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Auch die neue Koalitionsregierung ist zum Scheitern verurteilt!
Mesut Yilmaz, der zum dritten Mal seit 1991 Ministerpräsident wurde, löste
den Islamisten Necmettin Erbakan ab. Dieser mußte am 18. Juni nach
monatelangem Druck der Militärs zurücktreten. Es war die Armee, die hinter
den Kulissen dafür sorgte, daß Yilmaz seine Minderheitsregierung bilden
konnte.
Doch solche Ränkespiele helfen nicht, die riesigen Probleme des Landes: die
Wirtschaftskrise, die zunehmende Armut und die Kurdenfrage zu lösen. Das
Regime in der Türkei ist schon längst am Ende. In welche Koalition auch
immer verpackt. Auch "Anasol-D", die Verbindung von Mesut Yilmaz und Bülent
Ecevit ist kein Ausweg aus der Krise.
In jüngster Zeit ließen die Generäle verlauten, daß die Regierung Erbakan
nicht länger tragbar sei. Zwischen dem islamistischen Regierungschef, der
die Türkei in einen moslemischen Gottesstaat verwandeln möchte, und den
Generälen, die sich als Erben Atatürks der weltlichen Staatsordnung
verpflichtet fühlen, gab es in den letzten Monaten immer stärkere
Spannungen. Seit Monaten stellten türkische Zeitungskommentatoren
Mutmaßungen über die Möglichkeit eines neuerlichen Putsches an, mit dem die
Militärs den Vormarsch der Islamisten stoppen könnten.
Staatspräsident Süleyman Demirel, der selber zweimal von den Militärs aus
dem Amt geputscht wurde, verstand die Signale der Militärs und um Gerüchten
über einen bevorstehenden Putsch der Armee entgegenzuwirken, beauftragte er
den Vorsitzenden der Mutterlandspartei (ANAP), Mesut Yilmaz, mit der
Regierungsbildung.
Die neue Regierung kam erst Zustande, als der Islamistenführer und
Ministerpräsident Necmettin Erbakan auf Druck des Militärs am 18. Juni
zurücktrat, und er die Chefin der Koalitionspartnerin (DYP), Tansu Ciller,
als Nachfolgerin für sein Amt vorschlug, die die bisherige Koalition unter
der islamistischen REFAH (Wohlfahrtspartei) fortsetzen wollte.
Tansu Ciller wollte um jeden Preis an dem Bündnis mit den Islamisten
festhalten, um so einer möglichen Strafverfolgung zu entkommen. Der Pakt
mit den Islamisten kam überhaupt nur Zustande, weil Erbakan schriftlich
zusagte, keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuß gegen Tansu Ciller
zuzulassen. Ciller werden Korruption, Entwendung von Staatsgeldern und
Kontakte zur Mafia vorgeworfen. Insgesamt viermal wurde im türkischen
Parlament darüber abgestimmt, ob sich Ciller wegen Korruption, der Annahme
von Schmiergeldern und persönlicher Bereicherung vor Gericht verantworten
sollte - mit den Blockstimmen der Islamisten wurden die Anträge abgelehnt.
Erbakan hatte vor jeder Abstimmung den Abgeordneten seiner Wohlfahrtspartei
die strikte Anweisung erteilt, zugunsten Cillers abzustimmen. Der Wunsch,
möglichen Anklagen zu entgehen, war der einzige Grund Cillers, mit den
Islamisten eine Koalition einzugehen. Noch im letzten Wahlkampf im Dezember
1995 hatte sie die Refah-Partisi als "Separatisten" und "Feinde der
Republik" bezeichnet.
Der Vorsitzende der konservativen Mutterlandspartei, Mesut Yilmaz, der
schon 1991 und 1996 zweimal für jeweils ein Vierteljahr Ministerpräsident
war, ist Ende Juni neuer Ministerpräsident der Türkei geworden. Die von
Yilmaz geführte Drei-Parteien-Koalition ist eine Minderheitsregierung. Ihr
gehören außer der ANAP, die Demokratische Linkspartei (DSP) von Bülent
Ecevit und die von Tansu Cillers DYP (Partei des Rechten Weges)
abgespaltene Demokratische Türkei-Partei (DTP) von Hüsamettin Cindoruk,
an.
Bei der Vertrauensabstimmung im Parlament am 12.07. votierten 281
Abgeordnete für die Regierungskoalition, 256 dagegen, zwei enthielten sich
und 8 Abgeordnete blieben der Abstimmung fern. Die sozialdemokratische
Republikanische Volkspartei (CHP) und etwa 15 unabhängige Abgeordnete,
die zumeist aus der DYP kommen, stimmten ebenfalls für die Regierung. Von
den 38 Kabinettsmitgliedern gehören 21 der ANAP, elf der DSP und fünf der
DTP an.
Wer meint, daß die Türkei durch die Dreier-Koalition aufatmen kann, wird
bald gewaltig enttäuscht sein. Fest steht, daß solch eine
Marionetteregierung der Militärs die Türkei noch mehr in die Sackgasse
führen wird. Es ist so gut wie sicher, daß auch die 55. Regierung der
Türkei keine grundsätzlichen Schritte in Richtung des Friedens unternehmen
wird. Der Grund hierfür ist primär in der Konstellation dieser Regierung
zu suchen. Sowohl die beiden konservativen Politiker Yilmaz und Cindoruk
als auch der 'Sozialdemokrat' Ecevit sind bekannt für ihre nationalistische
Haltung und Polemisierung gegenüber des Kurdistan-Problems. Bei den
Ursachen der heutigen Krise der Türkei spielt das Kurdistan-Problem die
wichtigste Rolle. Die Politik des türkischen Regimes will jedoch dieses
Problem mit allen Gewaltmitteln unterdrücken. Das Versprechen von Mesut
Yilmaz bei der Regierungsübernahme, den Kampf gegen den kurdischen
Befreiungskampf (PKK) fortzusetzen, zeigt, daß auch die neue Regierung zum
Scheitern verurteilt ist. Spätestens die jüngsten Militäroffensive in
Südkurdistan hat gezeigt, daß die Kampfeinheiten der kurdischen Guerilla
nicht so einfach zerschlagen werden können.
In Kurdistan wurden bisher Tausende von Dörfern bombardiert, zerstört und
entvölkert. Millionen von Menschen mußten flüchten. Terror, Massaker und
Verfolgung prägen die Politik in der Türkei und Kurdistan. In einer Zeit,
in der die Arbeiterrechte mit Gewaltmitteln unterdrückt werden,
Oppositionelle ermordet, gefoltert, verhaftet oder Opfer eines
'Verschwindenlassens' werden, Schriftsteller, Gewerkschafter offen
verurteilt werden und die Politiker von der "Fortsetzung des Krieges"
sprechen, kann man kaum von einer Lösung aus der Sackgasse sprechen.
Wenn man die Größe der Probleme des Landes mit der Stärke der neuen
türkischen Regierung vergleicht, so wird auch die Existenz der neuen
Koalitionsregierung nicht von langer Dauer sein.
Die ANAP-DSP-DTP Koalition wird - bis auf wenige Ausnahmen - die
Fortsetzung der vorherigen REFAH-DYP-Koalition sein. Die neue Formation
verspricht also kaum die erhoffte Stabilität.
Sowohl die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei als auch die
Islamisten, fordern Neuwahlen. Zu welchen Mehrheitsverhältnissen Neuwahlen
führen werden, ist völlig offen. Die Refah-Partei, die schon bei der
letzten Wahl die stärkste Partei wurde, hofft auf Stimmengewinne. Auch wenn
die letzten Umfragen dies nicht bestätigen, kann sich dies bis zu den
nächsten Wahlen ändern. Während ihrer Regierungszeit blieb die Refah-Partisi
nicht untätig und hat während dieser Zeit zielstrebig ihre Anhänger in die
Polizei, die Justiz, in die öffentliche Verwaltung, das Erziehungswesen und
sogar in die unteren und mittleren Ränge der Armee eingeschleust. Damit
verfügen die Islamisten über einen großen Einfluß im Staats- und
Polizeiapparat.
Weitere Stimmengewinne der Refah-Partisi sind aus heutiger Sicht
wahrscheinlich. Insbesondere dem ständig wachsenden Heer der Obdach- und
Arbeitslosen hat sich die Wohlfahrtspartei mit tatkräftiger Sozialarbeit in
den Elendsvierteln am Rand der türkischen Großstädte als Hoffnungsträger
darstellen können. Zu einer absoluten Mehrheit im Parlament würde den
Islamisten ein Stimmenanteil von knapp 30 Prozent reichen.
Kein Ende der Wirtschaftskrise
Durch die Beschleunigung der Privatisierung hat die Arbeitslosigkeit in der
Türkei drastisch zugenommen. Mehr als 10 Millionen Menschen leben an der
Armutsgrenze.
Inzwischen ist die Auslandsverschuldung der Türkei auf rund 75 Mrd. Dollar
angestiegen. Das ist eine der höchsten der Welt. Die Inlandsverschuldung
beträgt rund 30 Mrd. Dollar.
Seit dem Beitritt der Türkei zur Europäischen Zollunion im letzten Jahr
überschwemmen Billigwaren aus den EU-Staaten den türkischen Markt. Dies hat
erhebliche Auswirkungen auf die einheimische Industrie, wie z.B. die
Textilindustrie.
Die Wirtschaftskrise ist u.a. das Ergebnis des seit 1984 dauernden Krieges
in Kurdistan. Dies haben selbst "Wirtschaftskreise", die das Militär in der
Vergangenheit dreimal an die Macht brachten, erkannt. So verlangt die
Istanbuler Industrie- und Handelskammer energische
Demokratisierungsreformen und die Lösung des Kurdistan-Konfliktes. Anders
sei an eine wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei gar nicht zu denken.
Die Militärausgaben der Türkei sind enorm hoch. Das türkische Militär will
in den nächsten zehn Jahren Waffen in Höhe von 50 Milliarden Dollar kaufen,
darunter rund 150 neue Kampfhelikopter und 800 Panzer.
Da auch bei der neuen Regierung die Ansätze der Lösung des
Kurdistan-Konfliktes nicht erkennbar sind, wird sich die Staatkrise in
nächster Zeit verschärfen.
Das türkische Sicherheitsgericht verhängte erst kürzlich über 22 Jahre
Haftstrafen gegen 46 Mitglieder der prokurdischen HADEP. Um die Stimme der
HADEP zum Schweigen zu bringen, wurde das Hissen von PKK-Fahnen auf einem
Partei-Kongreß, von dem sich die Partei selbst distanzierte, als Vorwand
genommen. Das Gerichtsurteil und das angestrebte Verbotsverfahren gegen die
HADEP sind ein erneuter Schlag gegen die politische Lösungsversuche der
kurdischen Frage.
Türkischer Staat finanziert den Krieg vom Drogenhandel
Damit der Krieg gegen den kurdischen Befreiungskampf finanziert wird, haben
inzwischen offizielle türkische Stellen in einem "staatlichen Bericht"
offen bekundet, daß der Staat den Drogenhandel organisieren müßte, damit
der Drogenhandel nicht über die "Banden" läuft.
In der offiziellen Zeitschrift Türk Tarihi Dergisi (Zeitschrift für
türkische Geschichte), die vom Amt für spezielle Kriegsführung (ÖHD)
herausgegeben wird, wird betont, daß der "Drogenhandel natürlich" sei und
aus diesem Grund fortgesetzt werden müsse. (Emek, 11. März 1997). "Der
Feind muß mit den Waffen des Feindes bekämpft werden. Wie die PKK den Kampf
gegen die Türkei mit solchen Mitteln finanziert, muß die Türkei den Kampf
gegen sie mit gleichen Mitteln finanzieren", heißt es in dem Bericht. Nach
Äußerungen verschiedener europäischer Drogenexperten wird der Drogenhandel
im europäischen Raum durch das Amt für spezielle Kriegsführung (ÖHD)
organisiert.
widerstand@koma.free.de
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