Eren Keskin
Die demokratische Rechtsanwältin Eren Keskin ist stellvertretende Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD. Sie lebt und arbeitet in Istanbul und vertritt zahlreiche weibliche Gefangene.
Eren Keskin gibt einen Überblick über die Situation gefangener Frauen in türkischen Gefängnissen und beschreibt die Schwierigkeiten, mit denen diese konfrontiert sind. Sie legt die Situation nicht nur aus Sicht einer Anwältin dar, sondern auch aufgrund eingener Erfahrungen als Gefangene wegen kritischer Äußerung.
Die türkische Republik wurde auf der Baisis der Identität eines einzigen Volkes als Nationalstaat gegründet. Es herrscht eine Scheindemokratie, in der sich antidemokratische Strukturen entwickeln konnten.
Der türkische Staat hat nach seiner "Befreiung" all seine Versprechungen gegenüber den Kurden, ja sogar die Aussage "Der türkische Staat ist der gemeinsame Staat von Türken und Kurden", vergessen und begann, die kurdische Region mit Sondergesetzen zu regieren. "Tunceligesetze", "Istiklal mahkemeleri Gesetze", "Iskan Gesetze" und viele andere wurden in den Jahren nach der Republikgründung erlassen. Teile des kurdischen Volkes wurden schon zu dieser Zeit aus ihrer Heimat vertrieben, an anderen wurden Massaker verübt, ferner kam es zur Hinrichtung kurdischer Intellektueller.
Auch heute werden die kurdischen Gebiete durch Sondergesetze regiert. Die Ausnahmezustandsgesetze stellen die rechtliche Basis des nicht erklärten Krieges dar. In der Türkei gab es immer Sondergerichtshöfe. Es begann mit der Einführung der Istiklal-Gerichte, und wurde später mit den Ausnahmezustandsgerichten fortgesetzt. Derzeit kennen wir die Staatssicherheitsgerichte.
Gegenwärtig befinden sich Hunderte von Menschen aufgrund von Urteilen der Staatssicherheitsgerichte, die sich auf unter Folter erzwungene Aussagen stützen, in Haft. Auch wenn die Folter als Verhörmethode in der Türkei nach dem Artikel 135/a des CMUK ausdrücklich verboten ist, so wird sie in der Praxis als eine Politik des Staates angewandt.
Dabei ist zu konstatieren, daß Frauen in größerem Umfange Foltermethoden ausgesetzt sind, weil sie neben den bekannten Foltermethoden häufig zusätzlich sexueller Belästigungen und Vergewaltigungen, also "sexueller Folter", ausgesetzt sind.
Vor allem in den Kriegsgebieten werden Frauen, wie es in allen Kriegen der Fall ist, als Kriegsbeute gesehen und nach Verhören unter schwerer Folter verhaftet und in Gefängnisse gesteckt. Es ist bekannt, daß dort schlechte Haftbedingungen herrschen. In den Gefängnissen sind sowohl politische als auch normale Gefangene, die nicht mit dem Staat zusammenarbeiten, miserablen und unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt.
Es muß vorab gesagt werden, daß die Gefängnisse in der Türkei zwei verschiedenen Verwaltungen unterstehen: Während für die innere Sicherheit das Justizministerium zuständig ist, obliegt die äußere Sicherheit dem Innenministerium. Hieraus ergeben sich immer wieder Unstimmigkeiten zwischen den Soldaten und den Gefängniswärtern, die sich auch in den Gefängnissen widerspiegeln. Eine einheitliche Gefängnispolitik ist dadurch in der Türkei nicht vorhanden. Was in der einen Gefängnisanstalt erlaubt ist, kann in der anderen verboten sein.
Eines der Hauptprobleme der gefangenen Frauen ist, daß die von ihnen gebildeten Vertretungen von einigen Gefängnisverwaltungen - wie zum Beispiel in Sivas und Usak - nicht anerkannt werden. Es gibt Probleme beim Erhalt von Post und Publikationen. Oppositionelle Zeitschriften, die in die Gefängnisse geschickt werden, werden von der Gefängnisverwaltung einbehalten, bis offiziell ein Verbotsbeschluß verabschiedet ist. In vielen Gefängnissen wird ein Zusammentreffen zwischen weiblichen und männlichen Gefangenen nicht zugelassen; ferner stellen die hygienischen Verhältnisse ein schwerwiegendes Problem dar. So wird zum Beispiel in einigen Haftanstalten der Müll fünfzehn bis zwanzig Tage nicht weggebracht, wodurch sich nach Aussagen der Betroffenen die Ratten in den Zellen vermehren. Der Schmutz ist zudem Ursache vieler Erkrankungen, die für die Gefangenen zu einer Zusatzbelastung wird, weil den Kranken meist die Behandlung verweigert wird. Wenn die Wächter die behandlungsbedürftigen Personen ins Krankenhaus bringen, lehnen die Frauen die Behandlung ab, weil die männlichen Soldaten ebenfalls im Behandlungszimmer präsent sind.
In vielen Gefängnissen tauchen Probleme auf, weil die männlichen Wächter und Soldaten unter dem Vorwand einer allgemeinen Durchsuchung in die Zellen der Frauen eindringen. Die gefangenen Frauen werden dabei häufig belästigt. PKK-Gefangene schrieben in einem Brief, daß inhaftierte Frauen, egal ob sie aus politischen Gründen verhaftet sind oder nicht, im Gefängnis von Siirt von einigen Verwaltungsbeamten sexuell belästigt werden.
Für Frauen, die bei der Verhaftung ihre Kinder bei sich haben, sind die Bedingungen noch erschreckender. Abgesehen davon, daß in den Gefängnissen keine kinderfreundlichen Räume vorhanden sind, erleben auch die Kinder alle Unannehmlichkeiten, der ihre Mütter ausgesetzt sind. Die Besuchszeiten stellen wiederum ein anderes Problem dar. Die Räumlichkeiten, in denen die Besuche stattfinden, sind außerordentlich ungeeignet. Die Familien besuchen ihre Angehörigen, ohne sie richtig sehen und hören zu können. Zu den schlechten Besuchsbedingungen kommt hinzu, daß fast bei jedem Gefängnisbesuch die Angehörigen der Gefangenen mit der Absicht, sie einzuschüchtern, grundlos festgenommen werden und Repressionen ausgesetzt sind. In der Türkei ist es nicht möglich, das Gefängnisproblem losgelöst von den allgemeinen Schwierigkeiten und vor allem losgelöst vom Krieg zu betrachten. Ohne eine Beendigung des Krieges und eine totale Amnestie gibt es keine wirkliche Lösung.
Die inhaftierten Frauen haben sich an allen Protestaktionen in den Gefängnissen beteiligt und in einigen die führende Kraft dargestellt. So auch in der jüngsten Zeit in den Gefängnissen von Usak und Sivas. Gegen die oben angeführten Repressionsformen haben die Frauen verschiedene Protestformen entwickelt und mit einem Hungerstreik ihre Stimmen in die Öffentlichkeit getragen.
1995 wurde ich ebenfalls aufgrund eines veröffentlichten Artikels verhaftet. Das war genau zu der Zeit, als in den Gefängnissen der Hungerstreik von Zehntausenden Gefangenen für den Frieden stattfand. In meiner Zelle waren PKK-Gefangene. Ich wurde Zeugin, wie entschlossen die Frauen an dieser Hungersteikaktion teilnahmen. Einige unter ihnen waren krank, dennoch haben sie sich, ohne auf ihren gesundheitlichen Zustand Rücksicht zu nehmen, sich fast um die Wette diesem Hungerstreik angeschlossen. Der Frieden ist eine dermaßen große Zielsetzung, daß Frauen zur Erreichung dieses Zieles und zur Schaffung von Öffentlichkeit sogar bereit waren, sich aus Protest zu verbrennen. Es ist unglaublich, wie offen sie ihr Leben für den Frieden einsetzen. Ich habe in dieser Zeit genau begriffen, wie groß die Rolle der Frauen für die Beendigung des Krieges und für eine Lösung ist. Die Hungersteiks haben eine ganze Weile angehalten, ohne daß die Frauen ihre Stärke verloren hätten. Sie haben zu Besuchzeiten ihre schönsten Kleider angezogen und getanzt, um ihren Familien Moral geben zu können.
Nachdem ich 1996 aus dem Gefängnis entlassen worden bin, haben sich drei Gefangene - darunter eine Frau - aus Protest gegen den anhaltenden Krieg in der Region und gegen die unmenschlichen Haftbedingungen, selbst verbrannt. Die beiden Männer kamen uns Leben, während die Frau an verschiedenen Körperteilen Verbrennungen erlitt. Unter den zwölf Gefangenen, die während des Todesfastens ihr Leben verloren, war auch eine Frau. Die Praxis zeigt, daß die weiblichen politischen Gefangenen sich gemeinsam mit den Männern an allen Protesaktionen beteiligen; in einigen Fällen übernehmen sie die Führung der Aktionen.
Zum Schluß noch ein Punkt: Die "demokratische Öffentlichkeit" in der Türkei kommt ihren Pflichten - so wie es bei anderen Problemfeldern ebenfalls der Fall ist - auch im Bereich der Gefängnisse und Haftbedingungen nicht nach. Die Gefängnisse sind nur dann ein Thema, wenn Gefangene Hungerstreiks oder Todesfasten durchführen. So wird deutlich, daß diese angeblich demokratischen Kreise - wie sie sich selbst bezeichnen - weit davon entfernt sind, demokratische Organisationen zu sein.