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Schnellverfahren und Hauptverhandlungshaft

Anmerkungen zu einem Artikel im Antifaschistischen INFO-Blatt Nr. 41/97

Seit 1994 gibt es das neue sog. »Schnellverfahren« (»beschleunigtes Verfahren«, §§ 417ff. StPO) und seit 1997 sie sog. »Hauptverhandlungshaft« (§ 127b StPO).
Mit dem Schnellverfahren soll die Möglichkeit geschaffen werde, daß »auf frischer Tat« gefaßte StraftäterInnen sofort nach der Festnahme, i.d.R. am nächsten Tag, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Dazu sind prozessuale Schutzrechte der Angeklagten massiv eingeschränkt worden, z.B. braucht keine schriftliche Anklage erstellt zu werden, die Beweiserhebung ist eingeschränkt, ZeugInnen müssen nicht unmittelbar aussagen, sondern es kann aufgrund verlesener Vernehmungsprotokolle verurteilt werden usw.. Voraussetzung für ein Schnellverfahren ist »einfacher Sachverhalt«, »klare Beweislage« und ein nicht allzu schweres Delikt (höchstmögliche Strafe im Schnellverfahren ist 1 Jahr Freiheitsstrafe, bzw. in dem Fall, daß kein Verteidiger anwesend ist, 6 Monate). Das Schnellverfahren wurde eingeführt mit dem ausdrücklichen Hinweis, es sei geeignet u.a. für »reisende Gewalttäter«, also DemonstrantInnen.
Da sich schnell herausstellte, daß die wenigsten Menschen einen solchen »kurzen Prozeß« freiwillig mitmachten und zum Schnellprozeß oft einfach nicht erschienen, wurde diese Vorschrift ergänzt durch die Hauptverhandlungshaft. Danach kann einE FestgenommeneR, die/der für ein Schnellverfahren vorgesehen ist, bis dahin (bis zu einer Woche) auch ohne »Haftgrund« (das ist: (Flucht- oder Verdunkelungsgefahr) eingeknastet werden.
Diese Instrumente werden in letzter Zeit tatsächlich gegen uns angewandt: vgl. z.B. taz vom 24.3.98, S. 9: 2 mal vom Amtsgericht Heilbronn (wegen Anti-Castor-Aktionen); bekannt sind uns weitere Fälle aus Erfurt (Anti-Autobahn), München und Göttingen (jeweils Antifa), alle aus den letzten Monaten. Wir müssen uns also damit beschäftigen, darüber aufklären, Verhaltenstips erarbeiten und weitergeben und gegen die Vorschriften und ihre Anwendung politisch Druck machen. Insofern ist es höchst erfreulich, wenn im Antifaschistischen INFO-Blatt ein Artikel dazu erscheint. Dieser Artikel ist auch zu zwei Dritteln gut und nützlich, enthält jedoch in seinem letzten Drittel Verhaltensvorschläge, denen wir deutlich widersprechen!
Zunächst weist der Artikel ganz richtig darauf hin, daß Betroffene auf jeden Fall eine Anwältin verlangen sollten. Für den Fall, daß sie das Schnellverfahren gegen euch durchziehen wollen, ohne daß ihr einen Anwalt habt, wir in dem Artikel gesagt, daß ihr »Anträge stellen müßt, um das Verfahren noch abzuwenden«; es wird empfohlen, sich dabei auf »Artikel 6 Abs 3b der Menschenrechtskonvention« zu berufen; es wird weiter empfohlen, Beweisen träge zu stellen und sogar ZeugInnen zu deiner Entlastung zu benennen, etwa in der Art: »XY war auch dabei und kann bezeugen, daß ich nicht ...«. Das halten wir für grundfalsch und saugefährlich!
Die Rote Hilfe rät zur konsequenten und umfassenden Aussageverweigerung, egal ob als ZeugIn oder BeschuldigteR, egal, ob vor Polizei, Staatsanwaltschaft oder Richter! Auf jeden Fall solange, bis Gelegenheit zum ungestörten Anwaltsgespräch und zum ruhigen Überlegen ist: auf gar keinen Fall also irgendwas sagen, nachdem du überraschend verhaftet wurdest und/oder eine Nacht im Knast verbracht hast!
Name, Adresse, Geburtsdatum und -ort, Beruf (allgemein) und Familienstand - das sind die »Angaben zur Person« und sonst nix! Die einzigen Worte, die darüber hinaus über unsere Lippen kommen sind allein: »Ich verweigere die Aussage!« und »Ich will sofort eine AnwältIn sprechen!«.
Erstmal ist es nicht nötig, sich auf irgend etwas zu berufen oder irgendwelche Anträge zu stellen! Wer gar nichts sagt, gerät auch nicht in Gefahr, zu irgend etwas sein »Einverständnis« zu geben, z.B. zur Verlesung von Aussagen oder zum Rechtsmittelverzicht - Schweigen reicht, entgegen dem Eindruck, den der Artikel erweckt, wenn er schreibt: »Die Zustimmung dazu müßt ihr natürlich verweigern.« Ob das Verfahren gegen die Menschenrechtskonvention verstößt (die »ausreichende Gelegenheit zur Verteidigung« vorschreibt), sollte mal in einem geeigneten Fall vor einen europäischen Gerichtshof getragen werden, die Rote Hilfe wäre bei der Finanzierung eines Musterprozesses sicherlich dabei - dafür ist es aber völlig unerheblich, ob die/der Betroffene sich am Anfang darauf berufen hat oder nicht! Mensch sollte Leute, die auf ne Demo gehen nicht auch noch damit belasten, sie müßten sich Artikel der Menschenrechtskonvention o.ä. merken.
Keine Aussagen außer Personalien machen, EA- und/oder Anwalts-Telefonnummer parat haben, das ist alles, was DemonstrantIn »im Fall des Falles« wirklich draufhaben muß, sonst nix.
Richtig falsch und gefährlich werden die Ratschläge aber unserer Meinung nach dort, wo geraten wird, ZeugInnen zu benennen: Damit reitet ihr andere rein! Um Himmels Willen nicht sagen wer (Name, Adresse ...) wo dabei war! Daß das erstens nichts nutzt und zweitens schadet, ist schon im o.g. taz-Artikel nachlesbar: Trotz 3 von ihm benannter EntlastungszeugInnen wurde der Angeklagte verurteilt und die drei EntlastungszeugInnen noch im Gerichtssaal festgenommen und angeklagt wegen Meineides! Auch wenn's nicht ganz so schlimm kommt: etwas Besseres kann den Repressionsorganen gar nicht passieren, als wenn wir unter diesen Bedingungen (Verhaftung bei der Aktion, Nacht im Knast, unberaten, ohne Rücksprache mit FreundInnen, politischen Gruppen, EA, Roter Hilfe ...) zu plaudern beginnen, ihnen alles erzählen, von dem wir glauben (ohne irgendwelche Akten gesehen zu haben) es könnte uns entlasten o.ä.. Dann hätten sie ein wichtiges Ziel des Schnellverfahrens, nämlich zu verhindern, daß unsere Soli- und Prozeßvorbereitungsstrukturen zu greifen beginnen, erreicht!
Was statt dessen? Jede Aussage verweigern, immer wieder nach dem Anwalt verlangen. Möglicherweise werden sie schon, wenn sie merken, daß du konsequent und nicht einzuschüchtern bist, auf ein Schnellverfahren verzichten, dies ist ja für »einfache Sachverhalte« gedacht. Wenn sie es dennoch durchführen wollen, kannst du sie in dieser Situation nicht daran hindern - dann laß es über dich ergehen, wie einen Regenschauer. Unmittelbar danach ist erst einmal Ruhe, sie lassen dich raus und du kannst sofort zur AnwältIn/EA/ Roter Hilfe, du legst innerhalb einer Woche Berufung ein und bereitest dich in aller Ruhe auf den Berufungsprozeß vor. (Sollte die Berufung in Bagatellverfahren wegen § 313 StPO ausnahmsweise nicht möglich sein, so wäre dies ein Fall, der einmal bis in die höchste Instanz getrieben und öffentlich besonders angeprangert werden müßte. Das Schlimmste aber, was theoretisch in einem solchen Fall passieren kann, ist eine Geldstrafe von maximal 15 Tagessätzen.)
Inhaltliche Anträge (Beweisanträge) solltest du auf gar keinen Fall stellen! Eingelegte Proteste oder formale Anträge des ersten (Schnell-)Verfahrens spielen im Berufungsverfahren sowieso keine Rolle, aber was eine Rolle spielen kann, und zwar in der Regel gegen dich, sind die gemachten Aussagen im ersten Verfahren, von dir und den zeugInnen!
Also: Keine Aussagen im Schnellverfahren, keine inhaltlichen Anträge (in denen in irgendeiner Weise zum Strafvorwurf Stellung genommen wird), vor allem keine ZeugInnenbenennungen!
Rote Hilfe, Ortsgruppe Hamburg
(leicht gekürzt)


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