Das MSF will die verschiedenen Kämpfe im Mittleren Osten zusammenbringen Das Mesopotamische Sozialforum – ein Ort der Diskussion und Aktion Interview mit Tuncay Ok zum Mesopotamischen Sozialforum in Diyarbakır Vom 27. bis 29.09.2009 fand in Diyarbakır das erste Mesopotamische Sozialforum (MSF) statt. Angegliedert war auch ein „Internationales Camp“, mit Besuchern aus Europa. Tuncay Ok, Mitorganisator des MSF, berichtet über Vorbereitungen und Verlauf. Seit wann gab es die Idee, das MSF in Diyarbakır durchzuführen?
Vor anderthalb Jahren wurde die Idee geboren. Das MSF war notwendig
geworden, um die Frauenfrage, die ökologischen Fragen und die Probleme
der unterdrückten Völker der Region anzugehen. Es gibt verschiedene
Bewegungen: nationale Befreiungsbewegungen, die Frauenbewegung, die
Bewegung der Homosexuellen und Transsexuellen sowie anderer unterdrückter
Menschen. Alle haben ihre sozialen Kämpfe und gewisse Merkmale und Ziele.
Es geht um die Menschlichkeit und auf dieser Basis ist es notwendig,
dass die Menschen zusammenkommen und jetzt im 21. Jahrhundert diskutieren. Es gibt eine Tradition der Sozialforen: das Weltsozialforum, das Europäische Sozialforum. Wie ordnet sich das MSF da ein? Das MSF erkennt die Prinzipien des Weltsozialforums an. Wir stehen in Beziehung und Solidarität mit den anderen Sozialforen, die in der Welt organisiert werden, haben aber einen besonders engen Bezug zum Europäischen Sozialforum. Das MSF bezieht sich auf ein Gebiet, eine Region, nicht auf ein Land. Die Vorbereitungen liefen in Zusammenarbeit mit den anderen Sozialforen und profitierten auch von deren Erfahrungen. Gab es Schwierigkeiten bei der Durchführung und Vorbereitung des MSF seitens des türkischen Staates?
Ja, es gab Probleme. Die Probleme rühren daraus, dass die Türkei ein
nationalistischer und ein nur begrenzt demokratischer Staat ist. Wir
sind in einer Region, wo die Kurden leben. Darüber hinaus gibt es noch
viele andere Ethnien und Kulturen. Aber der türkische Staat negiert
alle anderen Kulturen, die nicht türkisch und islamisch sind. Das ist
die Staatsideologie, darauf basiert der Staat. Wir haben versucht, die
ganzen Kulturen der Region zusammenzubekommen. Also die Lasen, die Assyrer,
die verschiedenen religiösen Minderheiten, die Yeziden und alles, was
sonst in der Region zusammen lebt. Das war für uns sehr wichtig. Wie ist denn das MSF die letzten drei Tage organisatorisch abgelaufen? Wir haben zuerst versucht, unter der Mitwirkung von vielen Leuten, nicht nur von hier, die thematischen Achsen festzulegen, also die großen Themenblöcke. Dabei standen wir mit vielen antineoliberalen, antikapitalistischen linken Organisationen in Kontakt und haben deren Meinungen und Vorschläge eingeholt. Wir haben auch versucht, die großen Probleme im Mittleren Osten in die Veranstaltung mit hereinzunehmen. Ein Thema war die Probleme der Völker im Mittleren Osten, die durch Repression unterdrückt werden. Das sind vor allem die Kurden, die Palästinenser, aber auch Menschen im Libanon, aus Jordanien und dem Irak. Mit denen haben wir gemeinsam diskutiert. In drei Tagen haben wir 50–60 Veranstaltungen durchgeführt sowie 30 Workshops. Es gab auch viele kulturelle Veranstaltungen. Die Menschen aus verschiedenen Kulturen haben ihr Theater vorgestellt, ihre Musik und weitere künstlerische Tätigkeiten. Diese Möglichkeit haben wir versucht zu bieten. Wir haben z. B. sehen können, dass sich der Kampf der Kurden und der Palästinenser in vielen Punkten ähnelt. Auch der antiimperialistische Kampf in Kurdistan und im Irak hat Ähnlichkeit. Es wurde auch sichtbar, dass es in Europa Menschen und Kreise gibt, die in Solidarität mit Menschen aus aller Welt stehen, die für ihre Freiheit kämpfen. Auch in Europa gibt es Bestrebungen, ein alternatives Leben zu führen, fernab vom kapitalistischen System. Aus Lateinamerika und Mexiko waren ebenfalls Leute da. Die Bewegungen von dort haben uns viel geben können. Wie war die Einbindung des „Internationalen Camps“, an dem sich viele junge Leute aus Europa beteiligt haben? Viele Leute vom Camp waren in die Vorbereitung des Camps und des MSFs eingebunden. Wir haben das zusammen ausgearbeitet. Ich möchte ganz klar sagen, dass es sehr viele gute Beiträge aus den Reihen des „Internationalen Camps“ gab. Dies ist auch ein sehr gutes Beispiel für internationale Solidarität. Es war ein Bild dafür, wie sich junge Menschen aus Europa mit den Menschen hier im Mittleren Osten solidarisieren. Mein persönlicher Eindruck war, dass nicht so viele Menschen aus Syrien, Irak und Iran hier teilgenommen haben. Täuscht der Eindruck? Wir haben versucht, Kreise aus dem Iran zu erreichen, aber aufgrund der politischen Situation war es unmöglich, dass die Leute hierher kommen konnten. Aber es haben einige Iraner teilgenommen, die im Exil leben. Aus Irakisch-Kurdistan, aus Südkurdistan, gab es viele Menschen, die hier teilgenommen haben. Es gab auch offizielle Vertreter aus Südkurdistan, z. B. aus den Stadtverwaltungen. Aus Syrien sind auch sehr wenig Personen aufgrund der politischen Situation gekommen. Die Beziehungen zwischen Syrien und der Türkei sind sehr gut. Es gab in der letzten Zeit viele Abkommen, das hat vieles erschwert. Aus dem Libanon wollten 20 Personen teilnehmen, aber sie haben alle keine Visa bekommen. Die Türkei hat keine Visa erteilt. Aus allen vier Teilen Kurdistans waren Menschen hier. Welche Ergebnisse, welche Workshops waren besonders wichtig? Die vielleicht wichtigste Veranstaltung war die über die Aufteilung und Trennung der Menschen im Mittleren Osten, die war für mich am bedeutendsten. Außerdem gab es in den verschiedenen Veranstaltungen viele Diskussionen zur kurdischen Frage, zur Lösung der kurdischen Frage. Es gibt eine große ökologische Zerstörung in der Region. Die resultiert vor allem aus dem andauernden Krieg. In Kurdistan gibt es eine andauernde kulturelle Assimilation, die auch durch die Zerstörung des Landes vorangetrieben wird. Das kulturelle Erbe wird zerstört wie z. B. Hasankeyf, welches die Kultur dieser Region repräsentiert. Das geschieht ganz bewusst. Momentan wird die Natur in Dersim zerstört. Das erfolgt aus sicherheitspolitischen Gründen. In den Grenzregionen zu Iran und Irak werden Staudämme gebaut. Auch aus sicherheitspolitischen Gründen. Das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt. Jetzt zum Ausblick. Wie geht es weiter in Kurdistan, in Mesopotamien, nach dem MSF? Das MSF besteht weiterhin als Struktur. Nächstes Jahr wird ja das Europäische Sozialforum in Istanbul stattfinden und da wirken wir auch mit. Die Arbeit geht weiter und vielleicht haben wir in ein bis zwei Jahren ein MSF, das noch größer und umfassender ist. |