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Jenseits von Eden
Zur Diskussion um die Situation im Schanzenviertel
Im Zusammenhang mit dem Hochkochen des Themas "Innere Sicherheit" während des Hamburger Wahlkampfes entwickelte sich im Schanzenviertel ein rassistischer Diskurs gegen Schwarze, der in den letzten Wochen eine Reihe von Aktionen, Diskussionen und schriftlichen Diskussionsbeiträgen nach sich zog. Getragen wurde dieser Diskurs von unterschiedlichsten Gruppen- und Einzelinteressen, von AnwohnerInnen-Initiativen über eine größere Anzahl von Kleingewerbetreibenden bis hin zu Kneipenbesitzern, die Angst um ihr drogenkonsumierendes Klientel bekamen und auf den "schwarze Dealer raus aus dem Schanzenviertel"-Diskurs aufsprangen, um sich unliebsame Konkurrenz vom Halse zu halten.
Dieser Beitrag ist das Ergebnis einer Diskussion der gruppe demontage mit einigen FreundInnen. Dabei geht es uns vor allem um zwei Fragen:
1. Welche theoretischen Ansätze existieren in der Linken für die Analyse dieser rassistischen Denk- und Handlungsmuster und welche praktischen Ansatzpunkte lassen sich daraus ableiten?
2. In welche über das Schanzenviertel hinausreichende Entwicklung sind die aktuelle Situation und die laufenden Prozesse einzuordnen und was bedeutet das für die weitere Diskussion?
Hinsichtlich der Frage nach theoretischen Ansätzen der Linken zur Erklärung der Prozesse im Schanzenviertel wollen wir uns auf die Darstellung von relativ polarisierten Positionen beschränken, da sie die unterschiedlichen Annäherungen an das Thema gut verdeutlichen.
Verarmung von Stadtteilen als Folge von Modernisierungsstrategien
In der stadtsoziologischen Forschung der akademischen Linken ist ein theoretischer Zugang vorherrschend, der die Entstehung einer urban underclass als Folge von Verarmungs- und Verelendungstendenzen in den Mittelpunkt der Analyse stellt. Im Verlauf der Diskussion um die Situation im Schanzenviertel war dieser Ansatz in der Zeitschrift Szene Hamburg (10/97) anhand von Äußerungen des Hamburger Stadtsoziologen, Jens Dangschat, nachzulesen. Dangschat geht davon aus, daß durch Modernisierungsprozesse immer mehr Menschen aus dem Produktions- und Arbeitsprozeß freigesetzt werden. Diese Menschen bilden eine wachsende städtische soziale Unterschicht, die sich aus Arbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen, marginalisierten MigrantInnen und Obdachlosen zusammensetzt und die in Stadtviertel mit billigem Wohnraum und günstiger Infrastruktur drängt. "Aufwertungstendenzen" in diesen Stadtvierteln - also Sanierung von Wohn-und Gewerberaum etc. - führen zu sozialen Problemen in diesen Stadtteilen, zu Verarmung und letztendlich zu Vertreibung.
Diese Analyse von Urbanisierungsprozessen trifft auf die Entwicklung im Schanzenviertel nicht so richtig zu. Im Gegensatz etwa zu Wilhelmsburg, das häufig als zweites Paradebeispiel eines verarmten Stadtteils angeführt wird, ist die Sozialstruktur im Schanzenviertel in einem wesentlich geringeren Maße allein von einem Zuzug aufgrund billiger Wohn- und Infrastruktur bzw. von Vertreibung aus anderen Stadtteilen geprägt als von einer bewußten Entscheidung von Menschen, die "das Viertel" hip finden die die Zentralität und die Infrastruktur schätzen.
Die im Schanzenviertel real stattfindenden Umstrukturierungsprozesse basieren, wie überall sonst auch, auf der alltäglichen Verwertungslogik des Kapitals einerseits und gegenläufigen Tendenzen in der Sozialstruktur andererseits. Letztere sind sowohl durch Altersarmut und andere Verarmungsprozesse gekennzeichnet als auch durch Aufwertungstendenzen, die von Studis, Mittelschichtslinken und anderen Gruppierungen - gewissermaßen von innen heraus - mitgestaltet werden ("Die Studis von heute sind die Manager von morgen").
Wesenlich gravierender als diese Ungenauigkeiten ist allerdings eine Blindheit gegenüber Rassismus. Bei Jens Dangschat liest sich das in bezug auf das Schanzenviertel beispielsweise so: "Man hat gelernt, mit den alten Problemen zu leben, mit Straßenverkehr, mit kultureller Vielfalt, mit Hundescheiße auf der Straße, mit Lärm. Jetzt, wo die Toleranzgrenze bereits weit überschitten ist, fangen diese Dinge an zu stören." (Szene Hamburg, S.18). Da wird "kulturelle Vielfalt" im gleichen Atemzug mit Hundescheiße als Problem eingeordnet. Durch ein Austauschen von "Ausländer" durch "Vielfalt" wird so rassistische Ausgrenzung nur umetikettiert, nicht aber kritisiert. Ein Erkennen des Problems Rassismus fehlt gänzlich.
Rassismusanalyse
Neben der dargestellten Verelendungstheorie existiert ein zweiter Zugang, der Rassismus in den Mittelpunkt der Analyse stellt. In den letzten Wochen haben einige Aktionen und Beiträge auf Rassismus als zentralen Bestandteil der Situation im Schanzenviertel hingewiesen. Für das Bündnis, das die "Informationstage gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung vom 17. - 20. September 97" am Bahnhof Sternschanze organisiert hatte, "ist die selbverständliche Gleichsetzung eines Treffpunkts von schwarzen Jugendlichen mit einem >Drogenumschlagplatz< (...) Teil der rassistischen Mobilmachung in dieser Gesellschaft." (Flugblatt des Bündnisses). Dabei wird vor allem auf die immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen von vielen MigrantInnen Bezug genommen, die z.B. aufgrund vorenthaltener Arbeitserlaubnis häufig zu illegalisierten Arbeitsbedingungen gezwungen werden. Ohne eine Berücksichtigung dieser materiellen und ideologischen Ebene von Rassismus kann die Situation im Schanzenviertel nicht verstanden werden.
Soziale Homogenisierung und Blindheit gegenüber Rassismus
Wir haben es sehr begrüßt, daß die "Gruppe Blauer Montag" ihre Diskussionsergebnisse in Form von konkreten Thesen zur Diskussion gestellt und damit eine öffentliche Debatte angeregt hat. Wir teilen allerdings an einigen grundlegenden Punkten ihre Analyse und Einschätzung nicht. Die in Klammern gesetzten Thesen verweisen auf das Thesenpapier der Gruppe.
Die Gruppe Blauer Montag geht in ihrer Analyse grundsätzlich von einer politischen und ökonomischen Entwicklung aus, deren Folgen zu Prozessen von Verarmung und Verelendung führen, wie sie in allgemeiner Form bei Jens Dangschat beschrieben wurden. Am Rande sei angemerkt, daß sie allein die Verarmungsprozesse feststellen und die oben beschriebenen "Aufwertungstendenzen" außer Acht lassen. Die aus dieser Entwicklung abgeleiteten Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozesse analysieren sie als Sozialrassismus, d.h. die Prozesse richten "sich allgemein gegen sozial unerwünschte Merkmale. (...) Eine Reduktion auf Rassismus verkürzt das Problem." (These 2). Wir halten den auf Karl Heinz Roth Bezug nehmenden Begriff des Sozialrassismus für falsch. Dem Begriff liegt eine Analyse zugrunde, die davon ausgeht, daß von Verarmungs- und Verelendungsprozessen eine immer größere Anzahl von Menschen betroffen sind, und zwar in einer vergleichbaren Art und Weise. Selbst "für die allermeisten von uns" sind Verarmung und Verelendung alltägliche Erfahrung, so ihre Feststellung in These 6. Es geht unserer Ansicht nach aber nicht um eine Reduktion auf Rassismus, sondern um das Erkennen, daß nicht alle ausgegrenzten Gruppen gleichermaßen von Ausgrenzung und Unterdrückung betroffen sind und daß Rassismus ein eigenständiges Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnis ist. Rassismus zeichnet sich unter anderem auch dadurch aus, daß er selbst die am meisten ausgegrenzten Gruppen noch spaltet. In der taz vom 11.10.1997 war zu lesen, daß die Minimalversorgung und Verpflegung von Obdachlosen in Hamburg nunmehr auf deutsche Obdachlose und einige Ausnahmen beschränkt werde, da eine Verpflegung aller Obdachlosen nicht geleistet werden könne. Diese Maßnahmen richten sich vor allem gegen illegalisierte Obdachlose. Homogenisierenden Ansätze übersehen die einzelnen spezifischen Unterdrückungsverhältnisse bzw. ignorieren sie schlichtweg mit dem Ziel der Vereinheitlichung und größeren politischen Mobilisierung. Sie stehen der Erkenntnis im Weg, zwischen den unterschiedlichen Unterdrückungs- und Ausgrenzungsprozessen von beipielsweise deutschen Obdachlosen und MigrantInnen zu differenzieren. Ein Verkennen von rassistischen Komponenten bzw. eine Reduzierung auf soziale Ausgrenzung verkürzt die Analyse in derselben unzulässigen Weise, vor der im Papier der Gruppe gewarnt wird (These 5).
Eine solche Warnung ist zwar immer richtig, hilft aber an diesem Punkt nicht weiter. Wir halten es für richtig und wichtig, Rassismus als eigenständiges Ausgrenzungs- und Unterdrückugsverhältnis zu begreifen und dem Konstrukt einer Stadtteil-Gemeinschaft entgegenzutreten. Deshalb fanden wir die "Informationstage gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung vom 17.-20. September 1997" einen richtigen Ansatzpunkt. Die Angriffe auf schwarze Menschen am Bahnhof Sternschanze sind rassistisch motiviert, auch wenn im Schanzenviertel noch eine Reihe anderer Ausgrenzungsmechanismen existieren. Uns geht es nicht darum, Ausgrenzung zu hierarchisieren, sondern darum, die/den ideelle/n Gesamtbetroffene/n als Konstrukt zu entlarven.
Die Homogenisierung ausgegrenzter Gruppen - und damit kommen wir zum zweiten zentralen Kritikpunkt - ist existenziell für einen Politikansatz, der sich aus einem räumlich eingegrenzten Gebiet heraus definiert. In These 10 wird formuliert, um welches Gebiet es sich dabei handelt, nämlich um das Schanzenviertel und welche Interessen verfolgt werden, nämlich Diskussionen mit den dort lebenden Menschen, um "Bedürfnisse" und "Ansprüche" an ein "gutes Leben im Schanzenviertel" zu debattieren. Dabei tauchte in den letzten Wochen verstärkt das Problem auf, daß Menschen von ganz unterschiedlichen Interessen geleitet werden, obwohl sie alle "im Viertel" wohnen. Da tauchen dann die Konflikte wieder auf, von denen die Gruppe Blauer Montag behauptet, daß wir sie "nicht mit dem Staat oder dem Klassengegner haben", sondern unter uns im Viertel (These 9). Ein solches Politikverständnis deckt Widersprüche zu, die in anderen Situationen mit Sicherheit wieder aufbrechen. Elterninitiativen wollen eine vermeintlich heile Welt für ihre Kinder, den Gewerbetreibenden geht es um den Umsatz und manchem Kneipenbesitzer ums eigene Drogengeschäft. Die Vorstellung, daß Klassen- oder andere Widersprüche im Stadtteil nicht präsent sind, ist ein Mythos. Dieser Mythos wird aber vom Blauen Montag reproduziert, wenn allen Menschen im Schanzenviertel ein gemeinsames Interesse unterstellt wird., auch wenn sie nicht mit dem "letzten Arschloch" reden wollen. Wer ist aber das "letzte Arschloch"? Der Klassengegner, oder die Grauen Wölfe, die sich zum Anwalt des Stadtteils machen? Kriterium für eine politische Debatte kann doch nur ein gemeinsames politisches Interesse sein. Ein "Stadtteil-Dialog" mit Menschen, die nicht klar gegen Rassismus und Ausgrenzung Position beziehen, kann keine politische Strategie sein.
Law and order-Politik und Modernisierung
"Law and order is a labour issue", heißt die Losung der Sozialdemokratie, nicht nur in England, sondern auch für die nächsten Wahlkämpfe in der BRD. Auch im vergangenen Wahlkampf in Hamburg war das Thema "Innere Sicherheit" eines der vorrangigen Themen. Aus Sicht der Sicherheitspolitiker und -experten stellt das "traditionell linke" Schanzenviertel eine besondere Herausforderung dar. Betrachtet man aber das Schanzenviertel - an diesem Punkt stimmen wir mit der Gruppe Blauer Montag überein - als Experimentierfeld für eine mögliche bundesdeutsche Entwicklung, dann stellt sich eben gerade nicht die Frage für ein politisches Handeln eines unbestimmten "wir" (vgl. These 9), sondern die Frage nach mittelfristigen Perspektiven linker Politik. Diese wird sich aber zukünftig verstärkt von klassischen Stadtteilkonzepten lösen und trotz ihrer marginalisierten Situation eine antirassistische und gegen Vertreibung und Ausgrenzung gerichtete Politik entwickeln müssen, die jenseits von "Sicherheitsbündnissen" und "Vierteldialog" zu suchen ist.
Daß, wie viele mit Verwunderung feststellen, ein rassistischer Diskurs gerade im Schanzelviertel so schnell Fuß fassen konnte, ist unserer Ansicht nach nicht besonders verwunderlich. Gerade die autonome Linke hat den Mythos "Unser Viertel", in dem ganz normale gesellschaftliche Widersprüche nicht zu existieren schienen, über Jahre reproduziert und eine linke Scheinidentität aufgebaut, die den Linken im Stadtteil jetzt auf die Füße fällt. Die Menschen im Stadtteil haben seit Jahren gelernt, sich zu organisieren und ihre Interessen zu artikulieren: keine Kommerzkultur im Viertel, keine Großhandelsketten, keine Yuppies usw. Dabei ging es stets darum, die Scheinidentität des widerspruchsfreien Viertels zu bewahren. Auf dieses "soziale Training" kann jetzt aufgebaut werden, wenn Multikulturalismus dazu benutzt wird, rassistische Ausgrenzung zu betreiben.
Ein Stadtteil ist genausowenig ein homogener, sozialer Verband wie eine Nation. Er ist ein Raum, in dem widersprüchliche, soziale Interessen gegeneinander stehen. Dies gilt wie für jeden anderen Stadtteil auch fürs Schanzenviertel. Diese Widersprüche nicht in einem "Vierteldialog" zuzudecken, sondern offen zu benennen und Position zu beziehen, muß Aufgabe linker Politik sein.
gruppe demontage
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