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Die Alevitische Bewegung in den Klauen der Staatsmacht

Da in unserer Zeitschrift oft das Thema "Alevitentum" oder die "Aleviten" zur Sprache kommt, wurde uns die Bitte nach eingehenderer Information über diese in Anatolien weit verbreitete Religionsgemeinschaft herangetragen. Wir möchten daher mit diesem Beitrag, ohne Anspruch auf eine Vollständigkeit, einen kleinen Einblick in das komplexe Thema "Alevitentum" geben.
Nicht zuletzt durch das Erstarken der Alevitischen Bewegung in der Türkei sowie in Europa, tritt die Alevitische Glaubensgemeinschaft mit seinem Begehren für Eigenständigkeit und Gleichberechtigung sowei Freiheit aller Glaubensauffassungen in der Türkei in den Medien immer mehr in den Vordergund. Das Interesse an diesem seit der Osmanenzeit stets unter dem Joch der Herrschenden stehenden Volk zeigt sich zur Zeit so stark, daß sogar der türkische Staat nunmehr diese Bewegungen für ihre eigenen Zwecke zu gewinnen sucht und durch eine permanente "Wühlarbeit" in den alevitischen Organisationen eine Beeinflussung anstrebt. Der türkische Staat geht sogar soweit, daß er eigene, ihm näher stehende Organisationen zum Leben erweckt und diese mit nicht unbeträchtlichen Geldmengen unterstützt, um die ihm nicht geheuere alevitische Vereinigungen zu spalten. Der uralte und doch wieder allgegenwärtige Herrschaftsgedanke vom "Herrschen und Teilen" wird auch auf die alevitische Bewegung übertragen.
Der Zwang, auf ihre Kultur und auf ihre Religion zu verzichten und ihr hieraus entstandener Kampf mit den Herrschenden veranlasste sie dazu, einiges von den Schiiten zu übernehmen und in ihr Religionsmosaik einzufügen. Ein wichtiges Element dieser Übernahmen ist die sog. "Ali-Liebe", die inzwischen einen wichtigen Bestandteil in ihren religiösen Ritualen ausmacht. Anders als die Schiiten (z.B. im Iran) haben sich die Aleviten jedoch eigene Ursprünge bewahrt und auch Elemente von anderen in Anatolien ansässigen Nachbarvölkern übernommen (z. B. den Armeniern, Griechen etc.). Alle diese verschiedenen Einflüsse wurden im Laufe der Zeit verarbeitet, mit ihrem eigenen Kultur- und Religionsverständnis vermischt, um schließlich eine Religionsgemeinschaft zu schaffen, die den multikulturellen Eigenarten Anatoliens Rechnung tragen konnte, das Alevitentum. Das Beisammensein so vieler Kulturen und Völker in Anatolien konnte nur in Frieden, Freundschaft und Brüderlichkeit stattfinden. Um dies zu bewerkstelligen, stellte das Alevitentum mit seiner humanistischen Werte- und Weltauffassung ein Brückenglied zwischen den Völkern dar. Im Selbstverständnis der Aleviten war schließlich kein Platz für Chauvinismus, Volkshaß und Krieg, wie Ali Ilhami Dede, ein alevitischer Volksdichter folgendermaßen beschrieb:

" Erkenne das, was Dir fehlt, suche nach Vernunft,
zeige nicht auf anderer Makel, mein Herz,
betrachte vielmehr alle 73 Nationen mit gleichem Auge.
Hak (Gott) hat sie erschaffen und geliebt, mein Herz, sei dem nicht wider."

Wie in diesem Gedicht, basiert die gesamte Glaubensauffassung im Alevitentum auf Toleranz, Respekt und Liebe. Dies spiegelt sich insbesondere in den drei Grundprinzipien der sozialen Ethik des Alevi wider, die als Trinität der "Hand, Zunge und Lende" im täglichen Leben zum Leitfaden geworden sind.
Die strenge Einhaltung dieser sozialen Regeln sichert die Aufnahme des Menschen in die alevitische Gemeinde und seinen Verbleib in ihr. Ein Verstoß kann dagegen mit dem Ausschluß aus der Gemeinschaft oder der Ayn-i Cem (rituelle Zusammenkunft zum Zwecke des gemeinsamen Gebetes, Schiedsgericht usw.) enden.
1. Beherrsche Deine Hände: nicht töten, nicht stehlen, nichts und niemandem Gewalt antun...
2. Beherrsche Deine Zunge: nicht fluchen, nicht Übles reden, nicht lügen...
3. Beherrsche Deine Lenden: zügle Deine Triebe, sei Deinem Lebenspartner treu, Monogamie, sei anständig...
Durch diese humanistischen Grundeinstellungen und die Ablehnung der Aleviten, sich der Staatsreligion der sunnitisch geprägten Herrschaftsschicht zu beugen, wurden sie im Laufe der Jahrhunderte Opfer von Umsiedlungsaktionen, Progromen und staatlich gelenkten Massakern. Diese Verfolgung setzte sich bis in die Gegenwart fort, wo Aleviten weiterhin vom türkischen Staat als "nicht existent" geleugnet werden und wie jüngst in Sivas 1993, Istanbul 1995, Dersim 1996 erneut bewiesen wurde, weiterhin Progromen ausgesetzt sind. Ihr Glaubensritual, der Cem, ist weiterhin offiziell verboten und wird z. Zt. aus taktischen Gründen in einigen Städten geduldet, ihre Dichter werden weiterhin eingekerkert und ihre im Aufstreben begriffenen Organisationen systematisch unterwandert.
Ein wichtiger Grund dafür, daß in der Türkei neben den nach Autonomie strebenen Kurden auch die Aleviten Ziel staatlicher Unterdrückungsaktionen sind, liegt zum einen in der Geschichte der Aleviten und zum anderen in der Kurdischen Freiheitsbewegung begründet. Die Aleviten haben insbesondere in der jüngeren türkischen Geschichte das größte Wählerpotential der demokratischen und linken Parteien der Türkei ausgemacht, was sie automatisch im jetzigen System des Polizeistaates zu Verdächtigen macht. Ferner möchte man den Schulterschluß der Aleviten mit den Kurden um jeden Preis verhindern, denn eine zweite Front des Aufruhrs in Zentral- und Westanatolien wäre das Ende der herrschenden Führungsschicht, nachdem man mit der "Ostfront" gegen die Kurden schon weit weg von einer befriedigenden "Endlösung" i. S. der Führenden zu sein scheint.
Um die Aleviten weiterhin still zu halten, bedient man sich alt-bewährten Taktiken. Es wird ihnen bröckchenweise, je nach Lust und Laune der lokalen Regierungsvertreter die Möglichkeit der Religionsausübung in Form eines Cem zugebilligt und das Errichten ihrer Gebetshäuser erlaubt (Bem.: Aleviten gehen nicht in Moscheen), ohne daß sie offiziell anerkannt würden, um ebenfalls nach Lust und Laune diesen Aktionen jederzeit einen Riegel vorzuschieben. So werden regelmäßig Razzien in Alevitischen Kulturhäusern durchgeführt und diese sogar mit Panzern gestürmt, wenn es den Regierenden beliebt. Schließlich gibt es ja "keine Aleviten". Die Alevitischen Organisationen, die bisher entstanden sind, bewegen sich dementsprechend in einem rechtsleeren Raum. Sie werden ebenfalls solange geduldet, bis sie zu gefährlich erscheinen. Ebenso wimmelt es förmlich von Geheimdienstlern und Spitzeln in diesen Organisationen, so daß jede noch so kleine Aktion bereits im Vorhinein im Keim erstickt werden kann. Da den Aleviten weiterhin der Status einer eigenständigen Religionsgemeinschaft aberkannt wird, müssen sie sich im Rahmen von "Stiftungen" (Pir Sultan Abdal Stiftung, Semah Stiftung etc.) organisieren, die jederzeit einer strengen Kontrolle ausgesetzt sind. Hier bleibt noch zu erwähnen, daß das Wort "Alevi" oder "Alevitentum" in den Satzungen der Stiftungen verboten ist.
Bisher konnte man durch diese polizeistaatlichen Methoden die Alevitische Bewegung sicher im Würgegriff halten. Allerdings bewiesen sich die europäischen Aleviten (hptsl. Emmigranten in Deutschland) durch deren Gründung der "Europäischen Föderation der Aleviten Gemeinden" (AABF) mit Sitz in Köln als "schlecht kontrollierbare" Gruppierung (ca. 130 Vereine mit 20.000 Mitgliedern). Die AABF versucht eine gemäßigte Politik zu verfolgen und nimmt keine direkte oppositionelle Haltung gegen das Regime in der Türkei an. Da es innerhalb der AABF nicht wenige Linke gibt, kritisiert sie von Zeit zu Zeit das Regime in der Türkei in Menschenrechtsfragen und den Fragen der Gleichberechtigung aller Völker. Auch die stetigen Unterwanderungsversuche durch den Auslandsgeheimdienst der türkischen Regierung haben bisher nicht ausreichend gefruchtet, so daß man sich dazu entschloß, eine eigene Alevitische Organisation zu gründen, um dadurch die Kraft der Alevitischen Organisierung in Europa zu mindern.
Die halbstaatliche Stiftung "Republikanische Erziehungszentrale", dessen türkische Bezeichnung "Cumhuriyetci Egitim Merkezi" mit ihren Anfangsbuchstaben gewolltermaßen den Begriff C.E.M. imitieren (hier sollen Analogien zum Alevitischen Ritual, dem Cem geweckt werden) wurde ins Leben gerufen. Mit Hilfe eines bekannten staatstreuen alevitischen Dede (religiöser Führer der Aleviten) Izzetin Dogan wurde auch eine bekannte alevitische Persönlichkeit vor den Karren dieser Bewegung gespannt. Mit Aktionen, wie das Versprechen vom Abzweigen des Budgets des Religionsministeriums für die C.E.M., dem Sponsorn einer Hochglanzzeitschrift mit dem Namen "C.E.M." und einem riesigen Budget für den Aufbau eines C.E.M.-Netzes in Deutschland zeigt sich, welchen Stellenwert die Zerstörung von fortschrittlichen Alevitischen Organisationen für die türkische Regierung hat. Zahlreiche demokratische und linke alevitische Vereine sowie deren Vorsitzende werden systematisch mit vielen Versprechungen von diesen weggelockt. Izzetin Dogan wird in allen türkischen Fernsehsendern, die in Deutschland zu empfangen sind, zum einzig wahren "Alevitischen Führer" lanziert. Schließlich hat man es geschafft, etwa ein Dutzend alevitische Ortsvereine in Deutschland zu einem Zusammenschluß zu vereinigen und eine "C.E.M.-Föderation" in Deutschland, mit Sitz in Essen zu gründen. Mit dem staatlichen Kapital im Rücken und der unverholenen Hilfe durch die türkischen Medien, allen voran dem "Hürriyet"-Konzern (Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender) als dem Marktführer in Deutschland, glaubt man es in absehbarer Zukunft zu schaffen, nach den Alevitischen Organisationen in der Türkei, auch die als gemäßigt geltende AABF in die Knie zwingen zu können. Inwieweit dieses Ziel Erfolg haben kann, wird jedoch nicht zuletzt davon abhängen, ob die "Republikanische Erziehungszentrale" des I. Dogan von deutscher Seite als Representant der Aleviten in Deutschland und Europa anerkannt wird. Entsprechende Bemühungen der türkischen Konsulate und des türkischen Botschafters durch eine offene Werbung hierfür, dürfen daher keine Früchte in der deutschen Öffentlichkeit tragen. Es darf einer Marionettenorganisation, die eindeutig aus der Machtzentrale in Ankara heraus gelenkt wird, keine öffentliche Legitimisierung oder Anerkennung zugute kommen, damit der Alevitischen Bevölkerung in Europa, in Deutschland und dadurch auch in der Türkei das Recht auf Freiheit nicht verbaut wird.


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