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Yasar Kemal - Friedenspreis-Träger des Deutschen Buchhandels

Der Mensch ist worthaft - Die Rede Yasar Kemals aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels

Die Literatur verknüpft uns und macht uns zu Mittätern
Auszüge aus der Laudatio von Günther Grass:

Vom Reich jenes Kanzlers, dessen Härte gern als "eisern" bestätigt wird, ist so gut wie nichts geblieben, doch immerhin soviel: auf seine beim Berliner Kongreß von 1878 die imperialen Interessen makelnde Politik, die die Krise am Bosporus zu nutzen verstand, ist wohl jenes besondere Verhältnis zwischen dem deutschen und dem osmanischen Reich zurückzuführen, das sich im Ersten Weltkrieg als sogenannte deutsch-türkische Waffenbrüderschaft bis zur gemeinsamen Niederlage hin zu beweisen hatte; eine auf Blut und Eisen gründende Kumpanei. (...)
Hinzu kommt, daß unsere Länder zwar geographisch gesehen, weit voneinander entfernt liegen, sich aber dennoch nahe gerückt befinden, weil von bleibender Schuld belastet und weil sich in ihren Gesellschaften weiterhin die Mehrheit hartgesotten im Umgang mit Minderheiten beträgt. Als dieses nun bald zur Neige gehende Jahrhundert noch jung war, wurden in der Türkei Hunderttausende Armenier dem systematischen Völkermord ausgeliefert; die deutschen Verbrechen, verübt in unermeßlicher Zahl an Juden und Zigeunern, sind gleich einem Menetekel, mit dem Ort Auschwitz bezeichnet.
Unfähig, mit uns selbst einig zu werden, gingen von unseren Ländern Kriege aus, die unsere Nachbarn in anhaltenden Schrecken versetzen. Wir Deutschen wurden wiederholt geschlagen, schließlich geteilt, worauf wir uns vierzig Jahre 1ang bewaffneten; in der Türkei ist das Volk der Kurden bis in diese Tage hinein staatlicher Willkür und militärischen Aktionen ausgesetzt, deren Opfer zumeist Frauen und Kinder sind. Rassenwahn und von Überheblichkeit verdeckter Mangel an Toleranz, Kriege und Kriegsfolgen markieren die Geschichte unserer Länder. (...)
In einem vor wenigen Jahren im Spiegel veröffentlichten Artikel hat er die Verfolgung der Kurden in seinem Land beklagt und zugleich die wesentlichen Demokratien an ihre Mitverantwortung erinnert.
Er schrieb: "An der Schwelle zum 21. Jahrhundert kann man einem Volk, keiner ethnischen Volksgruppe die Menschenrechte verwehren. Dazu fehlt jedem Staat die Macht. Schließlich war es die Kraft der Menschen, welche die Amerikaner aus Vietnam, die Sowjets aus Afghanistan verjagte und das Wunder von Südafrika vollbrachte. Die Türkische Republik darf durch die Fortsetzung dieses Krieges nicht als fluchbeladenes Land ins 21. Jahrhundert eintreten. Das Gewissen der Menschheit wird den Völkern der Türkei helfen, diesen unmenschlichen Krieg zu beenden. Besonders die Völker der Länder, die dem türkischen Staat Waffen verkaufen, müssen dazu beitragen. (...)"
Dieser Appell, meine Damen und Herren, ist auch und aus besonderem Grund an die deutsche Adresse gerichtet. Wer immer hier, versammelt in der Paulskirche, die Interessen der Regierung Kohl/Kinkel vertritt, weiß, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik duldet. Nach 1990, als uns die Gunst der Stunde die Möglichkeiten einer deutschen Einigung eröffnete, sind sogar Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus den Beständen der ehemaligen Volksarmee der DDR in dieses kriegsführende Land geliefert worden. Wir wurden und sind Mittäter.
Wir dulden ein so schnelles wie schmutziges Geschäft. Ich schäme mich meines zum bloßen Wirtschaftsstandort verkommenen Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zuläßt und zudem den verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert. (...)


widerstand@koma.free.de