Schlepper, Schleuser, Gentlemen

Redebeitrag auf der Veranstaltung "Über die Grenze" am 23. April 1997 im Münchner Stadtmuseum.


Menschen, die "über die Grenze" gehen, sei es auf der Flucht vor Verfolgung, sei es auf der Suche nach Glück, unterliegen in besonderer Weise einer vorbeugenden und generalisierenden Kriminalisierung. So spricht die bayerische Abschieberhetorik in einem Atemzug von "Kriminellen und Sozialhilfeempfängern". Weil aber für die "armen Flüchtlinge" immer auch ein paar Krokodilstränen vergossen werden, richtet sich die aktuelle Medienhetze zur Zeit vor allem gegen "Schlepper" und "Schleuser".

Schlepper sind zwielichtige Gestalten. Schlepper sind geldgierig und menschenverachtend. Schlepperei ist Nepperei ist organisierte Kriminalität. Organisierte Kriminalität wird von Ausländern betrieben - also sind Schlepper Ausländer. So heißt es.

Doch wie bei jedem Spediteur lautet hier die Dienstleistung: Transport. Ihr Geschäft ist Import/Export: von draußen nach drinnen bringen und andersrum. Über die Grenze rein nach Deutschland - über die Grenze raus aus Deutschland. Vom Joghurtpack zum Giftmüll ein alltäglicher Vorgang. Hunderttausende von Touristen tun es.

Wenn wir heute abend über Schleppper sprechen, sagen wir weder, daß alle Schlepper böse sind, noch daß alle Schlepper gut sind. Was wir aber festhalten wollen ist, daß diese Arbeit eine wichtige Arbeit ist und ein gute Arbeit sein kann, wenn sie wie jede andere Arbeit auch, veranwortungsvoll ausgeführt wird. Schwierige Reisen erfordern umfangreiche Vorbereitungen und die sind heute notwendiger denn je.

Hierher zu kommen ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Seit dem Anwerbestop für ausländische Arbeitskräfte 1974 wurde fast jede Verordnung, jedes Gesetz und Grundrecht eingeschränkt oder gar abgeschafft, das Menschen erlaubte, hier zu leben. Betroffen davon sind all die Menschen, die nicht aus einem Land kommen, das momentan zur Europäischen Union gehört. Für all diese MigrantInnen ist es zu Zeit praktisch unmöglich, auf legalem Wege in dieses Land einzureisen. Aus diesem Grund haben Schlepper Arbeit. Und aus diesem Grund wird gegen Schlepper gehetzt.

Feindbild Schlepper

Unwidersprochen und quer durch alle politischen Lager scheint eins festzustehen: Schlepper sind Parasiten am Elend. Nach der Hetze auf Asylbewerber haben sich große Teile der Medien nun auf den neuen Sündenbock eingeschossen. Und plötzlich ist Platz für Mitleid mit den Flüchtlingen. Mitleid mit den Opfern der Schlepper - nicht aber Mitleid mit den Opfern des menschenverachtenden Grenzregimes von Polizei, Bundesgrenschutz und Bürgerwehren.

Dieses Mitleid ist nichts als Heuchelei. Es hat nur eine Funktion: nach Abschaffung aller Möglichkeiten der legalen Einreise soll nun der illegale Grenzübertritt für Flüchtlinge so schwierig, so teuer und so gefährlich wie möglich gemacht werden. Die Grenzen der Festung Europa werden immer schärfer kontrolliert. Grenzstreifen werden personell und technisch massiv aufgerüstet. Für die Ökonomie der Flucht heißt das: Je mehr Grenzbeamte und Botschaftsbeamte bestochen und je mehr Grenzen überschritten werden müssen, kurz: je schwieriger die Flucht und je länger sie dauert, desto höher die Auslagen und Kosten für die Fluchthelfer. Dies schlägt sich natürlich auf den Preis nieder. So funktionert die Marktwirtschaft.

Wir wissen aus Berichten von MigrantInnen, daß manche Schlepper ihre Arbeit schlecht machen und Menschen, die sich ihnen anvertraut haben, in Gefahr bringen. Auch wissen wir, daß viele Menschen den Preis für die Organisation ihrer Flucht nicht, oder nur unter immensen Schwierigkeiten bezahlen können. Nicht nur deshalb halten wir es für nötig, verstärkt unabhängige Strukturen zu schaffen, die MigrantInnen bei der Einreise unterstützen.

Fluchthilfe, wir ziehen diesen Begriff dem Schimpfwort Schlepperei vor, findet täglich statt. Fluchthilfe, sei es aus politischen oder humanitären Gründen bekommt eine immer größere Bedeutung. Das Recht auf Freizügigkeit, das Recht auf Einwanderung ist ein Recht, das für alle gelten muß. Unabhängig von politscher Konjunktur und der Stimmung an den Stammtischen versucht Fluchthilfe, dieses Recht auch praktisch durchzusetzen. Um so wichtiger ist es in der momentanen Situation, dies nicht nur im Geheimen zu praktizieren, sondern auch öffentlich zu erklären.

Die Forderung nach offenen Grenzen ist kein frommer Wunsch. Die Durchlässigkeit der Grenzen ist Realität. Migration findet statt und wird auch in Zukunft unabhängig von staatlicher Kontrolle stattfinden. Staaten können auf diese Tatsache sowie auf die damit einhergehenden sozialen Kämpfe lediglich mit gesetzlicher Repression reagieren. Durch die herrschende Migrationspolitik Deutschlands, der Europäischen Union und deren Nachbarstaaten werden immer mehr MigrantInnen systematisch in die Illegalität gedrängt:

So gelten vor den Gesetzen dieses Staates immer mehr MigrantInnen als "illegal":

Menschen werden von einem Tag auf den anderen als illegal abgestempelt, obwohl sich nur der Zweck ihres Aufenthalts geändert hat.

Illegalität bedeutet für die Betroffenen die völlige Schutz- und Rechtlosigkeit. Bereits den polizeilichen Notruf in Anspruch zu nehmen, beispielsweise bei rassistischen Angriffen, bei Vergewaltigung oder auch nur nach einem Diebstahl, hat zwangsläufig ihre Entdeckung zur Folge. Krankheiten können nicht behandelt werden. Oder nur im Geheimen gegen Barzahlung, und selbst das ist nur unter Gefahr möglich. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, daß Klinikangestellte Patienten bei der Ausländerbehörde denunziert haben. In Berlin wurden illegalisierte Patienten sogar auf Kosten der Charite deportiert.

Kein Mensch ist illegal

Die Unterscheidung der Bevölkerung in sogenannte Legale und Illegale, Menschen mit und ohne Aufenthaltsrecht, mit und ohne Papiere ist nur mit massivem polizeilichem Aufwand durchzusetzen: Kontrollen und Razzien in der 30 km-Zone hinter der Grenze auf Autobahnen, Raststätten und Bahnhöfen, in Ballungszentren und Innenstädten.

Diese Aufteilung der Gesellschaft in Menschen mit und ohne Aufenthaltsrecht erfordert neue Überwachungstechniken. Im Zuge des Schengen-Abkommens sind dies beispielsweise europaweit vernetzte Fingerabdruck-Datenbanken, elektronisierte Grenzterminals, an denen in Sekundenschnelle Personendaten aus verschiedenen Bereichen, wie dem Ausländerzentralregister, der Europol-Fahndung oder aus dem "Zentralen Verkehrsinformations-system" abgefragt werden können. Zu den neuen Überwachungstechniken zählen das "Mobile Polizei Büro System" oder die neuerdings angewendeten Atem-Meßgeräte. Mit einer kleinen Sonde unter der Lastwagenplane spüren Grenzbeamte Flüchtlinge ohne großen Aufwand auf.

Die Kategorisierung von Menschen in legal und illegal ist nur möglich, wenn die Folgen einer Entdeckung für die Illegalisierten - auf die die genannten Maßnahmen abziehen - drastisch genug sind. Etwaige strafrechtliche Konsequenzen sind dann, wenn überhaupt, nur noch eine Nebensache. Illegalisierte werden ausgewiesen und abgeschoben, und obendrein wird gegen sie noch ein Wiedereinreiseverbot verhängt. Widerspruch gegen diese Sanktion ist nicht möglich. Wer einmal abgeschoben ist, muß draußen bleiben. Strafgewalt, die bislang den Gerichten, also der rechtsprechenden Gewalt, vorbehalten war, wird auf diese Weise der Exekutive übertragen - in diesem Fall der Ausländerbehörde. Damit wird offensichtlich, daß die zunehmende Illegalisierung von MigrantInnen an der Verfaßtheit dieser Gesellschaft nicht spurlos vorübergeht. Die Unterstützung von illegalisierten Menschen hat also neben der praktischen auch eine politische Dimension. Kirchenasyl, Zufluchtsprojekte oder jegliche andere Art von Zusammenarbeit mit Illegalisierten und Selbstorganisation von MigrantInnen sind wichtiger denn je.

Deshalb sind wir für den Aufbau, beziehungsweise weiteren Ausbau von Netzwerken, die mittel- und unmittelbar hinarbeiten auf

  1. die sachkundige Vorbereitung und Unterstützung humaner Einreise- und Weiterfluchtmöglichkeiten,
  2. die Einrichtung von Anlauf- und Beratungsstellen, die politische und juristische Unterstützung anbieten, vor verfahrensrechtlichen Fallen warnen und nach entsprechenden Nischen suchen,
  3. die Ermöglichung eines unabhängig von der jeweiligen Gesetzeslage selbstbestimmten, dauerhaften Aufenthalts. Dazu müssen qualifizierte Strukturen für medizinische Versorgung, Unterbringung, Ausweis- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie weitere materielle Absicherung bereit stehen können.

Quelle:
dritte hilfe, Hysterieblatt für absteigende Mittelschichten, Daiserstr. 34, München


Zeck vom September 1997