Besser spät
als nie !
Lange ist es schon her, daß die BAW am 13.6.1995 zu ihrem großen Schlag gegen verschiedene linksradikale Gruppen ausholte. Gegen acht Leute gab es Haftbefehle mit dem Vorwurf "Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung radikal".
Wir sind sieben von ihnen, der achte - Matthes - ist erst seit dem 25.11.1996 wieder aufgetaucht, und zu kurz zurück, um an diesem Text mitwirken zu können.
Wir haben aus verschiedenen Gründen bis heute nichts gemeinsames von uns hören lassen, denken aber, daß es schon lange überfällig ist, etwas zu unserer Situation und zu unseren Überlegungen öffentlich zu sagen. Dieser Text soll zumindest kurz darstellen, was bei uns Stand ist.
Zu unseren Bedingungen gehört, daß wir sieben Leute sind, die aus verschiedenen Städten und politischen Zusammenhängen kommen, und die sehr unterschiedliche Vorstellungen und Herangehensweisen an ein solches Verfahren haben. Vor allem dieses machte und macht es uns sehr schwer einen Umgang mit der Repression zu finden. Trotzdem ist unser Anspruch und Ziel mit den Unterschieden konstruktiv umzugehen, und nicht gegen - sondern miteinander zu arbeiten.
Um dieses Ziel erreichen zu können, war und ist es notwendig unsere Widersprüche, Positionen und Gemeinsamkeiten genauer herauszuarbeiten. Dabei haben wir es kaum geschafft nach vorne zu diskutieren, vielmehr lag unser Schwerpunkt u.a. in der Aufarbeitung und der Auseinandersetzung mit dem Inhalt von 70 Aktenordnern usw.
Was zu unseren Unterschieden noch hinzukam und anfangs sehr bestimmend war:
Wir hatten nach einem halben Jahr Knast, bzw. nach einem Jahr Abtauchen (bei Glosch sogar eine Verbindung von beidem) viel nachzuholen. Das beinhaltete, daß wir in die Solibewegung, in unsere Zusammenhänge und in Diskussionen hineinwachsen mußten.
Auch die kontroverse Auseinandersetzung um das Wiederauftauchen von Glosch, Jutta und Ulli hat unsere Arbeit lange gelähmt.
Hauptsächlich beschäftigen uns zur Zeit folgende Fragen :
- Aus den Einschätzungen des Angriffs ergeben sich verschiedene Schwerpunkte in der Soli- und Prozeßarbeit, d.h. einerseits die radikal in den Mittelpunkt zu stellen, oder andererseits die Bedeutung und Tragweite für die radikale Linke zu thematisieren.
- Welches Verhältnis haben wir zum angegriffenen Projekt radikal ?
- Was wird wann und wie aus den Akten veröffentlicht ?
- Hierbei stehen sich die Interessen gegenüber, der radikalen Linken etwas mitzuteilen, dabei aber den Schergen keine Zuarbeit zu leisten (Dazu gehören auch Fragen aus der Solibewegung, die sich mit den Auswirkungen des 13.6.1995 auf die radikal beschäftigen.)
- Wie sehr lassen wir unser Leben von den Vorbereitungen auf den Prozeß bestimmen, wo sind unsere individuellen Grenzen ?
- Wie stellen wir uns eine Prozeßführung oder unser Verhalten im Gericht vor ...?
Zu diesen und noch weiteren Fragen gibt es unter uns bis zu sieben verschiedene Positionen. Wir sind dabei Kompromisse zu finden und Vorstellungen zu entwickeln, wie wir an die Prozesse rangehen wollen.
An den Fragen ob, wieviel und an welchen Punkten wir gemeinsam im Verfahren agieren werden, wird sich auch für die Soliarbeit und die Prozessbegleitung einiges entscheiden.
Wir haben es bis heute nicht geschafft bestimmte klare Vorgaben zu machen, stattdessen haben wir unsere Uneinigkeit in die Solibewegung hineingetragen, was sich dort auf die Arbeit sehr destruktiv ausgewirkte. In letzter Zeit sind wir nun der Forderung von GenossInnen nachgekommen und haben uns verstärkt daran gemacht unsere Probleme zu bearbeiten.
Wir versuchen dies umzusetzen, indem wir uns öfter treffen und nochmal alles daran setzen, eine gemeinsame Auseinandersetzung über den 13.6.95 zu führen und zusammen eine Herangehensweise an den Prozeß zu entwickeln. Dabei ist uns inzwischen allen klar, daß unsere unterschiedlichen politischen Vorstellungen und Herangehensweisen nebeneinander stehen bleiben müssen, sich aber nicht gegenseitig blockieren dürfen.
Wir hoffen sehr, daß uns das gelingen wird.
Das Ganze hört sich jetzt wahrscheinlich alles sehr schwammig, bzw. abstrakt an, aber einige Punkte genauer zu fassen scheitert momentan noch an unseren oben angerissenen Unterschieden.
November 1996
Ente, Rainer, Jutta, Werner, Ulli, Glosch und Cracker
Hier noch einige aktuelle Infos zum Stand des radikal-Verfahrens:
Die Verfahren sind inzwischen nach Koblenz und Düsseldorf abgegeben worden.
Auf der einen Seite sind die 4 von uns, die fast ein halbes Jahr im Knast gesessen haben - Ente, Rainer, Werner und Cracker -, gemeinsam vor dem Oberlandesgericht Koblenz angeklagt. Die Anklageschrift liegt dem OLG zur Prüfung vor, uns wird sie nicht vor Januar 1997 zugehen. Der Prozessbeginn wird nicht vor dem Frühjahr sein.
Auf der anderen Seite ist das Verfahren gegen fünf Leute ans OLG Düsseldorf abgegeben worden. Diese 5 sind Jutta, Ulli und Glosch - die ein Jahr lang abgetaucht waren, außerdem Matthes, der nach eineinhalb Jahren erst am 25.11.1996 wiedergekommen ist; und eine fünfte Person, gegen die kein Haftbefehl vorlag, deren Verfahren wegen Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung radikal jetzt aber auch abgegeben wurde. Wann in Düsseldorf die Anklageschrift und der Prozeßbeginn zu erwarten sind, kann noch niemand sagen.
Bei den "Koblenz-Vieren" sind die Haftbefehle schon seit längerer Zeit aufgehoben, während sie bei den Aufgetauchten nur gegen Auflagen "außer Vollzug gesetzt" wurden. Die Auflagen sind bei Jutta und Ulli vor kurzem etwas gelockert worden, d.h. das Kontaktverbot zu allen Mit-Hauptbeschuldigten wurde aufgehoben und sie müssen sich "nur noch" einmal die Woche bei den Bullen melden.
Bei Matthes wurde beim Termin vor dem Haftrichter in Düsseldorf kein Kontaktverbot angeordnet, sein Haftbefehl wurde gegen eine Kaution von 20 000 DM und den Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.