Im folgenden dokumentieren wir einen (leicht gekürzten) Text aus den Lokalberichten (Nr. 24, 30.11.2000), der sich mit der Diskussion um das am 2. Nov. von einer Mehrheit der Anbieterinnengemeinschaft gegen zwei Redakteure des Forumradio ausgesprochene Sendeverbot befaßt. Das grundlegende Problem der Diskussion besteht darin, daß keine schriftliche Begründung des Sendeverbots seitens der Anbieterinnengemeinschaft vorliegt, obwohl das Thema bereits durch Aktionen des Forumradios in die Öffentlichkeit getreten ist (Unterschriftensammlung, Veranstaltung und Artikel). Die im folgenden Artikel kritisierte Argumentation bleibt bis auf weiteres eine Stellungnahme Radio Lorettas - und nicht der Anbieterinnengemeinschaft. Der Passus zum Problem antideutscher Kritik, daß sie jede "Kritik am israelischen Staat per se als antisemitisch denunziert", trifft dann vollends ins Leere, da niemand die kritisierte Behauptung je aufgestellt hat.
Zur Dokumentation haben wir uns bei allen Vorbehalten gegenüber dem Artikel dann doch entschlossen, weil wir es nach wie vor für nötig halten, eine solche Diskussion zu führen und FSK ausgesprochene Sendeverbote inhaltlich begründen muß anstatt sich auf formale Gremienprozeduren (keine Zensur, weil demokratisch durchgesetzt) zurückzuziehen.
Am 2. November hat eine Mehrheit der Anbieterinnengemeinschaft des Radios "Freies Senderkombinat" (FSK) zwei Redakteuren aus der Radiogruppe Forumradio den Zutritt zu den Räumen des Radios verboten und sie damit mit einem Sendeverbot belegt. Der Vorwurf: Die beiden hätten in einer Sendung über die aktuellen Auseinandersetzungen zwieschen Plästinensern und Israel und deren Hintergründe antisemitische und völkische Inhalte verbreitet. Das Forumradio hat in einer Stellungnahme vom 21. November den Vorwurf zurückgewiesen und die Beendigung der "willkürlichen Zensur und Sendeverbote" gefordert, die Radiogruppe Loretta zwei Tage zuvor, am 19.11., in einer Stellungnahme zu einer im Radio (Knast und Justiz Info) vorgetragenen "persönlichen Erklärung vom 17.11." Vorwurf und Sendeverbot bekräftigt. Außerdem liegt ein Mitschnitt der fraglichen Sendung vor, was den Vorwurf für alle Interessierten nachprüfbar macht.
Die Auseinandersetzung berührt zentrale praktische Fragen emanzipatorischer Politik: den Kampf gegen Antisemitismus, antiimperialistische Solidarität, die Frage von Person, Lebensweise und Staat, aber auch die Frage der Pluralität in der Linken und ihrer Grenzen. Eine klärende Diskussion ist notwendig, die Lokalberichte sind für diese Diskussion offen und wollen sich daran beteiligen.
Antisemitsmus und linke Politik
Ich unterstelle, daß Radio Loretta und die Mehrheit der Anbieterinnengemeinschaft den Antisemitismus-Vorwurf nicht als Vorwand benutzen, um irgendwie unliebsame Sendungen aus dem Radioi FSK zu entfernen, sondern daß sie das - berechtigte - Anliegen verfolgen, antisemitische Tendenzen aus dem Radio fernzuhalten. Es geht also um die Frage, ob der schwerwiegende Vorwurf des Antisemitismus zutrifft.
Die Kritik des Antisemitismus, das Bestreben, jeden Anflug von Antisemitismus zu ächten und zu bekämpfen, ist angesichts der mörderischen Geschichte des Antisemitismus und insbesondere der furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus unverzichtbarer Bestandteil emanzipatorischer Politik. Diese Aufgabe ist zudem höchst aktuell, wie nicht nur die fast schon alltäglich werdenden Angriffe neonazistischer Täter auf jüdische Menschen und die jüdische Lebensweise oder auch Untersuchungen antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung beweisen. Für die von der bürgerlichen Rechten, namentlich der CDU/CSU betriebene nationale Sammlungsbewegung ist der Antisemitismus zur Abschließung des "Deutschen", zur Ab- und Ausgrenzung des "Fremden" unverzichtbar. Darauf weisen die Angriffe auf Paul Spiegel und seine Kritik am Begriff der "Leitkultur" aus den Reihen der CDU/CSU und vor allem die Art der Angriffe hin.
Diese Situation verlangt eine große Sorgfalt in der Behandlung aller Fragen, die jüdische Menschen, die jüdische Lebensweise, aber auch die aktuellen Auseinandersetzungen in Palästina/Israel betreffen.
Eine besondere Sorgfalt ist auch aus folgendem Grunde erfoderlich: Der tief in deutschen Geschichte und der deutschen Ideologie verwurzelte Antisemitismus behaftet die Behandlung der genannten Fragen mit einem hohen Diskursrisiko. Der "Sender" hat die Folgen seiner Worte, seiner Darstellungen, sachlichen oder sachlich gemeinten Feststellungen, Kritiken etc nicht unbedingt in der Hand. Wie zum Beispiel wäre es sonst möglich gewesen, daß "Jud Süß", der beeindruckende Roman Lion Feuchtwangers von 1925, der das ...Bild eines zwischen Assimilation und Emanzipation hin- und hergerissenen jüdischen Intelektuellen in Deutschland zeichnet...daß ein solcher Roman quasi zur Vorlage für einen der übelsten antisemitischen Propagandafilme des deutschen Faschismus wurde ?...
Wie auch immer: Wer, wie die "Freunde der guten Zeit" vor ungfähr einem Jahr in einer Radiosendung, Ignatz Bubus im Nachruf einen "jüdischen Kapitalisten" tituliert (siehe Kasten), kann sich nicht darauf herausreden, daß seine Tatsachenbehauptung zutrifft. Der hat - zumindest! - verabsäumt, sich zu vergewissern, welche Klischees er benutzt, welche Vorurteile bestärkt . anders ausgedrückt, daß der Stein, der er wirft, Verletzungen zufügt.
Der Vorwurf des Antisemitismus ist unbewiesen, das Senderverbot willkürlich
Der Fall der von Radio Loretta beanstandeten Sendung zu Palästina (und Jugoslawien) lilegt jedoch anders.
Zunächst: Die Betreiber des Sendeverbots, das selbstverständlich die Öffentlichkeit und ihr Recht auf Information tangiert, haben es bisher verasäumt, ihren schwerwiegenden Vorwurf des Antisemitismus zu begründen.
Radio Loretta zitiert in der genannten Stellungnahme (siehe Auszug) genau einen Satz als Beweis des Antisemitismus, nämlich: "Wie erleben jetzt, was die Juden damals erlebt haben." Die Stellungnahme behauptet, die Äußerung reihe sich "in eine Kette weiterer antisemitischer Äußerungen ein". Sie behauptet, die Redakteure hätten "mehrere Antisemitsmen nicht kommentiert, unterbrochen, richtiggestellt und weitere selbst formuliert oder bestätigt". Allerdings bleibt sie den Beweis dafür schuldig. Etwas anderes Schriftliches gibt es nicht, auch auf einer Diskussionsveranstalung am 27.11. wurde Vorwurf zwar wiederholt, aber nicht einmal andeutungsweise bewiesen. Damit setzt sich RadioLoretta selbst dem Verdacht aus m, in einer sehr ernsten Sache leichtfertig zu handeln. Auch die Behauptungen über die angeblichen Unterlassungen fassen die Arbeit der beiden Redakteure in der etwa zweistündigen Sendung nicht richtig zusammen, unterschlagen etwas, daß zwei Stellungnahmen aus der israelischen Linken veresen wurden und daß die Verbrechen des deutschen Faschismus, die Ermordung von 6 Millionen Juden, ebenso thematisiert wurde wie die Gefahr, mit der Kritik an Israel falschen Beifall zu bekommen.
Trotzdem hatm, das will ich nicht bestreiten, die Sendung Schwächen, die kritischer Diskussion bedürfen. Sie betreffen die Art und Weise, wie die Redakteure ihr Anliegen - durch Information, Analysen und Stellungnahmen die antiimperialistische Solidarität mit den Palästinensern zu stärken - verfolgen. Die oben zitierte Äußerung ("wir erleben jetzt, was die Juden damals erlebt haben") ist tatsächlich gefallen. Sie ist falsch. Aber ist sie antisemitisch ? Kommt sie der Leugnung des Holocausts nahe, wie die Kritiker behaupten ? Die Leugnung des Holocaust ist ein Verbrechen, und zwar weil sie die Vernichtung vollendet, indem sie sogar die Vernichtung leugnet, und weil sie tatsächlich die Rechtfertigung des Massenmordes bezweckt. Die Botschaft, die die Leugnung übermittelt, besteht darin, die Opfer zu verhöhnen und ihre Nachkommen ein ähnliches Schicksal anzudrohen. Nichts davon bezweckt die Äußerung des Vertreters der palästinensischen Gemeinde. Das ergibt sich unzweideutig aus dem gesamten - überprüfbare - Kontext. Er versucht, auf das gegenwärtige Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser aufmerksam zu machen, und dazu bedient er sich eines falschen, unzulässigen Vergleiches, der den Opfern des Holocaust nicht gerecht wird und deshalb auch sein eigentliches Ziel verfehlt. Ein richtigstellendes Nachhaken an dieser Stelle wäre zu erwarten gewesen und hätte der Solidarität mit den Palästinensern keinen Abbruch getan, im Gegenteil.
Eine weitere Klarstellung wäre notwendig gewesen. Es hat aus den Reihen palästinensischer Migranten in Deutschland und Europa verschiedentlich Angriffe auf Synagogen (so die alte Synagoge in Essen) und damit auf die jüdische Lebensweise gegeben. Sie befördern und bestätigen Antisemitismus und müssen von der jüdischen Gemeinde als Bedrohung verstanden werden. Sie schaden dem Kampf der Palästinenser, aber nicht deshalb, weil sie ihn in den Augen von irgendwem schlecht aussehen lassen, sondern weil sie mit dem Kampf um antiimperialistische Befreiung unvereinbar sind. Es wäre an den Redakteuren der Sendung gewesen, den palästinensischen Vertreter durch direkte Nachfrage die Gelegenheit zu geben, den antiimperialistisch-emanzipatorischen Charakter des Kampfes auch in direkter Abgrenzung zu rassistischen Tendenzen, vor denen die Unterdrückten nicht gefeit sind, deutlich herauszustellen. Die Schwächen der Sendung bestehen zusammengefaßt m.E. darin, daß der soziale Gehalt und antiimperialistische Charakter nicht durchweg mit der gebotenen Schärfe und in Abgrenzung zu reaktionären Momenten und Tendenzen herausgearbeitet wurde. Der Vorwurf des Antisemitismus jedoch hält der Überprüfung nicht stand. Er zielt weit daneben und verrät konkret mehr über die, die ihn gegen diese Sendung erhoben haben.
deutschen Denkstrukturen verhaftet Das Problem antideutscher Kritik:
Radio Loretta und die Mehrheit der Anbieterinnnengemeinschaft sind einem Fehler verfallen, der tiefer in deutschen Ideologie verankert ist, als sie sich womöglich vorstellen können. Der moderne Antisemitismus, wie er mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland entstand, zielt auf die Ab- und Ausgrenzung des "Fremden" und in der Tendenz auf seine Vernichtung, d.h. auf die Vernichtung der jüdischen Lebensweise bis hin zur Vernichtung der jüdischen Menschen. Die sich als antideutsch begreifende Kritik identifiziert dagegen umstandslos die Juden und die jüdische Lebensweis mit dem israellischen Staat, wenn sie jede Kritik am israelischen Staat per se als antisemitisch denunziert. Der furchtbare, ziemlich deutsche Gedanke, daß die Person und ihre Lebenspraktiken untrennbar mit dem Staat verbunden sind und durch ihn und nur durch ihn ihre Identität, ihre Bestimmung gewinnen, scheint hier kräftig durch.
Im Kampf gegen das Erstarken des Antisemitismus ist diese Gleichsetzung eine schlechte, ja sogar gefährliche Waffe, weil sie die jüdische Bevölkerung in Deutschland verweist und damit dem reaktionären Bestreben, die jüdische Lebensweise "fremd" zu identifizieren, wie dies gerade in der Diskussion um die "Leitkultur" betrieben wird, nichts entgegengesetzt.
In Bezug auf die Unterstützung einer friedlichen Lösung im Nahen Osten, die den berechtigten Lebensinteressen aller dort lebenden Menschen gerecht wird, ist die Haltung, die jede Kritik an Israel als antisemitisch zum Schweigen brigen will und damit die israelische Politik für sakrosankt erklärt, kontraproduktiv. Es ist ja nicht nötig, daß diejenigen, die der antideutschen oder antinationalen Strömung anhängen, die antiimperialistische Befreiung der Palästinenser zur eigenen Sache machen. Aber man kann und muß von ihnen verlangen, daß sie antiarabisch/antiislamische Ressentiments nicht aufsitzen, wie es die Macher von Radio Loretta m.E. tun, und daß sie nicht - stillschweigend oder ausdrücklich - staatliche Verbrechen wie rassistische Unterdrückung und Ausgrenzung, Besatzung und Land- bzw. Wasserraub, den Einsatz von schwerbewaffneter Armee gegen Kinder und Jugendliche... rechtfertigen. Man muß von ihnen verlangen, daß sie sich, wenn schon nicht mit den Palästinensern, doch wenigstens mit der israelischen Friedensbewegung und Linken auseinandersetzen, die gegen die Politik des israelischen Staates Stellung bezieht, auch weil sie weiß, daß, wer Verbrechen an anderen verübt, selbst Schaden nimmt.(scc)
(...)
I. Die Kritik von Radio Loretta an der Sendunng bezieht sich auf die Äußerungen eines palästinensischen Genossen und Mitglieds der palästinensischen Gemeinde in Hamburg und darauf, daß die beiden Redakteure diese nicht "kommentiert, unterbrochen, richtiggestellt und weitere (Antisemitismen) selbst formuliert oder bestätigt haben" (alle Zitate, sofern nicht anders vermerkt, aus der schriftlichen Stellungnahme. Radio Loretta zitiert den Satz: "Wir erleben jetzt, was die Juden damals erlebt haben" - eine "Kette weiterer antisemitischer Äußerungen" wird zwar behauptet, aber nicht belegt - und schreibt dazu: "Jetzt meint: die íVertreibung des palästinensischen Volkes', damals meint: die Vernichtung des europäischen Judentums. Solche Vergleiche nähern sich tatsächlich der Leugnung des Holocaust, weil sie eben die systematische Vernichtung der Juden durch Gas unterschlagen...Es gibt Vergleiche, die einer Leugnung nahekommen. Wer in Sendungen solche Vergleiche nicht richtigstellt oder kritisiert, unterstützt eben diese Tendenz, die nicht nur, aber besonders in Deutschland immer wieder Konjunktur hat."
II. Ein zweiter Vorwurf von Radio Loretta bezieht sich auf die am 17.11. in "Knast und Justiz Info" vorgetragene "persönliche Erklärung", die auf ein früheres Sendeverbot gegen die "Freunde der guten Zeiten" verweist und in der Stellungnahme von Radio Loretta so zitiert wird: "'Später traf es die Freunde der guten Zeit. Sie erhielten Sendeverbot, weil sie in einem Nachruf auf Ignatz Bubis dessen Spekulations- und Maklergeschäfte in Frankfurt kritisierten. Aber Ignatz Bubis war nicht nur ein Spekulant, er war auch Jude. Dadurch bot sich für die FSK-AufräumerInnen eine gute Möglichkeit, den Antisemitismusvorwurf für ihre Sache zu benutzen, um eine unbequeme Sendung aus dem Programm zu entfernen.'"