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Türkische Politik in der Sackgasse
Am 3. November kam es bei Susurluk, 300 Kilometer südlich von
Istanbul zu einem Verkehrsunfall, der die Verfilzung zwischen dem türkischen
Staatsapparat, den faschistischen "Grauen Wölfen" und der Drogenmafia ans
Tageslicht brachte. Aus einer gepanzerten Mercedes-Limousine, die mit einem
Lastwagen zusammengestoßen war, kamen der von Interpol gesuchte Mafiaboß
und MHP-Aktivist Abdullah Çatli, der Polizeichef Hüseyin Kocadag und die
in der Unterwelt verkehrende Schönheitskönigin Gonca Uz ums Leben. Ein
weiterer Insasse, der DYP-Parlamentsabgeordnete und berühmt-berüchtigter
Dorfschützer-Chef Sedat Bucak, wurde schwer verletzt geborgen. Auf das Konto
all dieser Personen gehen unzählige Morde. Die vier Unfallopfer verbrachten
vor dem Zusammenstoß in einem Hotel im Urlaubsort Kusadasi drei Tage
miteinander. Im Kofferraum des Autos lagen Abhörgeräte, Maschinenpistolen,
Schalldämpfer und Munition. Innenminister Mehmet Agar, der eine steile
Karriere bei der Polizei hinter sich hatte, bevor er vor einem Jahr in die
Politik einstieg, wollte an diesem Unfall nichts Außergewöhnliches
festgestellt haben. Als Agar gefragt wurde, wie es denn möglich sei, daß
ein Polizeichef, ein Abgeordneter und ein seit Jahren international
gesuchter Mafiaboß gemeinsam unterwegs waren, erklärte er, der verstorbene
Polizeichef habe den Mafiaboß der Polizei ausliefern wollen. Spontan trat
dann Agar zurück, um Spuren zu verwischen. Dabei wurden immer neue Spuren
sichtbar. Seine Nachfolgerin wurde Meral Aksener von der Partei des Rechten
Weges, die ebenfalls als ein Günstling von Tansu Çiller gilt.
Bürgerkrieg und Drogengeschäft
Alle Verunglückten haben etwas gemeinsam: Ihre Verstrickung zu
dem seit 12 Jahren geführten schmutzigen Krieg in Kurdistan. Bevor Hüseyin
Kocadag zum Vizedirektor der berüchtigten Sicherheitspolizei in Diyarbakir
befördert wurde, hatte er sich bei sogenannten Sonderoperationen gegen die
kurdische Guerilla einen Namen gemacht. Kocadag hatte auch an der Gründung
des geheimen Apparats der Spezialteams in den kurdischen Provinzen
mitgewirkt. Als Necdet Menzir während der Regierung Çiller in Istanbul
Direktor der Sicherheitspolizei wurde, kam Kocadag nach Istanbul. Necdet
Menzir ist u.a. für seine engen Verbindungen zu der faschistischen "Partei
der nationalen Bewegung" (MHP) bekannt. Ein weiterer Toter wurde als Mehmet
Özbay identifiziert, der neben einer Tüte Kokain auch mehrere Ausweise,
darunter einen grünen Diplomatenpaß (ausgestellt vom türkischen
Innenministerium) besaß und der damit ungehindert in andere Länder einreisen
konnte. Erst Stunden später nach dem Unfall kam heraus, daß sich hinter dem
Decknamen Mehmet Özbay in Wirklichkeit der seit fast 20 Jahren vom Interpol
gesuchter Mörder und Mafiosi Abdullah Catli verbirgt. Çatli ist verantwortlich
für unzählige Morde an linken Oppositionellen. Als Vizechef der faschistischen
"Grauen Wölfen" machte er erstmals 1978 von sich reden. Damals wurde er
wegen des Mordes an sieben linken Studenten in Ankara angeklagt. 1979
befreite er den späteren Attentäter von Papst Johannes Paul II., Mehmet Ali
Agca, aus einem Istanbuler Militärgefängnis. In den 80er Jahre wurde Çatli
immer wieder mit der Drogenmafia in Verbindung gebracht und vom Interpol
weltweit gesucht. 1982 wurde Çatli in Zürich festgenommen und nach Italien
ausgeliefert, jedoch bald wieder, wegen mangelnder Beweise auf freiem Fuß
gesetzt. Der schwerverletzte Stammesführer und Parlamentsabgeordnete Sedat
Bucak führt seit 1978 einen unerbittlichen Krieg gegen die kurdische
Nationalbewegung und erhält seither reichliche Unterstützung vom türkischen
Staat. Er führt eine Privatarmee von mehreren zehntausend sogenannten
Dorfschützern, die vom türkischen Staat bewaffnet und bezahlt werden,
um gegen die PKK-Guerilla zu kämpfen. Sie sind für unzählige Morde und
Dorfzerstörungen verantwortlich und sind in den illegalen Waffen- und
Droggenschmuggel verwickelt. Çiller erklärte in einem Interview:
"Bucak ist ein Volksheld. Er hat immer auf der Seite des Staates gekämpft."
Inzwischen weiß die ganze Türkei, daß Bucak mit seiner Dorfschützer-Armee
im Drogenhandel steckt. Die blonde Schönheitskönigin Gonca Uz, die auch an
dem Verkehrsunfall ums Leben kam, war eine Zeitlang mit einem Agenten des
türkischen Geheimdienstes MIT liiert, der seit März 1995 verschwunden ist.
Sie pflegte auch Kontakte zu dem ehemaligen Bürgermeister von Kusadasi,
Lütfü Suyolcu, der ebenfalls voriges Jahr wegen Grundstücksstreit von der
Mafia erschossen wurde.
Die Verfilzung reicht bis in die höchsten Staatsämter
Die türkischen Tageszeitungen schreiben seit dem Unfall von
einer "Dreiecksbeziehung zwischen Mafia, Polizei und Politik". Sogar einige
Oppositionspolitiker sprechen von der Affäre als der "Spitze des
Eisberges". Auch wenn Mehmet Agar mit seinem Rücktritt Spuren verwischen
versuchte, wurden Spuren zu Çiller sichtbar. Gegen sie liegt ein
Unterschlagungs- und Korruptions-Dossier in der Schublade. Vieles spricht
auch dafür, daß selbst Außenministerin und Vizeministerpräsidentin Çiller
in dunkle Machenschaften und Korruption verwickelt ist. Kurz bevor sie ihr
Amt als Ministerpräsidentin Anfang 1996 niederlegte, ließ sie aus der
Zentralbank umgerechnet 10 Millionen Mark beiseite schaffen. Sie hat bis
heute nicht gesagt, was sie mit diesem Geld gemacht hat. Sie sagte
lediglich dazu: "Das ist e in Staatsgeheimnis. Wenn ich es sage, brechen
Kriege aus." Kurz nach dem Unfall erklärte der ANAP-Vorsitzende Mesut
Yilmaz, daß die Çiller-Spezialkontra den Casino-König Ömer Lütfi Topal,
im Sommer erschossen habe. Die Täter seien die nach dem Unfall in Bucaks
Leibwächterschaft entlassenen Polizisten. Die neue Innenministerin Aksener
suspendierte auch den Polizeichef von Istanbul, Kemal Yazicioälu, vom
Dienst, um so zu versuchen, die Umstände des Susurluk-Unfalls zu vertuschen.
Ehemaliger Innenminister Agar, der unter öffentlichem Druck steht,
erklärte inzwischen, daß die von ihnen gegründete geheime Organisation
bis heute mehr als 1.000 Operationen durchgeführt hätte, und im Falle der
Enthüllungen dieser Operationen der Staat zusammenbrechen würde.
Die Türkei ist politisch und ökonomisch am Ende
Die zunächst für unmöglich gehaltene Koalition aus Islamisten
(Refah) und der rechtskonservativen "Partei des Rechten Weges" (DYP) der
früheren, von Korruptionsvorwürfen verfolgten Regierungschefin Tansu Çiller
ist erst durch geheime Absprachen zustande gekommen. Die Vorsitzenden der
beiden Parteien hatten sich darauf geeinigt, daß keiner der Koalitionspartner
mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zu rechnen habe.
Unter der "Refahyol"Koalitionsregierung hält die Unterdrückung der Arbeiter-
und Studentenbewegung, die Faschisierung des öffentlichen und politischen
Lebens, die Bekämpfung der linken, demokratisch-fortschrittlichen Kräfte
sowie des kurdischen Widerstandes, an. Islamisten-Führer Erbakan ist
bereits dabei, sein "Konzept für die Zukunft" zu verwirklichen. Während die
radikalen Forderungen seiner Anhänger noch zurückstehen müssen, versucht
er bereits heute, rund 250.000 seiner Anhänger in den Staatsapparat einzuschleusen, um die Umwandlung der Republik Türkei in einen islamischen
Staat zu verwirklichen. Und noch nie war er seinem Ziel so nahe wie heute. Während in den 50 Jahren noch knapp 1.000 Schüler die sogenannten "Imam-Hatip-Schulen (Priester- und Predigerschulen) besuchten, werden allein in diesem Jahr (1996) bereits über ½ Million Schüler in den "Imam-Hatip-Schulen" ausgebildet. Während die Absolventen der "Imam-Hatip-Schulen" - die eine streng religiöse Ausbildung hinter sich haben - in der Vergangenheit im Moscheedienst untergebracht wurden, werden sie heute zumeist in der staatlichen Verwaltung untergebracht.
Als Erbakan noch in der Opposition war, war er ein erbitterter Gegner der
Privatisierung des öffentlichen Sektors. Erbakan hat die sogenannte
liberale Politik seiner Vorgänger in den Schatten gestellt. Nicht nur
öffentliche Betriebe werden verkauft, um den defizitären Staatshaushalt zu
sanieren; ebenso werden staatliche Dienstwohnungen, Feriensiedlungen
Baugründstücke und Wälder werden verkauft. Die islamischen
Wirtschaftsexperten erhoffen sich dadurch bis zu 4 Milliarden US-Dollar.
Die Refah hat noch einmal vor Augen geführt, daß die Islamische
Wirtschaftspolitik nichts anderes bedeutet als kapitalistische
Ausbeutungspolitik.
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