[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]
Gegen einen identitätsintellektuellen Verdrängungszusammenhang
In die äußerst spannende Debatte um Sexualität, Identität Macht und die richtige und falsche Politik1, möchte nun auch ich eine weitere Schleife einfädeln. Denn es gibt da was, das macht mich schon die ganze Zeit recht unruhig, nämlich der Umgang akademischer linker Schlaumänner mit ihrem eigenen blinden Fleck.
Vorher will ich mich aber dennoch in dem laufenden Streit positionieren2:
1) Ich finde die Arranca Nr.8 inhaltlich überwiegend schlecht im Sinne von unreflektiert, unsensibel und ungenau in Bezug darauf, welche Texte und Bilder zur Sprache gebracht worden sind.3
Die Idee, dem "sexualmoralischen Verdrängungszusammenhang" etwas entgegenzusetzen und zu versuchen, Sexualität aus der Zerrissenheit von beliebig/privat ("da darf öffentlich gemischtgeschlechtlich nicht drüber geredet werden, sondern nur privat") und dogmatisch/poltisch ("gegen die verschiedenen Stufen der Gewalt hilft nur eine repressive Stimmung"4) herauszuholen und damit so diskutierbar zu machen, wie es dem Thema angemessen ist - verwickelt, differenziert, widerspruchsvoll - finde ich hingegen äußerst begrüßenswert.
2) Die Entscheidung der meisten Frauen aus dem Schwarzmarkt, die Arranca zu boykottieren, fand ich falsch, da ich dahinter den Wunsch vermute, bzw. diesen Frauen unterstelle, dieses Thema ("erstmal" für alle Zeiten) zu verhindern und undiskutierbar zu machen. Für mich liegt diesem Boykott der Wunsch nach Zensur (=dauerhafter Abbruch mit den dafür notwendigen Herrschaftsmitteln) zu Grunde und nicht der Wunsch nach Anstoß zur Kommunikation: das finde ich antiemanzipatorisch und daher ablehnenswert.5 Dennoch gab es eine lange Begründung und damit dann doch einen Anstoß zum Streit (auch wenn dieser Streit im folgenden wieder von den Schwarzmarkt-Frauen behindert wurde). Dieser Widerspruch wurde selbst von den betreffenden Frauen reflektiert ("eigentlich müßtet ihr uns vertrauen, aber trotzdem erklären wir jetzt unser Vorgehen"6): immerhin.
3) Die Kritik der Unglücklichen mit ihrem Paul und Paula Papier teile ich inhaltlich zum großen Teil. Ihr Verdienst ist es, endlich die seit 15 Jahren andauernde Auseinandersetzung innerhalb feministischer Theorie, wie sie im (vor allem im US-amerikanischen und englischen) akademischen Bereich geführt wurde und wird, in die linksradikale, autonome, gemischte bundesdeutsche Szene zu tragen.7 Dass das zum Knall mit der bestehenden Politikpraxis geführt hat, war ja auch irgendwie klar - gut so!
Schade nur, dass sich die Unglücklichen mit ihrer Kritik nicht auch selbst ins Visier nehmen. Dazu später mehr.
4) Die zahlreichen Beiträge, die folgten, zeigten, dass die sicher ziemlich theorielastige Debatte um Identität, Macht, Politik und Emanzipation auf einen fruchtbaren und gut vordiskutierten Boden fiel - weiter so!
5) Das Papier der Unmündigen ist ganz furchtbar (jetzt objektivier ich doch mal)- inhaltlich wurde dazu schon treffend Stellung bezogen. Zuzufügen wäre höchstens noch, dass ich euch für sehr mündig halte und eure Politik nicht albern finde. Ganz im Gegenteil nehme ich euch ernst in dem was ihr sagt und schreibe euch auch die ganze Verantwortung dafür und für alle Konsequenzen eures Handelns zu.
Jetzt zu dem Punkt, der mich ärgert. Ständig wird in der Debatte auf dem "Identitätsfeminismus" rumgehackt. Obwohl ich die Kritik grundsätzlich weitgehend richtig finde, bleibt doch die Frage, woher diese Identitätspolitik kommt und - noch wichtiger - ob das denn der einzige identitäre, vergeschlechtliche Machtvektor ist, der uns "plagt"? Beim Lesen vieler Schlaumänner-Texte könnte man(n) durchaus diesen Eindruck gewinnen.
Aber habt ihr8 keine männliche Identität? "Nein!" hör ich sie rufen. Aber was seid ihr dann? Worauf gründet sich eure Existenz?
Tatsächlich verkündet keiner dieser (autonomen) Männer explizit irgend eine Art von männlicher Identität (außer vielleicht unsere MRT-geplagten "Brüder" der neuen Männerbewegung). Aber dazu sind sie auch nicht gezwungen, denn darauf baut der moderne Geschlechterdiskurs schließlich auf. Er setzt für Mann = Mensch, das ist das Normale. Und der Mensch? Er denkt, also ist er: autonomes Subjekt, mit sich selbst identisch, ganz Geist statt Körper, einfach nur Mensch, ganz universell und höchst harmlos.
Aber das "Ich", das hier diese Zeilen schreibt, ist nicht autonom und sich seiner selbst bewußt, sondern genauso dem Diskurs unterworfen, der es sprechen läßt. Und dieser (patriarchale) Diskurs baut auf dieses halluzinierte unabhängige "Ich" auf und bestätigt es in jedem seiner strammstehenden Zeichen, seinem phallischen Zeichensystem. Darin wähnt sich der Mann frei, denn er wird von diesem Diskurs bestätigt und getragen. Das ist seine Identität! Und sie baut auf Ausschlüsse auf: Ausschlüsse von Frauen oder von dem "anderen", dem nicht-signifizierten im modernen Geschlechterdiskurs9.
Klar, der Diskurs schafft auch Frauen, so wie er Männer schafft - immer schön als sich ausschließende Gegensätze. Aber für Frauen ist dieser Diskurs widersprüchlich: er nimmt sie zwar gefangen in seinem Sprechen und seinen Effekten und schafft damit eine weibliche Identität. Gleichzeitig schließt er Frauen aber auch aus dem Diskurs aus: sie werden nicht (nur) vom Diskurs getragen, sondern (auch) verneint, unsichtbar gemacht, zum Schweigen gebracht. Nur daher kommt doch die explizit offensiv vertretende feministische Identität: sich zum Sprechen (und Handeln) zu bringen, gegen einen Diskurs10, der Weiblichkeit in Negation definiert: als Passive, Natur, Körper im Gegensatz zur Konstruktion männlicher Kultur, Aktivität und Intellektualität.
Dennoch finde auch ich die Strategie einer Identitätspolitik in Sachen Geschlecht (und nicht nur da) nicht weiterführend, da sie in einem Zweigeschlechtersystem nicht viel zur Auswahl hat und in jedem Fall dieses System weiter stärkt, anstatt es zu demontieren (oder dekonstruieren). D.h. wer und welche den Geschlechterantagonismus weiter postuliert, zurrt diesen Diskurs fest. Übrig bliebe dann nur eine mögliche (und von einigen bestimmt gewollte) Herrschaftsverschiebung innerhalb der alten Koordinaten, die dann zwar nicht mehr so hieße und auch allgemein nicht befreiender wäre, aber mal die andere Hälfte der Menschheit in die Lage setzen würde, ordentlich unterdrücken zu können.
Mein Plädoyer stattdessen: geschlechtliche (und andere) Identitäten abzulehnen, zu hintergehen, ad absurdum zu führen, versuchen, anders zu denken, zu vermischen.11 Perspektivisch könnten wir so aus dem dualistischen Denksystem, auf dem alle (mir bekannten) Herrschaftsmodelle basieren, zu Gunsten einer ausdiffundierenden, fragilen Identitätenlandschaft gelangen.
Dafür reicht es aber nicht, auf eine bestimmte Fraktion des Feminismus einzudreschen und sich selbst als schon dekonstruiert verkaufen zu wollen bzw. sich selbst außerhalb des Diskurses zu halluzinieren. Ich red jetzt nicht für Männergruppen, sondern für eine Diskussion und kritische Selbstreflexion über die eigenen Ausschlußpraktiken, die eigenen Phantasmen vom freidenkenden Individuum; kurz den unausprechlichen, gut verschleierten, fast (für Männer) unsichtbaren Identitätsmaskulinismus. Das ist mehr, als "antipatriarchale Verhaltensforschung" nach dem Motto: "Du, damit mußt Du dich aber echt mal auseinandersetzen", oder dem Regelwerk, wie sich ein Genosse auf dem Plenum und im Bett zu verhalten hat.
Wer sagt, er hätte keine männliche Identität, ist dem patriarchalen Diskurs voll aufgesessen.
Die (wenn auch richtige) Kritik an ausschlußproduzierenden Identitäten von manchen Frauen wird dann schal und stumpf. "Was wollt ihr denn stattdessen und welche (Denk-/Fühl-)Praxis habt ihr?" wäre meine Frage an die Unglücklichen und die Buben Huckleberry & Finn, Sven Glückspilz und an die anderen. Ein Bezug auf die Theorie der Dekonstruktion, bei der ihr euch selber rausnehmt wird nicht akzeptiert!
Kater Karlo
1 Auch bekannt als die "Fußnotendebatte"
2 Auch ich hab Angst, von den falschen vereinnahmt zu werden.
3 Schade, dass darüber nie geredet werden konnte
4 Alle Zitate stammen von meinen PappkameradInnen, die mir im Kopf herumgehen.
5 Als dritte Möglichkeit muss noch die Angst genannt werden, im Streit hoffnungslos unterzugehen: ein sehr legitimer Grund.
6 Sinngemäß aus der Eklärung "Transparenz in der Zensur" der SchwarzmarktFrauenLesben
7 Im Gegensatz zur Meinung, Feminismus geht nur Frauen was an, verstehe ich Feminismus als Gesellschaftstheorie und somit mich als Teil davon
8 Autoren dieser Texte und weitere Pappkameraden
9 Grüße an meine schwulen Pappkameraden, die sich schon die ganze Zeit beschweren, in dieser ganzen Heteroklamotte wieder mal unsichtbar gemacht zu werden.
10 Aber eben auch leider mit ihm
11 Das geht klarerweise nur da, wo nicht sofort die feindliche Identität auf ihre Chance lauert. Diese Angst finde ich sehr berechtigt und real und es muß genau geschaut werden, wo sie zutrifft (gelle Paul? (nicht Paula)). Aber auch genau sein, wo diese Haltung lediglich ein biologistisches Bild festschreibt, daß hinter jeder öffentlichen Diskussion den natürliche Drang von Männern nach einem Rollback sieht.
[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]