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Islam und Kapital
Was steht hinter der in letzter Zeit in den Vordergrund tretenden Haß-Liebe
zwischen der Refah-Partisi (RP; Wohlfahrtspartei) und der Armee? Ist die RP
tatsächlich nur mit der "Unterstützung Allahs" an die Macht gelangt, oder
standen andere Kräfte hinter ihr? Und, welche Antriebskraft bewirkte die in
letzter Zeit sehr populäre Haltung der Armee für "Laizismus"?
Ein Großteil dieser und weiterer Fragen, die bezüglich eines Landes, wie
der Türkei, gestellt werden können, basiert auf das Wirtschaftssystem und
auf die von dieser Ökonomie geförderten Gruppen, Clans oder Schichten.
Die Türkei gehört zu den sog. Schwellenländern, in denen eine aus zwei
unterschiedlichen, teils in Harmonie und teils in unterschwelligem Krieg
koexistierenden Wirtschaftssystemen. Während ein Teil des Kapitals sich als
modernes Wirtschafts- und Finanzwesen betrachtet, und sich an den Modellen
der Industrieländer ausrichtet, basiert der andere Teil auf dem
altertümlich anmutenden, feudalistisch fundamentierten Frühkapitalismus,
der sich ohne Abstriche bis zur Zeit der Ottomanen zurückverfolgen lassen
kann. Während sich die sog. Moderne hauptsächlich in den Großstädten
niedergelassen hat, ist die Provinz das Domizil der Wirtschaftsclans. Beide
Systeme verstehen es seit Jahrzehnten, ein symbiotisches Zusammenleben zu
beider Seiten Gunsten zu erhalten. Dabei ist es in den Jahren bis 1980 zu
einer stillschweigenden Arbeitsteilung gekommen, in der mit Hilfe des
Staates Superkapitalmonopole i. S. von modernistischen Multikonzernen die
Kapitalspitze bildeten, die sich auf die Unternehmen der alten Clans
stützen. Mit Hilfe der Erfahrungen der Wirtschaftsclans haben es die
Multikonzerne geschafft, bis in die kleinsten Winkel Anatoliens
einzudringen. Der Vorteil ihrer Gehilfen zahlte sich in Gewinnanteilen
aus.
In den frühen Jahren des Kemalismus wurde das Wirtschaftsclan-System noch
stiefmütterlich behandelt. Man sah die einzige Zukunft in der Förderung von
Großunternehmen mit moderner Struktur. "Die Muslime sind ohne staatliche
Hilfen gewesen. Sie wurden aus ihren Ämtern gejagt." So wurde die Situation
der Repräsentanten der osmanischen Clanwirtschaft beschrieben.
Nach der Einparteienphase der kemalistischen Republikanische Volkspartei
(CHP) wurden erste Bande zwischen beiden Wirtschaftsschichten aufgebaut.
Die Regierungspartei Demokratische Partei (DP) wurde dabei von Mitgliedern
der Naksi und Nurcu Sekten offen unterstützt. Als Gegenleistung erhielten
sie nach einer 25jährigen Pause erneut kräftige staatliche Finanzspritzen.
Dadurch war es nun möglich, die schon seit langem angestrebten Güter und
das Kapital der nicht-muslimischen Minderheiten (Armenier, Juden, Griechen)
in ihre Hände zu bekommen.
Das Erstarken des Sozialismus bewirkte das Entstehen einer sogar zeitweise
auf dem Sprung zur Machtübernahme stehenden Linken, was das Ende der beiden
nun entstandenen Machtmomente bedeutet hätte. Es kam daher zu einer
Koalition zwischen muslimischem Clankapital und der neuen
Hochkapitalschicht, die bis 1980 andauerte. Je stärker die
gesellschaftliche demokratische Opposition wurde, desto enger wurde die
Wirtschaftskoalition.
Parallel hierzu nahmen die Aktivitäten der Islamisten im Staatsapparat zu,
um aus den vom Großkapital abhängigen Provinzunternehmen überregionale
Wirtschaftsunternehmen aufbauen zu können. Der Weg dorthin wurde mit Hilfe
des Staatsapparates geebnet. In den 70ern gehörten bereits große
Metallverarbeitungsfirmen, Teile der Textilindustrie und der
Nahrungsmittelindustrie diesem Personenkreis. Das Kapital für diese
Investitionen stammte von der Landbevölkerung, die man mit der islamischen
Ideologie erfolgreich zu beeinflussen versuchte. Beispielsweise vergab ein
Naksi-Führer ein Dekret, daß den Kauf von Keksen der Firma Ülker befahl. Es
wurden zur Finanzierung der Investitionen sogar islamische Banken gegründet,
die darauf verzichteten, Zinsen einzunehmen. Den islamischen Unternehmern
wurde dadurch ein erheblicher Wettbewerbsvorteil gewährt, welcher anderen
Unternehmern nicht zugute kam.
Nach 1980 erlebte sie Türkei eine Wachstumswelle, welche ohne Zweifel den
islamistischen Kapitaleignern am meisten genutzt hat. Jeder Handels- und
Industriezweig wurde angegangen. Der Handelsverkehr mit islamischen Staaten
kam nahezu monopolartig in die Hände der Islamisten. Das hieraus gewonnene
Kapital konnte gewinnträchtig in die produzierende Industrie investiert
werden. Der hieraus erzielte Gewinn wurde dann nahtlos in einen noch
profitableren Sektor investiert, die Tourismusbranche. Man übernahm große
Teile der Gold- und Devisenmärkte. Gleichzeitig wurden immer mehr Sekten,
Brüderschaften und Bünde gegründet, was den gesellschaftlichen Einfluß
vermehrte. Einige dieser Bünde sind heute praktisch gleichzusetzen mit den
größten Holdings, wie Ihlas, Kombassam, Yimpas, Ülker u.a.. Die politische
Vertretung dieser Gruppierungen wurde von der RP übernommen.
Durch das nun entstanden Ungleichgewicht der beiden Wirtschaftskräfte
und/oder -systeme, kam es immer mehr zu einer Verfremdung, ja sogar zur
Verfeindung der ehemaligen Partner. Nachdem auch ein gemeinsamer Feind, der
Sozialismus in eine schwere Krise geriet und deutlich an Stärke verlor,
nahm auch das Interesse an einer gemeinsamen Front ab. Die modernistische
Monopolwirtschaft geriet wegen der sog "Globalisierung der Weltmärkte" und
der härteren internationalen Billigkonkurrenz immer mehr unter Druck,
während das nun in ein islamistisches Großkapital umgewandelte Clansystem
seine "islamischen" Märkte mit Hilfe des Erstarkens der islamischen
Religion behaupten konnte. Zusätzlich verstanden es letztere geschickt, die
Kräfte um sich zu sammeln, die vom althergebrachten System enttäuscht waren
und nach Alternativen zum Westkapitalismus suchten. Die geschwächte Linke
konnte diese Lücke noch nicht wieder ausfüllen. Basierend auf die bis dahin
eroberten inländischen und islamischen Märkte suchte man nun vermehrt nach
weiteren Expansionsmöglichkeiten. Hierzu bediente man sich immer mehr über
die Refah Partei der Politik, um sich stärker der staatlichen Apparate im
In- und Ausland bedienen zu können, was unweigerlich die Konfrontation mit
den früheren Partnern, den Monopolkonzernen zur Folge hatte. "Wir müssen
reich werden. Wir müssen noch mehr arbeiten und noch reicher werden, um
stärker als die Heiden zu werden. Die Schätze Allahs müssen aus ihren
Händen genommen werden. Wir müssen sie besitzen." Das sind die Worte
von Erol Yarar, dem Vorsitzenden der MÜSIAD (Vereinigung der muslimischen
Unternehmer).
Die MÜSIAD wurde am 5.Mai 1990 in Istanbul gegründet und hat inzwischen
fast 2000 Mitglieder, die ca. 150000 Arbeiter beschäftigen. 6% des Exportes
der Türkei wird von MÜSIAD-Mitgliedern getätigt.
Das Ziel dieser Organisation ist es "intelligente Unternehmer
heranzuziehen, die kein Gegenfeuer kennen und das Schwert in der Hand
halten." Mit ihrer Gründung stellt MÜSIAD eine offene Alternative zur
TÜSIAD (Vereinigung der türkischen Unternehmer) dar, die bisher die einzige
unangefochtene Interessenvertretung der türkischen Unternehmer war. Auch
hinter der Politik der RP steckt die MÜSIAD, die bei den Auslandsreisen
Erbakans die Wirtschaftsabkommen ratifiziert.
Damit ist auch die Mission der RP offen dargelegt. Sie soll ihrer
islamistischen Führungsschicht eine wirtschaftliche und politische
Machtvergrößerung erwirken. Durch die Eroberung der türkischen Schul- und
Erziehungseinrichtungen wird die zugrundeliegende Ideologie verbreitet,
während eine Refah-Regierung eine wirtschaftliche Expansion gewährleisten
soll. Hierzu werden an die islamistischen Unternehmen Regierungsaufträge
vergeben und die Volksvertreter der Refah werden aus Kreisen dieser
Unternehmer rekrutiert (Bauunternehmer 31,4%, Industriehändler 12.83 %,
Großgrundbesitzer 39%,...).
Während im althergebrachten Islam die Rede von einem "ehrlichen" Handel ist
und "Gewinne aus unredlichen Geschäften" verboten sind, bedienen sich die
heutigen "islamistischen" Unternehmen der Ausbeutung und Gewinnsucht nach
bester kapitalistischer Manier. Die Verbindungen zwischen ihren Unternehmen
und den religiösen Brüderschaften werden heutzutage auch nicht mehr v
erborgen. Man rühmt sich sogar des Kapitals. So leitet der Führer der
"Brüderschaft des Lichtes" Enver Önen die Ihlas Holding. Auch Fethullah
Gülen, ein Islamist mit großer Hinwendung zur türkischen Konterguerilla ist
bekannt für sein mächtiges islamisches Wirtschaftsimperium.
Hier bleibt uns abschließend nur die Frage, wer bestimmt was? Lenken die
Geldgeber die Politiker / religiösen Führer, oder werden die Unternehmen
von der Religion geleitet?
widerstand@koma.free.de
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