Am Abend des 30. April gab es eine Demonstration vom Hamburger Schanzenviertel zum Dammtor-Bahnhof in der Innenstadt. Nach dem Motto ìReclaim the Streetsî wurde in Hamburg und anderen St”dten gegen den ìNeoliberalismusî und f¸r die Aneignung –ffentlicher R”ume protestiert. Nach der offiziellen Aufl–sung der Demo gingen die TeilnehmerInnen wieder geschlossen ins Schanzenviertel zur¸ck.
W”hrend der Abschluþkundgebung und auf dem R¸ckweg gab es einigen Hick-Hack mit der Polizei und ein paar Scheiben wurden eingeworfen. Am gleichen Abend sollte im autonomen Zentrum der Roten Flora ab 22 Uhr ein Konzert mit einer baskischen Band stattfinden. W”hrend die Auseinandersetzungen mit der Polizei weitergingen, wurden etwa zu gleichen Zeit auf dem Schulterblatt ca. 15 bis 20 Meter links und rechts von der Flora brennende Barrikaden errichtet. Nachdem die Polizei Verst”rkung, einschlieþlich Wasserwerfern und R”umfahrzeugen, organisiert hatte, st¸rmte sie die Barrikaden im Laufe der Nacht mehrmals. Dabei fl¸chteten sich viele, die hinter den Barrikaden und vor der Roten Flora standen, durch den Haupt- und Seiteneingang in die Rote Flora. Zu diesem Zeitpunkt drang die Polizei noch nicht in die Flora ein, obwohl sie bis unmittelbar vor die Eing”nge vorr¸ckte. Nach diesen Angriffen wurden die Barrikaden wieder besetzt und das Spiel ging von vorne los.
Um ca. 2 Uhr am Morgen des 1. Mai zogen sich die Bullen zun”chst g”nzlich zur¸ck, um dann mit nochmaliger Verst”rkung aus Niedersachsen ab 3 Uhr die Rote Flora zu umstellen und abzuriegeln. W”hrend sich ca. 120 Personen im Geb”ude verbarrikadierten, forderte die Polizei eine Personalienfeststellung und drohte sonst zu st¸rmen. Gegen kurz vor sieben verlieþen alle Leute die Flora und wurden mit Bussen zu einer Polizeiwache gebracht, auf der ihre Personalien aufgenommen und Polaroidaufnahmen von ihnen gemacht wurden. Wie zuvor verhandelt, durchsuchten nach der Aufgabe der Flora zwei Polizisten mit einem Vermittler das Geb”ude nach versteckten Leuten. Sie fanden jedoch niemanden und zogen sich dann mit dem gesamten Polizeiaufgebot zur¸ck.
Bei dem Polizeieinsatz handelte es sich nicht, wie es in der Szene heiþt, um einen seit langem bef¸rchteten oder gar geplanten ìAngriff auf die Floraî. Die Reaktion der Polizei lag eher im unteren Bereich dessen, was dieser aus ihrer Logik als folgerichtig erschienen haben mag: Zu Beginn der Auseinandersetzungen wurden diverse Bullen verletzt. Dann muþte sich die Polizei mehrmals zur¸ckziehen, um anschlieþend die Barrikaden erneut zu r”umen. Gleichzeitig hatte sie hinzunehmen, daþ sich Militante und Unbeteiligte in die Rote Flora zur¸ckzogen. Erst nachdem umfassende Verst”rkung eingetroffen war, bekam sie die Lage unter Kontrolle.
Aus Rache f¸r die ìverletzten Kollegenî, wegen der Schmach des zwischenzeitlichen Kontrollverlusts und um der feindlichen Institution Rote Flora zu zeigen, wer die Macht im Schanzenviertel hat, w”re von der Polizei eher eine sofortige gewaltsame R”umung der Roten Flora zu erwarten gewesen. Dabei h”tte sie, ungestraft von der b¸rgerlichen ÷ffentlichkeit, die verbliebenen Menschen in der Roten Flora zur Abstrafung massiv verletzen und die Inneneinrichtung zerst–ren k–nnen. So ging die Hamburger Polizei noch bis Anfang/Mitte der 90¥er Jahre bei Auseinandersetzungen um Brokdorf (Hamburger Kessel etc.), den Angriffen auf die Hafenstraþe oder der R”umung von H”usern im Schanzen- und Karolienviertel vor.
Am 1. Mai verfolgte die Polizei jedoch, wie seit einigen Jahren, eine kontrollierte und teilweise auch deeskalierende Strategie. Anfang der 90¥er Jahre versuchte die Polizei in der Auseinandersetzung um die Hafenstraþe noch, eine Eskalation zu provozieren. Wegen nichtiger Anl”ssen, wie Wandparolen, wurden schwerste Verletzungen von BewohnerInnen in Kauf genommen oder Springer-Kampagnen, nach der die Zentrale der Roten Armee Fraktion (RAF) in der Hafenstraþe sein solle, zu massiven Polizeieins”tzen genutzt. Teilweise handelten Einsatzleiter und hohe Polizeif¸hrer mit ihrer Eskalationstaktik dabei gegen ihre politischen Vorgaben und wurden sp”ter versetzt.
Ÿhnlich erging es den paramilit”rischen E(Einsatz)-Schichten der Polizei, die zur gleichen Zeit an sozialen Brennpunkten aufgebaut wurden, um brutal f¸r Ruhe zu sorgen. Nach unz”hligen Ðbergriffen muþten sie aufgel–st werden. Sie wurden dann zwar teilweise unter neuem Namen wieder ins Leben gerufen, ihr Nimbus und ihre Unber¸hrbarkeit waren jedoch gebrochen. Anders als beispielsweise in Berlin kam es in Hamburg auch zur strafrechtlichen Verurteilung und damit Suspendierung von Polizisten, die systematisch MigrantInnen oder Presseleute miþhandelt hatten.
Mit dem Wechsel des B¸rgermeisterpostens von Voscherau zu Runde vor knapp drei Jahren wurde die Akzentverschiebung hin zu einer flexiblen Befriedungspolitik auch politisch zu einem vorl”ufigen Abschluþ gebracht. Voscheraus Laufbahn als Spitzenmann des rechten SPD-Fl¸gels war nicht unerheblich von der Auseinandersetzung um die Hafenstraþe gepr”gt. Er hatte sich nie damit abfinden k–nnen, daþ Dohnany in der SPD eine Vertragsl–sung durchgesetzt hatte. Runde dagegen gilt als ìSPD-Linkerî.
Auch nach den Ereignissen vom 1. Mai und trotz einer massiven Kampagne der Bild-Zeitung und der Welt f¸r einen Abriþ der Roten Flora sprechen sich sowohl Innensenator Wrocklage als auch Runde gegen eine R”umung der Roten Flora und f¸r Vertragsverhandlungen aus. Begr¸ndet wird dies damit, daþ eine R”umung der Roten Flora zu mehr ìUnfriedenî im Schanzenviertel f¸hren w¸rde, w”hrend es in den letzten Jahren relativ ruhig gewesen sei, da von der Stadt ìDialogangeboteî gemacht worden sein. Ganz direkt wird auch auf m–gliche Auseinandersetzungen um die Erweiterung des Messegel”ndes in das Schanzen- und Karolienviertel verwiesen. Die Repressionspolitik m¸sse vielmehr in ein ìStadtentwicklungskonzeptî integriert werden.
Einer liberalen beziehungsweise ìlinkenî SPD Politik liegt also die altbekannte Umstrukturierungspolitik zugrunde: Forciert von Stadtentwicklungsgesellschaft und Standtenwicklungsbeh–rde bis hin zum ìNeuner-Gremiumî (das heiþt den Chefs) der Bezirke und dem lokalen Zusammenschluþ der Gesch”ftsleute soll das Schanzenviertel weiter –konomisch aufgewertet und die Bev–lkerung entsprechend ìdurchmischtî werden. Dabei soll unmittelbare Gewalt aus Sicht des Senates nur insoweit angewandt werden, wie es n–tig ist, um nicht das Gesicht zu verlieren. Und vor allem soll sich an der Polizeigewalt kein weitergehender politischer und militanter Widerstand entz¸nden. Dabei wird, angeleitet durch den Verfassungsschutz, auch auf eine Spaltung in eine kulturelle und eine politische Szene gesetzt. Die Rote Flora soll sich so ìstabilisierenî und damit befriedet werden. Insofern meint die SPD aus vergangenen Auseinandersetzung in den Sadtteilen gelernt zu haben.
In dem Umgang des Hamburger Senats mit dem 1. Mai ist also keine Eskalation gegen¸ber der Roten Flora zu sehen. Es ist nicht auszuschlieþen, daþ sie die relative Schw”che der Linken um die Rote Flora nutzen, um jetzt die Vertragsverhandlung zu beschleunigen und wenn m–glich zu einem Abschluþ zu bringen. In eine repressive Offensive gehen sie jedoch nicht, obwohl sich aus ihrem Blickwinkel sicherlich einiges ausprobieren lieþe.
In der Bewertung der Ereignisse vom 1. Mai aus linker Sicht ist zun”chst zu kl”ren, welchen Stellenwert die Rote Flora in unserem Gef¸ge besitzt: Die Rote Flora ist das letzte gr–þere staatsferne Projekt der radikalen Linken in Hamburg. Im Gegensatz zu linken Wohn- oder Ladenprojekten besitzt sie keine Vertr”ge. Noch ist sie, wie zuletzt die Diskussion um harte Drogen und Rassismus im Schanzenviertel gezeigt hat, f¸r die Herrschenden politisch unberechenbar und damit nicht endg¸ltig befriedet. Die Rote Flora ist Anlaufpunkt f¸r diverse politische Projekte beziehungsweise Gruppen und bietet diesen teilweise dauerhaft eine kostenlose r”umliche Infrastruktur. Sie ist auch das einzige Geb”ude in Hamburg, in dem problemlos gr–þere Soli-Parties oder Plenas abgehalten werden k–nnen. F¸r j¸ngere Leute stellt sie eine der immer weniger werdenden M–glichkeiten dar, mit der linken Szene aktiv in Kontakt zu kommen.
Gerade f¸r eine autonome beziehungsweise radikale Linke, die ihre Politikformen aus den Achtzigern und fr¸hen Neunzigern ins Jahr 2000 gerettet hat, besitzt die Rote Flora eine nicht zu untersch”tzende Bedeutung. W”hrend groþe Teile der Linken perspektivlos sind, wie dem –konomischen und sozialen Wandel mit einer Ausdehnung und Verbreiterung sozialer K”mpfe begegnet werden kann, ist die Flora einer der wenigen Punkte, ¸ber die sich ¸berhaupt noch Selbstorganisierung und inhaltliche Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen Verh”ltnissen organisiert. Sie ist damit in Hamburg eines der letzten Laboratorien herrschaftsferner Politik und tr”gt dazu bei, daþ die Erfahrungen mit autonomen Politikformen nicht v–llig abreiþen. G”be es die Rote Flora in ihrer bisherigen Form nicht mehr, w¸rde die Atomisierung und Desorganisierung in der Szene noch viel mehr um sich greifen.
Vor diesem Hintergrund ist der Bau von Barrikaden links und rechts von der Roten Flora eine politische Dummheit. Um sich gegen Provokationen der Polizei zu wehren oder um im Rahmen des ìReclaim The Streetsî den Protest auf die Straþe zu tragen, h”tte auch ein anderer Ort im Schanzenviertel oder auþerhalb desselben gew”hlt werden k–nnen. Jede/r die/der nicht das erste Mal an militanten Auseinandersetzungen beteiligt ist, h”tte klar sein m¸ssen, dass Barrikaden an der Flora diese auch gef”hrden. Sei es, dass sie von den b¸rgerlichen Medien massiv angegriffen wird, oder daþ die Rote Flora auch unmittelbar in die militanten Auseinandersetzungen verwickelt wird. Auf beiden Ebenen haben wir zur Zeit wenig entgegenzusetzen, so dass ein solches Verhalten, wenn es hart auf hart kommt, die Rote Flora konkret in ihrer Existenz gef”hrdet. Und das ist ein paar Stunden Randale mit der Polizei nicht wert.
Auch stellt sich die Frage, was die Randale vom 1. Mai denn bewirken sollte? Einen politischen Zweck erf¸llen Barrikaden in der Regel dann, wenn sie etwas verteidigen (besetzte H”user) oder eine Route blockieren sollen (Atomm¸lltransporte). Beides war vor der Roten Flora nicht gefragt. Der R¸ckeroberung des –ffentlichen Raumes ist auch nicht sonderlich gedient, wenn sich nur ein paar Militante in der so geschaffenen Zone aufhalten k–nnen. Die n”chtliche Vertreibung des Yuppiepacks aus den der Roten Flora gegen¸berliegenden CafÈs w”re vielleicht der bessere Weg gewesen, um den Marginalisierungs- und Verdr”ngungsprozessen symbolisch etwas entgegen zu setzen.
Vor nicht all zu vielen Jahren w”re auch klar gewesen, daþ sich Militante Gedanken dar¸ber machen, wohin mensch sich zur¸ckzieht, wenn die Polizei zu m”chtig wird. Der Schluþ h”tte nahe gelegen, dass dies nicht die Rote Flora sein kann, da die Repressionsprobleme dann nur auf die Rote Flora abgew”lzt werden. So viel Verantwortlichkeit unter Linken sollte vorausgesetzt werden k–nnen. Auf keinen Fall ist die Flora dazu da, per se als R¸ckzugsraum f¸r militante Aktionen zu dienen. Das kann sie bei den gegenw”rtigen Kr”fteverh”ltnissen nicht leisten.
Etwas anderes w”re es, wenn sich beispielsweise in den Diskussionen um die Vertragsverhandlungen herauskristallisieren sollte, das die Staatsferne auch um den Preis einer m–glichen R”umung nicht aufgegeben werden sollte. Dann w”re das Risiko der existentiellen Gef”hrdung der Roten Flora das Ergebnis eines kollektiven Diskussionsprozesses, in dem politisch entschieden wurde, dass die Verstaatlichung nicht hingenommen wird. Unter solchen Umst”nden w”re eine militantere Auseinandersetzung die Folge einer relativ klaren politischen Bestimmung. Der Barrikadenbau vom 1. Mai entzieht sich dagegen im Zusammenhang mit den Existenzfragen der Roten Flora jeglicher politischer Bestimmung.
W”hrend der Hamburger Senat eine integrierte Strategie von Repression und Umstrukturierung verfolgt, gibt es auf der Seite der radikalen Linken keine entsprechende Abstimmung von Militanz und politischer Situation. Das f¸hrt wie jetzt in die Defensive und unter Umst”nden auch in die n”chste schwere Niederlage.
Diese Problemstellung wird jedoch innerhalb der Szene kaum diskutiert. Das liegt nicht nur daran, dass Leute vor einer Kriminalisierung gesch¸tzt werden sollen. Unsere Einsch”tzung nach dr¸ckt dies auch den Zerfall der politischen Reflektionsf”higkeit in der radikalen Linken aus. Eigentlich m¸þten sich diejenigen rechtfertigen, welche die Randale vor der Roten Flora organisiert haben. Statt dessen wird das Problem ausgeklammert. Wir w¸nschen uns deshalb eine Diskussion, sei es schriftlich oder noch besser, im unmittelbaren Austausch, soweit dies m–glich ist.
Die drei von der Tankstelle
Der Ermittlungsausschuþ (EA) Hamburg ben–tigt Informationen ¸ber Festnahmen und Verletzungen im Rahmen der Ereignisse im Schanzenviertel in der Nacht zum 1.Mai.
Wenn ihr festgenommen worden seid, Verletzungen davongetragen habt, oder von Verletzten/Festgenommenen wisst, setzt Euch bitte m–glichst bald mit uns in Verbindung. Unser Postfach befindet sich im Schwarzmarkt (KL. Sch”ferkamp 46, ÷ffnungszeiten Mo, Mi, Fr 14-19.30 Uhr und Sa 12-15 Uhr). Es kann dann gemeinsam in Zusammenarbeit mit Anw”ltInnen ein eventuelles juristisches Vorgehen bestimmt werden. Auf keinen Fall solltet Ihr auf eigene Faust juristische Schritte einleiten, weil Ihr Euch damit unter Umst”nden selber der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.
Remember the number: EA Hamburg 40 18 79 20
Wichtiger Nachtrag: Dringend gesucht wird ein junger Mann, der sich am 1.5. gegen 0.00 Uhr an der Rampe zum Seiteneingang aufhielt und zusammen mit einer Frau von den Bullen zusammengekn¸ppelt wurde. Die Frau wurde schwer verletzt und braucht f¸r eine evtl. Strafanzeige dringend Zeugenaussagen.