Die GEW informiert

Bildung kostet Geld

Kurz vor der Sommerpause hat der Senat beschlossen, in den nächsten drei Jahren über 1000 Lehrerstellen einzusparen. Weitere Kürzungsmaßnahmen im Sach- und Lernmittelbereich kommen dazu. Die an sich notwendigen Stellen für 12000 zusätzliche SchülerInnen, die Hamburg in den nächsten drei Jahren erwartet, sollen durch ein Paket von Verschlechterungen in den Schulen aufgefangen werden. Der wesentliche Anteil dabei ist die Erhöhung der Pflichtstundenzahl der Lehrer. Die Arbeitszeitverlängerung würde neben der höheren Belastung von LehrerInnen eine weitere absurde Wirkung haben: Sie würde ein gewaltiges Umsetzungskarussell zwischen den Schulen und Schularten in Gang setzen. Wieso? Die steigenden Schülerzahlen werden sich zunächst dramatisch an den Grundschulen niederschlagen. Diese haben aber schon jetzt ein Lehrerdefizit. Die Grund- und Hauptschullehrer sollen aber aufgrund ihrer hohen Unterrichtsstundenzahl keine Pflichtstundenerhöhung verordnet bekommen - wenigstens hier ein Sieg der Vernunft -, d.h. dort steht keine zusätzliche Unterrichtskapazität zur Verfügung, wenn man keine Neueinstellungen vornimmt. Die jedoch sind politisch nicht gewollt. Laut Behördenrechnung werden nun aber an den Gymnasien und Berufsschulen durch die Unterrichtsstundenerhöhung "Lehrerüberhänge" frei. An den Gesamtschulen gilt dieses für die alten Schulen, nicht für die neuen, die sich noch im Aufbau und Wachstum befinden. Die Planungen gehen jetzt in folgende Richtung: Berufsschullehrer mit Grund-, Haupt- und Realschulqualifikation sollen an eben diese Schulen und an Gesamtschulen, Gymnasiallehrer an Gesamtschulen und Gesamtschullehrer mit GHR-Qualifikation an Grundschulen umgesetzt werden. Und das alles in einem gewaltigen Umfang, die GEW rechnet mit mehreren hundert LehrerInnen. Landschulrat Peter Daschner ist zur Zeit dabei, die Schulleitungen auf die Umsetzung solch unpopulärer Maßnahmen einzuschwören. Auf einer sehr gut besuchten Vertrauensleuteversammlung in der letzten Woche waren sich die GEW-VertreterInnen der Schulen einig, daß sie diese Angriffe auf ihre Arbeitsbedingungen und die Kürzungen im Bildungsbereich nicht hinnehmen werden. Die der Senatspolitik zugrunde liegende Einschätzung, daß Bildung zu teuer geworden ist und es deshalb in den nächsten Jahren zu Standardsenkungen kommen muß, wird von den GEW-VertreterInnen nicht geteilt. Für die Kürzungsmaßnahmen im Bildungsbereich gibt es in der Hamburger GEW keine Akzeptanz. Deshalb haben die Vertrauensleute beschlossen, in eine Diskussion darüber einzutreten, wie sie durch punktuelle Verweigerungsstrategien die Kürzungsmaßnahmen transparent machen und behindern können. Ob es darüber hinaus zu weitergehenden Kampfmaßnahmen kommt, wird in den Betriebsgruppen an den Schulen weiter diskutiert und auf einer Vertreterversammlung im Oktober beraten. Beschlossen wurde weiterhin, Arbeitsversammlungen zu den Themen "Andere Lehrerarbeitszeitmodelle" "Selbstverwaltung der Schulen" "Haushaltskrise in Hamburg: Mitsparen oder Gegensteuern" "Sabbat-Jahr-Modell" durchzuführen. Zur Abstimmung weiterer gemeinsamer Aktivitäten wird die GEW mit den Bündnispartnern und Elternorganisationen und der SchülerInnenkammer umgehend die Gespräche fortführen. Anna Ammonn, Pressesprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 30.9.

Stellungnahmen zum Focus-Artikel Hafenrand-Verein: Die Tatsache, daß seit sechs Jahren monatlich 50000 DM für einen eventuellen Abriß der Hafenstraßen- Häuser ausgegeben werden, während sozialen Einrichtungen die Mittel bis zur Existenzbedrohung gekürzt werden, finden wir skandalös. Während z.B. die MitarbeiterInnen des "Kinderhauses am Pinnasberg" ihre Ausstattung selbst vorfinanzieren müssen, weil die Stadt angeblich weder Finanzmittel zur Verfügung hat noch kreditwürdig ist, werden die Steuergelder in die alten Psychosen einiger Politiker investiert. Wir fordern den sofortigen Stopp der Zahlungen an die Abrißfirma. Die Gelder sollen stattdessen an die Genossenschaft St. Pauli Hafenstraße zur Sanierung der alten Häuser bzw. zur Finanzierung sozialer Einrichtungen im Viertel zufließen. Es ist höchste Zeit, daß die Häuser an die Genossenschaft übergeben werden. Hafenrand-Verein für selbstbestimmtes Leben und Wohnen in St. Pauli e.V., 30.9.94

Plenum Hafenstraße: Seit Bestehen der Hafenrand GmbH zahlt der Senat monatlich 50000 DM an eine Abrißfirma, inzwischen weit über 3 Mio DM. Wir sind nicht bereit, durch unsere Mietzahlungen die Abrißfirma mitzufinanzieren. Die monatliche Nutzungsentschädigung von 13000 DM zahlen wir ab sofort nicht mehr an die Hafenrand GmbH, sondern werden fortan das Geld auf ein Sonderkonto der Genossenschaft überweisen. Wir verwalten unsere Häuser selbst und werden von unserem Geld die Verbrauchskosten selbst bezahlen, wie das mit dem Strom eh schon seit langem der Fall ist. Wir wollen die Überschreibung der Häuser und Grünflächen an die Genossen schaft! Die seit langem überfällige Sanierung der Häuser kann nur auf der Grundlage einer Übertragung der Häuser an die Genossenschaft stattfinden!

Antifa Walddörfer an Redaktion MoPo Betrifft: Türkeireise betr.: "MOPO sucht Hamburgs freundlichste Bedienung" Sehr geehrte RedaktionsmitgliederInnen der Hamburger Morgenpost! In der Ausgabe der MOPO vom 8.10.94 entdeckten wir Ihr neues Gewinnspiel "MOPO sucht Hamburgs freundlichste Bedienung". Die Idee ist relativ kreativ, mal wieder eine Abwechslung, man kann etwas gewinnen; eigentlich ist daran nichts auszusetzen. Doch wenn man die Gewinne einmal näher betrachtet, entdeckt man mit Entzen, daß es als zweiten und dritten Preis jeweils einen 4-Tage-Trip nach Istanbul zu gewinnen gibt. Inzwischen müßte doch fast jedes Kind, aber zumindest die Redaktion der MOPO mitbekommen haben, daß sich Istanbul in der Türkei und somit in dem Staat befindet, der seit etwa 10 Jahren versucht, die "30MillionenMinderheit", das kurdische Volk, systematisch auszurotten. Die türkische Armee ist inzwischen mit einem Aufgebot von 500000 Sicherheitskräften in der Ost-Türkei vertreten. Täglich werden kurdische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und die BewohnerInnen vertrieben, täglich werden alle Menschen, die öffentlich das Recht auf Selbstbestimmung für das kurdische Volk einfordern, schikaniert, festgenommen oder gefoltert, täglich werden neue Menschen auf beiden Seiten verwundet oder getötet, und ebenfalls jeden Tag fließen neue Devisen, hauptsächlich Einnahmen aus dem Tourismus (an dem die Türkei jährlich umgerechnet einige Milliarden DM verdient), in die Staatskasse der Türkei. Fast 50 Prozent dieses Staatshaushaltes werden inzwischen für den Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk verwandt. Aus diesen Gründen fordern wir die Redaktion der Hamburger Morgenpost auf, die beiden Istanbul-Trips sofort zu stornieren und in einer der nächsten Ausgaben zu diesem Fehltritt eine Stellungnahme zu veröffentlichen. Mit freundlichen Grüßen, Antifa Walddörfer (Quelle: CL-Netz Hamburg)

Demo in Harburg (6.10.) Was viele Städte längst ereilt hat, greift nun auch in Harburg, einst "Schmuddelkind" Hamburgs, um sich: "Yuppies" prägen mitsamt ihrer Kultur mehr und mehr das Gesicht der Stadt, Edel-Restaurants schießen aus dem Boden, neue Gebiete sollen für den Bau exklusiver Apartements erschlossen werden usw. Diese Entwicklung war für einige Harburger Linke Anlaß, für den 6.10. zu einer Demo gegen Bonzen und Bullen sowie Herrschaft generell aufzurufen - unangemeldet, versteht sich. Letzteres sollte der Demo dann auch ein baldiges Ende bescheren: Während sich der Busbahnhof Harburg ab 18 Uhr nach und nach mit Demonstranten füllte, rückte die Polizei mit mehreren Bussen an und versuchte, das "Ausrücken" der Demonstranten zu verhindern. Dabei standen ihr seltsame Fallgitter zur Seite, die auf einmal die Tunnel zum S-Bahnahof auch für "Normalpassanten" verspertten. Über einen Umweg gelang es den knapp über 50 Demonstranten, die größtenteils aus Harburg stammten, dann dennoch, den Bahnhof zu verlassen. Ein Glück, das nur kurz währen sollte, denn am Harburger Ring erwarteten mehrere Wannen die zeitweise rennenden Demonstranten und verfrachteten ca. 20 von ihnen ins Polizeirevier Neugraben. Der Rest zerstreute sich; einige fuhren nach Neugraben, um dort gegen 22 Uhr die soeben Freigelassenen in Empfang zu nehmen. (Den "Verbringungsort" sowie die Haftdauer von drei bis vier Stunden hatte ein Polizist nach der Verhaftungsaktion gegenüber einem knapp Davongekommenen genannt. Überhaupt waren die Polizisten der Neugrabener Wache eher freundlich und kooperativ, vielleicht weil sie sonst eher die Arbeit von "Dorfpolizisten" verrichten und das "Feindbild Demonstrant" noch nicht verinnerlicht haben.) (Bericht aus Harburg)

Transrapid: nach Beschluß steigen die Kosten Am 13. Oktober werden die Bundesrepublik Deutschland, AEG, Deutsche Bahn AG, Dyckerhoff & Widmann Bau GmbH, Hochtief AG, Philipp Holzmann AG, Siemens AG und die Thyssen Industrie AG in Schwerin die Magnetschnellbahn-Planungsgesellschaft mbH gründen. Diese soll die für das Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren nötigen Unterlagen für die Magnetbahnstrecke Hamburg- Berlin erstellen. Nachdem das Magnetbahnplanungsgesetz im September vom Bundesrat verabschiedet worden war, wollen die Konzerne jetzt schnell Fakten schaffen. Zugleich geht aus dem von der Deutschen Bank AG vorgelegten Finanzierungskonzept hervor, daß die Betreiber in der politischen Debatte zur Durchsetzung des Transrapid-Projekts mit geschönten Zahlen gearbeitet haben: So wurden die Kosten für die bundeseigene Fahrwegsgesellschaft stets mit 5,6 Mrd. DM, für die private Betreibergesellschaft mit 3,3 Mrd. DM angegeben. Nach dem Konzept der Deutschen Bank erhöhen sich die Kosten für die Investitionen durch Inflations- und Bauzeitzinseffekte insgesamt auf 12,2 Mrd. DM gegenüber den bisher gehandelten 8,9 Mrd. DM. Davon entfallen auf die Fahrwegsgesellschaft 7,4 Mrd. DM (+1,8 Mrd.) und auf die private Betreibergesellschaft 4,8 Mrd. (+1,5 Mrd.). Anteilseigner der privaten Betreibergesellschaft (MSB) mit einem Aktienkapital von 1,5 Mrd. DM sind Lufthansa und Bahn mit 300 Mio. DM, eine Banken- und Versicherungs-Holding mit 200 Mio. DM und eine Industrie- und Bauindustrie- Holding mit 500 Mio. DM. Weitere 500 Mio. DM sollen von privaten und institutionellen Investoren erbracht werden, denen als Anreiz u.a. eine nachzahlbare Vorzugsdividende von 14% für die ersten 12 Betriebsjahre der Bahn garantiert wird. Während die Kosten für den Bund bereits jetzt definitiv gestiegen sind, sind bei wirtschaftlichem Mißerfolg zumindest weitere Belastungen durch steuerliche Verlustabschreibungen der beteiligten Konzerne für die öffentlichen Haushalte angesagt. -(Handelsblatt, 8.10.94 - ulj)

IG Medien legt neues Pressegesetz vor

Demokratie statt

Hierarchie

Die Pressefreiheit droht zwischen der monopolistischen Kapitalmacht der Verleger und zunehmender staatlicher Gewalt vollends zerrieben zu werden. Gegen diese Entwicklung legt die IG Medien ein neues Pressegesetz vor, das sie am 27. Oktober unter dem Titel "Demokratie statt Hierarchie" vorstellen und diskutieren will. Wir dokumentieren leicht gekürzt einen Artikel aus der feder Hamburg.

() Journalistische Unabhängigkeit ist kein Schlagwort, sondern immer noch ein Ziel, für das sich zu kämpfen lohnt. Deshalb hat die IG Medien Forderungen nach Redaktionsstatuten noch nicht aufgegeben, wohl wissend, daß der Weg dahin lang und steinig ist. Demokratie statt Hierarchie ist unsere Devise. Da wir aber von den Verlegern nichts geschenkt bekommen, haben wir unsere Forderungen in Entwürfe für demokratische Landespressegesetze hineingeschrieben. In Kiel hat die IG Medien dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Gert Börnsen ein Exemplar überreicht. Dort war ein aktueller Anlaß gegeben: Der Landtag muß (wie alle anderen Landtage) das Pressegesetz ändern und den verschärften Strafverfolgungsvorschriften für pornografische Darstellungen anpassen. Hamburg wird demnächst nachziehen müssen. Wir sehen uns gezwungen, in einem Gesetz festzuschreiben, was selbstverständlich sein sollte, im Alltag aber oft nicht ist: Kein Journalist darf veranlaßt werden, Beiträge zu verfassen, die seiner Überzeugung widersprechen. Und da es auch mal Meinungsverschiedenheiten über geschriebene Artikel gibt, sollte ein Schlichtungsausschuß helfen, daraus entstehende Konflikte zu lösen. Wir wollen auch Mitsprache bei der Einstellung oder Abberufung von Chefredakteuren - das ärgert die Verleger übrigens am meisten. Damit aber nicht genug: Wir verlangen auch, daß Zeitungen und Zeitschriften in regelmäßigen Abständen offenlegen, wer am Unternehmen wirtschaftlich beteiligt ist. Fast unbemerkt, so scheint es, konzentriert sich immer mehr Meinung bei einem kleiner werdenden Kreis von Verlegern und Medienkonzernen. Die Konzentration von Medienmacht in der Hand weniger - anonymer - Konzerne macht es Journalisten, aber vor allem Leserinnen und Lesern immer schwerer zu erkennen, welche Informationen ihnen aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung gegeben oder vorenthalten werden. Ebenso wichtig: die publizistische Richtlinie der Zeitung oder der Zeitschrift. Unser Gesetzentwurf verlangt, die Grundsätze publizistischer Haltung (und ihrer Énderung!) im Impressum zu veröffentlichen und sie darüber hinaus zum Bestandteil von Arbeitsverträgen zu machen. Weil es in einem Pressegesetz nicht nur um Ansprüche und den Schutz journalistischer Arbeit, sondern auch um den demokratischen Anspruch geht, sich über "Fragen allgemeinen Interesses zu unterrichten und an deren Fortentwicklung mitwirken zu können" (so in fast allen Pressegesetzen), haben wir unter "Sorgfaltspflicht der Presse" eine Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma aufgenommen : "Die Berichterstattung ist entsprechend Artikel 3, Absatz 3 und Artikel 1 GG so zu halten, daß sie nicht diskriminierend und vorurteilsschürend wirkt. Insbedere darf bei Berichten über Beschuldigte einer Straftat nicht auf deren mögliche Zugehörigkeit zu einer ethnischen, regiösen oder sexuellen Minderheit oder auf die Hautfarbe hingewiesen werden, ohne daß für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein zwingender Sachbezug besteht." Demokratie statt Hierarchie. Do, 27.10., 19.30 Uhr, Filmhaus (Seminarraum), Friedensallee 7

Diskussion über "Abwehr des Rassismus"

Eher flop als top

Einige Edelmarxisten waren auch im Zelt auf dem Rathausmarkt bei dem Abschlußforum des Vielvölkerforums am letzten Sonntag. Diskutiert werden sollte über "Abwehr des Rassismus". Einer der philosophisch angehauchten Edelmarxisten wollte vom Podium wissen, ob es nicht etwas Gemeinsames gäbe, das alle Menschen einte, die die Herrschaft des Menschen durch den Menschen abschaffen wollten. A. Nenoubamdjum von der Initiative schwarzer Deutscher brachte ihn auf den neuesten Stand der Diskussion: "Es gibt drei Machtinstrumente, den Rassismus, den Sexismus und den Klassismus." Die gelte es auseinanderzuhalten. Mag sein, daß es manchmal sinnvoll ist, diese drei Herrschaftsideologien auseinanderzuhalten. Tatsache ist jedenfalls, daß sie empirisch eng zusammenhängen: Rechtsorientierte Personen weisen gleichzeitig hohen Rassismus, hohen Sexismus und hohen Klassismus auf. Die moderne Basis für solche Denkverirrungen ist die Gleichsetzung von Personen mit Objekten, die Verdinglichung des Bewußtseins, wie Georg Lukacs die Annäherung des Denkens an die Struktur des Geldes nannte. Lange bevor diese typische Bewußtseinsform des Spätkapitalismus zur Ausprägung rassistischer, sexistischer und klassistischer Ideologien führt, untermininiert es die Dialogfähigkeit der Menschen und engt das Bewußtsein auf die jeweils eigenen Probleme ein. Das Podium im Forumszelt lieferte im Laufe der Diskussion den Beweis, daß es auch selbst nicht frei ist von jenen Bewußtseinsverzerrungen, die es, so sie sich rassistisch äußern, bekämpfen wollte. Die Podiumsdiskutanten vertraten unterschiedliche antirassistische Strategien, gingen aber auf die untereinander abweichenden Positionen nicht ein, um die verschiedenen Positionen aneinander anzunähern: Stattdessen simulierten sie eine nicht vorhandene Einigkeit, und jeder redete auf das etwa 80köpfige Publikum ein. "Im antirassistischen Kampf", so Mehmet Calli von der DIDF, der Föderation der demokratischen Arbeitnehmervereine, "arbeiten viele aneinander vorbei." Soll das anders werden, gilt es erst einmal, nicht mehr aneinander vorbei zu reden. Mehmet Calli meinte, deutsche Antifaschisten sollten sich auch dem Kampf seiner Organisation gegen türkische Faschisten wie die Grauen Wölfe anschließen. Schließlich beteiligten sich auch Türken und Kurden an Aktionen gegen die DVU. Ansonsten plädierte er für die Abschaffung des institutionalisierten Rassismus im Ausländerrecht und in der Verfassung. In eine ähnliche Kerbe schlug auch Ravindra Kamath vom Indischen Sozialdienst. Er betonte, wie schwer es für Migranten sei, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, daß nicht einmal der Ausländerbeauftragte der Hansestadt das Wort Rassismus in den Mund nehme und daß Migranten auf politischer Ebene zu wenig vertreten seien. Wie solche Forderungen durchzusetzen wären, darüber sagten die beiden aber nichts. Eine deutlich andere Linie fuhr Alexander Nenouamdjum. Für ihn ist der Rassismus vor allem ein Erziehungsproblem und eines der Sprachpflege. Wörter wie "Negerkuß" müßten aus dem Sprachverbrauch verschwinden, Kinderbücher und Lehrbücher vermittelten immer noch rassistische Inhalte. "Es geht nicht an, daß im Kindergarten immer noch >Zehn kleine Negerlein< gesungen wird." Bei derart abgeschmacktem Rousseauschen Erziehungspathos erinnert sich der Verfasser denn doch an Marx, der angesichts ähnlicher Vorstellungen im letzten Jahrhundert bereits gefragt hatte: "Wer erzieht eigentlich dann den Erzieher?" Erdem Mahmut, GALier und vom Forum als Moderator bestellt, bot als solcher jedenfalls eine jämmerliche Leistung. Statt die Podiumsteilnehmer in ein konstruktives Gespräch zu verwickeln, beschränkte er sich darauf, das Wort zu erteilen und gelegentlich seine eigene Meinung auszublubbern. Bemerkenswert höchstens seine Ausfälle gegen VVN und Antirassistisches Telefon, die sich geweigert hatten, Vertreter für eine Diskussion "im Rahmen einer folkloristischen Veranstaltung" zu schicken. Allerdings war die Abwesenheit von Vertretern dieser Organisationen tatsächlich zu bedauern. Vielleicht hätten sie etwas Farbe in die fade "Diskussion" gebracht. Die anwesenden Edelmarxisten zogen jefalls nicht nur kopfschüttelnd, sondern auch gelangweilt von dannen. -(Im Bewußtsein der eigenen Verdinglichung: thomas kilian)

Wahlkampf

impressionen

"Oh, gibt's die PDS auch im Westen?" - diesen Standardspruch aus dem Europawahlkampf hört man heute nicht mehr. Im Gegenteil, die PDS ist das Wahlkampfthema Nr. 1 in den Medien geworden - nicht nur im Osten. Das macht sich auch im gesteigerten Interesse in Hamburg bemerkbar, die PDS live zu erleben, sei es an einem der zahlreichen Infotische, den gutbesuchten Veranstaltungen, die von uns organisiert wurden, vielen Einladungen zu Veranstaltungen in Schulen oder anderswo bis hin zu Interviewwünschen. Von Politikverdrossenheit, über die sich die anderen Parteien in greinender Publikumsbeschimpfung ergehen (keiner interessiert sich für uns), keine Spur. Sollte es daran liegen, daß die Interessen der Menschen bei den etablierten Parteien nicht so recht vorkommen? Dies war z.B. auch bei den vielen "Elefantenrunden", meist von SchülerInnen für SchülerInnen organisiert, zu beobachten, bei denen sich VertreterInnen aller im Bundestag vertretenen Parteien (CDU, FDP, SPD, Grüne/ Bündnis 90 und die PDS) den JungwählerInnen präsentier(t)en. CDU und FDP produzier(t)en nur leere Sprechblasen, nach dem Motto "Weiter so, Deutschland". Wir machen das schon für Euch. Darüber kann auch die blendende Rhetorik der Wahlkampflokalmatadoren nicht hinwegtäuschen. Leider trifft ihre Kritik an sozialdemokratischen oder grünen Reförmchen: Es erscheint dem Publikum nicht recht plausibel, daß sich etwas ändern könnte. Die Konzepte der SPD, so müssen auch ihre VertreterInnen zugestehen, unterscheiden sich in wesentlichen Punkten nicht von denen der CDU. Das ist halt der Sachzwang, über den auch der Fleiß der GenossInnen nicht hinwegtäuschen kann. Ernster werden da schon die Grünen genommen, denen der Reformwille zumindest abgenommen wird. Dafür geraten sie über die soziale Frage ins Trudeln, wenn es etwa um die ökologische Steuerreform und die Erhöhung der Mineralölsteuer geht - Politik, die von Besserverdienern ausgeht. Für die FDP interessiert sich eigentlich niemand. Sie sind nur dabei, weil es sie halt immer noch gibt, und VeranstalterInnen und Publikum scheinen sich darin einig, daß man hofft, sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr einladen zu müssen. Daran kann auch das Aufgebot an alten sozialliberalen Haudegen nichts ändern. Wirtschafts- und Sozialpolitik stand fast immer im Mittelpunkt des Interesses. Die linkskeynsianischen Vorschläge der PDS: Arbeitszeitverkürzung, Finanzierung von Arbeit anstelle von Arbeitslosigkeit und Ausbau der demokratischen Rechte für die Arbeitenden, wecken jedoch nur mäßigen Kompetenzverdacht. Auch der Hinweis auf nötige Umverteilung von oben nach unten wird stillschweigend zur Kenntnis genommen. In Hamburg stellen wir mit gerade 300 Mitgliedern und bislang ohne Wahlerfolge noch keine gesellschaftliche Kraft dar, die von den anderen Parteien ernstgenommen werden muß. Dies ist auch ihre Linie im lokalen Wahlkampf: Bloß nicht auf PDS- Argumente eingehen. Dann könnte bemerkt werden, daß sie zumindest besser als die eigenen sind. Mehr Erfolg haben wir dagegen mit Themen wie Antirassismus, Militarisierung oder auch beim Thema Ökologie. Unsere radikalen Vorschläge auf diesen Gebieten sind als notwendige Alternativen deutlich erkennbar. Und auch der Appell, das eigene Engagement nicht mit der Stimmabgabe zu beenden, sondern sich eigentätig für seine Interessen einzusetzen (Veränderung beginnt mit Opposition), hebt sich wohltuend ab vom Stimmenfang der anderen (wählt uns, wir richten's schon). Völlig out ist der plumpe Antikommunismus der CDU - ihre Hamburger Wahlkämpfer frönen dieser antiquierten Geisteshaltung offensiv auch nur in Ausnahmefällen. Dafür werden sie von allen Seiten - von den ModeratorInnen, dem Publikum und anderen ParteienvertreterInnen - ob der Schlammschlacht der CDU-Zentrale in die Ecke getrieben. Und sie winden sich, weil sie sich dann doch nicht von ihrer Zentrale distanzieren können und wollen. Die SPD-VertreterInnen echauffieren sich in besonderer Weise, fühlen sie sich doch von der "Rote-Sokken-Kampagne" besonders getroffen, weil auch sie nicht von antikommunistischen Vorurteilen frei sind. Der Politik- und Geschichtsunterricht an Hamburger Schulen ist so gut, daß der Vorwurf der rotlackierten Faschisten als feiste Geschichtsklitterung und Relativierung des Faschismus zum Zwecke der "Normalisierung" deutscher Geschichte empört zurückgewiesen wird. Diese Beobachtungen des Wahlkampfs sind sicher subjektiv. Dennoch: Die etablierten Parteien bekommen mit ihren Politikkonzepten die gesellschaftlichen Probleme ganz offensichtlich nicht mehr in den Griff. Das zumindest scheint den Menschen allmählich klar zu werden. Damit sind gute Ansatzpunkte für linke Politik gegeben. Inwieweit solche Erkenntnis zu entsprechenden Handlungen führt, wird auch am Wahlergebnis für die PDS am Sonntag abzulesen sein. Wir dürfen gespannt sein. Eins steht jedoch jetzt schon fest: Die PDS ist im Wahlkampf in Hamburg bekannter geworden. Markus Gunkel

Volksfest am Mönckebrunnen Seit zehn Jahren traute sich Kohl erstmals wieder in Hamburg auf die Straße. Doch vergebens - während er sich in einem abgezäunten Areal vor geladenen Gästen produzierte, waren rundherum zahlreiche Menschen erschienen, um dem Kanzler die rote Karte zu zeigen: Mit Sprechchören und Trillerpfeifen wurde vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Der Kanzler hat, wenn man dafür sorgt, daß man seine skandalösen Éußerungen nicht hören muß und er nur von weitem im Scheinwerferlicht zu erblicken ist, durchaus Unterhaltungswert: Er ist täuschend echt der ZAK-Puppe nachempfunden. Die Stimmung bei einem gewonnenen Heimspiel von St.Pauli könnte nicht besser sein. Eigentlich erstaunlich, daß kein fliegender Händler dieses public event mit Bier- und Würstchenverkauf abrundete. Auch die unnötige Polizeipräsenz konnte die Stimmung nicht trüben. So bescherte der Kanzler der demokratischen Öffentlichkeit einen netten Abend, an dem das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden werden konnte: kostenlose Unterhaltung und politische Demonstration. Da fragt man sich fast, ob man es bedauern sollte, wenn Kohl gegen Scharping ausgetauscht werden sollte: Welchen Unterhaltungswert hat Ziege im Vergleich zu Birne? An der Notwendigkeit demokratischer Opposition veränderte sich nichts. -(mg)

Demo am Wahlabend: Parlamentarismus abschaffen! Wir haben genug von dieser kapitalistischen, verlogenen HändehochDemokratie. Politiker versprechen uns das Blaue vom Himmel, um ihre Macht noch weiter auszuweiten. Sie benutzen unsere Stimmen; doch sie fragen nicht, was wir wollen. Unsere Meinung zählt nichts in diesem System, in dem wenige etablierte Parteien ihre Macht über uns ausspielen und so eine immer mehr rassistische, faschistische und nationalistische Politik durchsetzen. Wo kann sich jede/r einzelne mit diesen Parteien und Augenwischereien identifizieren? Wann werden wir gefragt? Das Wahlrecht, welches ein Großteil unserer Mitmenschen nicht einmal besitzen, soll uns das Gefühl geben, mitzubestimmen an dieser Politik, die die im Parlament vertretenen Parteien mit uns treiben. In diesem System herrschen wenige über uns alle. Das darf nicht so bleiben! Wir fordern volles Mitbestimmungsrecht für alle! Wir brauchen keine Politiker und andere Bonzen, die überflüssige Entscheidungen treffen, denn wir können selbst über unser Leben entscheiden. Wir fordern die Abschaffung von Parlament und Parteien, denn wir können uns selbst organisieren! Wir brauchen dieses beherrschende, rassistische, faschistische System nicht. Kommt alle zu einer lauten, lustigen, bunten Demo am Sonntag, 16. Oktober 1994 17 Uhr, GerhartHauptmannPlatz! Danach: AntiWahlParty (Flugi vom Vorbereitungstreffen)

Schluß mit dem Treiben deutscher Nazis in DK! Für den 15. Oktober, 15.00 Uhr, ruft ein breites Spektrum antifaschistischer Gruppen aus Dänemark und Norddeutschland zu einer dänisch-deutschen Großdemonstration in Kollund (DK) auf, gegen die dänisch-deutsche Nazi-Connection.

Abfahrt der Busse aus Hamburg: 10.00 Uhr Bahnhof Sternschanze

6. FriedenspädagogInnen-Kongreß

Bericht über die

Arbeit der AG 1

Zu Beginn referierte Lorenz Knorr ("Krieg im ehemaligen Jugoslawien", vgl. Lokalberichte 20, S.10/11, wo seine Thesen abgedruckt sind) über die Ursachen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, zu denen er vor allem die sozio-ökonomischen Probleme und ihre politische Verarbeitung zählte: - Am Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise stand der negative Aspekt des Bruchs mit Stalin: die Abhängigkeit des Landes vom Kapitalismus, die die spätere Krise verschärfen sollte. - Die Arbeiterselbstverwaltung konnte kein Gegengewicht bilden; sie scheiterte vielmehr selber an Betriebsegoismen. - Ökonomische Divergenzen innerhalb des Staatsgebietes konnten auch durch interne Ausgleichsmaßnahmen nicht behoben werden. Dadurch, daß die Führungen der jugoslawischen Republiken die ideologische Bindekraft des Sozialismus durch den Nationalismus/Separatismus ersetzten (der serbische Nationalismus war aus naheliegenden Gründen am ehesten am Erhalt des bestehenden Staatsverbandes interessiert), steuerten sie auf den Krieg zu. Die deutsche Außenpolitik wirkte in dieser Entwicklung krisenverschärfend und verband mit ihrem Eingreifen vielmehr Interessen an einer stärkeren außenpolitischen Position. Lorenz Knorrs Ausführungen wurden an mehreren Stellen durch E. Hardten (Balkanologe aus Berlin) ergänzt. Die darauffolgende Diskussion - ausgehend von der Frage: "Woher kommt der Haß?" bzw. "Woher kommt die Angst?" - stand unter der Prämisse, daß es unzulässig sei, sich auf die Kategorie des Nationalen als Kriegsursache einzulassen. Stattdessen waren die Beiträge durch antinationale Gesichtspunkte bestimmt: so wurde darauf hingewiesen, daß die nationalistische Einstellung der Bevölkerung besonders von Vertriebenen in Jugoslawien getragen wurde, daß die föderalen Geheimdienste Desinformation verbreiteten, daß der betriebliche Egoismus als Depravationsform der Arbeiterselbstverwaltung dazu beitrug, dem nationalistischen Denken den Boden zu bereiten. Ihre besondere Qualität erhielt die Diskussion dadurch, daß die TeilnehmerInnen sich nicht dazu verleiten ließen, von außen das Handeln der "Wilden" auf dem Balkan zu kommentieren und ggf. mit guten Ratschlägen zu begleiten, sondern die Problematik, die dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien offenbar zugrundeliegt, auf Deutschland zurückzubeziehen. Es wurde darüber gesprochen, daß die soziale Desintegration auch hier die Gefahr beinhalte, entsolidarisierend zu wirken (in Jugoslawien erreichte die Entsoldidarisierung die Endstufe, die Barbarei); von hier aus ging es weiter zu der Frage, wie bei uns, v.a. gegenüber Jugendlichen (es handelte sich um einen PädagogInnen-Kongreß!), entgegengewirkt werden könne, z.B. indem die Undurchschaubarkeit der sozialen Prozesse auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit und die hieraus resultierenden Unterschiede zurückgeführt wird. So kam die Diskussionsrunde aus der Erkenntnis, die Probleme Jugoslawiens nicht im Hauruck-Verfahren lösen zu können, auf die Misere im eigenen Land zurück. Der Kampf gegen den Nationalismus im eigenen Land schien die am ehesten praktikable Möglichkeit, von hier aus etwas dazu beizutragen zum Frieden im ehemaligen Jugoslawien: ein langer Weg, aber wohl der einzig realistische. - Forderungen an hiesige Parteien zu stellen (so lautete einer der Arbeitsaufträge an die AG), schien dem überwiegenden Teil der Runde dagegen illusorisch. -(lz)

In eigener Sache Die wachsende Zahl derjenigen, die an den Lokalberichten mitarbeiten oder Beiträge zusenden, hat die Redaktion veranlaßt, ihre Arbeitsweise zu überdenken. Die Redaktionsarbeit wird künftig z.T. arbeitsteilig nach den Rubriken "Aktuelles", "Kultur & Termine" sowie "Hintergrund und Diskussion" vorgenommen. Die Zeitung soll kein Produkt weniger Spezialisten sein, vielmehr ist breite Beteiligung und Förderung publizistischer Selbsttätigkeit der Leserschaft wesentliches Interesse der Herausgeber. Bei Wahrung des weitestmöglichst freien Zugangs aller an Veröffentlichungen Interessierten erscheint es doch nötig, insbesondere für die Abteilung "Hintergrund und Diskussion" die Beachtung einiger Grundsätze für eingereichte Beiträge zu erbitten: -Vorrang sollten Themen haben, die einen Bezug zur lokalen politischen Auseinandersetzung in Hamburg haben. -Die notwendige Begrenzung des Gesamtumfangs der Zeitung und die ebenfalls nötige Wahrung der Aktualität und Vielseitigkeit gebieten es, den Umfang von Artikeln mit Hintergrundinformationen oder zu Grundsatzdiskussionen nach Möglichkeit zu begrenzen. Wenn es möglich ist, solche Beiträge etwa auf eine Seite (ca. 6500 Zeichen) zu bringen, wird dies in vielen Fällen auch ihre Lesbarkeit verbessern. Die soll natürlich die Veröffentlichung längerer Artikel nicht grundsätzlich ausschließen. -In Abstimmung mit den Autoren kann es sinnvoll sein, mehrere Diskussionsbeiträge schwerpunktmäßig zusammenzufassen oder den Veröffentlichungstermin mit aktuellen Notwendigkeiten abzustimmen. Mittelfristig wollen wir eine Liste mit Vorschlägen für Schwerpunktthemen veröffentlichen, auf die sich Interessierte länger vorbereiten können. Solche Themen sind z.B. durch historische Daten, die in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen, bedingt (z.B. 8.Mai 1994- 50 Jahre Sieg über den Faschismus). -(ulj)

In den Jahren 1992, 93 und 94 hat eine Reihe Hamburger Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an Delegationsreisen in den türkischen Teil Kurdistans teilgenommen. Eingeladen hatte die Erdöl- und Chemiearbeitergewerkschaft der Türkei (Petrol Is) sowie der Menschenrechtsverein Batman (eine Erdöl- und Industriestadt ca. 120 km östlich von Diyarbakir). Die Besuche bei verschiedenen kurdischen Vereinen, Zeitungen und Organisationen, Gewerkschaften und Betrieben, Fahrten in Städte und Dörfer sowie Gespräche mit vielen einzelnen Menschen haben einen Eindruck vermittelt, wie das kurdische Volk im Alltag lebt, aber vor allem auch, wie es durch Militär und staatliche Bürokratie unterdrückt wird. Besucht wurden die Städte Istanbul, Diyarbakir, Baykan, Cizre, Kozluk und Sirnak sowie mehrere Dörfer. Einige Dörfer waren kurz vor den Besuchen von türkischem Militär angegriffen und teilweise zerstört worden. Die Ausstellung gliedert sich in folgende Themen: Besuche bei Gewerkschaft Petrol Is, Batman Zeitungen Yeni Ülke (1992) und Özgür Gündem (1993), Istanbul, beide inzwischen verboten Patriotischer Frauenverein, Istanbul und Batman Kurdisches und Mesopotamisches Institut, Istanbul Menschenrechtsverein, Batman Bürgermeister der Städte Cizre, Kosluk und Baykan Arbeit und Leben der Bauern und Nomaden Arbeit im Kleinbetrieb und in der Erdölindustrie Kinderarbeit - Kinderelend Frauen im Wandel Dorfgemeinschaft - Dorfzerstörung Folter, Verfolgung, Ermordung Unterdrückung nationaler und religiöser Minderheiten Fremd im eigenen Land - Flucht in überfüllte Städte Kurdistan - ein besetztes Land Deutsche Waffenlieferungen an die Türkei Fluchtbewegung - Kurden in Europa. Genießen politisch Verfolgte Asyl? Dazu gibt es eine Veranstaltung:Dienstag, 18.10. Vorstellung, Diskussion, Fragen zur Ausstellung 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Foyer des DGB-Hauses

TIPS & TERMINE

FREITAG, 14. OKTOBER

DENK MAL Sozialer Gerechtigkeit! Informationen und Aktionen gegen Umverteilung von unten nach oben, gegen Angriffe auf Arbeitnehmer/ innenrechte, gegen Ausgrenzung und Diffamierung von Armen. 10.00 Uhr Demonstration ab Gewerkschaftshaus zum Gänsemarkt. Anschließend Informationen und Aktionen. 11.30 Uhr Abschlußkundgebung. Es spricht Erhard Pumm, DGB

VVN-Mitgliederversammlung Thema u.a.: Politische Justiz - politische Gefangene am Beispiel Irmgard Möller. 18.00 Uhr, Haus für Alle, Amandastr. 58

Pillen, Planer und die Zukunft des Planeten - Gegenbilder Filmarchiv Frauen/Filmbüro. Eine Veranstaltung in der Reihe "Zwischen den Filmen" 19.00 Uhr, Filmhaus Foyer, Gaußstr. 15

Arie Goral: An der Grenzscheide - Kein weg als Jude und Deutscher? Eine aktuelle Auswahl von Texten Arie Gorals im Kampf um Integration als Deutscher und im Widerstand gegen Assimilation als Jude. Deutscher Jude - aber wie und mit wem und für was? Deutsches Judentum - wo und wer? Deutschland - Weltmeister der Restauration? Was blieb nach der Shoah? Fragen auf der Suche nach autonomer Identität. 20.00 Uhr, Literaturhaus Schwanenwik

SAMSTAG, 15. OKTOBER

Vor 50 Jahren Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung zur Erinnerung an die Verschleppung von 589 Bewohnern des Ortes Putten/Niederlande in das KZ Neuengamme. 14.00 Uhr, Denkmal Putten 1944 - KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg

SONNTAG, 16. OKTOBER

Ausstellungseröffnung "Befreit, umsorgt und fremdbestimmt "Displaced Persons" in Hamburg nach 1945. Votrag von Patrick Wagner zur Eröffnung der Ausstellung. 15.00 Uhr, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg Die Ausstellung zeigt Bilder aus dem Lager für befreite ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa, Hamburg 1945. Sie läuft bis zum 11. November. Eine Ausstellung der Galerie Morgenland mit Fotos aus dem Imperial War Museum, London.

MONTAG, 17. OKTOBER

Der Pannwitzblick Film von Didi Danquart, Medienwerkstatt Freiburg 1991. Ein Film mit einer ungewöhnlichen Sprache, mit ungewöhnlichen Bildern über ein ungewöhnliches Thema: die Aussonderung von geistig und körperlich behinderten Menschen. Im Faschismus waren es "Propagandafilme", die mit den Theorien der Eugeniker die Massenvernichtung der "nichtnormalen Menschen" vorbereiteten. Damals wurde das Objektiv der Kamera durch die Nazis umfunktioniert zum "gesellschaftlichen Auge", zum Glasauge der Gesellschaft. Der Faschismus ist bewältigt. Scheinbar. Massenvernichtung gibt es nicht mehr. Aber das Glasauge ist noch da. Daran hat sich nichts geändert. Davon berichten behinderte Menschen, denen erneut Glasaugen "zu Leibe rücken", auch um ihre gesellschaftliche Zuordnung zu bestimmen. Euthanasie ist wieder ein Thema geworden in Deutschland. Der Blick der Nichtbehinderten auf die Behinderung hat oft etwas mit Fremdheit und dadurch mit Angst zu tun, die umschlägt in Abwehr. Dies wird sichtbar in Bildern und menschlichem Verhalten. Anschließend Diskussion mit Udo Sierck. 19.30 Uhr, Lichtmeß-Kino, Gaußstr. 15

MITTWOCH, 19. OKTOBER

Brasilien-Informationsveranstaltung Das autonome Coletive Mulher Vida über: Heiratshandel, Sextourismus, Prostitution. Veranstalter: Amnesty for Women. Referentinnen: Cecy Prestello, Marcia Dangremon. 19.30 Uhr,Werkstatt 3, Nernstweg 3

DONNERSTAG, 20.OKTOBER

Bevölkerungspolitik in der Bundesrepublik ReferentInnen: Ulla Penselin, Udo Sierck. Bevölkerungspolitik in der BRD heißt "Qualitätskontrolle" und Kosten/Nutzenrechnungen. Über die Gesetzgebung und Organisation des Sozial- und Gesundheitswesens werden die Vorgaben für die Aussonderung von sozial unangepaßten, alten, kranken und behinderten Menschen geschaffen. Bioethik und Philosophie arbeiten an der gesellschaftlichen Konsensschaffung als Basis für diese menschenverachtende Politik. Ihre Argumentation mobilisiert Vorurteile und Éngste und unterwirft (die Frage nach) Leben und Tod (industriellen) Produktivi tätskriterien. 19.30 Uhr, Werkstatt 3, Nernstweg 32

SAMSTAG, 22. OKTOBER

Lateinamerikanischer Abend mit Musik, Literatur, Humor und leckeren Spezialitäten 19.30 Uhr, Stadtteiltreff AGDAZ, Fehlinghöhe 16

SONNTAG, 23. OKTOBER

Ziegelproduktion im KZ Neuengamme Ein kommentierter Rundgang über das Gelände des ehemaligen KZ und Begehung des ehemaligen Klinkerwerkes mit Katja Hertz-Eichenrode. 15.00 Uhr, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg

MONTAG, 24. OKTOBER

Film " und andere Ergüsse" Eine assoziative Montage unter Mitwirkung führender Wissenchaftler der Genetik. Mirjam Qzinte, Juliane Gissler/Medienwerkstatt Freiburg 1991, 56 Minuten. Wir betreten Terrain, das von Männern dichter besiedelt zu sein scheint als der Rest des Planeten: ein Terrain, auf dem über die Entstehung von Leben, über Fortpflanzung und Geburt neu verhandelt und die Erzeugung von Lebendigem erprobt wird. So folgen wir der molekularbiologischen Avantgarde ins Innere der Gene, um die Triebfedern zu erkunden, die Wissenschaftler allerorts veranlassen, die Welt mit großzügig ausladender Geste zu verbessern. 19.30 Uhr, Lichtmeß-Kino, Gaußstr. 15

DONNERSTAG, 27. OKTOBER

Hermann Kant, Der Kormoran Nach seinem umstrittenen Erinnerungsbuch Abspann hat Hermann Kant jetzt einen Gegenwartsroman geschrieben, der den Umbruch jüngster deutscher Geschichte thematisiert. - Geburtstagsfeier: Paul- Martin Kormoran, ein mit bissiger Ironie begabter Kritiker, wird sechsundsechzig. Seine Gäste bemühen sich, die Konversation um das Minenfeld der tabuisierten Reizthemen herumzuführen, die politischen Zustände vor und nach dem Mauerfall, den linken Phantomschmerz, die Staatsnähe der Schriebtäter, die freiheitlich-demokratische Grundstücksordnung. Dennoch brechen alte und neue Wunden auf. 19.30 Uhr, Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1

Gegen die Kriminalisierung der antifaschistischen Bewegung Veranstaltung der Hochschul-Antifa 19.00 Uhr, HWP, Raum S21

SAMSTAG, 29. OKTOBER

Antifa-Konzert in Langenhorn Es spielen: Graue Zellen (Rendsburg), Terrorgruppe (Berlin), Sozialer Abstieg (Norderstedt) Einlaß 18.30 Uhr, Beginn 19.00 Uhr, im HdJ Tweeltenbek (wo sonst?) an der U1-Kiwittsmoor

IN NAHER ZUKUNFT

Arie Goral, Hinterlassene Signaturen der Linken - Plakate Pamphlete Flugblätter Arie Goral hat in den letzten Jahrzehnten eine Sammlung politischer, künstlerischer und literarischer Dokumente der linken oppositionellen Bewegungen der Bundesrepublik zusammengetragen. 31. Oktober bis 16. Dezember, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36

Vorlesungsreihe "Konzentrationslager und deutsche Wirtschaft 1939-1945" Die Reihe findet im Rahmen des allgemeinen Vorlesungswesens der Uni Hamburg statt, jeweils donnerstags, 18.00 bis 20.00 Uhr, Hörsaal M, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1. Die einzelnen Veranstaltungen werden hier angekündigt.

Links ist da, wo keine Heimat ist Theoretische Konferenz über Nation, Nationalismus und Antinationalismus in Dresden, Technische Universität Dresden, Hörsaalgebäude, Weberplatz; Teilnahmegebühr: DM 40/20,I. Block: 10-13 Uhr, Was ist die Nation? Referenten: Jost Müller, Gerd Kuhnen II. Block: 14-17 Uhr, Parallelveranstaltungen: 1. Die Nation in Theorie und Praxis der Arbeiterbewegung, Referenten: Jürgen Elsässer, Heiner Möller; 2. Vom Antikolonialismus zum Befreiungsnationalismus: Nationalismus und Internationale Solidarität, ReferentInnen: Andreas Fanizadeh, Nadine Gevret, Reinhart Koeßler. III. Block: 17-20 Uhr Abschlußdiskussion: Linker Identitäts- und Massenbegriff. ReferentInnen: Sabine Grimm, Torsten Weber, Justus Wertmüller. Veranstalter: BAHAMAS, Die Beute, Konkret, Junge Welt, 17 Grad C, Kino im Kasten der TU Dresden. Anmeldung sofort bei Konkret, z. Hdn. Anja Schlüter, Postfach 306139, 20327 Hamburg Samstag, 12. November

ANZEIGEN

Diverse linke, wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften zu verschenken Tel: 456153, Vollrat Neumann

Infoladen Freiraum Harburg Jetzt haben auch wir in Harburg uns einen Freiraum erkämpft. Nach langem Mühen ist es uns gelungen, einen Raum in der KulturWerkstatt Harburg für einen geringen Obelix zu mieten. Daraus entstand in kürzester Zeit der Infoladen Freiraum Harburg. Nun findet hier der Verkauf von Infomaterial statt. Es wird auch zu einer geselligen Runde unter gleichgesinnten Genossen und Genossinnen eingeladen. Keine Frage, daß es dann hier auch was zu trinken gibt. Natürlich auch gegen einen geringen Obelix (denn wir müssen das hier ja auch irgendwie finanzieren). Was wir eigentlich sagen wollen, ist, daß Ihr alle mal vorbeikommen sollt und Euch unser Tun und Werken anschauen sollt. Nun fragt Ihr Euch natürlich, wo denn nun hin, ne. Also, der Laden befindet sich im Kulturzentrum Harburg, Neue Str. 35a, Hamburg 21073 (Harburg). Wir freuen uns auf Euch

Anarchismus

Kongreß

Am 8. und 9. Oktober fand ein Anarchismus-Kongreß für Hamburg und Umgebung statt. Ziel des Kongresses war es, sich besser kennenzulernen sowie über Strategie und Inhalte anarchistischer Politik zu reden. Nach solch einem Austausch besteht zur Zeit ein großes Bedürfnis, weil sich in letzter Zeit sehr viele Jugendliche wieder am Anarchismus orientieren. Dies dürfte damit zusammenhängen, daß die Autonome Szene, die bislang Anlaufpunkt für viele antifaschistisch aktive Jugendliche war, derzeit kaum noch offene Strukturen oder Inhalte zu bieten hat, und daß es für "Neue" sehr schwer ist, sich irgendwo einzuklinken. Anarchistische Ansätze sind auch deshalb so attraktiv, weil sie von vornherein autoritäre, fremdbestimmte Strukturen ablehnen und damit die Chance, eigene Überlegungen einzubringen und zu leben, größer ist als anderswo. Daß die anarchistische Praxis da allzu häufig anders aussieht als die theoretischen Ideale, wurde auf dem Kongreß auch thematisiert. Etwa 60 AnarchistInnen aus den verschiedensten A-Strömungen trafen sich in Arbeitsgruppen zu folgenden Themen: Tierrechte, Selbstverwaltung, Anarchafeminismus, Umgang miteinander sowie Zusammenarbeit mit KommunistInnen. Leider fielen etliche AGs mangels Beteiligung aus, so z.B. die zum Antifaschismus, zur libertären Pädagogik oder zum Anarchosyndikalismus. In den Themen der AGs drückt sich schon das oben beschriebene Bedürfnis vieler GenossInnen nach Diskussionen über die eigenen Strukturen aus wie auch der in der "A-Szene" stark verbreitete Ansatz, ein Stück weit die anarchistischen Gesellschaftsvorstellungen jetzt schon zu leben und nicht nur für den Sankt- Nimmerleins- Tag zu proklamieren. Kritisch ist dabei anzumerken, daß Auseinandersetzungen über die Gesamtgesellschaft, in der wir nun einmal leben (müssen) und von deren Wirklichkeit aus wir unser politisches Handeln zu planen haben, in den Hintergrund gerieten und vielfach sehr selbstbezogen debattiert wurde. Zum großen Krach kam es bei der Diskussion über Tierrechte, bei der sich VertreterInnen der Auffassung, Tiere hätten die gleichen Rechte wie Menschen und AnarchistInnen müßten daher gegen jede Art von Ausbeutung von Tieren kämpfen, mit VertreterInnen der Auffassung, eine Gleichsetzung von Mensch und Tier sei menschenverachtend, stritten. Als hätte mensch sich nicht gerade vorher in einer AG wie auch auf dem Plenum über den Umgang miteinander unterhalten, verließen etliche TierrechtlerInnen empört den Kongreß. Die Art und Weise der Auseinandersetzung war dann auch im Plenum am nächsten Morgen Thema. Aber solange alle mit dem Kopf nicken, wenn gefordert wird, einander besser zuzuhören und einander mehr Toleranz entgegenzubringen, und dann bei einer Kontroverse gleich wieder geschrien wird und Redeverbote ausgesprochen (wenn auch nicht durchgesetzt) werden, führen diese Debatten einfach zu nichts. In der AG Zusammenarbeit mit KommunistInnen wurde dagegen sachlich, fair und kontrovers diskutiert. Die eine Position dokumentieren wir hier durch den Beitrag von M (AG/R), der sich für Zusammenarbeit ausspricht. Die andere Position vertrat v.a., daß eine Zusammenarbeit mit dem Großteil der KommunistInnen nicht gut ist a) wegen historischer Erfahrungen und b) weil KommunistInnen immer noch eine hierarchische Gesellschaftsordnung mit der alles bestimmenden Partei vertreten würden und deshalb überhaupt nicht in der Lage wären, für eine emanzipierte Gesellschaft mitzustreiten. Einig war sich die AG über einige Essentials als Grundvoraussetzung jeglicher Zusammenarbeit, die über das Organisieren einer Demo o.ä. hinausgeht: antinationalistisch, internationalistisch; antikapitalistisch; antipatriarchalisch, antisexistisch; antifaschistisch, antirassistisch; demokratisch und solidarisch im Umgang miteinander; für Selbstbestimmung und Selbstorganisation statt StellvertreterInnenpolitik. Zum Anarchafeminismus lag ein Papier vor, das begründete, warum es eine eigene anarchistische und feministische Bewegung geben muß. Anarchistinnen erleben auch in den eigenen Reihen oft sexistisches Verhalten, obwohl das im Widerspruch zu den Inhalten des Anarchismus steht. Sie sind dadurch gezwungen, sich auch gegenüber anarchistischen Männern mit ihren antipatriarchalen Positionen durchzusetzen. Andererseits ist die bürgerliche Frauenbewegung überhaupt nicht gewillt, jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen. Die Diskussionen der Selbstverwaltungs-AG habe ich nicht mitbekommen. Bewertung: Leider sind viele unserer Diskussionen außerordentlich moralisch geprägt. Obwohl ein starkes Bedürfnis nach Diskussionen besteht, macht uns unser eigener konfliktträchtiger moralischer Rigorismus, der keine andere Meinung zuläßt, das Führen dieser Diskussionen so schwer. Aus diesen Schwierigkeiten entsteht dann eine fruchtlose Debatte über unser eigenes Verhalten und "gruppendynamische" Prozesse, hinter der ein gesellschaftlich-politischer Ansatz zurücktritt. Die A-Szene, d.h. diejenigen, die den Anarchismus als grundlegend für ihre politische Identität betrachten, ist außerordentlich vielfältig. Vielfalt kann befruchten und weiterbringen. Nach den Erfahrungen dieses Wochenendes befürchte ich allerdings, daß die Widersprüche es sehr schwer machen werden, angestrebte gemeinsame Projekte (z.B. Föderation und Zeitung für Hamburg) durchzuführen. Dennoch ist die Hamburger A-Szene ein nicht unerheblicher Teil der Linken. Es wird nicht nur darauf ankommen, daß diese Szene trotz aller Schwierigkeiten mit sich selbst klar kommt, sondern gerade auch, daß sie mit den anderen fortschrittlichen, um Befreiung ringenden Kräften zusammenwirkt. Derzeit ist dazu allerdings nur ein Teil willens und in der Lage. -F (AG/R)

Von den Segnungen des freien Marktes

Erste Schritte zur

Privatisierung der

Hamburger Uni?

In den klassischen Ländern des Neoliberalismus haben Thatcherismus und Reagonomics einen wirtschaftlichen Scherbenhaufen hinterlassen. Auch in den unterentwickelt gehaltenen Ländern des Südens, denen mittels IWF und Weltbank eine ebensolche Politik aufgezwungen wurde und wird, wuchsen Armut und die Gewinne der Kapitalanleger. Die CDU-CSU-FDP-Bundesregierung entdeckte nach der Annexion der DDR neoliberale Rezepte als Mittel weiterer Umverteilungen von unten nach oben, zur Erhöhung der Unternehmergewinne und damit zur Senkung der Lohnquote, des Anteils der lohnabhängig Beschäftigten am von ihnen erzeugten gesellschaftlichen Reichtum. Die in der Standortdebatte bemühten Sachzwänge der Weltmarktkonkurrenz sind pure Ideologie, mit der eine Politik der Verbesserung der Kapitalverwertungsbedingungen durchgesetzt werden soll. Die Parole "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen", mit denen der sozialdemokratische Bundeskanzler Schmidt Ende der siebziger Jahre erste Schritte in Richtung einer solchen Politikkonzeption begründete, ist durch die geschichtliche Entwicklung längst widerlegt: Ergebnis neoliberaler Politik ist immer und überall der drastische Anstieg der Arbeitslosenzahlen gewesen - unabhängig vom erreichten wirtschaftlichen Wachstum. In den neoliberalen Vorstellungen des freien Marktes soll sich die Politik der Regierungen auf die Geldwertstabilität und die Aufrechterhaltung von "law and order" beschränken (die durch die wachsenden sozialen Unterschiede zunehmend gefährdet werden). "Staatsinterventionismus", Sozialleistungen und Staatsverschuldung seien Grundübel, die die "freie Konkurrenz" beeinträchtigten und damit negative Folgen für die Wirtschaft bringen. In der Tat: Sozial abgesicherte Beschäftigte sind nicht auf Arbeit um jeden Preis angewiesen, um ihre Existenz zu sichern, und können so den Zumutungen des angestrebten Lohn- und Sozialdumping stärkeren Widerstand entgegensetzen. Nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz konnte sich der Neoliberalismus in bisher ungeahnter Weise ausbreiten: Er erfaßte auch bislang nicht unmittelbar auf Markterfordernisse ausgerichtete Bereiche wie Kunst und Wissenschaft. An den Hochschulen begann diese Entwicklung Anfang der achtziger Jahre mit der Erleichterung der privaten Drittmittelforschung. In Hamburg wurde mit der TU-Harburg eine erste Hochschule mit engen Verbindungen zur Industrie geschaffen: Neben zahlreichen Drittmittelprojekten in unmittelbarer Anbindung an die geldgebenden Firmen wird diese Verbindung auch dadurch gesichert, daß Voraussetzung für eine Professur eine langjährige Tätigkeit in der Industrie ist. Nun wird diese Entwicklung mit großen Schritten für die anderen Hamburger Hochschulen vorangetrieben. Unter dem politisch gesetzten "Diktat der leeren Kassen" wird die Sparpolitik des Hamburger Senats zur Deregulierung und Privatisierung der Universität instrumentalisiert. Dem dient z.B. die Spende eines Hamburger Immobilienspekulanten von etwa 70 Millionen DM für dringend benötigte Ergänzungsbauten zur Linderung der Raumnot der Uni: Bei soviel Großzügigkeit kann sich die Stadt aus der Hochschulfinanzierung zurückziehen: Die Stattpartei schlug als Reaktion auf die Spende vor, die dann von der Uni nicht mehr benötigten Villen in Hamburg Rotherbaum zur Senkung der Staatsverschuldung zu verkaufen. Dem dient auch das Konzept eines Globalhaushalts für die Universität, wie er für 1996 beschlossen ist. Es sind dann nicht mehr der Hamburger Senat und die unsoziale und bildungsfeindliche Bonner Finanzpolitik, die zu einer unzureichenden Finanzierung der Hochschulen führen und damit für die inhaltliche und materielle Notlage der Hochschule verantwortlich sind, sondern die Universität selber, die nicht effektiv genug mit ihren Mitteln haushaltet. Effektivität ist hier rein betriebswirtschaftlich gemeint: Bei möglichst geringem Mitteleinsatz höchstmöglicher Output an marktgängigen Absolvierenden und verwertbaren Forschungsergebnissen - die Universität als Dienstleistungsunternehmen für die regionale Wirtschaft. Dafür muß diese Hochschule unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten umstrukturiert werden. Einen Beitrag dazu will die Boston Consulting Group (BCG) leisten, eine der größten internationalen Unternehmensberatungsfirmen, die der Universität die kostenlose Evaluierung von drei Fachbereichen angeboten hat: Der Biologie, der Informatik und des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften. Die BCG hat schon einschlägige Erfahrung, etwa bei der Privatisierung der Postbank; im Bereich der Hochschulen arbeitete sie mit der TU-Harburg zusammen und beriet in den USA die Harvard University. Unipräsident Lüthje nahm dieses Angebot an. Vom Kampf um mehr Geld für die Universität, den er gegen Hochschulsenator Hajen verlor, der die Uni mit einer Streichungsliste von über 50 Professorenstellen beglückte, schaltet er nun darauf um, die verbliebenen Mittel möglichst effektiv einzusetzen - Mängelverwaltung solle das natürlich nicht sein. Die BCG sagt es deutlicher: Hajens Sparprogramm werde nicht das letzte gewesen sein. Man müsse sich darauf einstellen, die geringer werdenden öffentlichen Mittel möglichst effektiv einzusetzen. Dazu wollen sie die Finanzierungsströme an den einzelnen Fachbereichen in fünf Schritten untersuchen - mit Entlassungen habe ihr Konzept jedoch nichts zu tun: 1. Klärung der Ausgangslage; 2. Grundzüge der Dezentralisierung des Budgetierungssystems (Akzeptanz, Anforderungen, Aufgaben); 3. unterstützende Instrumente: Kostentransparenz, Kennzahlenbildung, Kriterienkatalog zur Budgetverteilung; 4. Auswirkungen auf Ablauf-/ Aufbaustrukturen (Prozeßbeschreibungen, Vorschläge zu Énderungen); 5. Um setzungsplanung. Worauf die Kennzahlen hinauslaufen, wird in Niedersachsen deutlich, wo ein Modellversuch zu Globalhaushalten an drei Hochschulen läuft. Die Kennzahlen basieren dort auf: Studienzeitverkürzungen, Steigerung der Absolvierendenquote, Berufseinstiegsquote, Zahl der Promotionen, Drittmittelaufkommen, Transferleistungen, Zitierlisten, Preisen und anderen Auszeichnungen, Habilitationen, Teilnehmendenzahlen der Weiterbildungsangebote, Gebührenaufkommen. Die angestrebte betriebswirtschaftliche Organisationsform erfordert hierarchische Managementstrukturen. Das wird auch an dem Aufbau des Evaluationsprojekts deutlich, das sich in vier hierarchisch strukturierte Ebenen gliedert. An der Spitze steht der Lenkungsausschuß, der sich neben den BCG-Vertretern aus Mitgliedern des Unipräsidiums, der Behörde für Forschung und Wissenschaft und einem Experten aus der Wirtschaft zusammensetzt. Alle Gruppen, die an der akademischen Selbstverwaltung mitwirken, seien es nun Studierende, der wissenschaftliche Mittelbau, die Professoren oder das technische und Verwaltungspersonal, sind nicht berücksichtigt. Ein BCG-Vertreter zeigte vollstes Unverständnis: Hier sitze halt das Management, er wisse nicht, was diese Gruppen dort sollten. Erst in der untersten Ebene ist die Beteiligung von VertreterInnen der Statusgruppen aus den Fachbereichen vorgesehen - in der Informatik sind selbst hier keine Studierenden vorgesehen. Auch können nicht etwa die Studierenden bestimmen, wer für sie in diesem Gremium sitzt, sondern Interessierte müssen sich auf die Stellen bewerben. Die Entmachtung der Gremien, in denen die ohnehin unzureichend vertretenen Studierenden mit anderen negativ betroffenen Gruppen bzw. Fraktionen in diesen Gruppen Widerstand organisieren könnten, ist eine wichtige Voraussetzung für die geplante Umstrukturierung. Das Modell der Gruppenuniversität, wie es in dem auf '68 folgenden Reformschub durchgesetzt wurde, in dem alle Statusgruppen der Universität sich an der akademischen Selbstverwaltung beteiligen, erscheint in den Augen der Befürworter der Marktorientierung als Problem, weil zu schwerfällig. Es sei konservativ, weil es sich nicht aktuellen Erfordernissen anpassen könne, wie sie der Markt mit sich bringe. Das alte Mitbestimmungsmodell soll durch mit der notwendigen Autorität ausgestattete Manager und ihre Planungsstäbe ergänzt (sprich: ersetzt) werden, die schnell und effektiv notwendige Entscheidungen treffen sollen. Die ohnehin marginalen Mitbestimmungsmöglichkeiten (die Professoren hatten in allen Gremien die absolute Mehrheit) für Studierende werden damit vollends abgeschafft: der Fachbereichssprecher als Manager seiner Fakultät. Neben dieser Entdemokratisierung bringt das neoliberale Hochschulentwicklungsmodell weitere Gefahren mit sich: z.B. die Aufspaltung und Hierarchisierung der Lehrenden durch die Verringerung des Lehrdeputats für Forschungsprofessuren, die ihr Wissen vermarkten und Lehrprofessoren, die ausschließlich für die Ausbildung der Studierenden verantwortlich sind; Zusammenfassung und Schließung von Fachrichtungen, die nicht genug Mittel aus der "freien Wirtschaft" erhalten und damit offensichtlich zu wenig nachgefragt werden; Studiengebühren, da die Leistungen eines Betriebes ja verkauft werden müssen. Kein Wunder also, wenn die Evaluatoren möglichst ohne Aufsehen agieren wollen - obwohl die Befürworter eines Globalhaushaltes gern damit argumentieren, daß sich durch ihr Konzept die Transparenz der Finanzierungsströme und Entscheidungen erhöhe (wir sahen oben, daß das Gegenteil der Fall ist). Die Vorstellung des Projektes auf einer öffentlichen Veranstaltung durch BCG-VertreterInnen mußte von studentischer Seite durch die Gremienvertreterinnen im Fachbereichsrat Philosophie und Sozialwissenschaften erzwungen werden. Sie hatten erst einen Tag vor der letzten Sitzung des Selbstverwaltungsorgans des Fachbereichs von dem geplanten Projekt erfahren und weigerten sich auf der Sitzung, einen solch weitreichenden Beschluß ohne vorherige studentische Diskussion mitzutragen. Die Professoren und der Mittelbau stimmten dennoch die Evaluation durch die BCG durch. Die anschließende studentische Diskussion ergab die Ablehnung des Projektes aus ähnlichen Gründen wie den oben dargestellten. Am Anfang des kommenden Semesters soll über mögliche Gegenaktionen beraten werden. Die Hochschulpolitik des grünen AStAs (wenn man die spärlichen Aktivitäten denn Politik nennen will) setzt diesem Projekt nichts entgegen. Für die Hochschulgrünen ist der Markt der Markt, andere gesellschaftliche Interessen sind für sie nicht existent. Die grüne Hochschulgruppe erscheint als eine Speerspitze der Umwandlung der grünen Partei in einen ökomarktliberalen Ersatz der FDP als Mehrheitsbeschafferin für wahlweise konservative oder sozialliberale Bundesregierungen. Fragt man nicht nach den quantitativen Input-Output-Relationen der Wirtschaftsverbände, der Bildungsministerien und der BCG, sondern nach dem qualitativen Beitrag der Wissenschaften und Hochschulen zur Lösung gesellschaftlicher und globaler Probleme, dann müssen inhaltliche Diskussionen geführt werden, wie Kriege und der ökologische Kollaps verhindert werden oder welche Bedürfnisse durch welche Produkte und mit welchen Produktionsverfahren befriedigt werden sollen. Dazu bedarf es der gesellschaftlichen Diskussion der Menschen innerhalb und außerhalb der Hochschulen (im BCG- Jargon Zeitverschwendung), um zu ermitteln, wie und welchen Problemstellungen gemäß entsprechende Ressourcen für wissenschaftliche Arbeit und Ausbildung zur Verfügung gestellt werden müssen. Eine alternative hochschul- und wissenschaftspolitische Strategie setzt auf die Öffnung der Hochschule für alle an Wissenschaft interessierten, die sich nicht an Absolvierendenzahlen messen läßt. Wissenschaftliche Qualifikationen sind notwendig, unabhängig davon, ob man hinterher seine Arbeitskraft auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt verwerten kann. Es geht um die Erfassung der eigenen Lebensbedingungen durch ihre wissenschaftliche Aneignung, um dadurch Handlungsfähigkeit zur eigenen gesellschaftlichen Tätigkeit zu erlangen und damit dazu beizutragen, daß dieser Planet und das gesellschaftliche Wissen entgegen der herrschenden Praxis dazu genutzt werden können, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Boston Consulting Group hat an der Uni nichts zu suchen. Am zweiten Mittwoch im Semester, dem 26.10., findet um 12 Uhr eine Vollversammlung der Studierenden des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften in der T-Stube im Pferdestall, Allendeplatz 1, statt, auf der besprochen werden soll, welche Maßnahmen gegen die Evaluation durchgeführt werden können. Um 14 Uhr findet am selben Tag in Raum 250 eine Fachbereichsratssitzung statt, auf der auch wir Studierenden erscheinen sollten, um klarzustellen, daß wir von solcher Evaluation nichts halten. Jan-Pieter Schulz und Markus Gunkel

Die Erforschung rechtsextremer Gewalt

Was ergibt sich aus den drei Hauptrichtungen der deutschen Forschung für die politische Praxis?

Deutschlands Sozialwissenschaftler haben ihre goldenen Zeiten hinter sich. Der Buchmarkt interessiert sich verglichen mit den 70er und frühen 80er Jahren kaum noch für ihre Ergüsse. Nur eine einzige Ausnahme gab es in den letzten Jahren: Wer etwas zur Erforschung rechtsextremer Gewalt beizutragen schien, der fand oftmals einen Verleger. So kam es in den letzten Jahren zur Publikation einer Reihe von Büchern und Aufsätzen. Inwieweit brachten die Veröffentlichungen die Wissenschaft weiter? Inwieweit sind sie als Anleitungen für eine antifaschistische Politik geeignet? Ein Streifzug durch die Veröffentlichungen soll Antwort geben. Zum bekanntesten Rechtsextremismusforscher ist dank des Spiegel der Bielefelder Pädagoge Wilhelm Heitmeyer aufgestiegen. Seine Bielefelder Rechtsextremismusstudie (Juventa 1992) ist allerdings ein Ettikettenschwindel. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Studie über den Zusammenhasng von beruflicher und politischer Sozialisation bei männlichen Jugendlichen. Unter den 40 jungen Männern, deren Lebensweg vom 17. bis zum 21. Lebensjahr empirisch begleitet wurde, findet sich kein einziger wirklicher Rechtsextremer. Die Studie ist dennoch von gewissem Interesse, allerdings schwer lesbar. Heitmeyer hat einen chaotischen Denk- und Schreibstil. Deshalb ist es nicht empfehlenswert, sich das knapp 50 Mark teure Buch zu kaufen. Stattdessen kann man sich einen Einblick in Heitmeyers Gedankengänge verschaffen, indem man einen seiner Aufsätze liest. Am günstigsten kommt man heran an den Beitrag "Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse als Ursachen fremdenfeindlicher Gewalt und politischer Paralysierung", der am 8. Januar 1993 in Aus Politik und Zeitgeschichte erschienen ist. Die Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament kann man bei der Landeszentrale für politische Bildung kostenlos bekommen. Was Heitmeyer feststellt, ist ein Eindringen "instrumenteller" Denkweisen und Einstellungen in die Köpfe der gewaltgeneigten, rechtsorientierten Jugendlichen. D.h. man kann aufgrund des Kapitalverhältnisses von einer starken Gefahr der Monetarisierung des Denkens und Handelns sprechen - nur noch der äußerliche Erfolg in Mark und Pfennig zählt, Moral und gesellschaftliche Solidarität zerfallen, Gewalt wird legitim, und eine Ungleichheit rechtfertigende Ideologie setzt sich durch. Dieser abstrakt kapitalismuskritische Ansatz begründet aber eher die zunehmende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, da die kapitalistische Ethik Gewaltanwendung zuläßt, so sie nur erfolgreich und mit geringen Kosten verbunden ist. Warum diese Gewalt sich ausgerechnet als rechtsextremistische Gewalt äußert, kann Heitmeyer nicht begründen. Da ist das psychoanalytisch orientierte Buch von Götz Eisenberg und Reimer Gronemeyer Jugend und Gewalt (rororo aktuell 1993) schon ehrlicher. Hier geht es nur um die Erklärung verstärkter Gewaltneigung bei Jugendlichen, das Titelbild zeigt eine brutale Schulhofrauferei. Auch hier wird das Eindringen des Kapitalverhältnisses in die zwischenmenschlichen Beziehungen für diese Fehlentwicklung verantwortlich gemacht. Vor allem die Primärbeziehungen von Kleinkindern zu ihren Eltern - vor allem zur Mutter - würden durch das Eindringen der kapitalistischen Rationalität zerstört, so daß die Mutter nicht mehr auf eine kindähnliche Stufe regrigieren könne, um dem Kind die notwendige Nestwärme zu geben (ob auch Männer dies leisten könnten, wird allerdings erst gar nicht hinterfragt, die geschlechtliche Arbeitsteilung wird vielmehr allzu naiv hingenommen). Solche Ansätze kann der Autor aufgrund seiner eigenen Forschungen im Prinzip bestätigen. Tatsächlich führt der konsumistische Spätkapitalismus zu einer Veränderung der Psychostruktur, die eine Zunahme von Gewaltanwendung, aber auch Drogenkonsum, immer wahrscheinlicher werden läßt. Allerdings bleiben die erwähnten Autoren bei einer abstrakten Kapitalismuskritik, ohne jedoch eine Reformperspektive zu entwickeln. Meine eigenen Forschungen legen nahe, daß der Wegfall moralischer Hemmungen auch emanzipatorische Aspekte hat, allerdings unter den gegenwärtigen Bedingungen der Frustrationsdruck fremdbestimmter Arbeit und Ausbildung negative, verzerrte Bedürfnisse nach Gewalt und Drogen erzeugt. D.h. bei einer Reduktion dieses Frustrationsdruckes müßte auch Gewaltneigung und Drogenmißbrauch zurückgehen. Herbert Marcuse hat in den 50er und 60er Jahren, Andre Gorz in den 70er und 80er Jahren eine radikale Verkürzung der Lohnarbeit zwecks solcher Ziele empfohlen. Man müßte schnellstmöglichst zu einer Regelarbeitszeit zwischen 20 und 30 Wochenstunden kommen und vermehrt Kultur- und Sozialarbeit in die entstandene Freizeit auslagern, wo solche Leistungen gebrauchswertorientiert und nach den Selbstverwirklichungsinteressen von Hobbyaktivisten erstellt werden könnten. Parallel zur Arbeitszeitverkürzung müßte der Leistungsdruck in Schule und Ausbildung durch geeignete Reformen reduziert werden. Für die Gymnasiasten in Hamburg fällt dabei auf, daß der Numerus Clausus an der Hamburger Universität einen Leistungsdruck schafft, der über das notwendige Maß weit hinausschießt. Näher an dem eigentlichen Problem des Rechtsextremismus dran ist der Duisburger Linguistikprofessor Siegfried Jäger, der das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) leitet, das im Eigenverlag eine Reihe von Büchern über das rassistische Meinungsklima in der BRD herausgegeben hat (z.B. BrandSätze, SchlagZeilen, Die vierte Gewalt etc.). Er weist vor allem rassistische Motive in Alltagsdiskurs, Politikerphrasen und in der Presse nach. Rassistische Denkweisen bestehen zumeist darin, daß die Menschen reale Probleme identifizieren, die sich aus der krisenhaften Reproduktion des Kapitalismus ergeben, wie Zerfall der Nachbarschaft, Kriminalität, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Belästigung von Frauen etc.pp. Diese werden im rassistischen Diskurs aber nicht auf den Kapitalismus zugerechnet, sondern auf die "Ausländer" und "Asylanten". Jäger und seine Mitarbeiter aus dem Umfeld des DISS bieten mit ihrer Argumentation theoritisch nicht viel Neues, eher empirische Fleißarbeit. Deshalb kann ich nicht unbedingt empfehlen, eines seiner Bücher zu kaufen, stattdessen kann man sich mit seinen Gedanken auch anhand von Aufsätzen vertraut machen. Empfehlenswert ist der im Bund-Verlag 1992 erschiene Sammelband Rassismus in Europa, den Jäger gemeinsam mit dem im Rassismusdiskurs ebenfalls engagierten Bremer Politologen Christoph Butterwegge herausgegeben hat. Dort findet sich auch ein interessanter Aufsatz von Nora Räthzel vom Hamburger Institut für Migrations- und Rassismusforschung über die Bedeutung von Asylpolitik und neuen Rassismen bei der Reorganisation der nationalen Identität im vereinigten Deutschland. Der theoretische Hintergrund der Rassismusforscher ist im Prinzip Gramcis These von der kulturellen Hegemonie. Waren in den 70er Jahren rassistische Éußerungen stärker in den Untergrund des Alltagsdiskurses gedrängt worden, tauchen sie nun vermehrt wieder auf, werden von Politikern und Medien gefördert. Wenn man bei der Rassismusforschung nicht bei der Stigmatisierung rassistischer Einzeläußerungen stehen bleiben will, lohnt es sich, einen Blick auf die Entwicklung des politischen Klimas der BRD seit den späten 60er Jahren zu werfen: Durch die 68er Bewegung hatte sich in der BRD - wie in den meisten Industrienationen - das politische Klima nach Links verschoben. Es war nun möglich, öffentlich Kapitalismuskritik zu üben, Nationalismus und zum Teil auch Rassismus waren zumindest in der Öffentlichkeit stigmatisiert. Wie bekannt sein dürfte, reagiert in Frankreich die extreme Rechte damals mit einer Rezeption von Gramcis Theorie der kulturellen Hegomonie und versuchte, diese schrittweise für die Rechte zurückzugewinnen. In Deutschland bedeutender war, daß auch die bürgerliche Rechte ähnliche Gedankengänge hatte. Elisabeth Noelle-Neumann entwicklete im Auftrag der CDU ihre Theorie des Meinungsklimas, die sie 1980 unter dem Titel Die Schweigespirale veröffentlichte. Dort wurde gefordert, die bürgerliche Hegomonie über das Meinungsklima wiederzugewinnen, wobei den Journalisten als Gate-Keepern besondere Bedeutung zukomme. Die Union richtete ihre Medienpolitik dann tatsächlich seit den späten 70er Jahren nach Noelle-Neumanns Vorschlägen aus: Konservative Intendanten und eine entsprechende Personalpolitik auf den mittleren und niedrigeren Ebenen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzten die unionsregierten Länder in ihren Anstalten noch brutaler durch als bisher (Rundfunk ist Ländersache). Gleichzeitig begann die Union, den privaten Rundfunk zu fördern. Denn privatwirtschaftliche Medien sind nur beschränkt kritisch. Zusätzlich ließen sich die führenden Unionspolitiker nun von hochbezahlten Medienexperten beraten, vor allem um im Fernsehen besser anzukommen. Selbst an Kleinigkeiten wurde gedacht. So legte Helmut Kohl seine alte Hornbrille ab und schaffte sich das moderne Drahtgestell an, das er noch heute trägt. Die Schweigespirale wurde tatsächlich durchbrochen, nur setzte sich das weniger in unmittelbare Stimmengewinne für die Union um - sie war auf das Umkippen der FDP angewiesen, um an die Macht zu kommen. Stattdessen wurden Nationalismus und vermehrte Rassismen hoffähig. Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten steigt kontinuierlich seit den späten 70er Jahren. Die Stimmengewinne für Rechtsextreme explodierten nach der ersten Asyldebatte 1987, die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten nach der Wiedervereinigung und der zweiten Asyldebatte 1990. Der linke Sozialdemokrat Siegfried Jäger, er ist oft auf Juso- und Gewerkschaftskongressen zu bewundern, scheint seiner Partei nicht zuzutrauen, daß sie das Meinungsklima mit derselben Raffinesse kippt wie die Konservativen. Stattdessen hofft er auf eine breite linke Bewegung, die ähnlich wie die APO in den 60er Jahren das Meinungsklima grundsätzlich kippt. Ursprünglich sollte sich diese Bewegung an der Solidarität mit den Ausländern in Deutschland entzünden, aber diese Chance verstrich ungenutzt. Auch die Ansätze für radikalpazifistische Bewegungen wie nach dem Golfkrieg haben sich wieder zerschlagen. Dieser Kinderkreuzzug brach nach dem Ende des Golfkrieges ohne Langzeitwirkung zusammen. Nachdem in der Außenpolitik und der Asylpolitik die Pflöcke bereits eingeschlagen sind, müßte die trotz des Aufschwungs fortdauernde Massenarbeitslosigkeit der Ansatz für linke Kritik und Bewegung sein. Allerdings sieht es damit u.a. deshalb schlecht aus, weil die Lebenswelten der Ausgegrenzten von denen der linken Kritiker (v.a. Studenten) sehr weit entfernt sind. Außerdem sind in den letzten Jahren bei vielen Linken die fundamentalsten wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse verlorengegangen. Natürlich machen sich nicht nur mehr oder weniger Linke Sorgen um die Zunahme rechtsextremer Gewalt. Auch die Bundesregierung ist besorgt und hat eine Reihe renomierter Forscher unter der Leitung des Trierer Jugendsoziologen Helmut Willems auf das Thema angesetzt. Ihre Ergebnisse sind 1993 unter dem Titel Fremdenfeindliche Gewalt bei Leske und Budrich, dem Hausverlag der deutschen Jugendsoziologie, erschienen. Es handelt sich dabei um eine sorgsame empirische Studie, die politischen Bewertungen und Einordnungen bleiben aber dem Leser überlassen. So erfahren wir, daß die fremdenfeindlichen Einstellungen seit dem Beginn der 80er Jahre nicht zugenommen haben. Für die weggestorbenen Altrechten sind allerdings junge, schlecht gebildete Männer nachgerückt, die unter Kohls Wenderegime ihre politische Sozialisation erfuhren. Zugenommen hat aber deutlich die Gewaltneigung in der Bevölkerung. Das gemahnt daran, es nicht bei einer antifaschistischen Strategie zu belassen, sondern auch die Frustration im kapitalistischen Leistungssystem als aggressionsauslösend im Blick zu behalten. Außerdem erfahren wir, wer die Täter bei rechtsextremen Gewalttaten sind: Junge Männer aus der Unterschicht, aber seltener wirklich Deklassierte, die von der Soziologie als "Sozial Verachtete" bezeichnet werden. Einge der Deklassierten, z.B. Obdachlose, müssen vielmehr selbst damit rechnen, Opfer zu werden. Die Täter setzen sich aus einigen wenigen Rechtsextremen und Ethnozentristen zusammen, um die sich eine größere Gruppe von im Grunde unpolitischen Mitläufern und Schlägertypen schart. Bemerkenswert ist die Analyse der lokalen Interaktionsverläufe rund um fremdenfeindliche Straftaten. Dabei wird klar, daß die Bundesregierung und teilweise die Länder die Kommunen vor Ort mit dem Problem der Versorgung, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen allein gelassen haben. So konnten sich die Unterkünfte der Flüchtlinge, teils verstärkt durch den Dilettantismus lokaler Behörden, zu Brennpunkten lokaler Konflikte entwickeln und selbst Sozialdemokraten verführen, gegen Asylunterkünfte zu wettern. In diesem oft lokal konzentrierten ausländerfeindlichen Klima glaubten die Täter dann die Bevölkerung hinter sich zu haben und handelten quasi als Stellvertreter. Man kann daraus über das Gesagte hinaus lernen, wie wichtig die Arbeit lokaler Flüchtlingshilfeorganisationen sind, die jene Integrations- und Unterstützungsarbeit leisten, die eigentlich Sache des Staates wäre. Die Publikationen über die rechtsextreme Gewalt zeichnen sich durchgängig dadurch aus, daß sie im Horizont ihres eigenen Denkens bleiben. Keiner der Autoren unterzieht sich der Mühe, theorievergleichend die möglichen Ursachen fremdenfeindlicher Gewalt gegeneinander abzuwägen. Auch das Buch Ethnische Minderheiten, Volk und Nation von Heinrich Heckmann (Enke 1992) macht das nicht. Aber dieses Lehrbuch zählt zumindest in nüchternem Stil die wesentlichen Theorien über die Entstehung fremdenfeindlicher Motivation auf und erklärt sie. Ein Buch, das zu lesen keine reine Freude ist, das aber für den Einsteiger unschätzbares Orientierungswissen liefert. (thomas kilian)

Obdachlose: Senat halbiert Notprogramm. Obwohl bereits die ersten Nachtste eingesetzt haben und die Zahl der Obdachlosen sich ständig vermehrt, soll das Winter- Notgramm der Sozialbehörde drastisch reduziert werden. Die Mittel werden auf ca. 330000 DM (Vorjahr: 750000 DM) reduziert, der Beginn auf den 1. Dezember verschoben. Statt die Übernachtungsplätze in Containern, vorwiegend auf Kirchengelände, zu vermehren - im letzten Jahr fanden 156 Menschen hier notdürftig Unterkunft -, sollen die Obdachlosen stärker auf die Massenunterkünfte des Lantriebes Pflegen und Wohnen orientiert werden. Das heißt aber: Pik-As oder Wohnschiffe in Neulen. Diese werden wegen der menschenunwürdigen Verhältnisse jedoch von vielen Obdachlosen geden. Will die Behörde zur Haushaltssanierung den Kältetod von Obdachlosen einkalkulieren? - (ulj)

Liste 6: PDS!

Auf der offenen Landesliste kandidieren: 1. Gudrun Aßmann 2. Stephanie Schrader 3. Liselotte Lottermoser 4. Bernt Kamin 5. Horst Bethge 6. Gert Corfei 7. Kirsten Radüge 8. Markus Gunkel 9. Christiane Schneider 10. Jan Pieter Schulz

Als DirektkandidatInnen kandidieren: Wahlkreis MitteBernt Kamin Wahlkreis EimsbüttelKirsten Radüge Wahlkreis WandsbekRainer Tichy Wahlkreis NordMarkus Gunkel Wahlkreis BergedorfJan Pieter Schulz

Die PDS/Linke Liste Hamburg lädt ein zu:

Sekt und Selters

Wahlparty So, 16.10.94 ab 18.00 Uhr, Palmaille 24

Wahlergebnisse; Musik; Getränke Beiträge zum kalten Buffet sind dringend erwünscht

Erste Wahl-Auswertung

Der Arbeitsausschuß der PDS/Linke Liste Hamburg berät am Montag, 17.10., ab 19.30 Uhr im Büro, Palmaille 24, die Wahlergebnisse. Interessierte Mitglieder und Sympathisanten/innen der PDS/Linke Liste sind eingeladen.

Ein Querschnitt durch die Geschichte der Bundesrepublik

Antifaschismus in Theorie und Praxis

Ob es die Aktualität des Neofaschismus ist, die faktische Abschaffung des Asylrechts oder die Versuche, Euthanasie neu zu legitimieren: Die gesellschaftlichen Veränderungen in der Bundesrepublik sind einschneidend. Ihre Bewertung ist jedoch höchst kontrovers. Der herrschende Politdiskurs entwirft unverdrossen das Bild von der besten aller Welten, die nur in der einen oder anderen Hinsicht noch etwas zu reformieren sei. Den Kontrapunkt hierzu bilden Thesen wie die von der "Re-Nationalsozialisierung" Deutschlands. Diese kontroversen Einschätzungen hat es oftmals in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben - ebenso oft wohl wie einschneidende Ereignisse selbst. Notstandsgesetze, "Deutscher Herbst" oder Bitburg sind Beispiele hierfür. Selbst die Kritiker konnten sich dabei häufig nicht einigen, welche Konsequenzen denn zu ziehen seien. Das hat nicht nur Folgen für die Analyse gehabt, sondern auch für die Praxis. In dieser Vortragsreihe werden politische Schnittstellen in der Geschichte der Bundesrepublik und ihre theoretische Aufarbeitung dargestellt. Damit sollen Hintergrundwissen und Stichpunkte für die Diskussion über antirassistische und antifaschistische Politik heute gegeben werden. Referent: Rolf Surman. 20.10.: Überwinden des Alten durch Fortschreiten. Demokratisches Selbstverständnis nach dem 8. Mai 1945. Das Adenauer- Konzept. 27.10.: "Wohin treibt die Bundesrepublik?" Positionen organisierter Antifaschisten und bürgerlicher Opposition in den 50er und 60er Jahren. 3.11.: "Der hilflose Antifaschismus". Die Aktualisierung der Debatte durch die APO 1968. Faschisierung oder Demokratie? Zerfall der Debatte. 10.11.: Neuauflage einer Politik der Integration und des Verbots? SPD- und CDU-Praxis eines Konzepts der Konzessionen an den Rechtsradikalismus. 17.11.: Von modernen Patrioten und der Sehnsucht nach alten Mythen. Ideologien eines Konzepts der Konzessionen als Strategie sozialer Integration. 24.11.: Faschismus als Relikt. Der windungsreiche Weg der Grünen. 1.12.: Zivilgesellschaft versus Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus. Mehr als ein technokratischer Autoritarismus? 8.12.: Antifaschismus hinterfragt: Konzeptionen von Antifa- Gruppen. Schlußdebatte. Ort: Haus für Alle. Beginn: 19.30 Uhr. TNbetr: 20 DM, Infos u. Anmeldung: Umdenken, Tel. 040/3895270 oder am ersten Abend.

Zur Frage der Zusammenarbeit von Kommunisten und Anarchisten

Unendliche Weiten linker Kleingruppenidylle

Wir schreiben weder das Jahr 1917 noch 1936 und befinden uns auch nicht in der Ukraine oder Spanien. Unsere Mission: Suche nach intelligentem Leben außerhalb des ideologischen Tellerrandes.

1. Versuch einer Begriffsbestimmung Wer sind die eigentlich, die bösen Kommunisten? Zur anarchofressenden repressiven Bestie wird man weder, indem man zur Systemanalyse Marx' Kritik der politischen Ökonomie heranzieht, noch dadurch, daß man im Übergang zu einer freien Gesellschaft die gewaltsame Unterdrückung der Konterrevolution als notwendig ansieht. Das Problem ist der Umgang mit abweichenden Positionen innerhalb der Linken sowie die Frage der Zentralisierung und Institutionalisierung der Diktatur des Proletariats. Bezeichnend ist, daß nicht nur wir als Anarchisten, sondern ebenso demokratische Linkskommunisten auf eine lange Tradition blutiger Unterdrückung durch den Stalinismus zurückblicken kön nen. Mit Blick auf die gegenwärtige politische Praxis fällt es zwar leicht, von den Kommunisten zu sprechen. Wir behaupten hier aber einfach mal, daß von ihren ideologischen Grundlagen her nicht unerhebliche Teile der kommunistischen Linken uns näher stehen als den Stalinisten. Etwas mehr Differenzierung wäre nötig!

2. Die Praxis heute Der Zustand der deutschen Restlinken ist nicht gut, ja geradezu unerfreulich. Verschärfte Angriffe von Staat und Kapital, der Rechtsruck der Gesellschaft haben uns nicht nur zahlenmäßig geschwächt, sondern auch dazu geführt, daß wir uns in Rückzugsgefechten aufreiben. Zunehmende gesellschaftliche Rückentwicklungen in Sachen Rassismus, Faschismus, Sexismus etc. haben uns das Heft des Handelns aus der Hand genommen, zwingen uns zu bloßer Reaktion, um Schlimmeres zu verhindern. So weit, so na ja. Gejammert wird an anderer Stelle schon genug. Das Problem besteht nun allerdings darin, daß eine weitere Desorganisation, Spaltung, Zersplitterung oder wie weit man auch immer gehen will, der verbliebenen antifaschistischen, antirassistischen und antisexistischen Kräfte in der gegenwärtigen Situation den verheerendsten Schaden anrichten würde und letztlich nur dazu diente, dem Klassenfeind seine schändlichen Schurkereien unnötig zu erleichtern. Wenn man unbedingt wollte, könnte man das Ganze, den moralischen Hammer schwingend, auch etwas anders formulieren. Z.B. so: "Solange faschistische Banden durch die Straßen ziehen, um die Flüchtlinge zu massakrieren, welche der Staat noch nicht abgeschoben hat, haben alle, die sich als Antifaschisten begreifen, gefälligst an einem Strang zu ziehen!" Machen wir aber gar nicht. Stattdessen möchten wir darauf hinweisen, daß unter Zusammenarbeit mit Kommunisten nun nicht die Bildung der allumfassenden, allwissenden und allmächtigen Einheitspartei zu verstehen ist, sondern z.B. die kontinuierliche Mitarbeit in Bündnissen zu Teilbereichskämpfen. Hier aber ist es unsere Erfahrung, daß es bei auftretenden Differenzen in der Regel weniger um fundamentale ideologische Widersprüche als um taktische Fragen geht. Diese sind natürlich nicht minder ärgerlich und oft geeignet, Bündnisse zu spalten, haben jedoch nur selten damit zu tun, ob die Beteiligten sich als Kommunisten oder Anarchisten bezeichnen. Nun ist es in - sagen wir mal - einem Antifabündnis auch nicht sehr zweckdienlich, sich über die Staatsfrage einer utopischen Gesellschaft oder die Organisationsfrage einer z.Zt. leider ebenso utopischen revolutionären Massenbewegung zu streiten. Der einzige z.Zt. wirklich fundamentale Knackpunkt eines jeden Bündnisses ist vielmehr der Umgang mit abweichenden Positionen bzw. die Erkenntnis, daß es nicht Sinn + Zweck eines Bündnisses sein kann, die eigene Position um jeden Preis zum Konsens zu machen, daß trotz inhaltlicher Differenzen die Zusammenarbeit an Sachfragen möglich und sinnvoll ist. Es geht also letztlich in tagespolitischen Bündnisfragen weniger um Anarchismus oder Kommunismus als vielmehr um Sektierertum. Und das gibt es leider nicht nur unter Kommunisten

3. und irgendwann einmal Man kann natürlich trefflich darüber spekulieren, wie in einer revolutionären Situation die Auseinandersetzung mit den Stalinisten über die Form der neuen Gesellschaft aussehen könnte. Entscheidend dürfte aber in jedem Falle sein, welche Verbreitung und Akzeptanz innerhalb der revolutionären Linken (einschließlich undogmatischer kommunistischer Organisationen!) für stalinistische Positionen besteht. Die grundlegendste Voraussetzung, daß in der Linken ein entsprechender Entwicklungsprozeß in unserem Sinne einsetzt, ist jedoch, daß in der praktischen Arbeit unterschiedliche Ideologien zusammentreffen und somit ein Prüfstein für das Demokratieverständnis der beteiligten Strömungen und Organisationen geschaffen wird. Indem wir die Zusammenarbeit mit Kommunisten suchen, forcieren wir den Widerspruch; zwingen die stalinistische Minderheit entweder, die Maske fallen zu lassen und libertäre Positionen auszugrenzen oder aber ihrerseits die Bündnisse zu verlassen; sich zu isolieren. Solidarischer Umgang mit anderen Positionen kann nur dort entstehen, wo andere Positionen präsent sind! In diesem Sinne: Vorwärts immer, rückwärts nimmer! M (AG/R)

Lokalberichte HamburgNr. 21/1994, 13.Oktober 1994 Herausgeberkreis: Alternative Liste, Anarchistische Gruppe/RätekommunistInnen, Arbeitsgemeinschaft gegen reaktionäre Gesundheitspolitik, Arbeitsgemeinschaft BWK bei der PDS/LL Hamburg, Arbeitskreis Azania, Freunde des kurdischen Volkes Hamburg, Hochschul- Antifa, Liste Links, Mitglieder der PDS/Linken Liste Hamburg, Vereinigte Sozialistische Partei, Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg. Redaktionstreffen: Donnerstag, 20.Oktober, 18.00Uhr. Die Lokalberichte erscheinen vierzehntäglich. Jahresabo 39,- DM (Förderabo: 46,80,-, für Leute mit wenig Geld 26,-), zu zahlen auf das Konto GNN-Verlag, HASPA, BLZ 20050550, Kt-Nr. 1330/110055. Red. Lokalberichte, c/o GNN, Palmaille 24, 22767 Hamburg, Tel. 381393, Fax 3898331. V.i.S.d.P.: Christiane Schneider. Verlag, Herstellung, Drucklegung: Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung Schleswig-Holstein/Hamburg mbH