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Das nächste wichtige Ereignis war das 1858 erlassene 'Landgesetz'. Nach westlichem Vorbild wurde privater Landbesitz zugelassen. Das Land, das angeblich "allen Moslems" gehörte, wurde seit Anfang des 18. Jahrhunderts von den Fürsten praktisch geteilt. Ein inoffizieller Landbesitz hatte sich gebildet. Da nach dem islamischen Recht (Scharia) das Land nur 'Allah' gehört(e), existierten keine gesetzlichen Grundlagen. Der Sultan konnte die Ländereien zu jeder Zeit beschlagnahmen. Besonders gegen Ende des Zerfalls des Osmanischen Reiches wurde es üblich, daß die Fürsten - um sich zu bereichern - den Bauern alles wegnahmen. Mit dem 'Landgesetz' wurde das Privateigentum gesichert. Durch das Gesetz waren auch die Fürsten dem Sultan nicht mehr in dem Umfang ausgeliefert wie vorher. Der klassische Osmanische Adel entwickelte (formierte) sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts nach westlichem Vorbild. Es bildete sich in dieser Zeit eine bürgerliche Klasse, die vor allem aus nicht-islamischen Minderheiten (Armenier, Griechen, Juden) bestand, die die Waren des kapitalistischen Westen im osmanischen Reich vermarktete und sogar Kredite an den Staat vergab. Die bürgerlichen Revolutionen des Westens haben zwei Ziel erreicht: erstens - Das Landmonopol des Adels wurde gebrochen und zweitens - die Standesunterschiede wurden abgeschafft und damit eine gewisse Freiheit erreicht. Aber keine 'westliche Demokratie' wurde am Abend der Revolution vollzogen. Sie waren die Folge jahrelanger Kämpfe. Dieser Kampf wurde zwischen den neuen Herren, nämlich der Bourgeoisie und Großgrundbesitzern auf der einen Seite und den Arbeitern und Bauern - die die Grenzen ihrer 'Freiheiten' vergrößern wollten - geführt. In der Türkei jedoch ging die 'bürgerliche Revolution' ganz andere Wege. Da die 'bürgerliche Revolution' und der Nationale Befreiungskampf in derselben Epoche stattfanden, war der Klassenkampf nicht besonders ausgeprägt. Lediglich der Kampf gegen den Sultan und dem Adel, die mit Imperialisten kollaborierten, bildete eine Ausnahme, der aber sehr begrenzt blieb. Die führende Kraft der kemalistischen Revolution war die anatolische "Bourgeoisie", die aber eine andere Konstellation hatte als in den (westlichen) kapitalistischen Ländern. Sie bestand aus Händlern, Bankiers und sogar Großgrundbesitzern. Eine aus der osmanischen Zeit übernommene Tradition war die stake Position der Armee. Auch wenn der Nationale Befreiungskrieg zum großen Teil von der anatolischen "Bourgeoisie" getragen wurde, wurde die Organisierung des Krieges und der Revolution vom Offizierskorps ausgeführt. Was hat die (kemalistische) 'bürgerliche Revolution' gebracht? Auflösung des Adels, Landreformen oderErrichtung einer Demokratie, die die Folge der bürgerlichen Revolutionen des Westens waren, hat man in der Türkei nicht geschafft. Von den alten Klassen hat die türkische 'bürgerliche Revolution' lediglich die aus nicht-islamischen Minderheiten bestehende Kompradoren-Bourgeoisie außer Landes gejagt oder vernichtet. Die neu entstandene (türkische) Bourgeoisie hat dann einen wesentlichen Teil ihres Kapitals durch die Beraubung dieser Minderheiten erzielt. Sie hat sich weder gegen die Großgrundbesitzer noch gegen die Zinswucherer und deren Kapital gerichtet. Nach der Gründung der Republik wurde viel über Landreformen geredet. Konkrete Schritte blieben jedoch aus. Die bürgerliche "Demokratie" in der Türkei, die sich stets mit Großgrundbesitzern arrangierte, konnte aus diesem Grund weder Landreformen durchführen noch irgendwelche Schritte in Richtung Demokratie unternehmen. Die Türkei hat niemals eine wirkliche bürgerliche Demokratie gekannt. Da die türkische Bourgeoisie die Landreform-Frage, Demokratisierungsschritte u.a. unter dem Begriff der "Kommunistischen Gefahr" tabuisiert hatte, haben sich diese Probleme heute zu elementaren Fragen des Landes entwickelt. Die heutigen Probleme der Türkei wie die "Kurden-Frage", "islamischer Fundamentalismus" oder die viel gesprochene "Demokratisierung" basieren auf die unterlassenen Schritte in den Anfangsjahren der Republik. Die Begrenztheit der 'bürgerlichen Revolution' in der Türkei hat sich in ihrer Geschichte gezeichnet. Die Sünden der früheren Jahre stehen heute in viel größerer Form der jetzigen Republik entgegen. Die herrschenden Klassen in der Türkei haben die Frage der Beseitigung feudaler Beziehungen auf dem Lande, diese erste und wichtigste Aufgabe jeder bürgerlichen Demokratie, niemals ernsthaft angepackt. Ganz im Gegenteil. In Gegenden, wo die feudalen Beziehungen stark waren, haben die politischen Parteien Bündnisse mit den feudalen Grundherren gegen das Volk beschlossen. Der Wähler, der bei Wahlen seine Stimme abgab, handelte nicht nach seinen eigenen freien Willen, sondern führte einfach Befehle der feudalen Grundherren aus. Daß die Türkei noch weit weg von der bürgerlichen Demokratie ist, kann man am besten in der nationalen Frage erkennen. Das türkische Regime leugnet bis heute noch die Existenz einer großen nationalen Gemeinschaft wie der Kurden. Es verweigert einem 20 Millionen Volk solche elementare demokratische Rechte wie den Gebrauch der Muttersprache und die Pflege seiner nationalen Kultur. Dies alles zeigt, daß die 'Bürgerliche Demokratie' in der Türkei nur eine irreführende Fassade, und das Wesen des Systems antidemokratisch ist.
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