Wie
aber werden sich die Kurdinnen und Kurden verhalten?
Die EU, die USA und die Kurden
Baký Gül, Journalist
und Soziologe
Die Phase der
Nationalstaatengründung in den von Kurdinnen und Kurden bewohnten Staaten
ging vor allem unter dem Einfluss externer Dynamiken vonstatten. Kurdistan
wurde 1639 zwischen den Persern und dem Osmanischen Reich aufgeteilt.
Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches zu Beginn des 20. Jahrhunderts
wurde das Land der Kurdinnen und Kurden dann zwischen der Türkischen
Republik, Irak und Syrien aufgeteilt. Auch wenn es von Anfang des 20.
Jahrhunderts bis in die 1990er Jahre zu kurdischen Aufständen verschiedenster
Bewegungen kam, konnte nach diesen Aufständen weder ein eigener Staat
gegründet werden, noch konnten sich die Kurdinnen und Kurden einen autonomen
Status innerhalb des jeweiligen Staates sichern.
Wenn auch zur Gründungsphase der türkischen Republik davon gesprochen
wurde, die Türkei gehöre den Türken und den Kurden, entsprach dies keineswegs
der Realität. Und so konnten diese Aussagen die mehr als 20 Aufstandsbewegungen
der KurdInnen gegen die türkische Republik nicht verhindern. Die Aufstandsbewegungen
der KurdInnen im Irak waren eher von lokaler Natur, ebenso wie die Aufstände
im Iran. Die kurdische Bewegung in Syrien ist im Vergleich zu denen
in den anderen drei Teilen Kurdistans das gesamte 20. Jahrhundert über
fast wirkungslos gewesen.
Bei einer näheren Betrachtung der Aufteilungsphase Kurdistans zwischen
dem Iran, der Türkei, dem Irak und Syrien wird deutlich, dass die zweite
Stufe der Teilung zwischen dem Irak, Syrien und der Türkei als Resultat
des Drucks und der Politik von externen Kräften zu sehen ist. Da die
KurdInnen damals nicht in der Lage gewesen waren, eine Haltung parallel
zu der Politik dieser externen Kräfte einzunehmen, konnte es neben der
„Zerteilung“ kein anderes Schicksal geben. Die Gewalt und die Führung
der kurdischen Aufstände konnten den KurdInnen nicht die Kraft zur Nationenwerdung
und Staatenbildung verleihen. Man kann schlussfolgern, dass die Teilung
des kurdischen Gebiets auf diese Weise seinen nachhaltigen Charakter
erhalten hat.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte vor allem Großbritannien die
einflussreichste externe Macht in Kurdistan und dem Mittleren Osten
dar. Großbritannien hatte damals neben Ost- und Südanatolien vor allem
im Irak wichtige Pläne. So spielte England auch bei der Grenzziehung
des Mittleren Ostens eine sehr bedeutende Rolle.
Nach dem Ersten Weltkrieg zeigten die USA großes Interesse an der Region,
haben dabei jedoch die britische Politik weitestgehend übernommen. Auch
Frankreich hatte großen Einfluss, vor allem in einigen nordafrikanischen
Ländern und Syrien. Auch Deutschland zeigte damals Interesse am Mittleren
Osten. Jedoch waren die Beziehungen Deutschlands mit dem Osmanischen
Reich nicht so stark wie die Verbindungen Englands und Frankreichs mit
der Region.
Wir oben schon erwähnt, ging die Nationalstaatenbildung im Mittleren
Osten unter dem Einfluss externer Mächte vonstatten. Das Ergebnis waren
mehrere arabische Nationalstaaten und die türkische Republik. Das kurdische
Volk jedoch wurde trotz hoher Bevölkerungszahl und -dichte als Nation
nicht anerkannt und besaß keinen eigenen Staat. Denn die internationalen
Machtbalancen dieser Zeit sahen die Kurdinnen und Kurden nicht als Kraft
an, mit denen man sich verbünden könnte. Die europäischen Staaten, die
ihre Mittelost-Politik vorwiegend über Handelsbeziehungen gestalteten,
haben diese Politik bis zum heutigen Tage überwiegend aufrechterhalten.
Wenn wir nun nach diesen Verweisen versuchen, die Besonderheiten der
kurdischen Frage heute zu diskutieren, wird das Gesamtbild deutlicher.
Die KurdInnen sehen sich mit der Realität konfrontiert, dass der Status
quo des Mittleren Ostens, welcher zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebildet
worden ist, auseinander bricht. Der Irak, welcher als souveräner Staat
Herrschaft über das kurdische Volk ausübte, befindet sich in einer Art
Rekonstruktionsphase. Iran und Syrien befinden sich auf der Zielscheibe
internationaler Kräfte. Die Türkei verliert die Eigenschaften einer
Republik, die Antworten auf die Fragen unserer Zeit bietet, mit rasantem
Tempo. Und die KurdInnen sind immer noch ein Volk ohne eigenen Staat.
Auch wenn während der Neugestaltung des Status quo des Irak von der
Gründung eines „Föderativen Kurdischen Staates“ die Rede ist, so sind
dessen Bedingungen auf der internationalen Arena ziemlich vage. Die
kurdische Bevölkerung in der Türkei, dem Iran und Syrien befindet sich
im Konflikt mit diesen Staaten.
Betrachten wir
jetzt die externen Kräfte und deren jeweilige Politik in der Region:
Großbritannien hat seine Position an die USA weitergegeben, aber ansonsten
hat sich nicht viel verändert. Der Fakt, dass die USA ihr globales System
der Vorherrschaft weiterhin zu verfestigen suchen und für ihre militärische
und politische Intervention nach Partnern suchen, lässt Europa so wirken,
als hätte es keine eigene Kurdistanpolitik. Bei Betrachtung der aktuellen
Entwicklungen scheint es, als handele es sich bei der europäischen Kurdistanpolitik
um eine Reserve der us-amerikanischen Politik.
Um ihre Regionalpolitik umsetzen zu können, möchten die USA die Türkei
als Bündnispartner beibehalten. Die Kräfte in der Region, die auf dem
Status quo beharren, schwächen den Irak oder – wenn es ihre Kraft erlaubt
– gestalten ihn nach eigenen Wünschen und Belieben. Die USA möchten
in dieser Phase auch die KurdInnen in ein Bündnis mit einbeziehen, da
deren Eigenschaften in die us-amerikanische Politik passen. Die Beziehung
zwischen den KurdInnen im Irak und den USA ist als „Bündnis“ einzustufen.
Bei den amerikanisch-türkischen Beziehungen scheinen die KurdInnen jedoch
eine Spielkarte zu sein, die jederzeit genutzt werden kann. Die kurdische
Bewegung soll aus der Politik gestoßen werden, in dem sie als „terroristisch“
abgestempelt wird. Die USA sehen die KurdInnen in der Türkei gar als
Gefahr für ihre Politik in der Region an und haben kein Problem mit
der repressiven türkischen Politik gegen das kurdische Volk. Aus diesem
Grund sorgen sie auf der internationalen Politikarena für logistische
Unterstützung der anti-kurdischen Strategie der Türkei.
Die Europäische Union besitzt keine konstruktive Politik in der kurdischen
Frage. Die Mitgliedsstaaten der EU gehen bei der kurdischen Frage auf
dem Feld, welches die USA ihnen überlassen hat, verschiedenen Interessen
nach.
Aus diesem Grund handelt es sich bei der EU um eine wirkungslose Kraft,
wenn es um eine Kurdistanpolitik geht. Sie geht die kurdische Frage
in der Türkei als „Menschenrechtsproblem“ an. Ebenso macht sie in den
Fällen des Iran und Syriens noch nicht einmal die Feststellung, dass
es eine kurdische Frage überhaupt gibt. In ihren jetzigen Beziehungen
zu diesen Staaten entwickelt sie politische Diskurse über die von den
USA definierten Gefahren der „nuklearen Krise“ und des „Terrorismus“
und ist damit beschäftigt, „die Krise zu entschärfen“. Denn die stärksten
Staaten innerhalb der EU, Deutschland und Frankreich, unterhalten sehr
enge wirtschaftliche Beziehungen zum Iran und zu Syrien. Um diese Beziehungen
aufrechterhalten zu können, werden sie versuchen, die Krise durch eine
Einigung beizulegen.
Die Beziehungen zwischen der EU und den KurdInnen im Irak gewinnt erst
allmählich an offiziellem Charakter. Es handelt sich hierbei aber eher
um „Zwangsbestrebungen“, die durch den Markt in Südkurdistan und den
Druck der USA, die KurdInnen im Irak anzuerkennen, entstanden sind.
Die KurdInnen diskutieren gerade interne Probleme, um aktiv und effektiver
an dieser politischen Phase in der Region teilzunehmen und als wesentlicher
Faktor in den regionalen Entwicklungen teilzuhaben. Während die Kurdenfeindlichkeit
in der Türkei, dem Iran, Syrien und den arabischen Staaten vorwiegend
strategischer Natur ist, ist die Haltung der EU und der USA gegenüber
der anti-kurdischen Strategie eher taktisch. Somit erhalten die Kräfte,
die auf dem Status quo beharren, allen voran die Türkei, Iran und Syrien,
in ihren anti-kurdischen Strategien wichtige logistische Unterstützung
aus den USA und von der EU.
Die Razzien
des deutschen Staats im Januar 2007 gegen kurdische Vereine, die entsprechend
des deutschen Rechts gegründet worden sind, sowie die Verhaftungen von
kurdischen Politikern, die ein Aufenthaltsrecht besitzen, sind keineswegs
als alltägliche politische Haltung zu verstehen. Vielmehr stecken historische
Faktoren und eine bestimmte Politik bezüglich der Region hinter dieser
Repressionswelle. Die türkische Republik schlug dabei selbst vor, auf
welche Weise eine Repressionspolitik gegen Kurdinnen und Kurden in der
Europäischen Union gestaltet werden muss. Diese Repressionen in der
letzten Zeit sind als eine Politik zu verstehen, die mit der PKK-Koordinationsphase
der USA begonnen hat und mit der hartnäckigen und repressiven Politik
der Türkei weitergeführt worden ist. Die Position der EU besteht darin,
diese Politik auszuführen.
Die Anpassung dieser Politik an die vier Staaten, in denen Kurdinnen
und Kurden leben, sieht wie folgt aus: Die USA werden die kurdische
Frage im Iran und in Syrien genau dann thematisieren, wenn es ihnen
gerade nützlich ist. Die EU wird dies unterstützen. Die Kurdinnen und
Kurden im Irak werden entsprechend dem von den USA festgelegten Rahmen
„anerkannt“ und auf internationaler Ebene unterstützt werden. In der
Türkei wird die kurdische Karte so auf den Tisch gelegt werden, dass
die Türkei unter Druck gerät. Jedoch wird zugleich auch verhindert werden,
dass die KurdInnen im Iran, in Syrien, dem Irak und der Türkei zu einer
nationalen Kraft zusammenkommen. Ihre politische Organisation und Führung
soll auf einem wirkungslosen Niveau gehalten werden. Hierfür werden
die politischen Organisationen der Kurdinnen und Kurden in der Türkei
sowie ihrer Repräsentanten auf internationaler Ebene eingeengt und unterdrückt.
Ihre Politik soll entschärft werden und Gewalt gegen kurdische Guerillaeinheiten
und politische Organisationen wird als legitimer Weg offen gehalten
werden. Die EU wird diese Politik befürworten und wenn nötig, diese
Situation als Erpressungsmittel gegen die Türkei benutzen.
Wie aber werden
sich die Kurdinnen und Kurden verhalten? Werden sie aus ihrer „wirkungslosen“
Position schlüpfen und eine tonangebende Position in der regionalen
Politik einnehmen können? Die Antwort auf diese Frage werden uns die
Entwicklungen der nächsten Monate geben.