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Re-Islamisierungstendenzen in der Türkei
(Aus dem Buch „GRAUE WÖLFE HEULEN WIEDER- TÜRKISCHE FASCHISTEN UND IHRE
VERNETZUNG IN DER BRD", Unrast-Verlag Münster), gekürzt
In den letzten Jahren ist die Gefahr einer Rückkehr zu einer islamischen
Staatsordnung (Kalifat bzw. Sultanat) in der Türkei zu einem aktuellen
Diskussionspunkt in der Öffentlichkeit geworden. Die Verfechter des
Laizismus äußern angesichts der Entwicklungen in der Türkei ihre Besorgnis
darüber, daß falls nichts unternommen werde, aus der Türkei bald eine
islamische Republik werden könnte. "Der wachsende Einfluß des islamischen
Fundamentalismus ist nur die Spitze einer 'Re-Islamisierung', die die
Türkei seit Ende der vierziger Jahre durchmacht."(1)
Nach der Aufhebung des Parteienverbots 1946, wurde die Anwendung des
laizistischen Prinzips in der Türkei liberalisiert. Hauptsächlich
konservative und rechtsgerichtete Parteien profitierten von dieser
Entwicklung. Diesen Parteien gelang es, die Ideen des orthodoxen Islams
parteipolitisch auszunutzen, indem sie sich als Verteidiger des Islams
präsentierten und so unter den gläubigen Moslems zahlreiche Wähler
gewannen.
Die konservative DP (Demokratische Partei) gewann am 22. Mai 1950 die
Parlamentswahlen mit mehr als zwei Drittel der Stimmen. Unter der DP
entwickelte sich in den folgenden Jahren der Islam zu einem zentralen
Faktor des Machterwerbs und der Machterhaltung. Von den 24 existierenden
politischen Parteien traten sieben offen für die Re-Islamisierung ein.
(2) Die DP baute Schritt für Schritt den Laizismus ab. Islamische
Praktiken wurden wieder zugelassen. Eine ihrer ersten Maßnahmen bestand
darin, den Artikel 526 des Türkischen Strafgesetzbuches zu ändern, der den
Aufruf zum Gebet nur in türkischer Sprache zuließ. Auch religiöse
Programminhalte, wie das Verlesen des Korans, durften im Rundfunk wieder
gesendet werden, und eine große Zahl religiöser Publikationen wurde
veröffentlicht. Der Religionsunterricht wurde 1952 an den Grundschulen, an
den Mittelschulen 1956 und 1967 an den Gymnasien wieder zugelassen. Die
Teilnahme am Religionsunterricht war zunächst freiwillig. Die Regierung
ließ wieder Koranschulen zu und unterstützte den Bau von Moscheen, die
sich mit enormer Geschwindigkeit im ganzen Land verbreiteten. So wurden
zwischen 1950 und 1960 mehr Moscheen als Schulen gebaut, jährlich ca.
1.500. In einigen Zentren der Türkei, wie in Konya, breitete sich verstärkt
eine Re-Islamisierung aus. Es kam zu den ersten Übergriffen auf
'laizistische Symbole', z.B. zur Zerstörung von 'Atatürks Büsten'. In den
Moscheen wurde Politik mit Religion vermischt. Bald wurde der Islam das
Instrument für all jene, die jegliche Reformbestrebungen verhindern bzw.
bekämpfen wollten.
Auch die Nachfolgepartei der DP von Menderes, die Gerechtigkeitspartei
(AP), hat durch Konzessionen an das islamische Bewußtsein der breiten
Massen - insbesondere in den Regionen Mittel- und Ostanatoliens - versucht,
Stimmen zu gewinnen.
Man darf heute nicht darüber staunen, daß sich viele Menschen nach dem
Islam sehnten, denn der nur halbherzig laizistische Staat hat ihm den Boden
bereitet. Während des Kalten Krieges entwickelte sich der Islam zur
ideologischen Stütze des Kapitalismus und richtete sich gegen jeden
politischen und gesellschaftlichen Fortschritt. Demirel, Menderes'
Nachfolger, setzte konsequent die militanten Anhänger des Islams gegen die
linke Bewegung ein, indem er die 'Gläubigen' öffentlich aufforderte,
'gegen die Ungläubigen zu kämpfen'. Mit der Begründung, daß der Islam am
besten dazu geeignet sei, als Bollwerk der erstarkenden Linken in den 70er
Jahren entgegenzutreten, wurde er als Gegenkraft zum Kommunismus und
Sozialismus aufgebaut.
Die Re-Islamisierung der Türkei vollzog sich somit unter staatlicher
Kontrolle und ist vor allem auf zwei Ereignisse in den 70er Jahren
zurückzuführen. Sie stützte sich auf das Präsidium für religiöse
Angelegenheiten (Diyanet Isleri) und dessen nachgeordneten Instanzen.
Dieses Präsidium hat den Rang eines Staatssekretärs und ist dem
Ministerpräsidenten direkt unterstellt. Die in diesem Amt tätigen
'Religionsdiener' wurden 1970 zu Beamten erklärt. Damit wurde der Islam de
facto wieder zur Staatsreligion. In den 71 Provinzen unterhält Das
Ministerium für Religiöse Angelegenheiten rund 80.000 Mitarbeiter. Das
Diyanet Isleri ist heute bis an die Spitze mit Angehörigen der islamischen
Fundamentalisten besetzt, die daraus auch keinen Hehl mehr machen.
Aleviten, Vertreter eines laizistischen und progressiven Islam, sind im
Ministerium nicht repräsentiert.
Der außenpolitisch bedeutsamste Schritt zur Wiederannäherung der Türkei an
die islamische Welt war 1976 ihr Beitritt zur islamischen Konferenz. Auch
hierin wollten regierende Politiker keinen Widerspruch zum Laizismus sehen, denn, so Demirel damals: "Der Staat ist zwar laizistisch, nicht aber die Nation; Religion als gemeinsamer Nenner der Außenpolitik darf nicht als ein Nachteil bewertet werden."
Obwohl führende Militärs auch heute ihren Unmut über die Entwicklung der
'islamischen Gefahr' bekunden, sind sie an diesem Zustand nicht unschuldig.
Sie selbst setzten die Islamisten nach 1980 zur 'Stabilisierung des
Systems' ein und ließen ihnen nach dem Putsch erstaunliche Freiheiten.
Beispielsweise werteten die Militärs die Imam-Hatip-okullari zu Gymnasien
auf, um so die nationale und geistliche Tradition zu stärken. Seit dem
Militärputsch von 1980 haben die Absolventen dieser Schulen auch Zugang zu
allen universitären Studiengängen. Die Hälfte des Lehrstoffs ist der selbe
wie auch an anderen Schulen, die andere Hälfte wird der Vermittlung der
arabisch-islamischen Lehrern gewidmet.
[...]
Während die Absolventen der Imam-Hatip-Okullari, die eine streng religiöse
Ausbildung erhielten, in der Vergangenheit im Moscheedienst untergebracht
wurden, haben sie in den letzten Jahren die staatliche Verwaltung
unterwandert.
Die Basis für eine Islamisierung der Gesellschaft und der Bürokratie war
mit der Verfassung von 1982 schon festgelegt. Zwar wird der Laizismus in
der Verfassung von 1982 als Grundorientierung der türkischen Politik an
mehreren Stellen betont, doch ist dem Islam als einem religiösen und
gesellschaftlichen Phänomen seit dem letzten Militärputsch besonders
Rechnung getragen worden. Als Beispiele für entsprechende Maßnahmen seien
die Wiedereinführung des obligatorischen Religionsunterrichts in Grund- und
weiterführenden Schulen, die öffentliche Rehabilitierung des islamischen
Moralkodex, die Zulassung islamischer Finanzierungsinstitutionen und der
Versuch der Assimilation der Aleviten in eine türkisch-islamische-Synthese
genannt.
Was die Militärs nicht zu Ende führen konnten, wurde von der ANAP, in der
es viele 'fromme Moslems' gab und gibt (Turgut Özal selber war ein Anhänger
des Naksibendi-Ordens (3) ) weitergeführt.
Wenn man sich das Parteiprogramm der ANAP anschaut, heißt es im Artikel 6
'Religion und Laizismus' unter der Überschrift: "Wir betrachten die
erforderliche Maßnahmen bezüglich der religiösen Erziehung in Grund- und
Mittelschulen als notwendig, um die Erziehung einer moralischen und
ausgeglichenen Generation zu garantieren." Nach 1983 wurde unter Özal
immer mehr Geld für den Bau von Moscheen bereitgestellt; außerdem wurden
mit allen Mitteln die Einrichtung von Gebetsräumen an Universitäten, in
Büros, Fabriken und selbst im Parlamentsgebäude forciert. In der Türkei
gibt es mittlerweile mehr Moscheen als Schulen. In jeder Provinz gibt es
im Durchschnitt fast 900 Moscheen. Im Oktober 1996 gab das Ministerium für
religiöse Angelegenheiten bekannt, daß in der Türkei alle sechs Stunden
eine neue Moschee entsteht.
[...]
Die Islamisierung in der Türkei erfolgte und erfolgt durch den Staat und
ist ein Teil seiner Politik. Der türkische Staat selbst hat mit seinen
Theologiefakultäten, Islamischen Instituten und Imam-Hatip-Okullari
islamische Bürokraten erzogen, die heute große Bereiche der Verwaltung
(Landräte, Gouverneure usw.) kontrollieren. Da bereits staatliche Stellen
eine offene Islamisierungspolitik betreiben, können unverholene radikale
Forderungen, wie die der islamisch-fundamentalistischen Refah-Partei,
nicht verwundern.
(1)U. Steinbach: "Die Türkei im 20. Jahrhundert", Lübbe, 1996, S. 328
(2)Partei des nationalen Aufstiegs, Partei der sozialen Gerechtigkeit,
Partei der Reinigung und des Schutzes, Partei zum Schutz des Islams,
Türkische Konservative Partei, Partei der Nation, Immobilien und
Handelspartei. (vgl. Mete Atsu in: epd-Dokumentation 1980), S.61
(3)Eine von vielen fanatisch-islamischen Sekten, die eine Rückkehr zum
Kalifen-System fordert.
widerstand@koma.free.de
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