampf gegen den § 218 Ein
eigener Abschnitt des Buches ist dem “Volkskampf gegen § 218”
während der Weimarer Republik gewidmet, als zwischen 800 000 und
einer Million illegale Abtreibungen vorgenommen wurden. 5 000 bis 6 000
Frauen sind deswegen jedes Jahr zu Haftstrafen verurteilt worden. Der
aus dem Kaiserreich stammende § 218 sah Zuchthausstrafen von bis
zu fünf Jahren vor. 7- bis 8 000 Todesfälle und 25 000 bis 30
000 schwere Folgekrankheiten mussten jährlich registriert werden.
Die KPD lehnte im Gegensatz zur zögerlichen Haltung der SPD die §§
218 und 219 als “Gebärzwang” prinzipiell ab und hatte
hierzu im Jahre 1922 eine Stellungnahme veröffentlicht. Ihre läge
es fern, “die Abtreibung als ein Ideal zu empfehlen”. Doch
müsse abgelehnt werden, “dass die proletarischen Frauen von
der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gezwungen werden kann, Kinder
in die Welt zu setzen, für die der Staat keine Lebensmöglichkeiten
schaffen kann.” Erst 1929 erkannte die Rote Hilfe die Notwendigkeit,
sich auch dieser Thematik zu widmen. Anlässlich des Internationalen
Frauentages am 8. März 1930 forderte sie die Amnestierung der Opfer
der Abtreibungsparagrafen und bezeichnete deren Bestrafung als “Kulturschande”
gegen die “Proletarierinnen”. Internationalismus Die Vielgestaltigkeit der Aufgaben und Aktionsbereiche der Roten Hilfe zeigt Nick Brauns auch in seinen Kapiteln über Amnestiekämpfe für proletarische politische Gefangene, über Justiz und Klassenkampf, über die internationale Solidarität, die sich zum Beispiel in der Kampagne für die Arbeiter Sacco und Vanzetti ausdrückte, die trotz aller Unterstützung am 22. August 1927 von der amerikanischen Klassenjustiz ermordet wurden. Der Kampf gegen die Todesstrafe oder für die rechtliche Stellung homosexueller Lebensgemeinschaften waren damals Themen und sind es heute. Nazi–Zeit Ausführlich wird die Zeit “unter dem Hakenkreuz” dargestellt, in der wiederum auch “Frauen an der Solidaritätsfront” unschätzbare Dienste leisteten. Ein “männerfixiertes Kommunistenbild” der Nazis machte es ihnen möglich, illegale Zeitungen in Kinderwagen zu transportieren oder als “Hausfrauenkränzchen” getarnte Treffen zu organisieren. Auf diese Weise konnten gesammelte Gelder an die Rote Hilfe weitergegeben werden. Auch die Kinderbetreuung untergetauchter Genossen oder inhaftierter Frauen war so gewährleistet. Eine der Aktivistinnen war Ottilie Pohl, die 1940 wegen “Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens” verhaftet und verurteilt wurde. Nach ihrer Freilassung setzte sie ihre Widerstandstätigkeit fort. 76–jährig ist sie im November 1942 im KZ Theresienstadt ermordet worden. Asylrecht – eine endlose Geschichte Beim Lesen des Kapitels “Politische Flüchtlinge und das Asylrecht” glaubt man sich stellenweise in die heutige Zeit versetzt. Es geht in diesem Abschnitt um Fluchthilfe, die für Menschen geleistet wurden, die polizeilich gesucht wurden, aus einem Gefängnis geflohen oder auf dem Rückzug nach einem Aufstand waren. Die Rote Hilfe kümmerte sich auch um sichere Quartiere. Schon 1925 maß die RHD den Fragen des Asyl- und Gastrechts große Bedeutung bei. So wurde betont, dass das Asylrecht, das Recht des Zufluchtstaates bei politischen Delikten nicht auszuliefern, kein persönliches Schutzrecht des Flüchtlings, sondern ein Hoheitsrecht des Asyl gewährenden Staates darstelle. Aus politischen Gründen verweigerte damals die deutsche Regierung spanischen und italienischen Anarchisten das Asyl und lieferte sie der Justiz ihrer Herkunftsländer aus. Die Rote Hilfe kämpfte für ein unbeschränktes Asylrecht der politischen Emigration. Hierfür erarbeitete sie 1925 einen eigenen Gesetzentwurf. Bei der Diskussion über ein Auslieferungsgesetz konnten linke Reichstagsabgeordnete auf die Forderungen der Roten Hilfe zurückgreifen. 1931 forderte sie die Aufhebung “aller Gesetze und Verordnungen, die die Freizügigkeit und Arbeitsaufnahme der Emigranten einschränken, Verbot jeglicher Auslieferung, volle Berechtigung der Emigranten an der sozialen Fürsorge.” Forderungen, die genau so auch heute gestellt werden. Die RHD stellte in ihrem Zwischenbericht 1931/32 fest, “Genossen vor der Auslieferung bewahrt” zu haben und sie von “Folterung und Krankheit gesundheitlich, moralisch und wirtschaftlich” wieder aufgerichtet zu haben, um sie “dem kämpfenden Proletariat zu erhalten”, was eine “wichtige Solidaritätspflicht” sei. Schafft Rote Hilfe! Diese Gesamtdarstellung der Roten Hilfe ist kein Geschichtsbuch mit der trockenen Aneinanderreihung von Daten, Fakten und Ereignissen, sondern ein spannend, lebendig und interessant geschriebenes und mit rund 300 Abbildungen und Faksimiles reich bebildertes Standardwerk. Dem
Resümee des Autors ist unbedingt beizupflichten: “Die von der
Roten Hilfe Deutschlands geschaffene Tradition der Solidarität hat
es verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten.” Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe ! – Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919 – 1938), Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2003, 32,- €
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