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Eines der originellsten Probleme der Türkei ist ohne Zweifel die Armee. Auch wenn sie mit all ihren Problemen zum Teil diesen oder auch jenem Staat ähnelt bzw. mit den Problemen der Armee auch teils den Staaten des Nahen Ostens, so unterscheidet sich doch das System, die Politik und in diesem Zusammenhang die Stellung der Armee innerhalb der Gesellschaft. Im eigentlichen Sinne teilen alle Staaten, die von Armee gestützten politischen Diktaturen des Nahen Ostens, die Sorge der zivilen Autorität, des Parlaments und der Demokratie nicht erheblich. Die militärische Autorität und die Führung des Staates unterliegen ohnehin der Armeeführung, von denen sie eingesetzt worden sind. Der Präsident etablierte sein Regierungssystem mit Hilfe der Militärputsche und festigt diese zu einem nicht geringen Teil innerhalb des militärischen Machtgefüges. Die Realisierung der Politik in einer derartigen Form wurde von Friedrich Engels als "Militärdemokratie" bezeichnet. Das Verhältnis des politischen und militärischen Systems in der Türkei basiert jedoch nicht auf der Einfachheit der oben aufgeführten Schilderung. Sie ist vielmehr etwas komplexerer Natur. Deshalb darf man das türkische Militär nicht einfach mit afrikanischen, arabischen oder lateinamerikanischen Militärs, die auch die Politik ihrer jeweiligen Länder lenken oder lenkten, gleichsetzen. In der Türkei hat das Militär von Anfang an einen eigentümlichen Part in der Politik innegehabt. Dies können wir zurückverfolgen bis in die Entstehungsgeschichte des Osmanischen Reiches. In ihm waren Politik und Militär nicht zu trennen. Der Sultan war oberster militärischer Führer. Unter der Führung des Sultans wurden neue Gebiete erobert, die dann von militärischen Führern verwaltet wurden. Auch an der sich Ende des 19. Jahrhunderts formierenden jungtürkischen Opposition hatte das Militär von Anfang an entscheidenden Anteil. 1889 entstand an der Militärmedizinischen Akademie in Istanbul das 'Komitee für Einheit und Fortschritt', das sich bald zum Kern der jungtürkischen Bewegung entwickelte. Auch die jungtürkische Revolution von 1908 war das Werk des Militärs. Auch bei der Entstehung der Türkischen Republik (TR) spielte das Militär eine entscheidende Rolle. Der Nationale Befreiungskrieg wurde naturgemäß von der Armee getragen. 1923-1946 wurden zwischen 14 % und 20 % der Abgeordneten und zwischen 17 % und 33 % der Minister von ehemaligen Militärs gestellt. Die ehemaligen Militärs stellten die größte Berufsgruppe auf der politischen Führungsebene dar. Schließlich war das Militär durch die Person Mustafa Kemals (Atatürk), dem Gründer der modernen Türkei, und die seines Nachfolgers Inönü auch auf der höchsten politischen Ebene vertreten. Verfolgt man die zivil-militärischen Beziehungen in der Türkei im Zeitverlauf, so zeigt sich eine klar erkennbare Tendenz zunehmender politischer Macht des Militärs. Seit 1960 griff das Militär dreimal (1960, 1971 und 1980) direkt ein und übernahm für bestimmte Zeiten auch offiziell die Macht. Nach der Verdrängung der bisher unangefochten herrschenden militärisch-bürokratischen Elite durch den Wahlsieg der konservativen 'Demokratie Partei' (DP) 1950 und den anschließenden zehn Jahren Ohnmacht des Militärs wurde durch das Regime 1960/61 der politische Einfluß des Militärs auch unter zivilen Regierungen wie de facto (Wahl eines Staatspräsidenten aus den Reihen des Militärs) wieder institutionalisiert. Interventionsversuche und -drohungen in den folgenden Jahrzehnten unterstrichen den Anspruch des Militärs auf die Rolle einer Veto-Gruppe. Zwar scheiterte 1973 der Versuch, wieder einen Repräsentanten des Militärs zum Staatspräsidenten wählen zu lassen, doch wurde diese Niederlage durch die erhebliche Ausdehnung der Befugnisse des sogenannten 'Nationalen Sicherheitsrates' (MGK) mehr als kompensiert. Nach dem Militärputsch von 1980 ließen die Generäle eine neue Verfassung ausarbeiten. 1982 wurde General Kenan Evren offiziell zum Präsidenten "gewählt". In der Verfassung von 1982 wurde eine Extraklausel eingebettet, die die Macht des Militärs endgültig manifestierte. Diese Extraklausel sieht vor, daß die Empfehlungen des MGK erste Priorität im Parlament haben sollen. Alle bisherigen Regierungen folgten auch den "Empfehlungen" des Militärs ohne jeden Einspruch. Die Verfassung bietet auch dem Militär die Möglichkeit, wenn es nötig ist, zu intervenieren. Doch nach 1980 sollte "kein" Militärputsch mehr vonstatten gehen. Zu einer umfassenden Übernahme der Macht sieht es offenbar keine Veranlassung mehr. Außerdem sind im Ausland Militärregimes weniger "in" als noch während der Ost-West-Konflinktes. Die täglichen Interventionen des Militärs vollziehen sich jedoch in den Beschlüssen des MGK. Die Leitlinien der türkischen Außen- und Innenpolitik werden von der Armeeführung in Gestalt des MGK diktiert. Über Verflechtungen mit dem faschistischen Flügel des türkischen Parteienspektrums ist die militärische Führung nicht zu kontrollieren. Selbst Regierungschef Mesut Yilmaz hatte kürzlich zugegeben, daß er nicht genau wisse, wer die Kontrolle über den Staat habe. Ohne Zweifel wurde dies insbesondere mit den Regulierungen des politischen Systems von Seiten des MGK vom 28. Februar 1997 ganz deutlich. Das Resultat dieser Regulierung reichte bishin zum Sturz der REFAH-YOL-Regierung mit einer Mehrheit im Parlament sowie die Ersetzung dieser durch die sogenannte ANASOL-D. Um es genau auszudrücken, es handelte sich hierbei um einen kalten Putsch ohne das Parlament aufzulösen, ohne die etablierten Parteien zu verbieten oder gar offen in das politische System einzugreifen. Zwischen dem islamistischen Regierungschef Erbakan, der die Türkei in einen moslemischen Gottesstaat verwandeln wollte, und den Generälen, die sich als Erben Atatürks der weltliche-westlichen Staatsordnung verpflichtet fühlen, gab es immer stärkere Spannungen. Türkische Zeitungskommentatoren stellten Mutmaßungen über die Möglichkeiten eines neuen Putsches an, mit dem die Militärs den Vormarsch der Islamisten stoppen könnten. Tatsächlich war es aber die Armee, die für die Islamisierung die Voraussetzungen geschaffen hatte. In ihrem Eifer, die Linke zu bekämpfen, schien es den Militärs nach ihrem Staatsstreich von 1980 angebracht, den politischen Islam zu unterstützen. So machten sie den Religionsunterricht an den Schulen zum Pflichtfach, unterstützten die Korankurse und ließen den Moscheebau vorantreiben. Sie bereiteten dadurch den Boden für die Islamisierung der Gesellschaft, die sie angeblich jetzt "bekämpfen"
Die am Krieg in Kurdistan beteiligte Armee
Die mit verschiedenen Waffengattungen am Krieg in Kurdistan beteiligte
türkische Armee, mit ihren Institutionen der illegalen Kräfte
(Konterguerilla) und der psychologischen Kriegsführung, unterstehen direkt
dem Generalstab. Von den etwa 600.000 Soldaten der türkischen Armee sind
rund 1/3 in Kurdistan stationiert. Die Türkei behauptet, daß in dem Krieg
in Kurdistan nur die Gendarmerie im Einsatz sei, die offiziell dem
Innenministerium untersteht und "für die Aufrechterhaltung der Ordnung im
Landesinneren zuständig" sei. Doch in Wirklichkeit sind die Gendarmerie und
andere Waffengattungen eng miteinander verknüpft.
Die Armee als Unternehmer
Das Militär in der Türkei ist nicht nur ein bewaffnetes Gebilde, sondern
auch eine bedeutende Monopolgruppe des Landes. Das Militär gründete nach
dem Putsch 1960 ein "Unterstützungsfonds für die Armee" (Ordu Yardimlasma
Kurumu; OYAK). Die OYAK, in die jeder Offizier als automatisches Mitglied
10 % seines Soldes abführen mußte, war 1961 mit einem Anfangskapital von
knapp 44 Mill. TL gegründet worden und sollte zunächst die Funktion einer
berufsgenossenschaftlichen Alters- und Invalidenversicherung erfüllen.
Bald diente sie jedoch nicht nur weiteren Zwecken wie der Kreditvergabe an
Offizieren u.ä, sondern entwickelte sich zu einer Holding-Gesellschaft.
OYAK, in deren Aufsichtsrat hohe Offiziere, Ex-Militärs und auch Zivilisten
sitzen, ist als "gemeinnützige Stiftung" von jeglichen Steuern befreit.
Ihre Beteiligungen sind durchweg in wachstumsstarken Branchen angesiedelt
und entfallen häufig auf Unternehmen mit ausländischem Kapital: USA,
Deutschland, Frankreich, England, Kanada, Dänemark, Israel. Die OYAK hält
u.a. Beteiligungen an: 'Good Year', 'Mobil', 'Shell', 'Renault', 'Hilton',
'Türkish Petroleum', 'Pektim', 'HEKAS', 'TKIM-SAN' (Petrochemie), 'OYTUR',
'OYTAS' (Einkaufszentren) u.v.a.
"Ohne Militärdienst bist du kein Mann"
Die Streitkräfte sind im Westen und vielen anderen Staaten ein nicht gern
gesehene Organisationsstruktur. Aber der militärische Machtapparat in der
Türkei, verantwortlich für die alle 10 Jahre wiederkehrenden Putsche, und
verantwortlich für den schmutzigen Krieg in Kurdistan mit seinen rund 40
tausend Opfern, ist trotzdessen eine innerhalb der türkischen Gesellschaft
geachtete und geschätzte "verläßliche" Struktur.
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