Es gibt einen Unterschied zwischen "gut gemeint" und "gut gelungen". Die Neuerscheinung "Wir sind die Guten - Antisemitismus in der radikalen Linken", herausgegeben von Willi Bischof und Irit Neidhardt und im Unrast-Verlag verlegt ist jedenfalls gut gemeint. Der Sammelband entstand aus dem "Impuls zu einer Gegenrede" (aus dem Vorwort) zur Dankesrede Martin Walsers anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Oktober 1998. Folgerichtig rückte schnell in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus Walsers die Frage nach Antisemitismus in den ,eigenen' Reihen in den Vordergrund. Die Verantwortung und die Auseinandersetzung mit der Shoah ist innerhalb der radikalen Linken schon immer ein "Nebenwiderspruch" gewesen; in der Substanz ist strukturell in der Verweigerung dieser Auseinandersetzung die gleiche Motivation erkennbar, die Walser zu seiner Rede getrieben hat. Es sind die Verdrängungswünsche und affektgeladene Schuldabwehr, die in der radikalen Linken genauso wirksam sind, wie in der übrigen Gesellschaft. Deutsche Linke sind eben in erster Linie Nachgeborene der Tätergesellschaft. Und damit tendenziell ebenso antisemitisch. Leider herrscht jedoch in Teilen unserer Struktur ein Verständnis von Antisemitismus, dass sich an der militanten antisemitischen Rhetorik eines Hitlers oder Streichers orientiert, aber wenig mit den tatsächlichen Erscheinungsformen zu tun hat. Zu studieren war dieser eindimensionale Antisemitismusbegriff jüngst im Rahmen der fsk-Auseinandersetzung um einen (antisemitischen) Nachruf auf Bubis: die für den Nachruf kritisierte Redaktion empfand den Antisemitismusvorwurf als persönliche Kränkung und Diffamierung, der mit ihrer linken Identität, die quasi per Definition Antisemitismus ausschliesst, unvereinbar war.
Von solchen Strukturen wissen auch Beiträge in dem Sammelband zu berichten. Die "gruppe demontage" weiss im Zusammenhang mit ihren Diskussionsveranstaltungen zu ihrem Buch "Postfordistische Guerilla" über z.B. die ungebrochene Konjunktur der Kategorie des eigentlich antisemitischen Stereotyps des "Kosmopolitismus" zu berichten und von einer Faschismusanalyse, die immer noch ohne die Auseinandersetzung mit der Shoah auskommt. Sie müssen feststellen: "Mal zeugt das Reproduzieren antisemitischer Argumentationsmuster von bewußter Ignoranz, mal von Unwissenheit. Die schlichte Erkenntnis, daß Antisemitismus sich nicht aus der Existenz jüdischer Menschen oder deren Verhalten herleitet, ist leider keine linke Allgemeinbildung."
Tobias Ebbrecht beschäftigt sich in seinem Beitrag "Autonome Antifa-Politik" unter verschiedenen Aspekten mit der Auseinandersetzung über Antisemitismus innerhalb der Antifazusammenhänge. Zunächst analysiert er die Abwesenheit bzw. das Versagen autonomer/antifaschistischer Positionen in einigen zentralen Auseinandersetzungen seit den 80er Jahren. Bitburg, die Diskussionen um die Bewertung des 8.Mai (Befreiung oder Niederlage), die Goldhagendebatte und die sog. "Gollwitzdebatte" bilden die markanten Stationen, die Ebbrecht beleuchtet. Daran anschliessend setzt er sich mit den gängigen Faschismus- und Antiimperialismustheorien auseinander, die in der Mehrzahl kaum eine differenzierte Analyse des Antisemitismus versuchen, geschweige denn eine Auseinandersetzung um die Genesis der Shoah. Dass aber z.B. ausgerechnet "Antizionismus" noch immer eine etablierte Kategorie innerhalb linker Antiimperialismusdiskussionen darstellt, trotz seiner unseligen Karriere im Zusammenhang mit den diversen antisemitischen Kampagnen in den verschiedenen osteuropäischen kommunistischen Parteien in der Vergangenheit, belegt die Notwendigkeit des Anliegens der AutorInnen des Bandes.
Doch damit ist auch ein Mangel des Buchs benannt: Die Herausgeberin und der Herausgeber des Bandes hätten gut daran getan, sich selbstkritisch zu fragen, ob sich das Buch tatsächlich bereits im Zustand der Veröffentlichungsfähigkeit befunden hat. Ausser den beiden bereits erwähnten Beiträgen von "demontage" und Torsten Ebbrecht haben Neidhart und Bischof insgesamt drei eigene Beiträge verfasst, die sie selbst jeweils als "Fragmente", "Collage" und "Bruchstücke" bezeichnen und sie damit durchaus richtig bewertet haben. Ob angesichts des Befunds der Tabuisierung des Antisemitismus ihre eigenen Beiträge nicht unfreiwilliger Beleg für die Sprachlosigkeit sind, die das Thema selbst unter den auseinandersetzungswilligen Linken auslöst, soll an dieser Stelle nicht endgültig entschieden werden. Allerdings nervt der Betroffenheitsgestus, der nicht nur durch die Beiträge der HerausgeberInnen geistert, sondern auch im Beitrag Frank Lohschellers fröhliche Urstände feiert. Seinem Beitrag zur "Kontinuität im NS-Erziehungsstil" hätte eine Konzentration auf seine Untersuchungshypothese nicht geschadet, statt der doch etwas ermüdenden Selbstdarstellung der Entdeckung des "Antisemiten in uns allen" - das hätte ihn auch von der Fragwürdigkeit des von ihm verfolgten Ansatzes befreit, denn der vermag nicht überzeugend darzulegen, ob es überhaupt eines spezifischen NS-Erziehungsstils bedurfte: Die Verbrechen der Deutschen wurden jedenfalls durchgängig von Erwachsenen begangen. Und ob ein 1934 in Buchform veröffentlichter Erziehungsratgeber, der bis 1970 diverse Neuauflagen erlebte, ausgesprochene Nazipädagogik ist oder nicht, "die" Nazis sich einfach nur ein autoritäres Konzept zu eigen machen konnten, berührt dieser Beitrag nicht.
Alles in allem kann der Sammelband "Wir sind die Guten" nur eine Ergänzung in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken sein. Die Zeitschrift "Bahamas" oder die "konkret" haben da mehr Inhalte für produktive Kontroversen zu bieten. Und ansonsten sei Intererssierten Peter Weiss' "Ästhetik des Widerstands" nahegelegt: wer etwas über das Versagen der kommunistischen Widerstandsbewegung gegen den deutschen Faschismus angesichts der Ermordung des europäischen Judentums erfahren will, lese in der "Ästhetik" dazu nach...
kba.
Irit Neidhardt, Willi Bischof (Hg.)
"Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken", Unrast-Verlag, Münster 2000