Soziale Frage - Rechte Antwort
Die Mutation der FPÖ zur
'Arbeiterpartei' samt eigener Gewerkschaft,
ÖGB-Funktionäre, die gemeinsam mit den
Behörden auf Baustellen 'Illegale' jagen, dazu
ein sozialdemokratischer Gewerkschaftschef, der
meint, die FPÖ sei "in der Ausländerfrage
ein gelehriger Schüler des ÖGB" - was ist
bloß los mit unserer 'Arbeiterklasse'? Viele
Linke stehen wieder ratlos vor der Tatsache,
daß ihr vermeintlich revolutionäres
Subjekt gegen seine noch vermeintlicheren
objektiven Interessen handelt.
"WOLLT IHR DEN TOTALEN MARKT?"
In einem jüngst bei "Knaur" erschienenen
Buch wird der Versuch unternommen, den
Neoliberalismus als "Parteidoktrin" der
Rechtsextremen in Deutschland und Österreich
zu identifizieren1. Das
"Antifaschistische Infoblatt" kommt nach dessen
Lektüre zum Schluß, daß "die
modernisierungsbereiten, an der FPÖ
orientierten Teile der extremen Rechten (...) auf
eine radikale Interpretation des neoliberalen
Gesellschaftsentwurfs setzen und sich dabei
deutlich vom historischen Faschismus
abgrenzen"2. Wenn wir mal außer
acht lassen, daß der Faschismus den
Liberalismus zwar als Weltanschauung
bekämpfte, seine ökonomische
Prämisse - das Privateigentum - aber teilte,
die Abgrenzung so deutlich also gar nicht ist, dann
drängt sich immer noch die Frage auf, warum
der Anteil von ArbeiterInnen an der
WählerInnenschaft rechtsextremer Parteien
derart rapide wächst.
Zwei Erkärungsansätze herrschen hier
vor: Der eine geht aus von einer totalen Herrschaft
des Neoliberalismus - also auch über die
Köpfe der ArbeiterInnen. Diese würden der
umfassenden Durchsetzung des Konkurrenzprinzips,
dem Sozialabbau, der Deregulierung und
Privatisierung, der Liberalisierung der Märkte
u.ä. zustimmen. Der andere Ansatz hebt die
sozialdemagogische, rassistische Mobilisierung des
Proletariats hervor. Dieser Moment würde den
faschistischen Charakter der modernen
rechtsextremen Parteien ausmachen: Als
(klein)bürgerliche Bewegungen mit dem
entsprechenden Interessengehalt verbreitern sie
ihre soziale Basis, indem sie vorgeben, für
die Interessen der ArbeiterInnen zu kämpfen.
Sie hätten dann notwendig auch einen zweiten
Flügel und einen charismatischen Führer,
der mit seiner Autorität den Widerspruch
zwischen den Fraktionen am Aufbrechen hindert. Der
Charakter der FPÖ als autoritäre
Führerpartei gründet sich demnach weniger
in der Persönlichkeitsstruktur Haiders
als in der Heterogenität der vertretenen
Interessen.
Während sich für die AutorInnen des
erwähnten Buches die Frage nach der
Massenbasis rechtsextremer Parteien gar nicht
stellt, wollen wir im folgenden versuchen, zu
zeigen, daß im Falle Österreichs und der
FPÖ beide Ansätze zutreffend sind. Da der
neoliberale Charakter der FPÖ im Buch
(verabsolutierend) bereits dargestellt ist,
beschränken wir uns dabei aber weitgehend auf
ihre sozialdemagogischen Züge.
WIE NEOLIBERAL IST DIE FPÖ?
In ihrem Versuch, die rechtsextremen
Wahlparteien von der NSDAP abzugrenzen, stellen die
AutorInnen zunächst die Behauptung auf, die
"politischen Ziele" ersterer seien nicht wie im
Falle zweiterer "schlagwortartig artikuliert,
sondern detailliert ausgeführt, theoretisch
begründet und widerspruchsfrei" (S. 10). Da
tun sie aber zumindestens der FPÖ zuviel des
Guten: Ist es schon mit der Detailliertheit und
theoretischen Begründung des immer noch
gültigen FPÖ-Programms von 1985 im
Vergleich mit dem NSDAP-Programm von 1920 nicht so
weit her, zeugt die Behauptung von
Widerspruchsfreiheit im FP-Programm von selektiver
Wahrnehmung. Tatsächlich werden zielstrebig
nur jene Stellen zitiert, mit welchen sich der
wirtschaftsliberale Charakter der FPÖ belegen
läßt. Daher wollen wir im folgenden ein
paar unterschlagene Passagen aus dem FP-Programm
anführen: "Ausbeutung lehnen wir ab" (Ziffer
43), "harmonisches Gleichgewicht (...) zwischen
Kapital und Arbeit" (Z. 47), "notwenige Schutz
sozial Schwacher" (Z. 227), "Wir betrachten das
Recht auf Arbeit als soziales Grundrecht und wollen
es in der Verfassung verankert wissen" (Z. 242),
"bekräftigen unsere Überzeugung,
daß ungezügelte Wirtschaftsfreiheit dort
unannehmbar wird, wo sie zur Ausbeutung führt,
die Situation der sozial Schwachen mißachtet
oder die Interessen des Gesamtwohles verletzt" (Z.
246).
Wie es um die angebliche Widerspruchsfreiheit
bestellt ist, belegen auch die Auseinandersetzungen
um das neue Programm: Nicht nur aufgrund der
Uneinigkeit bezüglich des Verhältnisses
zum organisierten Christentum mußte der
Programmparteitag auf Herbst '97 verschoben werden.
Die Frontstellung zwischen den beiden Flügeln,
von der "Jungen Freiheit" als
Modernisierungsverweigerer und Modernisierer
identifiziert, zeigte sich u.a. am Parteitag
letzten November. Dort forderte die
F-Nationalratsabgeordnete Aumayer per
Zusatzantrag "die Einführung von
Schutzzöllen", wogegen "sich Vertreter des
Wirtschaftsflügels" mit Erfolg
stemmten3. Ähnlich falsch ist die
Behauptung der AutorInnen, die rechtsextremen
Parteien hätten das Konzept der
"Volksgemeinschaft" ad acta gelegt und statt dessen
würden in der Agitation "kollektive durch
individuelle Interessen ersetzt" (S. 10). Als
Bestandteil
antiklassenkämpferisch-harmonizistischer
Ideologie, die soziale Interessen bzw. Herrschaft
entnennt, ist der Volksgemeinschaftsdiskurs
konjunkturell abhängig vom Stand sozialer
Kämpfe. Tatsächlich ist im
sozialpartnerschaftlich-stabilen Österreich
der exzessive Gebrauch volksgemeinschaftlicher
Propaganda (noch) nicht erforderlich. In der
Politik der FPÖ hat sie dennoch ihren festen
Platz. Haiders diesbezüglicher Kommentar zur
Programmdiskussion Anfang der 80er Jahre gibt bis
heute die Richtung vor: "Dabei ist auf das
Bekenntnis zur Volksgemeinschaft besonderer Wert zu
legen, die eine organische und ethische
Gebundenheit des Menschen in verschiedenen
Gemeinschaften, von der Familie bis zum Volk, zum
Ausdruck bringt. Damit grenzen wir uns von
materialistischen Ideologien ab, für die der
Mensch nur ein einzelhaftes Wesen in einer
gesichts- und bindungslosen Gesellschaft
darstellt!"4. 1989 verlangte Haider eine
"Rückkehr zu ganzheitlichem Denken, frei von
jedem Gruppenegoismus"5. Vier Jahre
später sprechen die programmatischen
"Freiheitlichen Thesen zur politischen Erneuerung
Österreichs" von einer "Absage an das
egozentrische Weltbild" und ersetzen das
"Gemeinnutz vor Eigennutz" der NSDAP durch ein
"Gleichgewicht zwischen persönlichen Sorgen
und der Verpflichtung gegenüber der
Gemeinschaft."6 Die 'soziale
Volksgemeinschaft', zu der sich die FPÖ nach
wie vor bekennt, ist im Unterschied zur
bürgerlichen Gesellschaft nach innen nicht
über Besitz strukturiert, sondern über
das sog. Leistungsprinzip. Demnach stellt sich eine
identitäre Hierarchie über die
Gemeinsamkeit des 'redlichen Schaffens' dar:
'Kapitalist' wie 'Arbeiter' sind - unter
ideologischer Ausblendung ihrer unterschiedlichen
Stellung in der gesellschaftlichen (Re)Produktion -
gleich in ihrem Willen, durch 'Leistung' es zu
etwas zu bringen. Haiders "Gemeinschaft der
Tüchtigen" wird neben Rassismus (s.u.) und der
Akzeptanz des Leistungsprinzips auch durch
Verzichtsphilosophie zusammengehalten. Marcuse
sprach bereits im Falle der NS-Ideologie von "einer
radikalen Entwertung der materiellen Sphäre
des Daseins", von einem "'Heroismus' der Armut und
des 'Dienstes', des Opfers und der Zucht."7
Derartige Töne schlägt heute u.a.
der ehemalige FP-Chefideologe Andreas
Mölzer an. Im zunehmend rechtsgewirkten
Zentralorgan der heimischen Industrie ruft er nach
"einer neuen Bescheidenheit: Konsumverzicht,
Zufriedenheit auch mit geringeren Erlösen,
ohne statt dessen auf Sozialhilfe und
Arbeitslosengeld zurückzugreifen."8
Die Meinung der AutorInnen, wonach
Nationalismus und Rassismus zugunsten der
"Tauschregeln des freien Marktes" (S. 11) als
integrative Ideologie ausgedient hätten und
die soziale Frage nicht mehr in der nationalen
aufginge, ist ebenso unrichtig. Schon die
unüberhörbaren "Österreich
zuerst!"-Schreie der FPÖ, das obligate
Gegenüberstellen von MigrantInnen und
inländischen Arbeitslosen usw.
müßte eigentlich einer derartigen
Einschätzung entgegenstehen.9
Gleich jeder anderen Ideologie, die auf dem Boden
des Privateigentums an den Produktionsmitteln und
der marktförmigen Vergesellschaftung steht,
sieht sich auch der Neofaschismus mit dem Problem
konfrontiert, wie sich aus der Masse der
konkurrenzierenden Wirtschaftssubjekte ein 'Volk'
bilden läßt. Die Antwort, die bei
Faschisten etwas heftiger ausfällt, wird seit
jeher in der Imagination der nationalen
Gemeinschaft bzw. 'Identität' gesucht und
gefunden.
DER NATIONALE "SOZIALISMUS" DER FPÖ
Daß, wie die AutorInnen weiters
feststellen, die rechtsextremen Parteien heute
weitgehend ohne sozialistische Rhetorik auskommen,
liegt wohl eher in der hegemonialen Schwäche
der Linken begründet. Haider z.B. würde
sich als waschechter Sozialist geben, falls
hierzulande eine revolutionäre Stimmung
vorherrschen würde. Doch ganz ohne
Sozialdemagogie geht es auch heute nicht ab, und es
ist mehr als eine Fleißaufgabe, wenn sich
Haider als Linker outen läßt: So
attestiert ihm der mittlerweile geschaßte
FP-Vordenker Gerulf Stix eine Nähe zu
"sozialdemokratischen Positionen"10. Die
(Selbst)Darstellung Haiders als "Anwalt der kleinen
Leute", als "Erbe Bruno Kreiskys", als der bessere
bzw. eigentliche Sozialdemokrat wird verbunden mit
dem Verratsvorwurf an die Sozialdemokratie. Aber
auch der ist nicht neu: "Wir sind nicht nur eine
Arbeiterpartei", posaunte bereits Goebbels 1926,
"wir sind heute in der Zeit sozialdemokratischen
Verrats (...) die Arbeiterpartei." Haider
bspw. nannte Vranitzky wiederholt einen herzlosen
"Macher" und "Nadelstreifsozialisten", der "ohne
soziales Empfinden" sei11 und warf ihm die
Repräsentation eines "Sozialismus ohne
Anständigkeit" vor12. Am 1. Mai dieses Jahres
hielt Haider der SPÖ vor, "Solidarität"
sei ihr "zum Fremdwort geworden", deren
Vorsitzender Klima habe ein "kaltes Herz". Und:
"Wir stehen wirklich auf der Seite der arbeitenden
Menschen in diesem Land"13.
Immerhin im offiziellen Periodikum der
FPÖ-Steiermark findet sich eine Darstellung
der "arbeitende(n) Bevölkerung", wie sie
einerseits vom "Sozialismus" mittels "Steuern",
andererseits vom "Kapitalismus" mittels "Zinsen" in
die Zange genommen wird. Hinter beiden stünden
die altbekannten "internationalen" Kräfte,
hier "Parteien und Gewerkschaften", dort "Banken
und Spekulanten". Darunter: "Der Sozialismus und
der Kapitalismus teilen sich in geheimer
Komplizenschaft die Ausbeutung der arbeitenden
Bevölkerung. Und die logische Konsequenz
dieser bankensozialistischen Ausbeutung ist die
zunehmende (sic!) deutlicher in Erscheinung
tretende Tatsache, daß in allen Ländern
der Erde die werktätigen Menschen immer
ärmer und die nichtstuenden immer reicher
werden."14 Schon die historischen Nazis
unterschieden zwischen 'raffendem' und
'schaffendem' Kapital, phantasierten von der
"geheimen Komplizenschaft" von sich nur scheinbar
bekämpfenden Ideologien bzw.
Herrschaftsformen, kämpften für die
'Brechung der Zinsknechtschaft'. 1997 beweist die
FPÖ in kaum zu überbietender
Deutlichkeit, daß der Antisemitismus nicht
ausgedient hat, wenn es darum geht, auf dem Feld
des Sozialen zu punkten.
Andreas Mölzer und Günther
Rehak bringen im Vorwort ihres Sammelbandes
"Sozialismus - Ende oder Aufbruch?" die "emotionale
Ebene" ins Spiel: Mit Gregor Strasser
sprechen sie von der "große(n)
antikapitalistische(n) Sehnsucht, die durch unser
Volk geht", vom völkischen Protest "gegen eine
Wirtschaftsordnung, die nur in Geld, Profit,
Dividende denkt, und die vergessen hat, an Arbeit
und Leistung zu denken."15
Es war auch der Neonazi Rehak, der in der
"Jungen Freiheit" die Richtung vorgab: "Die
FPÖ müßte über den Schatten
der bewegungseigenen Hausbesitzer und
Grundstücksspekulanten springen und klar das
Ziel einer nationalen Arbeiterpartei
anpeilen."16 Zumindest die von
Burschenschaftern dominierte Wiener FPÖ
hält sich an diesen Rat, was angesichts der
hauptstädtischen Sozialstruktur nicht weiter
überrascht. Es ist aber mehr als wahltaktische
Notwendigkeit, wenn die FPÖ hier
"Solidarität statt Sparpaket" plakatieren
läßt. Ihr Obmann Rainer Pawkowicz
am letzten "Kommers" in der Hofburg: "Mehrmals
in der Geschichte, zuallererst im Revolutionsjahr
1848 haben national-freiheitliche Intellektuelle
und Arbeiter gemeinsam gekämpft. (...) Wir als
national-freiheitliche Korporationsstudenten haben
nicht nur die Chance, sondern auch die verdammte
Pflicht und Schuldigkeit, uns für jene
Menschen, die die links-linke Schickeria in ihrer
Arroganz so gern 'den kleinen Mann' nennt,
einzusetzen".17 Ein paar Monate
später kündigte der Wiener FP-Obmann an,
seine Partei werde nicht nur die
ArbeiterInneninteressen vertreten, sondern nun auch
die "Aufgaben der untätigen Wiener
Industriellenvereinigung
übernehmen"18.
WIE FASCHISTISCH IST DIE FPÖ?
Das neue alte "Bündnis zwischen Mob und
Kapital" (Hannah Arendt) unter dem Banner der
Standortkonkurrenz und der historisch abgeleiteten
Führung (1848!) der deutschnationalen
Akademiker stellt mehr dar als eine ideologische
Verknüpfung zweier heterogener Interessen. Es
handelt sich hierbei tendenziell um die
Herausbildung einer neuen Form bürgerlicher
Herrschaft, diesmal jedoch nicht gegen die
proletarische Revolutionsdrohung, sondern gegen die
drohende Unterlegenheit der "Volksgemeinschaft" im
globalen Konkurrenzkampf. Allein der
unterschiedliche Charakter der Krise verbietet es
aber, einfach von einer originalgetreuen Neuauflage
des Faschismus zu sprechen. Dennoch wäre es
Aufgabe der Linken, das Verhältnis zwischen
sozialer Basis und Funktion der FPÖ mit dem
faschismustheoretischen Instrumentarium zu
analysieren. Dabei ist jedoch der relativen
Autonomie des Ideologischen Rechnung zu tragen:
Gerade faschistische Ideologien und Bewegungen mit
ihrem aktivistischen Überschuß und ihrer
Neigung zur Verselbständigung sind nicht als
Instrumente in den Händen irgendeines
Großkapitals zu fassen. Und auch neue
faschistische Bewegungen mit ihrer weitgehenden
Unabhängigkeit von sozialen und politischen
Herrschaftsinteressen entziehen sich der
instrumentalistischen Reduktion. Statt dauernd die
verborgenen, einheitlichen Interessen irgendwelcher
'herrschenden Kreise' aufzustöbern, sollte der
Blick einerseits auf die Differenzen innerhalb
sozialer Herrschaft, andererseits auf die
subjektive Funktionalität der individuellen
Unterstützung faschistischer Bewegungen
gerichtet werden.
Es macht also trotzdem Sinn, zunächst nach
dem (widersprüchlichen) sozialen Gehalt der
FPÖ zu fragen: Zu Recht wurde hier schon des
öfteren darauf hingewiesen, daß die
FPÖ einerseits die Interessen schwacher,
binnenmarktorientierter Kapitalfraktionen vertrete.
Diese treffen sich zum Teil mit denen des/r
fordistischen NormalarbeiterIn in der Ablehnung all
dessen, was euphemistisch unter "Modernisierung"
läuft (Flexiblisierung, Öffnung der
Märkte, Deregulierung usw.). Andererseits
verfügt die FPÖ über ein kleines
postfordistisches Segment: Die
Boutiquen-Bourgeoisie und neuen
Selbstständigen (Haiders "Leistungseliten"),
jene aggressiven Kapitalfraktionen, denen das
sozialpartnerschaftlich-wohlfahrtsstaatliche
Korsett zu eng geworden ist. Die FPÖ steht
somit nicht nur vor dem Problem,
ArbeiterInneninteressen mit bestimmten
Kapitalinteressen zu versöhnen, sondern auch
innerhalb letzterer vereinheitlichend zu wirken.
Tatsächlich könnte die FPÖ auf
Perspektive den parteiförmigen Rahmen für
ein neues kapitalistisches Klassenbündnis
abgeben und auch hierin die Sozialdemokratie
beerben. In den z.T. heftig geführten
Debatten, ob die FPÖ jetzt eine faschistische
Partei sei, würde eine genauere Bestimmung des
Gegenstandes viele Uneinigkeiten ausräumen.
Denn, wenn faschistisch inhaltlich und über
die Ziele (Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie, Zerschlagung der Organisationen der
ArbeiterInnenbewegung usw.) bestimmt wird, dann
trifft dieses Attribut auf die Haider-Partei nicht
zu. Wird faschistisch aber funktional definiert,
sieht das ganze schon etwas anders aus: Faschismus
meint u.a. die Mobilisierung des 'Volkes' gegen den
politischen Machtblock, verbunden mit der Sicherung
der Klassenherrschaft, also die Herstellung eines
neuen Massenstützpunktes für die soziale
Herrschaft der Bourgeoisie. Was die
Sozialdemokratie in Zeiten des Wohlfahrtsstaates
v.a. mittels materieller Leistungen vermochte,
nämlich die ArbeiterInnen an den
kapitalistischen Staat zu binden, könnte zur
Aufgabe der FPÖ werden.19 Dabei
kommt - nicht zuletzt aufgrund der fast
überall akzeptierten Meinung, daß es
nichts mehr umzuverteilen gäbe - dem
Ideologischen und der populistischen Inszenierung
ein ungleich größerer Stellenwert zu.
Lassen wir jetzt mal die unüberhörbaren
Nazi-Töne von FP-FunktionärInnen, diese
erfolgreiche Nutzung jener kulturellen Ressourcen,
die der historische Faschismus und der
Antisemitismus in diesem Land darstellen,
außer acht, so spricht eine weitere
Ähnlichkeit für die Charakterisierung der
FPÖ als faschistische Bewegung. Diese verbirgt
ihre soziale Funktion der Massenintegration in den
kapitalistischen Staat nicht nur hinter
sozialdemagogischen Ausfällen, sondern auch
hinter ideologischen Praxen, die allesamt den
realen Ausschluß durch inszeniertes
Dabei-Sein verdecken. Der Sinn der faschistischen
Masseninszenierung liegt in der Suggestion der
Anteilnahme am politischen Prozeß. Die reale
Ohnmacht der Individuen wird hier aufgehoben in
hysterischem Aktivismus, permanenter Bewegung, im
kollektiven Verfolgungswahn genauso wie in
Allmachtsphantasien. Wer einmal auf einer
Haider-Kundgebung war, weiß, was wir meinen:
Dieser aufgeregte Mob aus narzißtisch
gekränkten 'kleinen Leuten', der als
pathologische Gruppe20 im unmittelbaren Kontakt mit
dem autoritären Führer Befriedigung
findet. Denn an ihn können all die
unterdrückten Rachegelüste und
Aggressionen delegiert werden.
DIE MASSENBASIS DER FPÖ
Wollen wir abschließend noch die Frage
aufwerfen, warum die 'kleinen Leute' in derartiger
Anzahl dem porschefahrenden Haider in den
plebiszitären Führerstaat folgen, so
müssen wir zunächst wegkommen vom
Verständnis des Faschismus als bloße
'Täuschung' der - an sich von der Linken
abzuholenden - Massen.
Es gibt in der Faschismustheorie aber auch
Ansätze, welche die psychische Disposition der
faschistischen ParteigängerInnen ins Zentrum
der Analyse stellen. Auf diese könnten wir bei
der Behandlung des Haider-Phänomens
zurückgreifen.21 Insbesondere Erich
Fromms Behandlung der oberflächlichen
"Rebellion" als "Abfall von einer Autorität
unter Beibehaltung der autoritären
Charakterstruktur" könnte uns da weiterhelfen.
Diese hat ihre "Ursache darin, daß die
bestehende Autorität ihre entscheidende
Qualität einbüßt, nämlich die
der absoluten Macht und Überlegenheit, womit
notwendigerweise auch ihre psychologische Funktion
aufhört. Die bisher unterdrückte
Feindseligkeit wendet sich mit besonderer
Stärke der bisherigen Autorität zu, die
Liebe und Bewunderung der neuen."22 Den
hier angesprochenen Ambivalenzkonflikt
(gleichzeitiges Lieben und Hassen der (elterlichen)
Autoriät) vermochte der antisemitische
Massenmensch insofern zu lösen, als "er die
veräußerlichte elterliche Gewalt in zwei
Teile spalten (kann): in den Führer, den er
liebt, und den Juden, den er
haßt."23 Der "Jude", auf den der
verhaßte Teil der Autoriät
übertragen werden konnte, war nicht beliebig
austauschbar: Der Antisemitismus unterscheidet sich
vom Rassismus ja gerade darin, daß er die
Juden und Jüdinnen nicht nur als
'minderwertig' konstruiert, sondern gleichzeitig
eine (intellektuelle, wirtschaftliche oder sonst
wie geartetete) Überlegenheit und Allmacht des
jüdischen 'Gegenvolkes' behauptet.Die
Überwindung des Ambivalenzkonfliktes bedarf
einer scharfen Trennung in gut und böse,
Freund und Feind, 'wir' und 'die'. Der
Antisemitismus verschafft dann dem autoritären
Charakter die Chance, das Bedürfnis nach
Aufruhr und Unterwerfung gleichzeitig zu
befriedigen.
Die pathologische Gruppe unterwirft sich einem
Führer, der sich klein und groß zugleich
macht. Die Darstellung des Multimillionärs
Haider als einfacher Mann von der Straße,
seine Inszenierung als verfolgtes Opfer der
Mächtigen erlaubt den Mitgliedern der Gruppe,
die Unterwerfung als Verbrüderung erfahrbar zu
machen. Der mobnahe Führer als neue
Autorität ist daneben notwendig groß,
streng und aggressiv. Haider, der sich
stellvertretend für die Ohnmächtigen "was
traut", richtet die Aggressionen gegen gestrige
oder scheinbare Autoritäten wie "Bonzen" und
gegen Gruppenfremde. Doch ein gewisses Unbehagen
bleibt: Die Angst der pathologischen Gruppe vor
sich selbst und dem Führer als kollektivem
Über-Ich schweißt diese weiter zusammen.
Haider, der sich und seinem Anhang dauernd
versichert, fleißig, anständig und
pflichtbewußt zu sein, schmeichelt damit
nicht nur dem Selbstbild des Mobs, sondern wirkt
auch disziplinierend. Die 'kleinen Leute', von
Haider als Gemeinschaft der Tüchtigen
angerufen, fürchten nämlich, daß
sich die zum Ausleben an den Führer
übertragenen Aggressionen gegen die
Gruppenfremden (z.B. "Sozialschmarotzer") auch mal
gegen sie selbst richten könnten. Zum
einigenden Band der Angst, der Liebe zum
Führer und des Verfolgungswahns kommt ein
drittes Moment, das den prolet-arischen
Haider-Fanclub zusammenhält: die
Solidarität in ihrer gruppenbeschränkten
Form. "Grundsätzlich wird eine Tendenz zu
'narzißtischer Perspektivenverengung'
sozialen Protests in dem Maße an Bedeutung
gewinnen, als sich Erfolgsaussichten solidarischen
Handelns in einer bestimmten wirtschaftlichen und
politischen Konjunktur verringern."24
Die rechte Antwort auf die soziale Frage verlagert
diese auf die Ebene der Zirkulation und Verteilung.
Sie entnennt nicht nur deren Ursache in der
gesellschaftlichen Spaltung entlang des Eigentums
an den Produktionsmitteln, sondern spaltet auch die
Betroffenen auf.
Der Universalismus der 'klassischen' Linken, die
sich auf den Kampf in/vor den Fabriken
konzentrierten, ist aber nicht nur angesichts des
rechten Partikularismus gescheitert. Er
vergaß in seiner Fixierung auf die Stellung
der Individuen in der Produktion ganz auf das Leben
außerhalb der Lohnarbeit. Im Gegensatz zu
ökologischen Intitiativen, die die alte
Beschränktheit zum Großteil durch eine
neue ersetzt haben, erkannte die neue
Frauenbewegung, daß Politisierung
außerhalb der Produktion notwendig und
möglich ist. Noch einmal: Die Mitglieder des
Mobs werden von den faschistischen Agitatoren
weniger geblendet und von ihren 'objektiven
Interessen' abgelenkt, als entsprechend ihrer
psychischen Verfassung bedient. Allein die Rede von
'objektiven' oder 'eigentlichen Interessen' ist
Nonsens: Interessen sind bewußt oder sie sind
keine, und Bewußtsein stellt sich allemal auf
ideologischem Terrain her. Die vielstrapazierten
Ängste, Nöte und Bedürfnissse
existieren nicht im vordiskursiven Raum, sondern
entstehen in alltäglichen Auseinandersetzungen
und werden von ideologischen/kulturindustriellen
Apparaten vermittelt. Bereits hier
müßten wir in unseren Kämpfen
ansetzen. Weniger denn je ist der soziale Kampf vom
kulturellen und politischen abzutrennen, erst in
der Verknüpfung der Kämpfe erlangen diese
potentiell emanzipatorischen Charakter.
1 Schui, Herbert et al.: Wollt ihr
den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die
extreme Rechte. München 1997
2 AIB Nr. 38/97, S. 11
3 Junge Freiheit 49/97
4 Aula 10/83, S. 8
5 zit. in: Mölzer, Andreas:
Volkstribun Haider. Trommler oder Erneuerer? Berg
a. See o.J., (Deutsche Geschichte-Extra, hg. von
Gert Sudholt), S. 41
6 Aula 11/93, S. 25
7 Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen
den Liberalismus in der totalitären
Staatsauffassung, in: Abendroth, W. (Hg.):
Faschismus und Kapitalismus. Theorien über die
sozialen Ursprünge und die Funktion des
Faschismus. Frankfurt/M. 1979, S. 60
8 Die Presse, 3.5.97
9 Jedoch geht Ralf Ptak dann in
seinem Beitrag zur FPÖ schon etwas
differenzierender an die Sache: "Der Rassismus",
schreibt er, "ist ein bedeutendes Element für
ihre sozialdemagogische Propaganda, mit der sich
die FPÖ als Anwalt der 'kleinen Leute'
ausgeben kann, obwohl sie für ein
gesellschaftliches Modernisierungskonzept steht,
das gerade die unteren und mittleren Einkommen
durch den Abbau öffentlicher
Transferleistungen in besondererm Maße
belasten würde." (S. 219)
10 Der Standard, 12.4.96
11 Kurier, 7.11.86
12 Freiheitlicher Pressedienst, 19.11.89
13 NFZ, 7.5.97
14 konkret. Freiheitlicher Gemeindekurier Nr.
29, März 97
15 Rehak, G.; Mölzer, A. (Hg.): Sozialismus
- Ende oder Aufbruch? Graz-Stuttgart 1995, S. 6
16 Junge Freiheit 51-52/95
17 Aula 1/97, S. 37
18 Neue Kronen Zeitung, 18.4.97
19 Um der Sozialfaschismus-These vorzubeugen,
müssen wir bei der historischen
Sozialdemokratie in Rechnung stellen, daß
subjektives Wollen eines Großteils der Kader
und objektive Wirkung von deren Politik
auseinanderfielen. Sie glaubten ja
tatsächlich, daß der
staatsreformistische Weg in den Sozialismus oder
zumindestens in gerechtere Verhältnisse
führt.
20 vgl. Simmel, Ernst: Antisemitismus und
Massen-Psychopathologie, in: ders. (Hg.):
Antisemitismus. Frankfurt/M. 1993, S. 58-100.
Simmel nennt dort eine Gruppenbildung pathologisch,
"wenn sie dem ohnmächtigen Individuum vor
allem dazu verhilft, unsublimierte und
uneingeschränkt destruktive Triebenergien
abzuführen". (S. 72)
21 vgl. Berghold, Joe; Ottomeyer, Klaus:
Populismus und neuer Rechtsruck in Österreich
im Vergleich mit Italien, in: Sieder, R.; Steinert,
H.; Tálos, E. (Hg.): Österreich
1945-1995. Wien 1995, S. 314-330
22 Fromm zit. ebd., S. 321
23 Simmel a.a.O., S. 73
24 Berghold, Ottomeyer a.a.O., S. 320
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