Die Anerkennung des Kosovo ist völkerrechtlich nicht gedeckt und stellt einen weiteren Verstoß gegen die UN-Charta dar Der Kosovo und das Völkerrecht Norman Paech, Mitglied des Bundestages, außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke Am 10. Dezember 2007 wurden die Verhandlungen über den zukünftigen Status der Provinz Kosovo zwischen der serbischen Regierung und der Provinzregierung des Kosovo für gescheitert erklärt und abgebrochen. Die den Verhandlungsprozess begleitende Kontaktgruppe erklärte resigniert ihr Bedauern und signalisierte, dass der Verhandlungsprozess in einer Sackgasse gelandet sei, aus der sie keinen Ausweg mehr sähe. Keine drei Monate später, am 17. Februar 2008, erklärte die serbische Provinz Kosovo ihre Unabhängigkeit von Serbien. Schon kurz nach dem Abbruch der Verhandlungen hatte die kosovo-albanische Seite ihre einseitige Unabhängigkeitserklärung angekündigt. Statt nach Perspektiven für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu suchen, signalisierten zahlreiche Staaten, unter ihnen auch die Bundesrepublik Deutschland, ihre Bereitschaft, den Kosovo auch bei einseitiger Abspaltung anzuerkennen – und damit gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Das Völkerrecht verbietet eine einseitige Abspaltung Grundsätzlich ist eine Trennung des Kosovo von Serbien als endgültige Statuslösung völkerrechtlich möglich. Sie muss jedoch auf der einvernehmlichen Übereinkunft beider betroffenen Staatsteile beruhen, wie es z. B. bei der Teilung der alten Tschechoslowakei der Fall gewesen ist. In den Verhandlungen um eine endgültige Statuslösung des Kosovo wurde auch diese Möglichkeit diskutiert. Sie wurde von der kosovo-albanischen Seite gefordert, weil sie die Zugeständnisse der serbischen Regierung an die Autonomierechte als für unzureichend ablehnte. Die serbische Regierung verweigerte sich der Option einer Teilung und bestand darauf, die Provinz Kosovo mit Autonomierechten innerhalb des Staates Serbien auszustatten. Aus dem Scheitern der Verhandlungen, wie im vergangenen Dezember geschehen, eröffnet sich allerdings nicht automatisch ein Recht auf Sezession. Eine einseitige Sezession wird nur den Völkern zuerkannt, denen nachhaltig die elementaren Grund- und Menschenrechte vorenthalten werden. Das ist jedoch beim Kosovo trotz aller dort in der Vergangenheit begangener Verbrechen heute nicht der Fall. Die neue serbische Verfassung vom Oktober 2006 erkennt dem Kosovo ausdrücklich einen autonomen Status mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten zu. Dass dieser in seiner Umsetzung mangelhaft ist und den berechtigten Ansprüchen der Kosovo-Albaner an eine Autonomie nicht ausreichend entspricht, darf kritisiert werden. Verbesserungen müssen verhandelt und in gegenseitiger Übereinstimmung vereinbart werden. Ein Recht auf einseitige Abspaltung kann sich aus der Kritik an mangelhafter Umsetzung und aus dem vorläufigen Scheitern von Verhandlungen jedoch nicht ableiten. Die Anerkennung einer unzulässigen Abspaltung ist völkerrechtswidrig Die Anerkennung des Kosovo ist völkerrechtlich nicht gedeckt und stellt einen weiteren Verstoß gegen die UN-Charta dar. Die Staaten, die den Kosovo anerkannt haben, verstoßen jedoch nicht nur gegen geltendes Völkerrecht, sondern auch gegen ihre eigenen Prinzipien. Die faktische Sezession Nordzyperns haben sie unter Hinweis auf das Völkerrecht ebenso nicht anerkannt, wie sie die Sezessionsbestrebungen der Kurden, Katalanen und der Basken ablehnen. Das Prinzip der territorialen Integrität geht in allen diesen Fällen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Form eines Sezessionsrechts vor. Das Selbstbestimmungsrecht beschränkt sich auf die Einräumung von Autonomierechten, wie sie z. B. den Katalanen und Basken in weitgehendem Maße, den Kurden aber in gar keiner Weise eingeräumt worden sind. Erosion des Völkerrechts Die völkerrechtswidrige Anerkennung des Kosovo als unabhängiger Staat birgt vor allem die Gefahr einer weiteren Aushöhlung des Völkerrechts in sich. Sie trägt zur weiteren Etablierung völkerrechtswidriger Praxis der so genannten Internationalen Staatengemeinschaft bei. An Stelle der UN-Charta bedient sie sich zunehmend des Militärs zur Durchsetzung politischer Interessen. Der Angriff auf Jugoslawien war der erste eklatante Verstoß des Völkerrechts, gefolgt vom bis heute andauernden Irakkrieg und dem Afghanistankrieg, dessen völkerrechtliche Grundlage, das Recht auf Selbstverteidigung, schon lange keinen Bestand mehr hat. Ohne völkerrechtliche Grundlage beharren vor allem die EU und die USA auch im Fall des Kosovo auf einer Fortführung der militärischen Präsenz im Kosovo. Mit einer Umdeutung der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates versuchen sie, ihr völkerrechtswidriges Verhalten nachträglich zu legitimieren. Resolution 1244 wird zur Stärkung des Kosovo umgedeutet Die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zog nicht nur eine schnell einsetzende Welle der Anerkennung durch zahlreiche Staaten nach sich, sondern auch die massive Kritik einzelner Staaten, unter ihnen Spanien und die zwei ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Russland und China. Begleitet wurde sie von einem Streit über die weitere Gültigkeit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999. Resolution 1244 (1999) betont an verschiedenen Stellen, sowohl in der Präambel und dem Hauptteil als auch in Anlage 2, die Verpflichtung aller Staaten, „die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“ (später Serbien) zu beachten. Weiterhin verbietet Art. 2 Ziffer 7 der UN-Charta allen Mitgliedstaaten die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Dieser Verpflichtung unterliegen selbstverständlich auch der UN-Sicherheitsrat und die von ihm verabschiedeten Resolutionen. Diesen Grundsätzen der UN-Charta folgend (Souveränität und territoriale Unversehrtheit Serbiens und Verbot der Einmischung) stand für den UN-Sicherheitsrat bei Verabschiedung der Resolution eine einseitige Unabhängigkeitserklärung nicht zur Debatte. Die Intention des Sicherheitsrates war, den Endstatus der Provinz Kosovo mittels einer Vereinbarung zu erreichen. Mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ist Resolution 1244 der Boden entzogen. Die Mandate für UNMIK [United Nations Interim Administration Mission In Kosovo] und KFOR [Kosovo Force] bezogen sich darauf, eine Übergangsverwaltung zu errichten und abzusichern. Diese Übergangsverwaltung ist mit der Unabhängigkeit des Kosovo definitiv nicht mehr gegeben. UNMIK und KFOR müssten abziehen. Ohne eine neue Resolution können sie nach der völkerrechtswidrigen Beendigung des Protektorats nicht im Land bleiben und einfach neue Aufgaben wahrnehmen, die der UN-Sicherheitsrat in Resolution 1244 nicht vorgesehen hat. UNMIK und KFOR befinden sich also ohne völkerrechtliche Grundlage im Kosovo und sichern ohne Mandat ein völkerrechtswidriges Gebilde ab, welches auf lange Sicht nur mit massiver finanzieller und militärischer Unterstützung der EU wird überleben können. Der Kosovo als Vorbild für weitere Sezession? Im Fall des Kosovo beschlossen zahlreiche Staaten, dem Wunsch der Kosovo-Albaner nach einem eigenen Staat zu entsprechen. Sie missachteten dabei die Souveränität Serbiens ebenso wie dessen territoriale Unversehrtheit. Ihre Bereitschaft, den Kosovo als unabhängigen Staat anzuerkennen, hat die einseitige Abspaltung erst möglich gemacht. Das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten wurde dabei wissentlich missachtet. Ginge es allein nach dem Wusch derer, die nach Unabhängigkeit streben, dann hätten die Kurden, die Basken, die Katalanen, die Korsen, die Abchasen und die Osseten schon lange ihren eigenen Staat. Doch danach geht es eben nicht. Das Völkerrecht darf nicht nach politischem Gutdünken ausgehebelt werden. Dass dies im Fall des Kosovo geschehen ist, ist inakzeptabel und darf auf gar keinen Fall zum Vorbild werden. Auch für die Kurden in der Türkei gäbe es eine völkerrechtlich legitime Möglichkeit der Bildung eines eigenen Staates. Diese wäre aber an eine einvernehmliche Einigung mit der türkischen Regierung gekoppelt. Keine türkische Regierung hat in der Vergangenheit einer solchen Abspaltung zugestimmt und es ist auch von keiner zukünftigen Regierung zu erwarten. Zudem stellt sich die Frage, ob eine Abspaltung einer Autonomie innerhalb einer demokratisch verfassten, multikulturellen, multiethnischen Türkei vorzuziehen wäre. Die PKK hat jahrelang einen politischen und militärischen Kampf für einen eigenen kurdischen Staat geführt. Die allgemeine politische Aussichtslosigkeit dieses Kampfes, aber vor allem der Rückgriff auf das Völkerrecht, hat die PKK zu Beginn der 1990er Jahre von ihrem Ziel, einen eigenen kurdischen Staat zu gründen, abgebracht. Seither setzen sich neben der PKK auch die pro-kurdische Partei DTP und deren Vorgänger für kurdische Autonomierechte innerhalb eines demokratisch verfassten türkischen Staates ein. Diese Forderung ist völkerrechtlich legitim. Dennoch hat sie nur dann eine Chance der Durchsetzung, wenn sie internationale Unterstützung erfährt. Umso wichtiger ist es, das Völkerrecht und seine Institutionen zu stärken und nicht einer politischen Willkür das Wort zu reden. |