Nr. 10/97
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1848 - 1938 - 1998
National-freiheitliche Eckdaten
Am 13. März '98 jährt sich nicht nur der "Anschluß"
Österreichs an Nazi-Deutschland zum sechzigsten mal, deutschnationale
Studentenverbindungen wollen auch den 150. Jahrestag der bürgerlichen
Revolution in Wien feiern. In der Hofburg soll mit einem großen "Kommers"
dem Anspruch des ganzen "national-freiheitlichen" Milieus auf das historische
Erbe der 48er Revolution feierlich Ausdruck verliehen werden.
LEGITIMATIONEN
Das sogenannte "Dritte Lager", heute ideologisch repräsentiert durch die
FPÖ und ihre korporierten Vorfeldorganisationen, erblickt seine
Geburtsstunde in den Wiener Märzereignissen von 1848. Die
Rechtsextremisten versuchen daraus mehrfachen Nutzen zu ziehen: Zum einen
erlaubt der Rückgriff auf die konstituellen und liberalen Regungen des
Bürgertums die Selbstdarstellung als Demokraten. Diese fällt nicht
zuletzt deswegen so heftig aus, weil rund 80 Jahre später mit der NSDAP
nicht gerade eine Gralshüterin der Demokratie fast das ganze
nationalistische Milieu aufgesogen hat. Ähnlich verhält es sich mit
dem Antisemitismus: Da den Burschenschaften eine führende Rolle bei der
Durchsetzung des eliminatorischen und modernen Antisemitismus ab den 70er
Jahren des vorigen Jahrhunderts zukommt, müssen diese heute den
jüdischen Anteil an der Revolution und deren emanzipatorischen
Aspekt1 betonen. Auch für die Behauptung deutschnationaler
Akademiker und Studenten, heute die wahren und legitimen Vertreter der "kleinen
Leute" zu sein, muß die Revolution herhalten. So tönte der Wiener
FPÖ-Chef Rainer Pawkowicz bereits am letzten "Kommers": "Mehrmals
in der Geschichte, zuallererst im Revolutionsjahr 1848, haben
national-freiheitliche Intellektuelle und Arbeiter gemeinsam gekämpft."
Schließlich kommt der vereinnahmenden Rezeption der Revolutionäre
von 1848 im Kampf gegen das NS-Verbotsgesetz einige Bedeutung zu. Die
ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR DEMOKRATISCHE POLITIK (AFP) sieht sich bereits
seit Jahrzehnten von "Metternichs Erben" verfolgt. Auch der Wiener
FPÖ-Landtagsabgeordnete Heinz-Christian Strache stellt bei seiner
Behandlung der "deutschen 48er Revolution" in "Genius" (1/97) einschlägige
"Bezüge zur Gegenwart" her: "Weg mit Denk- und Sprechverboten, Freiheit
des Wortes, für die Wissenschaft und ihre Lehre."
Die propagandistische Bedeutung der Revolution erkannten auch die historischen
Faschisten. Otto Schwab, Burschenschafter bei der GERMANIA-Darmstadt und
ab 1933 Bundesführer des Dachverbandes DEUTSCHE BURSCHENSCHAFT (DB),
bekundete etwa bei der feierlichen Überführung der DB in den
NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHEN STUDENTENBUND im Oktober 1935 auf der
Wartburg: "Wir wollen in dieser feierlichen Stunde nicht nur an die neue
Zukunft Deutschlands denken, der wir freudigen Herzens entgegengehen und unsere
alten Farben als Bekenntnis zur neuen Form im alten Geist feierlich ablegen,
wir wollen auch unserer ruhmreichen Geschichte gedenken, unseren
Vorkämpfern der Urburschenschaft, des Wartburgfestes und auch jenen, die
1848 gemeinsam mit den Arbeitern für ein freies Deutschland
kämpften."
LEGENDE...
Legenden wie die folgende werden uns nächstes Jahr verfolgen: "Ein
Klassenhaß zwischen Bürgern und Arbeitern, wie er damals in
Frankreich entstand, entwickelte sich in Wien nicht. Die Arbeiter
überließen sich den Studenten und beide Gruppen bildeten gemeinsam
eine rührende Waffengemeinschaft." Es ist der Universitätssoziologe
und vormalige Corps-Student Roland Girtler, der in der
"Aula"-Broschüre "1848: Das verdrängte Gedenkjahr" einmal mehr
beweist, wie geduldig Papier ist. Nur daß sich die Arbeiter-Innen mangels
Organisa- tionsgrades und Klassenbewußtseins den Studenten
"überließen", stimmt hier. Von einem Häuflein linker,
radikal-demokratischer Studenten abgesehen, die die Parole von "Freiheit" und
"Gleichheit" wörtlich nahmen, hatten die desperaten Revolutionäre ein
instrumentelles Verhältnis zur ArbeiterInnenklasse. Als Druckmittel gegen
die absolutistische Herrschaft waren die verarmten Massen der Vorstädte
willkommen, aber sobald das Versprechen einer Verfassung und bürgerliche
Freiheitsrechte gegeben worden war und sich ein Weitertreiben der politischen
zur sozialen Revolution abzeichnete, war von einer "Waffengemeinschaft" seitens
der Studenten nur mehr wenig zu spüren. Die Studentenschaft als solche
stand zwischen den Klassen und hielt es mehr mit der staatlichen Einigung der
"deutschen Nation" als mit der sozialen Frage. Ihr kam die historische Aufgabe
zu, den revolutionären Druck der ArbeiterInnen aufzufangen und die Massen
mit pathetischen Reden über die "deutsche Nation" zu paralysieren.
Was Girtler moralisierend "Klassenhaß" nennt, die Zuspitzung der sozialen
Widersprüche zwischen Bourgeoisie und Proletariat noch im Moment der
politischen Emanzipation, bezeichnete Karl Marx als Charakteristika der
März-Ereignisse: "Die deutsche Bourgeoisie befindet sich also schon im
Gegensatz zum Proletariat, ehe sie noch als Klasse sich politisch konstituiert
hat. Der Kampf zwischen den Untertanen ist ausgebrochen, ehe noch Fürsten
und Adel zum Land hinausgejagt sind."
Angesichts der drohenden sozialen Revolution suchte die Bourgeoisie und mit ihr
der Großteil der (angehenden) Akademiker noch in der politischen
Revolution den Kompromiß mit der alten Herrschaft.
...UND WIRKLICHKEIT
Eine der zentralen Forderungen der Aufständischen war die Bewaffnung des
Bürgertums. Auch die Studenten erbaten am 13. März vom Kaiser
untertänigst die Erlaubnis sich bewaffnen zu dürfen. Bereits einen
Tag später gestattete dieser die Aufstellung der AKADEMISCHEN LEGION, die
unter dem schwarz-rot-goldenen Banner und als integrierter Bestandteil der
NATIONALGARDE das Weitertreiben der Revolution im Keim ersticken sollte. So
heißt es in der "Wiener Zeitung" vom 14.3.1848: "Um Ruhe in dieser seit
gestern bewegten Residenzstadt zu sichern, haben seine Majestät auch die
Bewaffnung der Studierenden mit Ausschluß aller Ausländer und unter
zweckmäßiger Regelung anzuordnen geruhet."
Angesichts der geringen Zahl von militärischen Einheiten in Wien und der
zeitgleich mit dem politischen Aufstand der Bürger und Studenten
ausbrechenden sozialen Revolte geriet die Volksbewaffnung zur
Überlebensnotwendigeit für die Klassenherrschaft. Daß unter
"Volk" die Besitzbürger und die inländischen
Universitätsangehörigen zu verstehen sind, daran ließen auch
die Revolutionäre keinen Zweifel. Die Horrormeldung eines Zeitzeugen
belegt den partikularistischen Charakter der Revolution und widerlegt Girtlers
Behauptung: "Während das Wiener Volk in der inneren Stadt für sein
politisches Recht und für das Wohl des Gesamt-Reiches sein Leben wagte und
sein Blut zum Opfer brachte, sammelte sich in den Vorstädten (...) der
Pöbel und ein Proletariat der gefährlichsten Art zusammen und zog
plündernd und raubend, sengend und brennend durch die Straßen! Auch
diese Horden hatten die Devise Freiheit auf ihre Fahnen geschrieben,
benützten aber die plötzlich so veränderte Gesamtstimmung zum
Rauben und Plündern und verübten Greuelthaten jeder Art."
Die bald abzufeiernden Revolutio-näre machten von Anfang an aus ihren
Herzen keine Mördergrube: "Wenn das Proletariat eine solche Gelegenheit
auch benützt, um Ausschreitungen zu machen, die Besitzenden und
Gebildeten, die an Ruhe und Ordnung ein Interesse haben, finden schon, wenn es
wieder notwendig ist, die erforderlichen Mittel, um die außer Rand und
Band gekommenen Massen wieder in die gehörigen Bahnen hineinzuleiten."
Die akademische und bürgerliche Konterrevolution war derart erfolgreich,
daß Ferdinand I. bereits am 15. März erklärte: "Eine
Nationalgarde, errichtet auf der Grundlage des Besitzes und Intelligenz,
leistet bereits die ersprießlichsten Dienste." Der Kaiser dankte der
NATIONALGARDE "für den mit gleicher Treue und Anhänglichkeit
bewiesenen Eifer und ihre rühmlichen Anstrengungen zur Wiederherstellung
und Befestigung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit".
Voller Stolz schreibt 1983 ein korporierter Apologet der studentischen
Revolutionäre, daß "die Regierung (...) das ernsthafte Bemühen
der Legion um das Niederhalten radikaldemokratischer Kräfte und die
Vermeidung anarchischer Zustände anerkannt" habe.
Der Chronist der Revolution, Maximilian Bach, berichtet über das
Wüten der NATIONALGARDE gegen die Opfer des Bündnisses von sozialer
und politischer Herrschaft: "Der größte Teil der Märzgefallenen
fiel in den nächtlichen Kämpfen vor den Linien. Diese Proletarier
sind nicht gefallen am 13. März im Innern der Stadt selbst, im Kampfe
gegen das alte System und seine militärischen Verteidiger (...). Sie sind
vielmehr gefallen vor den Linien Wiens; getötet nicht von Soldaten,
sondern von Nationalgarden oder Bürgermilitär; im Kampfe nicht direkt
gegen Metternich, im Kampfe vielmehr gegen die Fabriken; als Opfer des
Kapitalismus und als lebender, wenn auch unbewußter Protest gegen die
kapitalistische Verfälschung der Revolution."
Als am 23. August 1848 eine Demonstration tausender ArbeiterInnen gegen
einschneidende Lohnkürzungen von der NATIONALGARDE niedergemetzelt wurde,
war von Girtlers "rührender Waffengemeinschaft" ebenfalls nicht viel zu
merken. Die AKADEMISCHE LEGION beobachtete das als "Praterschlacht" in die
Geschichte eingegangene Gemetzel vielmehr mit distanzierter Neutralität.
Doch verstärkten sich in der Folge unter den Studenten die seit Mai
anhaltenden Spaltungstendenzen zwischen radikal-demokratischen und
konstituellen Kräften. Einige erkannten bereits, daß die
bürgerlichen Freiheiten nur im Bündnis mit dem Proletariat verteidigt
werden können. Als dann Ende Oktober die kaiserlichen Truppen Wien
überfielen und die Revolution endgültig nierderschlugen, standen
nicht mehr alle einstigen Revolutionäre gemeinsam mit den ArbeiterInnen
auf den Barrikaden.
Daß die Burschenschafter angesichts der rasanten Kräfteverschiebung
zugunsten der radikalen Linken am Vorabend der siegreichen Konterrevolution
heute Bauchweh haben, liegt auf der Hand. So bringt Klaus-Walter Frey
ein gewisses Verständnis für den Schlag der Reaktion auf: "Der Abzug
der (kaiserlichen, Anm.) Truppen hatte bewirkt, daß sich überall aus
dem Proletariat und den Tiefen der Gesellschaft Elemente nach oben
drängten, die die konstituellen Liberalen und Großdeutschen
politisch an die Peripherie zu drängen suchten. Gleichzeitig entwickelte
sich Wien zu einem Treffpunkt internationalistischer Revolutionäre aus dem
sozialistischen Lager und der anarchodemokratischen Szenerie, die die Hoffnung
hegten, aus diesem Gemeinwesen eine Spielwiese der allgemeinen
europäischen Revolution machen zu können."
DEUTSCHNATIONALISMUS UND ANTISEMITISMUS
Die Revolution von 1848 war in Östereich eine erste offene Manifestation
des deutschen Nationalismus und Einheitsstrebens.
Die Petition der Studenten, die am 12. März dem Kaiser übergeben
wurde, beinhaltete neben der Bitte um Gewährung bürgerlicher
Freiheitsrechte unabhängig von der Konfession unter anderem die Forderung
nach einer Vertretung der "deutschen Landestheile" beim "Deutschen Bund".
Diesem großdeutschen Geist wurden nach und nach demokratische Forderungen
untergeordnet. Sogar die Rufe nach einer österreichischen Verfassung
verstummten allmählich, da dadurch das germanomanische Einheitsdenken
gefährdet worden wäre.
Bezeichnenderweise am Tag nach der sogenannten "Praterschlacht" verlangten die
nationalistischen Studenten die Dankbarkeit der Massen. In der
"Studentenzeitung" versuchten sie angesichts des Verratsvorwurfes, die soziale
Frage als nationale zu desartikulieren: Es sei ihr Verdienst, wenn
"Österreich mit Deutschland innig verbunden, der mächtigste Staat
nach außen bestehen wird. Wenn der Kaiser nicht mehr so wie früher
durch wurmstichige politische Verträge, durch feile Minister
abgeschlossen, an die Politik des Auslandes festgeschmiedet sein wird, -
sondern wo der Thron auf den Schultern eines großen Volkes gegen die
Wolken erhoben, einen Kaiser in seinem Schoße birgt, durch dessen Mund
der Wille des Volkes, wie der allmächtige und der achtungsgebietende
Donner den fremden Völkern verkündet wird."
In dem Maß, in welchem die Revolutionäre sich von ihren
demokratischen Forderungen verabschiedeten, verbreitete sich in ihren Reihen
der Antisemitismus. Damit kehrten die burschenschaftlichen Studenten wieder zu
ihren Wurzeln zurück: An der Wiege des deutschen Nationalismus und der
Burschenschaften standen mit Jahn, Arndt und anderen
Volkstümlern ja wütende Antisemiten (vgl. Lotta dura 6/96). Jedoch
wurde dieses völkische Moment mit der Begeisterung für das
französische Vorbild und die liberale Demokratie in den Hintergrund
gedrängt. Aber kurz nach der Niederlage besann sich der Großteil der
Deutschnationalen wieder auf den Franzosenhaß des antinapoleonischen
Befreiungskrieges und entdeckte den germanischen Mythos neu. Der Verrat an der
Demokratie war ein leichter, wenn diese als "undeutsch" entlarvt werden konnte.
Daneben brauchte die staatlich ungeeinte Nation wieder ein ideologisch
einigendes Band - und dieses stellte der Antisemitismus dar. Knapp 30 Jahre
nach der Märzrevolution erließ mit der Wiener LIBERTAS die erste
Burschenschaft einen "Arierparagraphen".
Wenn es also auch stimmt, daß 1848 der Antisemitismus in Wien weitgehend
auf das Lager der Reaktion beschränkt war, so ist doch die oft
vorgebrachte Meinung, er sei von außen in die Burschenschaften getragen
worden, falsch. Er war in diesem Milieu stets latent vorhanden und mußte
bloß mobilisiert werden.
Das Beispiel Richard Wagner zeigt daneben, wie äußerlich die
Forderung nach jüdischer Gleichberechtigung und der Liberalismus den
nationalistischen Revolutionären geblieben war. So meinte der
burschenschaftliche Heroe: "Als wir für Emanzipation der Juden stritten,
waren wir aber doch eigentlich mehr Kämpfer für ein abstractes
Prinzip, als für den concreten Fall: wie all unser Liberalismus ein nicht
sehr hellsehendes Geistesspiel war, indem wir für die Freiheit des Volkes
uns ergingen, ohne Kenntnis dieses Volkes, ja mit Abneigung gegen jede
wirkliche Berührung mit ihm, so entsprang auch unser Eifer für die
Gleichberechtigung der Juden viel mehr aus der Anregung eines allgemeinen
Gedankens, als aus einer realen Sympathie; denn bei allem Reden und Schreiben
für Judenemanzipation fühlten wir uns bei wirklicher, tätiger
Berührung mit Juden von diesen stets unwillkürlich abgestoßen."
1Die Forderung nach politischer Gleichberechtigung der Juden war
insofern nicht unproblematisch, als sie von den Betroffenen verlangte,
daß sie aufhörten Juden zu sein. Der Preis für die Emanzipation
sollte im Denken und Handeln der meisten Revolutionäre die
vollständige Assimillation sein.
Literatur: Bach, Maximilian: Geschichte der Wiener Revolution im Jahre
1848. Wien 1898 Frey, Klaus-Walter: Die bürgerliche Revolution des
Jahres 1848 an den Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck unter dem
Einfluß der freiheitlich-burschenschaftlichen Bewegung. Würzburg
1983 Reschauer, Heinrich; Smetz, Moritz: Das Jahr 1848. Geschichte der
Wiener Revolution. Wien 1872. 1. Bd. Sterling, Eleonore: Er ist wie du. Aus
der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland (1815-1850).
München 1956
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