Deportation.Class

Aktionen auf der Lufthansa-Aktion”rsversammlung

Der Mann mit dem Megafon sieht aus wie ein Pilot, der in seiner langen Laufbahn schon viele Abenteuer erlebt hat. Einer, der auf den Langstrecken zu Hause ist und die Airports dieser Welt wie seine Westentasche kennt. ìWir sind heute hier, um gegen die ìDeportation.Classî zu protestieren!î bellt er den Aktion”ren entgegen, die gerade die Rolltreppe zum Kongresszentrum ICC hochkommen.

In ein paar Minuten soll hier die Hauptversammlung der Deutschen Lufthansa AG stattfinden. Doch zuvor d¸rfen die Klein- und Groþaktion”re miterleben, wie es aussieht, wenn ein Sch¸bling gefesselt und geknebelt in einem Rollstuhl an Bord einer Lufthansa-Maschine gebracht wird. Vor dem Eingang zum ICC hat sich ein Spalier gebildet von DemonstrantInnen, die Transparente mit zornigen Parolen hochhalten, adrett gekleideten FlugblattverteilerInnen und vermeintlichen Stewardessen, die Unterschriften f¸r ein Unternehmenskonzept ohne Abschiebungen namens ìFair Flyî sammeln.

Dass die Aktion”rsversammlung der Lufthansa am 16. Juni in Berlin ¸berschattet sein w¸rde von Protesten, war absehbar. Seit Anfang M”rz ist die Fluggesellschaft mit einer Kampagne konfrontiert, die erbittert gegen Abschiebungen auf Linienfl¸gen k”mpft. Dass das j”hrliche Aktion”rstreffen aber in turbulenten Szenen gipfeln und einem kleinlauten Eingest”ndnis des Vorstandsvorsitzenden enden w¸rde, d¸rfen die Abschiebungsgegner getrost als grossen Erfolg verbuchen.

Schon als der Aufsichtsratsvorsitzende XY vor angeblich 4500 Aktion”rInnen die Hauptversammlung er–ffnete, kam er nicht umhin, die Proteste der AbschiebungsgegnerInnen ein erstes Mal zu w¸rdigen. Er k¸ndigte an, die Versammlungsleitung werde es nicht dulden, wenn die Aktion”rsversammlung zu einem Forum f¸r Asylpolitik umfunktioniert werde. Kaum hatte XY den Satz beendet, da sprangen auch schon die ersten Abschiebungsgegner im Saal auf und breiteten vor dem Podium mehrere Transparente aus, in denen die Lufthansa ìDeportation.Classî scharf angegriffen wurde. Ein Spruchband erinnerte an Aamir Ageeb und Kola Bankole, die beide bei Abschiebungen an Bord von Lufthansa Maschinen umgebracht wurden. Handgreifliche Auseinandersetzungen im Blitzlichtgewitter der zahlreichen Fotografen war garantiert nicht das, was die Lufthansa AG sich ertr”umt hatte f¸r ihre j”hrliche Hauptversammlung - das drei Millionen Mark teure ìSchaufenster des Konzernsî, wie es ein Mitarbeiter am Rande der Konferenz so treffend ausgedr¸ckt hatte. Mit einem Live-Webcast wurde der –ffentliche Teil der Veranstaltung zudem im Internet ¸bertragen.

Auch Vorstandsvorsitzender Weber wurde in seinem etwa einst¸ndigen Gesch”ftsbericht mehrfach mit Spruchb”ndern, Sprechch–ren und Zwischenrufen aus dem Konzept gebracht. Die eilig einschreitenden privaten Sicherheitskr”fte brauchten jeweils mehrere Minuten, um Weber wieder die Aufmerksamkeit der versammelten Reaktion”re zu verschaffen: W¸tende Rentner in grauen Blousons und alter Berliner Frontstadtmentalit”t vers”umten keine Gelegenheit, ihrem Konzern einen B”rendienst zu erweisen und sich mit den besonnen und entschlossen auftretenden DemonstrantInnen zu rangeln, die sich f¸r ihren groþen Auftritt fein herausgeputzt hatten.

Am Ende seines Gesch”ftsberichts ging Weber nochmals auf die seit drei Monaten andauernde Kampagne gegen die ìDeportation.Classî ein. Lufthansa sei Opfer ungerechtfertigter Angriffe, weil das Unternehmen mittlerweile keine Sch¸blinge ìgegen deren erkl”rten Widerstandî transportiere. Ausserdem g”lte es die gesetzlich vorgeschriebene Bef–rderungspflicht einzuhalten. Schon im Vorfeld der Veranstaltung hatten die Aktivisten von ìkein mensch ist illegalî darauf hingewiesen, dass solche Erkl”rungen das Papier nicht wert seien, auf dem sie geschrieben st¸nden. Sie fordern den unwiderrruflichen Ausstieg aus dem Abschiebungsgesch”ft. Die Lufthansa sei mitverantwortlich f¸r die zwangsweise Verschleppung von 10.000 bis 20.000 Menschen pro Jahr und liesse sich diese Dienste auch noch gut bezahlen.

Die M¸nchner Rechtsanw”ltin Gisela Seidler hielt Weber in der anschlieþenden Diskussion des Gesch”ftsberichtes entgegen, die vermeintliche Bef–rderungspflicht sei auf Betreiben der Lufthansa schlieþlich auch f¸r tropische Zierv–gel aufgehoben worden. Seidler wollte von Weber einige pr”zise Fragen beantwortet wissen: Was etwa dran sei an den unbest”tigten Informationen, die Lufthansa verhandele hinter verschlossenen T¸ren l”ngst mit dem Innenministerium ¸ber einen Ausstieg aus der ìDeportation.Classî.

Einen Schritt weiter ging der Konstanzer Internet-Forscher Reinhold Grether, einer breiteren ÷ffentlichkeit besser bekannt als ìagent.NASDAQî. Grether war einer der Feldherren im ìToywarî, als es einer Massenbewegung von Internet-Aktivisten gelang, einen der gr–þten Internet-H”ndler in die Knie zu zwingen. Grether rechnete der Unternehmensleitung vor, welchen immensen Schaden ein Konzern nehmen k–nne, wenn er Zielscheibe einer intelligent organisierten Kampagne werde. Virtuelle Protestformen, die sich darauf beschr”nken, das Image der jeweiligen Marke zu verschmutzen, und dar¸berhinaus auch noch neue Formen des Online-Protestes einsetzen, k–nnen auch Umsatzriesen wie die Lufthansa in ernste Gefahr bringen. Totenstille herrschte im Saal, als Grether seine Ausf¸hrungen mit einem groþz¸gigen Angebot schloss: Er k–nne die Lufthansa gerne einmal kostenlos beraten, falls sich die Konzernleitung der Risiken bewusst werden wolle, auf die sie durch das Beharren auf der ìDeportation.Classî zusteuere.

Den Aktion”rInnen, die sich vor ein paar Stunden noch ¸ber 1,10 DM Dividende pro Aktie angesichts eines lustlos vor sich hind¸mpelnden Kurses freuen konnten, war der Schreck in die Glieder gefahren. Die Versammlungsleitung verlor v–llig die Fassung, als ein paar Minuten sp”ter ein weiterer Vertreter der Kampagne ìkein mensch ist illegalî ans Rednerpult trat. Dieser konnte gerade einmal zwei S”tze sprechen, doch sobald er den Namen des vor fast genau einem Jahr get–teten Lufthansa-Sch¸blings Aamir Ageeb aussprach, verbot ihm der Aufsichtsratsvorsitzende reichlich ungehobelt und ungehalten das Wort. Ein ohrenbet”ubendes Gejaule brach in der Aktion”rsmenge aus. Die Sicherheitskr”fte, die an diesem Tag jede Menge Verdr”ngungsarbeit zu erledigen hatten, st¸rzten sich auf den Aktvisten und schleppten ihn aus dem Saal.

Sp”testens jetzt gab es eigentlich nurmehr ein Thema auf dieser Hauptversammlung: Abschiebungen auf Lufthansa-Linienfl¸gen. In den G”ngen, auf den Toiletten, in den Warteschlangen vor den St”nden, an denen sich die Aktion”rInnen ihre Naturalien-Dividende abholen konnten - die Deportation.Class war Gegenstand aller Gespr”che und heftiger Auseinandersetzungen. In der Einladung zur Hauptversammlung muþte die Lufthansa bereits die Webadresse der AbschiebungsgegnerInnen ver–ffentlichen: ìhttp://www.deportation-alliance.comî war die schlichte Begr¸ndung eines Antrages auf Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, die vierhunderttausend Mal an AnteilseignerInnen in aller Welt verschickt wurde.

Mit jedem Redner, der drinnen im Saal erneut auf die Protestaktionen einging oder gegen die neuerdings Aktien haltenden AktivistInnen wetterte, verdichtete sich der Eindruck: Wenn es nicht schon l”ngst der Fall ist, sp”testens nach dieser Hauptversammlung hat Lufthansa ein gewaltiges Image-Problem. Ein besorgter Aktion”r brachte auf den Punkt, wof¸r es zumindest an diesem Tag l”ngst zu sp”t war: ìIch m–chte nicht, dass am n”chsten Morgen in allen Zeitungen steht, die Lufthansa habe kein Herzî.

War es blosse Schadensbegrenzung oder bereits eine geschickt eingeleitete R¸ckzugsstrategie, wenn Vorstandschef Weber am Ende der Veranstaltung erstmals klipp und klar eingestand: ìWir werden mit dem Innen- und dem Verkehrsministerium ¸ber eine Entbindung von der Bef–rderungspflicht verhandeln.î Die AktivistInnen von ìkein mensch ist illegalî und der ìDachverband der Kritischen Aktion”reî, die die Proteste auf der Hauptversammlung organisiert hatten, f¸hlen sich durch diese Aussage jedenfalls weiter best”tigt.

ìUm der Lufthansa AG bei ihren sicherlich schwierigen Verhandlungen mit dem Innen- und Verkehrsministerium nachhaltige Unterst¸tzung und entsprechende R¸ckendeckung zu geben, werden wir unsere Beziehungen zu dem Konzern durch weitere Auftritte und Besuche bei Lufthansa festigenî, hieþ es auf einer tags darauf stattfindenden Konferenz der ìkein mensch ist illegalî-AktivistInnen. Geplant sind Aktionen am Lufthansa Pavillon auf der Expo und vor allem eine Intensivierung der Internet-Aktivit”ten.

Schon bald soll eine Datenbank Gruppen und Einzelpersonen zusammenbringen, die entweder Aktionsideen mit sich herumtragen, diese aber aufgrund mangelnder Kenntnisse, Informationen oder entprechender Mitteln nicht alleine durchf¸hren k–nnen, oder die ¸ber das gefragte Know-How verf¸gen, aber bislang vergeblich den politischen Kontext suchten. Eine solches Projekt nach dem Vorbild der us-amerikanischen AktivistInnen-Gruppe ìRTmarkî k–nnte der Kampagne gegen die ìDeportation.Classî eine kaum mehr zu z¸gelnde Dynamik verleihen. Ausserdem steht in K¸rze eine neue Generation von Skripten und Programmen f¸r regelrechte ìOnline-Demonstrationenî und h–chst effektive ìVirtuelle Sit-Insî zur Verf¸gung.

Lufthansa-Chef Webers Tagtr”ume vom unaufhaltsamen Siegeszug der neuen Technologien m–gen hierf¸r den entscheidenden Anstoþ gegeben haben. Schlieþlich plant der Konzern bis zum Jahr 2005 40 Prozent aller Buchungen ¸ber das Internet abzuwickeln. Dass sich hier ungeahnte Bet”tigungsm–glichkeiten gerade auch f¸r konzernkritische Kreise ergeben d¸rften, wird ihm wohl erst nach seiner Rede in den Sinn gekommen sein.

Kurz bevor die Aktion”rsversammlung ¸ber den Antrag, Vorstand und Aufsichtsrat wegen der Verwicklung in das Abschiebungsgesch”ft nicht zu entlasten, abstimmte, machte Weber eine allerletzte Einlassung zum Thema ìDeportation.Classî: Niemand m–ge bitte den an allen Flugh”fen und vor Reiseb¸ros verteilten Werbebrosch¸ren der ìDeportation.Classî Glauben schenken. Es handele sich um b–swillige F”lschungen.

Wie es den Anschein hat, haben diese ihren Zweck aber mehr als erf¸llt. Daran ”nderte dann auch die Abstimmungsniederlage nichts, die sich der ìDachverband der kritischen Aktiomn”reî ganz am Ende des langen Tages einholte: Ganze 0,19 Prozent der Stimmen votierten f¸r den Antrag auf Nicht-Entlasung des Vorstandes. Repr”sentative Logik liegt den AktivistInnen reichlich fern. Schlieþlich warten wesentlich effizientere und attraktivere Interventions-M–glichkeiten jenseits der herk–mmlichen politischen Rituale.



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