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Es wird keine "politische Eiszeit" geben
Durch das "Einfrieren des politischen Dialogs" mit der EU wird sich in Wirklichkeit in den Beziehungen nicht viel ändern. Außenpolitisch hat heute die Türkei keine Alternative zur EU. Angesichts der wirtschaftlichen Mißstände kann die Türkei die Brücke zu Europa nicht abbrechen. Auch ist die Türkei völlig abhängig von Europa (Verschuldung, Militärhilfe, Export). Sie wickelt mehr als die Hälfte ihres Außenhandels mit den EU-Staaten ab. "Wir streben Beitrittsverhandlungen ohne Vorbedingungen an", sagte Yilmaz nach der Zurückweisung. Er betonte weiter, daß die Türkei nicht mehr bereit sei, über die Konfliktthemen Nordzypern und Griechenland zu sprechen. Beim Beginn der Beitrittserklärungen mit der Republik (Süd-)Zypern im kommenden Frühjahr werde die Integration der international nicht anerkannten "Türkischer Republik Nordzypern" vorangetrieben, droht Ankara weiter. Der Anschluß der Türkei mit dem seit 1974 besetzten Teil Zyperns ist de facto politisch, wirtschaftlich und militärisch vollzogen. Als ob es bisher nicht der Fall war, will Ankara auch nicht mehr über Menschenrechte und Kurdenpolitik reden. Die türkische Lobby (Faruk Sen, Hakki Keskin etc.) in Deutschland drohen inzwischen mit dem absurden Argument "Wer die europäische Ausrichtung der Türkei mit Füßen tritt, darf sich nicht wundern, wenn fundamentalistische Kräfte Auftrieb erhalten". Diese Haltung ist nur eine Demagogie bzw. eine Erpressung im Sinne von: "Akzeptiert diesen Zustand, sonst wird es noch schlimmer". Das einzige Faustpfand der Türkei gegen Europa war bisher eine Orientierung der Türkei Richtung USA und/oder islamische Welt. Erst letzte Woche wurde jedoch die Türkei wegen ihrer militärischen Zusammenarbeit mit Israel auf der Islamkonferenz in Teheran isoliert. Nicht einmal die "Turkstaaten" der ehemaligen Sowjetunion stellten sich auf die Seite der Türkei. Die Anlässe der Zurückweisung der Türkei in die EU sind offiziell neben wirtschaftlichen Probleme des Landes- Menschenrechte, Kurdenfrage und Zypernkonflikt. Der Fehler hieran ist der Ausgangspunkt, daß Europa ein Interesse an der Lösung dieser wichtigen Probleme hat. Luxemburgs Regierungschef und derzeitiger EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker hatte auf der Gipfelkonferenz am Wochenende erklärt, daß am Tisch der EU keine Vertreter eines Landes sitzen dürfen, in dem gefoltert wird. Es ist allgemein bekannt, daß in den Polizeikommissariaten und Gefängnissen der Türkei Folter und Mißhandlungen an der Tagesordnung sind - und das, obwohl Ankara zu den Unterzeichnern der Europäischen Menschenrechtskonvention gehört. Wenn die EU tatsächlich ein politisches und wirtschaftliches Interesse daran hätte, der Türkei den Zugang in die EU zu gestatten, würde sie sich über die "Bedenken wegen Menschenrechtssituation" u.ä. gewiß hinwegsetzen. Die EU ist nicht der Missionar in Sachen Demokratie, Stabilität, Wohlstand und Menschenrechte. "Verletzte Menschenrechte, wie sie Bundesaußenminister Klaus Kinkel im Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen händeringend beklagt, haben den kühl kalkulierenden Kaufleuten aus Brüssel gar niemals Skrupel bereitet, wenn es galt, ihren Vorteil zu wahren." (Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 21.12.94) Ziel der EU ist nicht etwa die gemeinsame Lösung der Probleme der Gegenwart und Zukunft, sondern vielmehr die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der großen europäischen Unternehmen sowie die schrankenlose Freiheit des großen Kapitals ohne jede soziale Rücksichtnahme. Man muß bedenken, daß gerade führende EU-Staaten (BRD, Frankreich,..) verantwortlich für die Massaker, Unterdrückung und anti-demokratischen Maßnahmen in der Türkei und in Kurdistan sowie in zahlreichen anderen Ländern sind. Gerade mit Hilfe dieser Staaten kann der türkische Staat seine unmenschlichen Aktionen verwirklichen. Die Folterer auf der ganzen Welt tragen den Stempel entweder made in EU oder made in USA. Genauso unglaubwürdig wie die Forderung nach einer "Verbesserung der Menschenrechtssituation" ist auch die Forderung der EU nach einer "Lösung des Zypernkonfliktes". Es sind die westeuropäischen Staaten und die NATO gewesen, die für eine Teilung Zyperns sorgten. Die Öffnung der zypriotischen Außenpolitik in Richtung auf die blockfreien und arabischen Staaten Ende der 60er Jahre hatte den Westen alarmiert, der darin einen wachsenden sowjetischen Einfluß auf Zypern zu sehen glaubte. Eine Teilung der Insel kam den strategischen Interessen des Westens am ehesten entgegen. Schließlich annektierte die Türkei den Norden Zyperns 1974 - mit der Duldung Europas und der NATO. Die europäische Politik gegenüber der Türkei war schon immer gekennzeichnet durch Anbindung - allerdings mit eingebauten Abstandhalter. Die Türkei besitzt schließlich den stärksten militärischen Mechanismus in der Region und vertritt die EU-Interessen am ehesten. Seit mehr als 30 Jahren wird die Türkei mit Assozierungsverhandlungen dazu gebracht, ihre Wirtschaft den europäischen Bedürfnissen kompatibel zu machen. Der Anreiz für die Türkei war stets eine versprochene Mitgliedschaft im europäischen Club. Mit ihren rund 65 Millionen Einwohner ist die Türkei ein wichtiger Markt für Europa. Europa will sich die Türkei als Absatzmarkt erhalten und über die Türkei den Zugang zum Eindringen in Zentralasiatische Republiken und zum Nahen Osten halten - möglichst jedoch ohne dafür zu zahlen. Den Menschen in der Türkei wird seit Jahren seitens der Regierenden eingeredet, daß sich angeblich mit dem Eintritt der Türkei in die EU der Lebesstandard der Bevölkerung steigern würde. Doch würde sich in Wirklichkeit nicht viel ändern. In allen EU- Staaten finden täglich Angriffe auf die Errungenschaften der Lohnabhängigen statt. Tausende Arbeitsplätze in EU-Staaten werden abgebaut. Offiziell gibt es in der EU mehr als 20 Millionen Arbeitslose. Arbeitslosenverbände zählen sogar das doppelte. Die EU weiß, daß es in den nächsten Jahrzehnten in der Türkei keine stabilen Verhältnisse geben wird. In weniger als 30 Jahren wird die Bevölkerungszahl der Türkei die 100 Millionen Grenze überschritten haben. Inoffiziell macht die EU kein Hehl mehr daraus, daß die Türkei auch in den nächsten Jahrzehnten keine Chance hat, im Club der Reichen Vollmitglied zu werden (auch wenn sie ein demokratisches Musterland wäre). Das islamische Entwicklungsland passe einfach nicht nach Europa. Sie gehöre geographisch, historisch und kulturell zu einem anderen Teil der Welt, und würde den "Zusammenhalt" der Gemeinschaft sprengen. Die Grenzen der EU machen sich spätestens am Kulturchauvinismus des "Abendlandes" fest.
Wir lehnen die rassistische und kolonialistische Politik der Türkei ab.
Genauso ablehnend stehen wir auch der menschenverachtenden,
imperialistischen Politik der europäischen HERRschenden gegenüber. Die
zunehmende und von der EU betriebene Verelendung der "Dritten Welt", die
Abschottung der "Festung Europa" gegenüber den Opfern dieser Politik sind
Anlässe genug, sich der EU zu widersetzen. |