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Kurzer Abriß der Arbeitskämpfe in der Türkei

Obwohl der größte Teil der Bevölkerung im osmanischen und später türkischen Staat - bis heute - aus Bauern und landlosen Landarbeitern besteht, entwickelte sich mit dem Kapitalismus im Osmanischen Reich auch eine Arbeiterklasse und damit auch eine Arbeiterbewegung. Von ca. 11. Millionen Einwohnern waren um die Jahrhundertwende ca. 1 Million Arbeiter im Osmanischen Reich beschäftigt.
Den Arbeitern in den Industriezentren wie Istanbul, Izmir, Bursa, Zonguldak, Saloniki u.a. fehlte jegliche soziale Sicherheit. Die durchscnitttliche Arbeitszeit betrug 16 Stunden. Tödliche Arbeitsunfälle aufgrund schwerer und schlechter Arbeitsbedingungen waren die Regel.
Der erste Zusammenschluß von Arbeitern war 1871 gegründete "Arbeiterhilfsverein" (Ameleperver Cemiyeti). Ein Jahr später fand der erste Streik im Osmanischen Reich statt: Die in den Istanbuler Häfen arbeitenden türkischen und nichttürkischen Arbeiter streikten für höhere Löhne und stellten entsprechende Forderungen an die Regierung. Er endete mit der Durchsetzung höherer Löhne.
Zwischen 1872 und 1890 fanden in verschiedenen Industriezweigen (Eisenbahnbau, Hafenbau, Rüstungsindustrie, Baugewerbe, Schiffahrt) Streiks statt, die jedoch nicht erfolgreich waren.
Die Pariser Kommune beeinflußte Teile der Arbeiterschaft in der Türkei. 1895 wurde der "Osmanische Arbeiterverein" (Osmanli Amela Cemiyeti) gegründet, der sich an den Ideen der Pariser Kommune und des Kommunistischen Manifests orientierte und zum Sturz der Regierung aufrief. Diese Organisation wurde nach einem Jahr verboten und einigen ihren Führern wurde die Todesstrafe verhängt.
Der 1. Mai als ein wichtiges Element zur Vereinheitlichung der Arbeiterbewegung wurde zum ersten Mal 1909 in Saloniki gefeiert.
Ein Jahr später fanden in verschiedenen Städten der Türkei Maidemonstrationen statt, an denen sich Arbeiter verschiedener Nationalitäten wie Bulgaren, Rumänen, Griechen, Türken und Kurden beteiligten.
Während des Ersten Weltkrieges wurde die Arbeiterbewegung von der jungtürkischen Regierung mit Hilfe von Ausnahmegesetzen, Kriegsrecht und Einsatz von Militär zunehmend unterdrückt. Die Arbeiterorganisationen wurden verboten.
Während des nationalen Befreiungskampfes (1919-1923) nahm die Arbeiterbewegung an Kraft zu. Der Einfluß der Oktoberrevolution und die Gründung von Sowjets im benachbarten Rußland auf die Volksbewegung in der Türkei war groß. Obwohl die Hauptkraft des Befreiungskampfes die Bauern Anatoliens waren, war ihr Kampf ohne die Unterstützung der Arbeiter undenkbar gewesen: Die in den Rüstungsbetrieben hergestellten Waffen, Munition und Funkanlagen wurden durch die von Alliierten besetzten Istanbul in die Kampfgebiete geschmuggelt. Zur Unterstützung des Befreiungskampfes wurden verschiedene Streiks durchgeführt. Doch da die Arbeiterklasse insgesamt schlecht organisiert war, konnte sie keine entscheidende Rolle im Kampf übernehmen.
In verschiedenen Städten des Landes gründeten sich während des Befreiungskampfes kommunistische Organisationen und Zeitschriften. Verschiedene Arbeiterorganisationen orientierten sich an die Ideen des jungen Sowjetstaates. Atatürk als Vertreter der nationalen Bourgeoisie sah in der anwachsenden Arbeiterbewegung eine Gefahr für seine Position.

Seit der Gründung der Türkischen Republik sind insbesondere die Arbeiterklasse verschärfter Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschende Klasse ausgesetzt. Die Durchführung des 1. Mai als Tag der Einheit, des Kampfes und der Solidarität wurde verboten und jeder, der sich gegen diese Verbote stellte, wurden nach Angriffen und Provokationen der Polizei in die Kerker geworfen.
Die kemalistische Diktatur zeigte ihr arbeiterfeindliches Gesicht schon während des Befreiungskrieges. Bei jeder Auseinandersetzung mit den Kapitalisten sahen sich die Arbeiter der bewaffneten Macht des Staatsapparates gegenübergestellt. Die Streiks der Arbeiter der Straßenbahnbetriebe, der Eisenbahn und der Hafenanlagen sind die wichtigsten dieser Periode.
Unter diesen Streiks ist der Streik der Arbeiter der Eisenbahnlinie Aydin-Nusayibin im August 1927 der lehrreichste. Bevor es zu diesem Streik kam, überreichten die Arbeiter den Kapitalisten ein Schreiben mit ihren Forderungen hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsverhältnisse. Die Kapitalisten lehnten diese Forderungen ab, worauf die Arbeiter in den Streik traten, der drei Wochen dauerte und von rund 800 Arbeitern unterstützt wurde. An den ersten beiden Tagen ruhte der gesamte Zugverkehr. Am dritten Tag schickte die französische Gesellschaft zur Unterstützung der Streikbrecher einen Zug. Daraufhin legten sich einige hundert Arbeiter mit ihren Frauen und Kindern auf die Schienen und blockierten so die Strecke. Die kemalistische Regierung schickte Armeeinheiten, die das Feuer auf die unbewaffneten Arbeiter eröffneten. 22 „Rädelsführer" wurden verhaftet. Der Streik wurde niedergeschlagen.
Der Streik der 3000 Bootsleute im Jahre 1927, der Straßenbahnarbeiter 1928 und zahlreiche andere Streiks sind Beispiele aus den Kämpfen der damaligen Zeit.

1947 verabschiedete die kemalistische Regierung (CHP) ein Gesetz über die Gewerkschaften, um einerseits die Gewerkschaften zu kontrollieren und andererseits angeblich eine "Notwendigkeit der westlichen Demokratie" zu erfüllen. Dieses Gesetz, das den Namen "Gesetz über nationale Gewerkschaften" trug, erkannte das Streikrecht und das System der Tarifverhandlungen nicht an und verbot den Arbeitergewerkschaften, sich über die Probleme des Landes zu äußern und sich politisch zu betätigen.
Die Arbeiterklasse leistete gegen diese Manöver Widerstand, worauf die Regierung andere Taktiken anwandte. Sie gründete Gewerkschaftsbüros u.ä., die mit ihr unmittelbar verbunden waren. Daneben wurden auch Gewerkschaften, die von der CHP unabhängig waren, gegründet.
Die Arbeiterklasse war im allgemeinen ziemlich schwach organisiert. Ihre Kämpfe dienten lediglich zur Durchsetzung ökonomischer Forderungen.
Die "Demokratische Partei" (DP), die 1950 an die Macht kam, indem sie das Volk täuschte, zeigte mit ihrer Unterdrückung der Arbeiterklasse und der anderen werktätigen Massen, daß sie sich in keinster Weise von der CHP-Regierung unterschied. Einer der damals unternommenen Schritte, um die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterklasse zu kontrollieren, war die Gründung der TÜRK-IS (Konföderation der Arbeitergewerkschaften der Türkei). TÜRK-IS wurde 1952 mit der Unterstützung der arbeiterfeindlichen Gewerkschaftsführer der DP und der CIA gegründet. Die erste Forderung der TÜRK-IS war es, daß sich die Arbeiterklasse von der Politik heraushalten und überparteilich bleiben sollte. Nach wie vor arbeitet diese gelbe Gewerkschaft mit den Arbeitgebern zusammen.
1957 gründeten fünf Gewerkschaften, die sich von der TÜRK-IS gespalten hatten, die DISK (Konföderation der revolutionären Arbeitergewerkschaften). Es handelte sich dabei um folgende Gewerkschaften: "Gewerkschaft der Minenarbeiter der Türkei", "Gewerkschaft für Ernährung", "Gewerkschaft der Metallarbeiter der Türkei", "Gewerkschaft der Pressearbeiter" und die "Gewerkschaft der Gummiarbeiter der Türkei".
Neben diesen beiden großen Gewerkschaften gab es noch die MISK (Konföderation der nationalistischen Arbeitsgewerkschaften), die unter der Kontrolle der faschistischen MHP stand und die HAK-IS, die unter der Kontrolle der MSP stand und heute von der REFAH-Partisi kontrolliert wird sowie zahlreiche unabhängige Gewerkschaften.
Am 15./16. Juni 1967 demonstrierten Zehntausende von Arbeitern in Istanbul gegen einen Gesetzesentwurf, der ihre Organisierung in demokratischen Gewerkschaften verhindern sollte. Die Sicherheitskräfte wurden mit Panzern gegen die Arbeiter eingesetzt. Während der tagelangen Auseinandersetzung wurden zahlreiche Werktätige ermordet.

Die herrschende Klasse, die darum kämpfte, aus ihrer Krise herauszukommen, versuchte alles, um den in den 70er Jahren stärker werdende Volksbewegung zu unterdrücken.
Am 12. März 1971 warf die herrschende Klasse ihre parlamentarische Maske ab und ging zur offenen Militärdiktatur über. In dieser Periode erreichte die faschistische Unterdrückung einen vorläufigen Höhepunkt.
Am 1. Mai 1977 griffen Polizei und Militär in Istanbul die auf den Straßen für ihre Rechte demonstrierenden Menschen mit Panzern und Schußwaffen an. 37 Menschen starben im Kugelhagel.
Am 12. September 1980 stürzte die Militärjunta die Regierung und begann, alle politischen Bedingungen für ein neues Kapitalwachstum zugunsten der Großbourgeoisie einzuleiten: sie betrieb die Entwurzelung aller politischen Organisationen. Das Streikrecht wurde aufgehoben, eine breite Verhaftungswelle setzte ein. Die Aktivitäten politischer Parteien wurde verboten. Die als progressiv geltende Gewerkschaft, die DISK, die an 1. Mai-Tagen 0.5 Million Menschen auf die Straße bringen konnte, war den herrschenden ein Dorn im Auge und wurde entsprechend auch am härtesten angegriffen. Weder die HAK-IS noch die MISK hatten eine nennenswerte Basis unter der Arbeiterklasse. Diese letztgenannten Gewerkschaften hatten lediglich die Rolle der Streikbrecher.
Die Mitgliedschaft von TÜRK-IS, der gelben Gewerkschaft, die freundschaftliche Beziehhungen zur Junta unterhielt und ihren Generalsekretär als Minister ins Junta-Kabinett schickte, wurde von der ICFTU (Internationale Gewerkschaftskonföderation) vorläufig suspendiert.
Nach 1989 ließ das Regime die Arbeiterorganisationen wieder zu; wahrscheinlich weil es dachte, genügend aristokratische Arbeiter geschaffen zu haben. DISK spielte nicht mehr ihre Rolle von vor 1980 und paßte sich zum größten Teil dem Regime an. Deshalb leidet sie momentan auch unter erheblichem Mitgliederschwund.
Trotz erheblicher Schwierigkeiten versuchte die Linken mit Kleinarbeit sowohl in DISK als auch in TÜRK-IS die Gewerkschaftsbasis zu stärken. Eine weitere Besonderheit der Periode nach 1980 ist, daß die Erfahrungen der gewerkschaftlichen Arbeit seither von "Direnisci Isciler" (Widerstands-Arbeiter) organisiert wird. "Direnisci Isciler" führen ihren Kampf u.a. gegen Gewerkschafter, die sich gegen die Arbeiter stellen und Arbeitgeber, die ohne Grund die Arbeiter entlassen. Dies wird angeführt von der TKP/Kivilcim.
Das sind nur einige Beispiele, die der Chronik dieser Periode entnommen sind. In dieser Zeit wurden Hunderte von Revolutionären ermordet oder zu Krüppeln gemacht, Zehntausende wurden wegen ihres Denkens und ihrer Revolutionären Tätigkeit zu lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Der 1. Mai, Tag des Kampfes, der Solidarität und der Einheit der Arbeiterklasse, ist für die herrschende Klasse ein günstiger Tag, um Jagd auf die Arbeiter und Revolutionäre zu machen.
Der Terror gegen das Volk ist seit der Gründung der Türkischen Republik vor 74 Jahren der gleiche faschistische Terror geblieben, aber der Kampf der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, die gegen die faschistische Unterdrückung kämpfen, hat schon lange den Rahmen des Kampfes um rein wirtschaftliche Forderungen gesprengt.
Faschistischer Terror, Massenverhaftungen durch Polizei, Gendarmerie und faschistische Armee können die Arbeiter von ihrem gerechten Kampf nicht abhalten.


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