Fünf Jahre nach den "volksfestartigen" Pogromen in Rostock-Lichtenhagen ist landauf landab die völkische Gemeinschaft auch diesen Sommer wieder zusammengerückt. Dabei traf man sich nicht nur, um in einer "nationalen Aufgabe" (Kohl) die Oderfluten zurückzuschlagen und und zu verhindern daß etwaige polnische Staatsangehörige in U-Booten angetuckert kommen und gute Deutsche, die sonst Tag ein, Tag aus mithelfen, illegale EinwanderInnen aufzuspüren, ausplündern.
Seit Anfang Juli kämpft eine Gruppe kurdischer AsylbewerberInnen im nordrhein-westfälischen Plettenberg darum, minimale Lebensstandards durchzusetzen: mehr Duschen und Wohnraum in der beengten Unterkunft, in der sich teilweise sechs Personen 23 qm teilen müssen, ein Ende der rassistische Behandlung in den städtischen Behörden sowie für Bargeld an Stelle von Wertgutscheinen für den Lebensunterhalt. Ende Juli traten einige von ihnen in einen Hungerstreik, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. "Flüchtling zu sein", so einer der Hungerstreikenden "bedeutet hier unter Bedingungen des letzten Jahrhunderts zu leben."
Und sie müssen sich nicht allein mit den rassistischen Schreibtischtätern auseinanderzusetzen: In Plettenberg ist auch der Mob angetreten, um die unnachgiebige Verwaltung in ihrer Haltung bei diskriminierenden und schikanösen Praktiken zu bestärken und um deutlich zu machen, daß diese im Sinne eines Großteils der ortsansäßigen deutschen Bevölkerung handelt. In Plettenberg blieb es nicht bei stillschweigender Ignoranz oder Ablehung, vielmehr wird diese unverhohlen in Szene gesetzt. An die hundert Leute versammelten sich vor den kurdischen Hungerstreikenden und deren kleiner UntersützerInnengruppe um "Scheinasylanten und Grüne raus" und "Aufhören, Aufhören" zu brüllen und "Muß i denn zum Städele hinaus" singend dem rassistischen Lebensgefühl freien Lauf lassend. Eigenen Bekundungen zu Folge stehen 90 % der 30.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt im Sauerland zu den Forderungen der völkischen Bürgerwehr. Dementsprechend haben auch die den Stadtrat bildenden Parteien, SPD, CDU und UWG, den unnachgiebigen Kurs einstimmig befürwortet.
Nach 29 Tagen wurde der Hungerstreik erst einmal abgebrochen, nachdem trotz allem ein Beigeordneter der Stadt zugesagt hatte, sich wenigstens für die Forderungen nach zusätzlichen Duschen und mehr Wohnraum für Großfamilien einzusetzen. Hierüber soll nun am 9. September im Stadtrat erneut debattiert werden.
Eine ähnliche Pogromstimmung herrscht auch in Gehlenberg/Thüringen. Dort sollen 80 AsylberwerberInnen in Unterkünften untergebracht werden, in denen bis dato AussiedlerInnen aus der ehemaligen UdSSR einquartiert waren. Und dort sorgt man sich um den "guten Ruf" des Ortes, der vor allem vom Tourismus lebt. Heutzutage ist der Ruf jedoch nicht mehr durch 1a völkischen Rassismus zu beschädigen. Und so sieht ein ortsansässiger Wirt auch eher "die Abgeschiedenheit, die schöne Natur, die gute Luft und die Wanderwege" bedroht. Andere sehen den Wert ihrer Hotels und Pensionen sinken, wenn der Ort durch faschistische Brandanschläge oder Parolen in die Gazetten kommt. Die einfache Rechnung dieser rassistischen Variante: Keine Flüchtlinge - keine Anschläge - kein beschädigter Ruf entspricht wohl einer weitverbreiteten Haltung, die "konsquente Abschiebungen" fordert, um "den Rechtsextremismus zu bekämpfen".
In Gehlenberg jedenfalls, wo deutsche Landschaften und Eigentümer durch Fremde bedroht sind, ist der Volksaufstand nicht mehr weit. Schwupp-die-Wupp war eine Unterschriftenliste verfaßt, um gegen den Zuzug der AsylbewerberInnen zu protestieren, auf der sich innerhalb kurzer Zeit knapp zwei Drittel der EinwohnerInnen der Dorfes verewigten. Auf der Sitzung des Gemeinderates drängten sich 300 empörte EinwohnerInnen, um ihrem Ärger Luft zu verschaffen, aber auch, um im kollektiven Rahmen auszusprechen, was viele wohl denken. Hier machte öffentlich das Wort die Runde, daß "da mal wer hingehen und was machen müsse." Und von den "Gewaltfreien" wurde die Durchführung einer Sitzblockade angeregt, die soll ja schon das eine oder andere Mal durchaus effektiv gewesen sein, wenn es daum ging, in ländlichen Regionen breiten Protest gegen ein Projekt von "denen da oben" auszudrücken.
"Fremde Sitten und Gebräuche:" so eine Hoteleigentümerin in Gehlenberg, "die passen einfach nicht hierher", und eine andere Dorfbewohnerin kommentierte den Einzug einiger Flüchtlinge in die ihnen zugwiesene Unterkunft mit der verklausulierten Drohung eines Brandanschlages: "Wer weiß denn, was dort noch passieren wird."
Bei soviel Aufmunterung aus der Bevölkerung wollten die PolitikerInnen dieses Landes auch nicht als Schlaffis darstehen, sondern für die passende Untermalung sorgen. Sei es SPD-Schröder mit seinen jüngesten Äußerungen "Wer unserer Gastrecht mißbraucht, für den gibt's nur eins - raus, und zwar schnell" hinter der sich, einer Umfrage zu Folge 55 % der Hannoverschen SPD-Mitglieder wiederfanden. Sei es, wie von Scholz (CDU) gefordert, endlich offiziell eine Beugehaft, die es mit der Abschiebehaft de facto schon gibt, einzuführen, um von Flüchtlingen ein Land zu erpressen, in das man sie abschieben kann, wenn keine Papiere vorliegen. Und gleichzeitig, wie von Entwicklungshilfeminister Spranger (CSU) und SPD-Schröder unisono gefordert, mittels der Entwicklungshilfe Druck auf die möglichen Herkunftsländer auszuüben, aus der BRD abgeschobene Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern aufzunehmen.
"Massiven Druck ausüben" gegenüber Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ist auch nach wie vor die Devise der Ausländerbehörden, um die Mär der "freiwilligen Ausreise" aufrechtzuhalten. Dabei sollen die unterschiedlichsten Strategien zum Ziel der Deportation möglichst sämtlicher Bürgerkriegsflüchtlinge führen. So werden in Bayern bereits seit Dezember letzten Jahres keine Duldungen mehr für die 65.000 Flüchtlinge ausgestellt. Auf Anweisung des Innenministeriums stellen die Ausländerbehörden nur noch Ausreisescheine aus, in denen eine Ausreisefrist gesetzt wird, die von den Behörden je nach Gusto um einige Tage oder Wochen verlängert werden kann. Allerdings hat ein Münchner Verwaltungsgericht dieser Praxis erst mal einen Riegel vorgeschoben, da das Ausländerrecht keinen Ermessensspielraum zwischen zwangsweiser Abschiebung und Erteilung einer Duldung vorsehe. Hiergegen wurde von der Behörde beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt.
Weniger bürokratisch gibt man sich dagegen bei der Hamburger Ausländerbehörde. Das nach eigenen Angaben "maßvolle und differenzierte Augenmaß" bei der eigenen Abschiebepraxis entpuppt sich hier einmal mehr als offener Psychoterror. Inzwischen haben zahlreiche Flüchtlinge in eidesstattlichen Erklärungen berichtet, wie bei ihrer "freiwilligen Rückkehr" nachgeholfen werden sollte. Das Repertoir der Schikanen reicht von Anschreien, Beschimpfungen, bis hin zur Drohung mit Abschiebeknast und Abschiebung, während auf dem Flur der Behörde bewaffnete LKA-Beamte rumlungert. Ziel ist er dabei stets, daß Flüchtlinge sich unter dem Eindruck dieser Einschüchterungen schriftlich zur "freiwilligen" Ausreise verpflichten.
Inzwischen ist die Ausländerbehörde aktiv geworden: Sie stellte Strafantrag wegen angeblicher Verleumdung gegen zwei Flüchtlinge, die den Behördenterror gegenüber der Presse öffentlich gemacht hatten.
Derweil meldete sich während des Sommerlochs auch der als Hardliner bekannte ehemalige Hamburger Senator Hardraht, derzeit sächsischer Innenminister, zu Wort, mit dem Vorschlag, an der Grenze zu Polen Elektozäune zu errichten, "um damit die organisierte Krimininalität zu bekämpfen" (junge welt 2.8.97).
Daß die Festung Europa jedoch nicht nur aus einer mörderischen Grenze, der bereits mehrer hundert Flüchtlinge zum Opfer gefallen sind, besteht, macht ein Urteil des Amtgerichts Zittau deutlich. Es verurteilte einen Taxifahrer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung wegen "Einschleusen von Ausländern" und "Beihilfe zur unerlaubten Einreise". Hintergrund war jedoch nicht einmal ein Transport über die Grenze, sondern nur eine Fahrt vom Zittauer Marktplatz in das 40 km entfernte Bautzen. Dabei unterstellte das Gericht, der Fahrer habe gewußt, daß es sich bei seiner Kundschaft um illegale Einwanderer gehandelt habe. Schließlich hatte er doch feststellen müssen, daß es sich bei seinen Fahrgästen um Ausländer gehandelt habe, und "die verfügen in der Regel doch nicht über ein solches Einkommen" sich eine Taxifahrt leisten zu können.
Troubadix