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Frauen in der Türkei
Die Situation der Frauen in der Türkei ist sehr unterschiedlich, je nachdem
wo sie leben und unter welchen ökonomischen und sozialen Bedingungen sie
leben. In der Türkei sind die Frauen - wie überall in der Welt- die am
meisten unterdrückte gesellschaftliche Gruppe. Obwohl mit der Einführung
der Republik 1923 die rechtliche Gleichstellung der Frau festgelegt wurde,
sind sie vom öffentlichen Leben fast ausgeschlossen. Die Übernahme des
westlichen Modells 1925, die es den Frauen formell erlaubte, den Schleier
abzulegen, die das Polygamie verbot und Mann und Frau bei Eheschließungen,
Scheidung, in Erb- und Eigentumsfragen gleichstellte, hat in der Praxis
kaum Auswirkungen auf das Leben der Frauen. Obwohl diese Reformen Schritte
in Richtung Fortschritt waren, hatten sie jedoch keinen großen Einfluß auf
die Frau in der türkischen Gesellschaft. Hinter den kemalistischen
Reformen, die die Frau betrafen, stand eine pragmatische politische
Zielsetzung.
Die Gleichstellung der Frau ist vor allem auf dem Lande nicht durchgesetzt.
Jede dritte Frau in der Türkei kann weder lesen noch schreiben. Um Achtung
zu erlangen, müssen sie zahlreiche Kinder, vor allem aber Söhne, gebären.
Höchster Wert für die Frauen ist die Ehre. Ihr Lebensweg ist genau
vorgeschrieben. Entscheidungen werden für sie zuerst vom Vater und nach der
Hochzeit vom Ehemann getroffen. Bei einigen Familien hat sie auch heute
nicht einmal Einfluß auf die Wahl des Ehepartners. In Städten ist die Lage
der Frau nicht viel besser.
Die Unterdrückung der Frauen in der Türkei hat verschieden Formen. Sie ist
in jedem Fall schlimmer als die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen in
westlichen Ländern. Es handelt sich hier um Lebensbedingungen, die sich von
der Unterdrückung der Frauen in den westlichen Ländern qualitativ
unterscheiden. Durch die viel härteren Arbeitsbedingungen werden die Frauen
physisch stärker unterdrückt als die Frauen im Westen. Ihre kulturelle und
moralische Unterdrückung ist größer und wird von den Frauen oft als
"Schicksal" hingenommen und verinnerlicht.
Die Frauen sind sowohl wirtschaftlicher Ausbeutung wie auch
gesellschaftspolitischer Unterdrückung ausgesetzt. Die in den
Industrieunternehmen und in der Staatsbürokratie tätigen Frauen, die seit
60 Jahren mit 10 % stabil geblieben ist, sind einer größeren Ausbeutung
ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen in gleichen Positionen. Sie
arbeiten in niedriger bezahlten Berufen, die keine große Erfahrung
verlangen. Sie bekommen als letzte einen Job und werden als erste gefeuert.
Wenn Frauen ihre Arbeit verlieren, werden sie in den offiziellen
Statistiken nicht einmal als „arbeitslos" geführt; weil man annimmt, daß
sie ihre „normale" Stellung als Hausfrau wieder einnehmen.
Ein weiterer Bereich der Frauenunterdrükkung betrifft die Tatsache, daß die
Hausarbeit und die Kinderfürsorge als „selbstverständliche" Aufgabe der
Frauen angesehen werden. Sogar bei den höher gebildeten und von der Moderne
beeinflußten Kreisen ist die Aufteilung der Hausarbeit oft unbekannt und
werden als Skepsis betrachtet. Die Hausarbeit bietet sich als Mittel an,
die Töchter im Hause zu halten und sie somit vor der fremden Moral zu
schützen.
Die jungen Mädchen in der türkischen Gesellschaft werden nach traditionellen
Wertvorstellungen erzogen. Sie müssen gehorsam sein und als Jungfrauen in
die Ehe gehen. Davon hängt die Ehre der gesamten Familie ab. Vor allem
Väter und Brüder achten strengstens darauf, daß die Mädchen keinen Kontakt
zu Jungen haben. Außereheliche Beziehungen spielen sich oft im tiefsten
Verborgenen ab. Jungen und Mädchen werden sexuell nicht aufgeklärt. Die
Schwangerschaft ist für eine unverheiratete Frau mit katastrophalen Folgen
verbunden. Sie wird in diesem Fall von ihrer Familie ausgestoßen und mit
ihrem Problem alleingelassen. Eine heimliche Abtreibung oder gar Selbstmord
wird als Alternative angesehen.
Die schlimmste Form der Unterdrückung ist die physische Gewalt am
weiblichen Körper: schlagen ist in der Türkei üblich. Prügel wird im
allgemeinen nicht als ein Zeichen der Unterdrückung angesehen und ist weit
verbreitet. Obwohl nach dem Gesetz das Prügeln einer Frau als ein
Scheidungsgrund gilt, ist die Scheidungsrate in der Türkei niedriger als in
vielen anderen Entwicklungsländern.
Eine weitere Art der physischen Unterdrückung liegt im Kinderkriegen. Es
liegt nicht unter der Kontrolle der Frauen, wieviel Kinder sie kriegen
wollen. Da in der islamischen Kultur der Wert und Ansehen einer Frau mit
zunehmender Kinderzahl steigt und die Kinder eine wirtschaftliche Funktion-
vor allem in ländliche Gebieten - erfüllen. Die Frauen müssen oft auch
solange Kinder zur Welt bringen, bis sie zumindest einen Sohn haben.
Der Anteil der Frauen bei der Ausübung der politischen Macht ist fast
gleich Null. Die Frauen in der Türkei haben niemals einen wesentlichen
Anteil an der politischen Macht gehabt. Nur weil Tansu Çiller, eine
US-Marionette, bis zur türk. Ministerpräsidentin geschafft hat, darf man
sich von der Tatsache nicht täuschen lassen und daraus schließen, daß die
türkischen Frauen in der Politik etwas zu sagen hätten.
Nach dem faschistischen Militärputsch vom September 1980 hat sich die
politische Situation der Frauen verschlechtert. Die neue Verfassung von
1982 legte u.a. fest, daß die politische Parteien künftig keine Jugend- und
Frauenorganisationen haben dürfen.
Es ist zu befürchten, daß durch die Reislamisierung der türkischen
Gesellschaft die Situation der Frauen sich noch mehr verschlechtern wird.
Der Islam dient dazu, die untergeordnete Stellung der Frau zu begründen. In
der islamischen Hierarchie stehen die Frauen grundsätzlich unter den
Männern. Alte Vorurteile und neue islamisch-fundamentalistische Propaganda
machen den Frauen das Leben schwer. "Der Bauch der Frau braucht einen
Soldaten, der Rücken der Frau braucht einen Prügelstock" - diese türkische
"Volksweisheit" zitierte 1990 ein Staatsanwalt, nicht etwa am Stammtisch,
sondern in einem Vergewaltigungsprozeß. Und das oberste Gericht der Türkei
entschied, daß Vergewaltigern zwei Drittel der Strafe erlassen wird, wenn
das Opfer eine Prostituierte ist. Die Beschwerden gegen das Skandalurteil
blieben bis heute ohne Erfolg.
widerstand@koma.free.de
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