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Gespräch mit zwei Hamburger Antifaschisten


Kurz vorweg zum folgenden Interview: Eigentlich war es unser Anliegen als auch das der jetzt am Gespräch beteiligten Gruppe, eine Diskussion zum Thema Antifaschismus mit möglichst vielen Gruppen zu führen, um zu einzelnen Fragen auch kontroverse Meinungen zu haben. Leider blieb es trotz anderer Zusagen bei der Teilnahme nur einer Gruppe. Das Gespräch hat somit keinen repräsentativen Charakter für Hamburger Antifa-Politik und soll nicht als abgeschlossene Sache stehen bleiben, sondern als Anregung und Anfang weiterführender Diskussionen dienen. (Dies ist auch expliziter Wunsch der beteiligten Antifa-Gruppe). So, und jetzt viel Spaß beim lesen.
Frage: Ihr organisiert euch als Antifas. Daher zu Beginn die Frage nach eurem Begriff von Antifaschismus.
Arne: Fangen wir erstmal mit Faschismus an: Faschismus sehen wir als eine Herrschaftsform in der kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, der zusammengeht mit strukturellem Faschismus. In der Geschichte der faschistischen Massenbewegung hatten diese Massen nicht nur oder in erster Linie kapitalistische oder industrielle Interessen. Faschismus ist nicht nur ein Herrschaftsinstrument, sondern auch ein kultureller Ausdruck innerhalb einer Gesellschaft, im Umgang miteinander usw. Dieser kulturelle Ausdruck läßt sich nicht allein auf das Herrschaftsinstrument Faschismus reduzieren, sondern hat seine eigenen geschichtlichen Wurzeln.

Frage: Ihr mein also nicht, daß das, was ihr "strukturellen Faschismus" nennt, ein Resultat des kapitalistischen Herrschaftssystems ist?
Bert: Nein, das müßte eher parallel gesehen werden, das bedingt sich gegenseitig. Auf der einen Seite der ökonomische Aspekt — Faschismus als Herrschaftssicherung — auf der anderen Seite der Wille in der Bevölkerung oder dem "Gemeinwesen", sich darin wiederzufinden. In Deutschland fußt der Herrschaftsmechanismus auf dem Rassismus und auf dem Patriarchat, die latent in der Gesellschaft vorhanden sind. Patriarchat und Rassismus werden nicht von oben, von einem Herrscher o.ä. angeordnet, sondern sind latent vorhanden und werden dann als Herrschaftsmittel benutzt, die wiederum von der Bevölkerung aufgenommen und weiterbenutzt werden. So nimmt das eine gemeinsame Entwicklung.

Frage: Auf welche theoretischen Analysen bezieht ihr euch bei eurer Arbeit?
Bert: Wir haben darüber lange diskutiert und festgestellt, daß wir an diesem Punkt eine Monokausalität ablehnen. Wir beziehen uns beispielsweise nicht auf die Faschismusanalyse von Dimitroff, weil dort monokausal nur ein bestimmter Aspekt herausgegriffen wird, der vielleicht seine Berechtigung hat, aber enorme Defizite in anderen Bereichen. Wenn man es materialistisch sieht, geht diese Analyse von der Existenz von Klassen und Klassenkämpfen aus und vernachlässigt sowas wie die Kulturgeschichte der Nation — und darum gehts ja im Faschismus. Wir denken, Faschismus kann man nicht mit einer einzelnen Analyse erklären, sondern muß das als Gesamtkomplex sehen. Dazu gehört auf der einen Seite die Geschichte des Faschismus als Herrschaftsform, mit seinen Ursprüngen vielleicht in der Aufklärung und in der Geschichte der Herausbildung von Nationen. Ökonomische Aspekte sind dabei nur eine Seite, die andere Seite ist Herrschaftssicherung im allgemeineren Sinne, dazu gehört dann auch die Bedeutung der Kirche oder die bürgerliche Gesellschaft an sich.
Arne: Die europäischen Staaten sind ja alle kapitalistisch. In England oder Frankreich gab es aber keine Herausbildung des Faschismus wie in Italien, Deutschland oder Spanien. Das hat m.E. damit zu tun, wie gesellschaftliche Umbrüche in den jeweiligen Staaten vollzogen wurden, wieweit eine — wenn auch bürgerliche — Revolution, eine Umstürzung von gesellschaftlichen Verhältnissen stattgefunden hat. In der deutschen Geschichte wurde ja auch vor dem Hintergrund einer Frankophobie gegen die Idee einer bürgerlichen Revolution gearbeitet; daraus entstand eine sich den Autoritäten anpassende Gesellschaftsbewegung.

Frage: Für eure Arbeit und Diskussionen spielen theoretische Bezüge demnach also durchaus eine wichtige Rolle, nur lehnt ihr es ab, euch auf eine einzige Theorie zu beziehen?
Arne: Bei den rassistischen Pogromen seit Anfang der 90er wurde die Wechselbeziehung zwischen dem Mob auf der Straße einerseits und der herrschenden Politik in Form von Gesetzen andererseits ja deutlich.
Bert: Für unsere praktische Arbeit spielt die Faschismusanalyse aber keine primäre Rolle. Entscheidender für unsere Motivation, gegen Nazis und Faschismus zu kämpfen, ist unser Wissen um den Holocaust und das Wissen, wie in der BRD in den letzten 50 Jahren mit dem Holocaust umgegangen wurde. Zunächst ist da also bei uns die Motivation, das Leugnen des Holocaust und Verbreiten von Antisemitismus nicht zulassen zu wollen. Wenn wir dann darüber diskutieren, können wir anfangen verschiedene Faschismusanalysen herauszuarbeiten und dazu in Zusammenhang zu setzen.
Auch deshalb finden wir rein materialistische Ansätze defizitär, weil Aspekte wie Antisemitismus und daß es nur in Deutschland einen Holocaust gab, dabei vernachlässigt werden. Da ist es dann wichtig, sich anzugucken, wie in Deutschland mit Herrschaft umgegangen wird und was hinter den propagierten Werten wie Freiheit oder Gemeinwesen denn eigentlich steht. Den Nationalsozialismus konnte es nur deshalb geben, weil er in der Bevölkerung breit akzeptiert worden ist. Wir glauben nicht, daß im Faschismus eine böse Bande von Nazis das antifaschistische Volk verführte oder unterdrückte.
Arne: Faschismus ist eine zutiefst reaktionäre Struktur, die das Leben verneint und alles Fortschrittliche und Andersseiende vernichten will. Faschismus ist die Spitze dessen, was sich an reaktionären Strukturen in der Gesellschaft herausbildet.

Frage: Ihr habt den deutschen Faschismus betont. Hat euer Selbstverständnis als Antifa-Gruppe einen starken Bezug auf den deutschen Faschismus?
Bert: Wir sprechen nicht vom deutschen Faschismus sondern vom Nationalsozialismus, denn der Begriff Faschismus ist ja eher ein theoretisches Gebäude. Natürlich ist der Nationalsozialismus prägend für alles, was mit Politik zu tun hat in der BRD.
Klar, es gibt keinen Nationalsozialismus in der BRD heute. Das war eine historische Epoche von ‘33 — ‘45, und die ist mit dem 8. Mai ‘45 beendet gewesen, und deswegen werden wir auch keinen Nationalsozialismus wieder haben. Deshalb reden wir auch nicht davon, es gäbe ein neues ’33; aber die Auswirkungen des Nationalsozialismus bestehen natürlich fort.
Arne: Die Ursprünge des Faschismus kann man in der kapitalistischen Gesellschaft und im Militarismus sehen, deswegen bedeutet Antifaschismus für uns nicht bloße Anti-Nazi-Arbeit. Antifaschismus ist auch gegen die Vorstellungswelt von Kapitalismus und Militarismus gerichtet, als das, was der Boden, der Background von Faschismus ist. Das unterscheidet uns auch von z.B. Juso-Gruppen, die auch Antifa-Arbeit machen, aber diesen grundgesellschaftlichen Aspekt meiner Meinung nach ausklammern.

"Nach der Pogromwelle Anfang der 90er hat sich vieles verändert. Die Grenzen dieser aufklärerischen Antifa-Arbeit wurden deutlich"

Frage: In unserer Wahrnehmung bedeutete Antifa-Arbeit schwerpunktmäßig das Aufdecken und Bekämpfen faschistischer Strukturen. Die Recherchearbeit hatte zum Ziel, einzelne Führungspersonen öffentlich zu machen und anzugreifen. Welche Bedeutung hat eine solche Recherchearbeit heute noch für euch vor dem Hintergrund der Verankerung des Rassismus in der Bevölkerung?
Bert: Da hat es in den letzten Jahren Umbrüche gegeben. In unserer früheren Antifa-Arbeit hatte das aufklärerische Moment eine große Bedeutung, weil es damals eine Mobilisierung gab. Informationen über Strukturen, Inhalte und Ziele der Nazis — z.B.Leugnen des Holocaust, Übergriffe auf MigrantInnen, Homophobie — erzeugten eine antifaschistische Mobilisierung solange es eine linke oder antifaschistische Hegemonie in der Gesellschaft gab. Nach der Pogromwelle Anfang der 90er hat sich vieles verändert. Die Grenzen dieser aufklärerischen Antifa-Arbeit wurden deutlich. Was wir aber weiterhin betreiben, ist das Aufdecken und Darstellen von faschistischen Strukturen, explizit natürlich anhand von militanten Nazis, weil die sich auf dreisteste Weise direkt auf den Nationalsozialismus berufen. Solchen Nazis darf man keinen Platz und keinen Raum lassen, die muß man wirklich bekämpfen mit allen Möglichkeiten die man hat.
Arne: Wir sind natürlich immer noch an Nazistrukturen dran, weil durch diese Strukturen inzwischen immer mehr ganz konkret die Lebenswelt von vielen Leuten beeinträchtigt werden, bzw. diesen weder Raum noch Entfaltungsmöglichkeiten gelassen werden. In vielen Gegenden im Osten oder auf dem Land um Hamburg herum haben die Nazis die Hegemonie auf den Straßen, so daß Menschen, die sich dagegen wehren, in ihrem Überleben bedroht sind, von Nicht-Deutschen ganz zu schweigen. Deswegen beschäftigen wir uns auch weiterhin stark mit den konkreten Kaderstrukturen der Nazis, auch wenn wir sehen, daß unabhängig davon ein rassistischer Grundkonsens in der Gesellschaft existiert.

Frage: Hat sich eure Praxis in den letzten Jahren verändert?
Bert: Wir sind an die Grenzen unserer Antifa-Arbeit gekommen, weil es nicht mehr reicht, ein Flugblatt zu schreiben: "Der Nazi X wohnt in Y und macht das und das", weil mittlerweile die Reaktion oft ist "Na und?". Das meinte ich mit Hegemonie: Der grundsätzliche Rassismus ist nicht mehr ächtbar, sondern wird gesellschaftlich toleriert. Gerade die rechten Jugendbewegungen sind weit verbreitet; es ist normal "deutsch" und rassistisch zu sein, auf die mega-patriarchalen und -reaktionären Werte zu stehen. Das wird gar nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt, deswegen können wir mit der rein aufklärerischen Arbeit nicht an Boden gewinnen.

Frage: Welche Bedeutung haben die Kader in der faschistischen Bewegung heute noch?
Bert: Leute wie Worch oder Wulff hier in Hamburg, das sind die vehementesten oder militantesten, offensivsten Prediger des Nationalsozialismus, da hat sich wenig dran geändert. Das heißt natürlich auch, daß die in bestimmten Bereichen am intensivsten im Fokus unserer Arbeit stehen. Z.B. hat sich die Politik der Nazis im "Bündnis Rechts" in Lübeck in ihren Modellen oder Ideologien nicht wesentlich unterschieden von der Politik der ANS/NA (Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten - in den 80ern bundesweit agierende Fascho-Organisation, d. Red.) Anfang der 80er Jahre. Was sich geändert hat, ist die gesellschaftliche Relevanz. Durch die Bündnisse z.B. mit den Reps sind sie zu einem tolerierten Politikfaktor bei den Wahlen geworden. Kühnen dreht sich wahrscheinlich vor Freude im Grabe um bei dem was in Lübeck möglich war mit dem "Bündnis Rechts". Dagegen vorzugehen ist ein primäres Interesse unserer Antifa-Arbeit.
Arne: Die Nazi-Kader sind hier in der Region maßgeblich bei der Organisierung der rechten Szene und versuchen eine Logistik aufzubauen. Im Unterschied zum Osten, wo die Faschisten zu einer Jugendkultur geworden sind und weitaus unorganisierter sind, als die alten Kader aus dem Westen. Aber auch dort versuchen sich die Organisierten dieser braunen Subkultur zu bemächtigen und sie in eine politische Bewegung umzuwandeln.

Frage: Versuchen die alten Kader aus dem Westen also dort zu rekrutieren?
Bert: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich glaube eher, daß z.B. die militanten Kader rund um Hamburg ganz klar ihre politischen Grenzen sehen. Diese Grenzen ergeben sich daraus, daß sie sich ganz klar auf den Nationalsozialismus berufen und ihr primäres Arbeitsfeld auch ist, ganz offensiv nationalsozialistische Politik zu machen. Sobald die zu groß werden, werden sie staalicherseits mit Repression überzogen. Im Osten ist es eher so, daß durch die Existenz der rechten Hegemonie weniger die Verfechter des NS sondern eher Organisationen wie die NPD Erfolg haben: Das ist eine "demokratische" Partei, die als solche toleriert ist, und da findet eine andere Form der Rekrutierung statt. Dort werden die Nazis Parteimitglied und genießen eine Massenakzeptanz dadurch, daß sie in eine scheinbar halbdemokratische Partei eingebunden sind. Hier im Westen gibt es viel mehr die Tradition der Kühnen-Politik: Ganz offensiv Nationalsozialismus predigen, ganz offensiv auch militant das zu predigen, mit dem Wissen: "Na gut, dann werden wir halt verboten, kommen Leute von uns in Knast. Dann kommen sie wieder aus dem Knast und machen weiter." Die sind viel überzeugter von dem Nationalsozialismus, wohingegen es im Osten mehr sowas wie eine braune Grundsuppe gibt.
Arne: Es wird von staatlicher oder gesellschaftlicher Seite auch nie anerkannt, daß es sich dabei um Faschismus handelt. Das sind dann Jugendliche mit Problemen, die Probleme muß man bearbeiten. Dafür werden dann sozialarbeiterische Modelle erarbeitet, bloß daß Faschismus kein Jugendproblem ist.

"Es geht darum, diejenigen zu unterstützen, die vom rechten Terror betroffen sind..."

Frage: Wir kommen nachher noch einmal auf die faschistische Mobilisierung im Osten zurück. Zuerst würde ich aber gerne nochmal konkret danach fragen, was es für eure Arbeit bedeutet, wenn ihr die Relevanz des rassistischen Grundkonsens erwähnt oder die "braune Suppe"? Wo ist euer Schwerpunkt oder der rote Faden?
Arne: Da ist zum Einen die Organisierung mit bundesweiter Vernetzung um gemeinsame Arbeit zu machen. Zum anderen ist Antifaschismus anders als noch in den 80er Jahren zum Mobilisierungspunkt für viele Jugendliche geworden als Jugend- und Identifikationskultur. Wir unterstützen vor Ort die Jugendlichen, die anfangen, sich gegen die Faschisten zu wehren. Die tun das ja aus ganz unterschiedlichen Interessen, z.B. weil sie sich außerhalb der reaktionären Norm stellen wollen. Daraus entsteht dann schnell sowas wie eine antifaschistische Jugendkultur.

Frage: Das heißt, mit den Jugendlichen zusammen Demos zu organisieren oder Nazis anzugreifen?
Bert: Ein Teilbereich unserer Arbeit, einer unserer Schwerpunkte ist es, Jugendliche zu unterstützen, die sich aus persönlicher Betroffenheit heraus gegen Nazis wehren. Diese Betroffenheit haben wir natürlich nicht, in unserem "Szeneviertel" müssen wir keine Angst vor Nazis haben. Das ist natürlich bei Jugendlichen außerhalb des "Viertels" wesentlich existentieller. Bei der Lübecker Demo war das für die Antifa-Gruppen Hamburgs und Schleswig-Holsteins ein Schwerpunkt, der über mehrere Monate die Arbeitsgrundlage war. Ich glaube allerdings, wie du auch eben angesprochen hast, daß Antifa oft erstmal sowas ist wie eine Jugendkultur, weniger eine politische Bewegung, wie wir uns begreifen. Es geht da erstmal mehr darum, sich zusammenzutun, weil man vielleicht Bock hat auf bunte Haare oder auf Punk oder auf Subkultur und daß dies nicht toleriert wird und die Jugendlichen Angst haben müssen, das zu leben in ihrem Dorf. Langfristig hoffen wir natürlich auf eine Politisierung, daß es nicht mehr ein reiner Existenzkampf ist um Platz für die eigene Subkultur, sondern daß sich daraus eine politische Bewegung entwickelt.
Arne: Faschismus geht nicht durch Jugendarbeit weg, aber wo es eine einigermaßen funktionierende linke Szene gibt, können die Nazis in der Öffentlichkeit auf der Straße keine solche Stärke erlangen. Es geht darum, diejenigen zu unterstützen, die betroffen sind, die sich organisieren wollen dagegen. Betroffen sind natürlich nichtdeutsche MigrantInnen, auch wenn es meist nicht deren Interessenlage ist, dazu was zu machen. Aber wenn man die unterstützt, wenn die stark oder stärker werden, hat der Faschismus vor Ort nicht so eine Macht.

Frage: Wie sieht das nun aus mit der antifaschistischen Jugendkultur? Würdet ihr uns zustimmen, daß sich nach ’90 oder ’92 eine antifaschistische Teilbereichsbewegung herausgebildet hat mit einer vermeintlich Antifa - Identität, die nur noch relativ wenig Bezugspunkte zu anderen linken Teilbereichsbewegungen hat?
Bert: Außerhalb von Hamburg finde ich es schwierig von "autonomer Bewegung" zu sprechen. Ich denke tatsächlich, daß dort das Verbindende oft ist, die Nazis "doof" zu finden oder Punkmusik hören zu wollen oder bunte Haare zu haben, weil man die Werte der Eltern oder den Konsens im Dorf ablehnt. Wenn wir versuchen, Politik zu machen, die über den Tellerrand der eigenen Betroffenheit hinaus geht, stößt das schnell an seine Grenzen, weil es die Bewegungen der 80er oder Anfang der 90er heute kaum noch gibt. Antifa ist für viele eine Jugendbewegung.

Frage: Uns fällt immer wieder auf, daß es von Seiten der organisierten Antifas wenig oder nahezu keine Beteiligung an antirassistischen Kampagnen wie z.B. "Kein Mensch ist illegal" oder an den Diskussionen und Aktionen zum Thema "Vertreibung aus der Innenstadt" oder der Bullenpräsenz rund um die Rote Flora und der Vertreibungen und Hatz auf vermeintliche und tatsächliche Drogendealer gibt. Warum läßt das Interesse der Anifas nach, sobald es nicht um den klar fixierten Feind Stiefelnazi oder bösen Staat geht?
Bert: Ich glaube auch, daß das ein Defizit der Antifa ist. Wir verstehen unsere Gruppe nicht explizit als Antifa, sondern aufgrund unserer Geschichte als Autonome, die ihren Schwerpunkt auf Antifa gelegt haben. Wir haben den Anspruch, uns auch an anderen Teilbereichskämpfen zu organisieren. Eine Verbindung von Stiefelnazis zu z.B. Vertreibungsgeschichten ist natürlich existent, aber innerhalb der expliziten Antifa-Szene wird die nicht gezogen. Da braucht es m.E. Arbeit, über die Antifa-Orientierung eine politische ...
Arne: ... gesellschaftliche Praxis zu finden. Das hat was mit dem Politisierungsgrad zu tun, wieweit Antifa über Betroffenheitspolitik hinausgeht, inwieweit antifaschistische Arbeit als Teil der gesamtgesellschaftlichen Linken begriffen wird.

"Viele verstehen sich heute vom politischen Ansatz her nur noch als Antifas und wollen innerhalb von Antifaschismus verschiedene andere Widersprüche klären, was dann oft nicht funktioniert"

Bert: Der Grund dafür liegt m.E. darin, daß es einen Politisierungsbruch gegeben hat Anfang der 90er Jahre. Das hat viel mit der Organisierungsdebatte zu tun gehabt, daß es bei vielen Antifas zunächst eine Ablehnung der autonomen Szene gegeben hat. Darüber wurde ja auch viel diskutiert und geschrieben. Ende der 90er Jahre stehen wir nun vor dem Ergebnis dieser Ablehnung. Wir haben das so diskutiert, daß es eigentlich zwei Ebenen von Antifas gibt. Viele verstehen sich aufgrund ihrer Geschichte oder ihrer Politisierung als Teil der autonomen Szene, haben in ihrer Arbeitsweise auch viele Erfahrungen übernommen, die sie als Autonome gemacht haben, und machen Teilbereichsarbeit-Antifa — wir verstehen uns so, wenn auch mit Brüchen und Widersprüchen. Auf der anderen Seite verstehen sich viele Gruppen explizit als Antifa und das ist ihr Politisierungsansatz. Diese Gruppen glauben, mit Antifaschismus eine politische Alternative zum bestehenden Gesellschaftsystem bieten zu k.önnen, und das glauben wir nicht. Wir glauben, Antifa ist Teilbereich und Ausdruck unserer praktischen Politik, weil wir uns dafür entschieden haben. Wenn wir uns anders entschieden hätten. könnten wir heute genausogut Stadtteil- oder Antirassismusarbeit machen. Das war mehr eine individuelle Entscheidung. Viele verstehen sich heute vom politischen Ansatz her nur noch als Antifas und wollen innerhalb von Antifaschismus verschiedene andere Widersprüche klären, was dann oft nicht funktioniert. Politikansätze wie von der AA/BO (Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation) weisen Defizite auf, die können Widersprüche nicht über den Begriff Antifaschismus klären.
Ende der 80er/Anfang der 90er gab es nicht so einen großen Unterschied zwischen Antifa- und Antirassismus-Arbeit. Dann begann eine neue Antirassismus-Diskussion nach den Erfahrungen der Pogrome, in denen sich ein neues Verständnis von Antirassismus entwickelt hat. Diese Entwicklung wurde nicht mehr von der linken Szene gemeinsam vollzogen, sondern da gab es Brüche. Die Antirassismus-Arbeit wurde weiterentwickelt und bildet heute einen komplett eigenen Bereich, wo es wenig Überschneidungen mit der Antifa gibt. Und Antifa hat sich genauso weiterentwickelt, und die allgemeine autonome Bewegung existierte als weiterer Strang, der Kampagnenpolitik betrieb oder versuchte, verschiedene Teilbereiche miteinander zu verbinden.

Frage: Meine Warnehmung von Antifa-Bewegung ist schon, daß nur da Politik gemacht wird, wo ein vermeintlich eindeutiger Feind ausgemacht werden kann, was ich als totales Manko empfinde. Zum Beispiel in Lübeck der Brandanschlag in der Hafenstraße war m.E. ein fundamentales Antifa-Thema, die Antifa-Bewegung hat dazu jedoch fast komplett geschwiegen. Aus Antifa-Sicht war es offensichtlich schwierig, da die Feinde an der richtigen Stelle auszumachen und daraus resultierte dann ein weitgehendes Nichtverhalten, abgesehen von einigen Lübecker Antifas.
Bert: Ja, das ist auch so. Das ist eine berechtigte Kritik. Bei uns war das auch so, daß unsere Beteiligung in Lübeck nicht so groß war, wir hätten sicher mehr eingreifen können in die Diskussion. Die Gründe liegen vielleicht darin, daß nicht sicher klar war, ob es um diese vier Grevesmühlener geht. Durch diese Diffusität wurde es schwieriger für Antifas sich zu beteiligen. Ich will das nicht rechtfertigen, ich denke, das ist eine berechtigte Kritik. Das ist eine Schwierigkeit, die wir haben, uns in andere Kämpfe einzumischen. Das liegt auch daran, daß die Antifa-Arbeit oft sehr kräftezehrend ist und wir deswegen wenig Kapazität haben, andere Sachen noch mitzumachen. Aber es liegt auch daran, daß sich verschiedene Bereiche ziemlich weit auseinander entwickelt haben. Da ist es schwierig, da noch in Diskussionen und in der Praxis gemeinsame Projekte anzugehen.
Arne: Ein Ausdruck dafür findet sich auch im Schanzenviertel: die herrschende Drogenpolitik arbeitet mit Rassismen und Ausgrenzung von Menschen, die anders leben und Drogen nehmen wollen. Diesen Menschen wird das Leben zur Hölle gemacht und sie werden durch die Politik, die durch die Repressionskräfte umgesetzt wird, als "Aussätzige" markiert. Auch hier gibt es von Menschen und Gruppen, die dagegen arbeiten, kaum Verbindungen mit Antifa-Gruppen, obwohl die gesellschaftlichen Strukturen des kleinbürgerlichen Vertreibungsdenkens sich nicht groß vom faschistischen Subkultur-Denken unterscheidet.

Frage: Könnt ihr etwas zu den verschiedenen bundesweiten Organisierungsansätzen erzählen und wo ihr euch da verortet?
Bert: Ich glaube, die bundesweite Organisierung wird etwas überbewertet, das ist meine individuelle Meinung. Für uns ist das vor allem eine Arbeitserleichterung und -intensivierung. Dadurch, daß wir uns da organisiert haben und die Diskussionen auch wichtig fanden, haben wir bessere Strukturen gekriegt. Aber diese Strukturen sind nicht dadurch besser geworden, daß wir das ganze als Schema benutzt haben, sondern daß wir in unserer Praxis dadurch besser arbeiten konnten, daß wir Kontakte haben, daß wir in Kampagnen uns aufeinander beziehen können, usw. Dann sind auch schon langsam die Grenzen des Ganzen da..

"In der Zeit des Bruches und danach gab es so etwas wie ein Konkurrenzverhalten, Mißtrauen und die üblichen Anfeindungen."

Frage: Sag doch bitte nochmal kurz, welche größeren Organisationsansätze es da gibt.
Bert: Es gibt ein Bundesweites Antifa Treffen, BAT abgekürzt, und es gibt die AA/BO, Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation. Letztendlich muß man natürlich sagen, daß beide aus denselben Diskussionen Anfang der 90er stammen, um eine bessere bundesweite Vernetzung der Antifa-Strukturen zu schaffen, und irgendwann kam es dann zum Bruch zwischen der AA/BO und dem BAT aufgrund des unterschiedlichen Selbstverständnisses: Wie will man sich organisieren, will man sich organisieren um die Organisierung als politischen Ausdruck zu sehen, oder will man sich organisieren, um durch die Organisierung die eigene Antifa-Arbeit besser zu strukturieren, die Kontakte zu verbessern. Die AA/BO sieht sich explizit als eine politische Organisation, die bundesweit eine einheitliche Politik vertreten will. In der Praxis heißt das, daß gemeinsame Kampagnen organisiert werden.
Das BAT ist vom Ansatz her eine Struktur, die durch bundesweite Treffen und das Zusammenarbeiten die Arbeit der Gruppen intensivieren will. Durch das Treffen mit den anderen Gruppen verbessert sich unsere Situation, wir können uns mehr Background-Wissen verschaffen, lernen mögliche Ansprechpartnerinnen und -partner für gemeinsame Projekte kennen. Die Isolierung wird aufgebrochen. Dadurch haben wir eine Struktur, auf die wir uns beziehen können, die jedoch auch ganz klare Grenzen hat. Diese Grenzen sehen wir, und wollen auch weiter mit ihnen leben. Politisch/inhaltlich beziehen wir uns eher auf die Gruppen, mit denen wir kontinuierlich diskutieren. Das sind primär Gruppen hier in Hamburg. In einem Zusammenhang, mit dem ich mich zweimal im Jahr treffe kann ich ja nicht so leicht einen gemeinsamen politischen Ausdruck finden, weil ganz viele Sachen ungeklärt sind.
Arne: Im Vordergrund steht die regionale Arbeit, das steht vor dem bundesweiten Zusammenschluß.

Frage: Arbeiten das BAT und die AA/BO bundesweit zusammen, oder haben die Einen nichts mit den Anderen zu tun, außer an konkreten Anlässen?
Bert: Die Wogen sind da mittlerweile ein wenig geglättet. In der Zeit des Bruches und danach gab es so etwas wie ein Konkurrenzverhalten, Mißtrauen und die üblichen Anfeindungen. Vom Selbstverständnis her haben wir Vorbehalte gegenüber bestimmten Sachen, das drückt sich auch in der Arbeit vor Ort aus. Wir haben ein anderes Verständnis von Gruppenarbeit, von Bündnisarbeit usw. als in der AA/BO organisierte Gruppen, was inzwischen jedoch nicht mehr so eine Rolle spielt, weil wir nur was erreichen können, wenn wir Probleme zusammen angehen, und bestimmte Kampagnen sind denn auch zusammen gelaufen. Wenn man in der praktischen Arbeit merkt: die haben einen anderen Organisierungsansatz, anderen Politikansatz, dann muß man das eben ausdiskutieren oder muß die Unterschiede stehen lassen.

Frage: Das heißt, es spielt schon eine Rolle, auch lokal oder regional, wie sich die Gruppen organisieren. Ist es nicht so, daß das extrem hinderlich ist für eine Zusammenarbeit?
Arne: Nö, oft merkst du es bei Anlässen, wenn du gemeinsam was organisieren willst, wie verschieden die Sichtweisen auf Bündnispolitik, auf die eigenen Äußerungen sind.

Frage: Kannst du das konkreter beschreiben, worin der Unterschied liegt in den verschiedenen Sichtweisen?
Arne: Ich denke, das sollte man mit denen zusammen diskutieren, nicht über sie, sonst wird das hier so einseitig. Das könnte man vielleicht in einem weiteren Gespräch erörtern. Ich denke, daß wir dieselben Probleme miteinander hätten, wenn wir nicht in dem BAT oder der AA/BO organisiert wären, das sind einfach unterschiedliche Politikansätze die da zu Schwierigkeiten führen. Inzwischen gibt es einen eher pragmatischen Umgang damit: Zusammenarbeit an bestimmten Punkten.

Frage: Wie sieht denn die Zusammenarbeit der vielen Hamburger Antifa-Gruppen aus?
Arne: Hamburg ist da immer ein bißchen anders als der Rest der Republik. Wir sitzen da schon alle zusammen auf bestimmten Treffen und reden zusammen. Wir haben auch nicht die harten politischen Auseinandersetzungen. Man merkt es eher an kleinen Punkten, daß es da eine andere Sichtweise der Welt gibt.

Frage: Aber ist es euer Anspruch, sich lokal zu vernetzen?
Arne: Ich denke, das ist mit das Wichtigste, sich lokal und regional zu vernetzen.
Bert: Wobei ich allerdings auch glaube, daß da die Hamburger Antifa-Struktur überbewertet wird. Ich glaube, es gibt da vielleich relativ viele Gruppen, aber dadurch, daß es relativ undurchschaubar ist, wer welche Arbeit macht — was ja auch ganz gut so ist — wir es von außen vielleicht so wahrgenommen, daß es da ganz viele Gruppen gibt, die da ganz viel machen. Aber in der Praxis ist es wohl eher so, daß wir mit Erwartungen konfrontiert werden, die wir gar nicht erfüllen können, weil es vielleicht in der Intensität gar nicht die große Hamburger Antifa-Struktur gibt. Es ist eher so, daß wir an verschiedenen Punkten versuchen zusammenzuarbeiten, aber es auch ganz viele Schwierigkeiten gibt.
Außerdem ist Antifa auch so ein Punkt, der realtiv argwöhnisch von der Repression beobachtet wird, es gibt immer wieder auch Angriffe auf Antifa-Strukturen. Das hat bestimmt damit zu tun, daß sich an Antifa viele Jugendliche politisieren, und das deswegen argwöhnisch beobachtet wird. Das hat dann natürlich auch viele Schwierigkeiten gegeben; Mißtrauen usw.
Arne: Eine klare Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Gruppen gibt es in Hamburg nicht. Man weiß nur ungefähr "die machen eher so was und die machen eher so was".

"Im Osten ist es inzwischen normal, rechts zu sein"

Frage: Zu den bereits am Anfang unseres Gesprächs erwähnten aktuellen faschistischen Mobilierungen, die zumindest unserer Wahrnehmung nach derzeit vornehmlich in den neuen Bundesländern stattfinden: Wir haben da ein Zitat von Burckhard Schröder (Im Griff der rechten Szene - Ostdeutsche Städte in Angst) gefunden, das unserer Meinung nach die Situation gut auf den Punkt bringt:
"Die ultrarechte Szene ist anders als im Westen - sie ist zu einer sozialen Bewegung geworden. Eine der wichtigsten Entwicklungen ist, daß die rechte Subkultur nicht mehr primär politisch organisiert ist, sich ihre Stärke also nicht am Wahlverhalten messen läßt, sondern daß sie als soziale Bewegung alle Bereiche der Alltagskultur dominiert. Sie ist ein Konglomerat aus Musik, Mode Treffpunkten, gemeinsamen überregionalen Aktionen sowie Ideologiefragmenten."
Würdet ihr das aus eurer Erfahrung bestätigen oder anders gefragt, seht ihr überhaupt eine derartige Differenz zwischen Ost- und West?
Arne: Ich würde dem insoweit zustimmen, als daß die braune Subkultur und Hegemonie auf der Straße im Osten am weitesten verbreitet ist. Allerdings wird dabei häufig übersehen, daß es z. B. auch um Hamburg herum derartige Strukturen gibt, so Dörfer, Kleinstädte. Tostedt wäre ein Beispiel, wo sich eine rechte Hegemonie herausgebildet hat, die sich genau so äußert, wie Burkhard Schröder das für den Osten beschrieben hat. Ich glaube, im Osten ist es am stärksten vertreten, aber es ist nicht spezifisch im Osten.
Bert: Das find ich ja schon. Ich glaube, daß es im Osten inzwischen normal ist, rechts zu sein. Im Westen gibt es, wenn auch nur fragmentarisch noch vorhanden, so eine Ächtung von ganz rechts - vielleicht ein Überbleibsel der Auseindersetzungen der letzten 20, 30 Jahre, wobei das Potential an Leuten mit rassistsischen Grundeinstellungen oder auch das rechte Wählerpotential in den alten Bundesländern nicht geringer ist . Nur ist es im Osten inzwischen weit weniger problematisch, in der Öffentlichkeit zu vertreten 'ich find DVU oder NPD gut', weil es da einfach normal ist.
Arne: Und das hängt damit zusammen, daß es da größtenteils eine schwächere linke Bewegung gibt. Aber das, was in so Kleinstädten wie Tostedt abgeht, das hat Ostniveau.

Frage: Eine unserer Überlegungen zur Stärke rechter Mobilisierungen in den neuen Bundesländern ist, daß das vor allem mit der fehlenden Auseinandersetzung mit NS und Holocaust zu tun haben könnte. Es gab in der ehemaligen DDR diesen verordneten bzw. staatlichen Antifaschismus, aber gleichzeitig die Tabuisierung einer Auseinandersetzung mit dem Holocaust, um sich als das vermeintlich bessere Deutschland zu inszenieren. Das mag es für Junge wie Alte in den Neuen Ländern noch eher möglich machen, sich auf faschistische Tradition und Ideologie zu beziehen.
Bert: Ich glaub auch, daß das ein Ansatzpunkt sein kann, denn der NS ist im Osten viel zu sehr in materialistsichen oder klassenkämpferischen Kategorien analysiert worden. So wurde der Holocaust denn auch von der Geschichtsschreibung weitgehend ausgeklammert. Die Verfolgten, das waren in erster Linie die KPD-Kämpfer.
Auch wenn der Umgang mit dem Holocaust seitens der Herrschenden im Westen zwar auch eine Geschichte von Tabubrüchen auf der einen und Kontinuitäten auf der andern Seite ist, so gab es doch zumindest innerhalb der Linken eine Diskussion darum, welche ja auch kontrovers geführt wurde. Das zeigt zum Beispiel bei der Frage der Bewertung individueller Schuld und wie - nicht erst seit der Goldhagen-Debatte - der Antisemitismus der Bevölkerung bewertet wird.
Aber das ist ein anderer Background, auf den wir uns beziehen können, als die Ost-Linke mit ihrer Geschichte.
Arne: Zum Ende der 60er Jahre mit den gesellschaftlichen Aufbrüchen wurde der Umgang mit dem Faschismus ja hier ganz stark thematisiert - entstammten doch die Eltern der damals Aktiven der Tätergeneration - das hat wahrscheinlich im Osten, so autoritär wie die DDR strukturiert war, einen ganz anderen Ausdruck gefunden.

Frage: Wenn ihr beide die These von Burckhard Schröder hinsichtlich der sozialen Bewegung im Osten teilt, hat das dann Auswirkungen auf eure eigene inhaltliche Bestimmung und die politische Praxis?
Bert: Also, wir haben eher die Einschätzung, daß das auch im Westen, wenn auch mit einer gewissen Zeitverzögerung, so eine Richtung nehmen wird. Das zentrale Problem ist die Akzeptanz von autoritären Lösungsansätzen. Es geht bei der faschistischen Mobilisierung in erster Linie um das autoritäre Deutsche und das wird auch hier im Westen mehr und mehr Fuß fassen, was sich zum Beispiel an der mit breiter Zustimmung der Bevölkerung stattfindenden rassistischen Ausgrenzungspraxen zeigt.

Frage:
Aber selbst, wenn du sagst, es wird auch im Westen so eine Entwicklung geben, muß sich eine Antifa-Bewegung nicht gerade dann jetzt auseinandersetzen, wenn es, einzelne Umland-Kleinstädte wie Tostedt mal ausgenommen, bisher in dem Maße vor allem in den neuen Ländern sog. "nationale befreite Zonen", ganze Landstriche und Regionen unter rechter Hegemonie gibt, wo MigrantInnen, Punx usw. durch Angriffe auf der Straße und auf Zentren und Unterkünfte systematisch vertrieben wurden.
Arne: Aber man muß ja auch die gesamtgesellschaftliche Situation sehen. So schwach wie die Linke insgesamt hier ist in der BRD und wie reaktionär die Gesellschaft verfaßt ist ...

Frage: Aber der Ausdruck im Osten ist ja (noch) ein anderer, wenn allein nach den offiziellen Zahlen 1997 fast jede zweite rechtsextrem motivierte Straftat in den neuen Ländern begangen wurde und bezogen auf 1000 Einwohner dort dreimal so viele rassistische Straftaten gezählt wurden...
Arne: So bitter das auch klingen mag, aber ich denke auch, daß die von Dir beschriebene derzeitige Ost-West-Differenz sich in der kommenden Zeit angleichen wird, und zwar auf dem derzeitigen "Ost-Niveau". Das hängt unter anderem mit den herrschenden Erklärungs- und Lösungsansätzen zusammen. Bislang wurde der sich aggressiv äußernde Rassismus deswegen toleriert und entschuldigt weil die Leute im Osten aufgrund ihrer vergleichsweise miserablen sozialen Lage scheinbar eine Berechtigung haben, rassistisch zu sein.
Nach der Zeit der Pogrome ‘91/’92 wurde versucht, so "Regulierungsmechanismen" zu finden:
Auf der einen Seite wurde die akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen stark gefördert, auf der anderen Seite wurde aber diese nationalistische und rassistische Haltung, gegen Ausländer zu sein, gesellschaftlich tolieriert, in der Hoffnung, damit soziale Widersprüche aufzuheben. Aber da weder zu erwarten ist, daß sich die wirtschaftliche Lage im Zuge der Deregulierung bessern wird, noch daß die vorherrschenden Erklärungsansätze und Praktiken in Bezug auf die rechte Entwicklung sich in den nächsten Jahren entscheidend ändern, werden auch die Versuche, das in eine Normalität zu kanalisieren, auch im Westen zunehmen.
Es wird über Arbeitsplätze diskutiert, aber das politische System hat gar keine Alternative zu dem wie es ist. Das ist die Logik des Systems, in dem wir leben.
Bert: Ich denke, wir werden in nächster Zeit auch ganz andere Ansätze von Antirassismus propagieren müssen, als bisher. Auch wir haben die Frage der Arbeitsplätze und den sozialen Abstieg bisher viel zu sehr in den Vordergrund gerückt. Es geht aber gar nicht darum, daß die Leute vielleicht Modernisierungsverlierer sind, sondern die wollen einfach nichts abgeben. Es geht bei Rassismus nicht um die Arbeitsplätze. Das ist doch eine Lüge, daß die Leute alle arbeitslose Jugendliche wären, die in Plattenbauten wohnen.

Frage: Und was heißt das jetzt für Antifa-Mobilisierung im Osten oder Bündnispolitik? Wie beurteilt ihr z.B. die Aussage des Generalstaatsanwalts aus Brandenburg, der Bündnisse von stramm Konservativen bis zu den autonomen Antifas gefordert hat? Bert: Das ist doch wohl eher eine publizistische Polemik. Es geht in der medialen Öffentlichkeit immer sehr stark um die Extreme. Wenn im Osten der Nazi so ein bißchen rumrockert, dann guckt man eben mal hin. Unabhängig davon steht es aber schon an, daß wir neue Modelle entwickeln müssen, wie wir mit Bündnissen überhaupt umgehen. Größtenteils ist es ja eher so, daß selbst bis hin zu den Grünen antirassistische Konzepte nicht mehr Fuß fassen. In Hamburg tragen die ja z.B. die ganze Ausweisungs- und Ausgrenzungspolitik mit.

Frage: Aber die Demo in Leipzig wurde doch schon von einem ziemlich breiten Bündnis getragen.
Bert: Das muß man aber auch trennen. Wenn, wie in Leipzeig, 4000 Nazis aufmarschieren, dann kann kein DGBler sich hinstellen und sagen, "Das sind doch alles ganz arme Jugendliche" und mehr Sozialarbeit fordern. Das sind dann vielleicht noch Überbleibsel, wo es noch breite Bündnisse geben kann.
Arne: Ich glaube in den nächsten Jahren werden solche ganz krassen Sachen wie München oder Leipzig nicht mehr so oft stattfinden, weil das staatlich reguliert werden wird. Die werden auch versuchen, wieder mehr Verbote durchzusetzen.

Frage: Eine gewagte These. Und welche Rolle spielen dabei Vereinnahmungsversuche staatlicherseits oder durch die reformistischen Parteien gegenüber der autonomen Antifa.
Bert: Bündnisse mit Parteien oder Gewerkschaften sind doch eher ein theoretisches Konstrukt, daß ich so in der Praxis gar nicht sehe. In Saarbrücken, wo Ende Mai ein Nazi-Aufmarsch geplant ist, hat sich der DGB z.B. jetzt wieder von den unabhängigen antifaschistischen Gruppen distanziert, aus Angst davor, daß nicht nur die Mobilisierung der Stiefelnazis thematisiert wird, sondern faschistische Organisierung in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gestellt wird.
Arne: Andererseits darf man das auch nicht als monolithischen Block sehen
Um mal hier in der Region zu bleiben: Am Beispiel von Lübeck zeigte sich, daß Basisstrukturen in der SPD, Gewerkschaften oder der SPD-Bürgermeister von Lübeck Bouteiller auch durchaus ehrenhaft versucht haben, gegen die Nazistrukturen vorzugehen. Aber letztendlich am längeren Hebel stand dann so ein Innenminister aus Kiel, der dann doch gesagt hat, "wir lassen die Nazis demonstrieren",
Dieses ganze Gerede um Themen wie Innere Sicherheit, das richtet sich ja nicht primär gegen die Nazis. Die kriegen vielleicht auch mal was ab, wenn der Staat an diesem Punkt Stärke zeigen will. Langfristig soll damit generell Ruhe und Ordnung durchgesetzt werden. Und mit so einem Ruhe- und Ordnungsgedanken sind wiederum 95% der Nazis durchaus einverstanden.
Bert: Auch die Grünen, das wird häufig übersehen, haben ihre Sicherheitspapiere und -konzepte. Im Rahmen der Antifa-Demo gegen einen NPD-Aufmarsch in Hamburg letzten Herbst gab es auch ein Bündnis mit den Grünen, was aber dann gerade mal seinen Ausdruck darin fand, daß eine grüne Rednerin, die ihre eigene Partei noch ziemlich verärgert hatte, sich daran beteiligte. Aber die Leute auf der Straße, das waren alles welche aus dem unabhängigen Antifa-Spektrum.
Arne: Letztlich wird für den Staat und die ihn tragenden Parteien und Organisationen der Feind jedoch immer links stehen. Die stumpfen Nazis sind doch letztendlich gesellschaftlich kompatibel. Die sind für Deutschland, gegen Ausländer und wollen arbeiten. Da gilt es nur die krassen Auswüchse zu verhindern.
Die können zwar gut mit 50 % rassistischen, rechten Jugendlichen, nicht aber mit 50 % linksradikalen Jugendlichen Leben.

Frage: Könnt ihr nicht zum Abschluß noch was positives sagen?
Arne: Ich glaub', viel Positives gibt es bei uns derzeit nicht.
Bert: Antifa ist ja auch immer so ein Abwehrkampf. Wir würden nicht sagen, daß Antifa positive Gesellschaftsentwürfe umsetzen kann. Antifa ist schon ersteinmal eine Politik, bei der es um Abgrenzung geht.
Arne: Wir sehen ja auch die Grenzen von Antifa. An Antifa kann man viel klar machen, z.b. beim Thema Innere Sicherheit, Rassismus, Patriarchat. Aber grundsätzliche Sachen kann man da nicht klären, weil Faschismus auch nur eine Ausdrucksform der Gesellschaft ist. Und wir leben ja nicht nur im Faschismus, für uns ist ja Faschismus vielleicht die extremste und brutalste Ausdrucksform der patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft. Und wenn wir den Faschismus bekämpfen, dann heißt das nicht, daß wir dann schon glücklich sind, wenn es keinen Faschismus mehr gibt. Bei gesellschaftlichen Gegenentwürfen spielen da natürlich auch noch ganz andere Faktoren eine Rolle, die wir gar nicht alle abdecken können, weil wir ja doch nur einen Teilbereichskampf führen.





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