[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]




Nichts von dem, was sich hier gerade durchsetzt, ist erträglich
Von staatlicher Seite steht eine weitere Eskalation der Vertreibungsmaßnahmen gegen DrogenkonsumentInnen und -händlerInnen bevor bzw. befindet sich bereits in der Phase der Umsetzung. Der hinter der Roten Flora zur Verfügung stehende Sicht- und Windschutz soll aufgelöst, der dort existierende Rückzugsraum zerschlagen werden. Bereits Ende April wurde das Provisorium auf Veranlassung des Senats in einer Nacht-und Nebel-Aktion das erste Mal abgerissen, konnte jedoch im Rahmen einer öffentlichen Aktion in den nächsten Tagen wieder aufgebaut werden. Unabhängig davon haben die Razzien, Kontrollen und Platzverweise vor allem auch hinter der Flora massiv zugenommen. Zwei Einsatzzüge Bereitschaftspolizei wurden zusätzlich zur Lerchenwache geordert; sind permanent auf der Straße präsent und riegeln etwa den Bereich unter der Floraterrasse mehrmals täglich ab, um dort Platzverweise zu erteilen, Personalien festzustellen und Menschen ohne Paß immer häufiger auch bis zu 24 Stunden einzufahren, so sie nicht direkt in Abschiebehaft genommen werden.
Trotz der alles andere als optimalen Bedingungen hat dieser Raum einen der letzten Rückzugsräume für KonsumentInnen dargestellt. Die Situation der Betroffenen wird somit durch den Angriff auf diesen Ort nochmals bewußt verschärft. Solange die Kernprobleme - die Illegalisierung bestimmter Substanzen und die Herstellung von sozialen Bedingungen, die Menschen dazu zwingen, auf der Straße zu überleben - nicht gelöst werden, wird die derzeit herrschende Politik stets nur zu räumlichen Verschiebungen der jeweils von Vertreibung betroffenen Szenen führen.
Der ständige Kreislauf von Vertreibung, Ausgrenzung, Produktion von Elend und weiterer Verschärfung repressiver Szenarien muß endlich durchbrochen werden!
Die Verhältnisse - nicht nur, aber eben auch im Stadtteil - sind unhaltbar.

Die Situation im Schanzenviertel ist zur Zeit ein Studienfeld für die Bildung eines kleinen nationalen Kollektivs - auch wenn dieses Kollektiv viele Brüche aufweist.1 Die Medieninszenierung eines eigentlich so "multikulturellen, toleranten" Viertels hat eine neue Qualität von Identifikation mit dem Stadtteil geschaffen. Dabei wird an diesem Beispiel ausgesprochen deutlich, wie eine solche Form der Identifikation abläuft. Sie benötigt ein abgrenzbares Gegenüber, welches in diesem Fall durch verschiedene marginalisierte Gruppen gebildet wird. Besonders trifft dies immer wieder neu definierte Gruppen von Flüchtlingen, deren Sichtbarkeit im Stadtbild die Kategorisierung erleichtert und die zum zweifach Fremden werden: als Nicht-Deutsche, die ohnehin rassistisch wahrgenommen werden wie auch als möglicherweise Illegale; sei es, weil sie ohne Papiere unterwegs sind, sei es, weil sie als Dealer festgeschrieben werden. Sie werden in jedem Fall zum Anderen, zur Bedrohung der alternativen Idylle gemacht.
Dabei ist es gelungen, die mediale Wirklichkeit exakt an bereits vorhandene Einstellungen anzudocken. Das Wechselspiel zwischen bei den BewohnerInnen bereits vorhandenen rassistischen und anderen ausgrenzenden Einstellungen und der medialen Inszenierung eines Viertels, in dem schwarze Dealer die Straßen beherrschen, bildet einen Zirkel der gegenseitigen Legitimation. In der Zeitung steht, daß Schanzenviertel kippe; weil es in der Zeitung steht, sind selbst AnwohnerInnen schnell überzeugt, daß es ja immer schlimmer wird im Stadtteil - Stoff für Artikel, die die schlechte Stimmung im Stadtteil thematisieren: dieser Zirkel geht in beide Richtungen auf.
Die gegenseitige Bestätigung erfüllt noch eine zweite wichtige Funktion: über die Identifizierung mit dem medial konstruierten Kollektiv "tolerante ViertelbewohnerInnen" gelingt es den AkteurInnen, jegliche Form reaktionären Gedankengutes in das alternative Gutmensch-Dasein zu integrieren. Es findet eine deutliche Verschiebung von Begrifflichkeiten statt. Worte aus einem ehemals linksliberalen, z.T. auch linksradikalen Kontext wie Solidarität, Toleranz oder Akzeptanz werden in ausgrenzende Argumentationsmuster umgedeutet und erlangen Hegemonie. Wenn einer wie der Hamburger Polizeipräsident Uhrlau in einem eigenen (!) taz-Artkel seine reaktionär-sozialdemokratischen Vorstellungen einer Kombination von repressiver Verdrängung und sozialtherapeutischen Auffangbecken als "Solidarität im öffentlichen Raum"2 übertiteln kann, ist das ein Indiz für die Schwierigkeit, argumentativ hier irgendwie voranzukommen.
Der Rahmen der Debatte um die Weiterentwicklung der Hamburger Drogenpolitik ist sehr eng abgesteckt. Bei aller Unterschiedlichkeit in den konkreten Vorstellungen gilt in der Auseinandersetzung ein unangefochtenes Dogma der repressiven Toleranz.
Es wird zwar mal mehr Repression oder mal mehr Toleranz gewünscht, die Rechtmäßigkeit und Richtigkeit der freundlichen oder eben offen gewalttätigen Verdrängung von Menschen, die nicht ins Ideal des satten Wohlstands passen und aus der Verwertungslogik herausfallen, wird an keinem Punkt in Frage gestellt.
Dies ist ein Ausdruck der Durchsetzung von ordnungspolitischen Konzepten, die als zero tolerance in der Innenstadt beginnen und in andere Gebiete bedarfsgerecht ausgedehnt werden. Das Konzept "Repressiven Toleranz" bildet dabei eine Klammer, über die konkrete ordnungs- und/oder sozialpolitische Maßnahmen an grundsätzliche politische Handlungsinteressen gekoppelt werden. Ähnlich wie bei der Schaffung medial vermittelter Realität gilt
auch hier, daß sich gesellschaftliche Tendenzen und politische Konzepte bedingen.
Besonders plastisch sichtbar wird der politische Wille in Hamburg zur Zeit an der Entwicklung der sog. "Bettlerpapiere". Noch unter der alten SPD-Alleinregierung losgetreten, entstand ein Papier, das ziemlich unverblümt die Säuberung der Innenstadt von unliebsamen Gruppen forderte. Nach einer verhältnismäßig großen öffentlichen Empörung mündete die Auseinandersetzung im offiziellen Rückzug des Papieres und seiner Weiterentwicklung in einer Plakatserie der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, die mitten im kalten Winter 1996/97, der wie immer etliche wohnungslose Menschen Leben oder Gesundheit kostete, verkünden ließ: "In Hamburg muß niemand betteln". Solcherarts gegen den Vorwurf des Unsozialen angetreten, flaute die Debatte wieder ab, wurde aber über vereinzeltes Beklagen der Zustände am Hauptbahnhof, in der Innenstadt, im Schanzenviertel oder an anderen Orten lebendig gehalten. Die Übernahme der "broken-windows"-Theorie3 sorgte für die dauerhafte Unterfütterung der Abwehrhaltung gegen "Schmutz" oder "auffälliges Verhalten".
Unter der Federführung des neuen grünen Stadtentwicklungssenators Maier wurde Ende April 1998 das "Handlungskonzept Hauptbahnhof" als grünes Bettlerpapier auf den Markt geworfen. Im neuen Slang der rot-grünen Koalition ist da von "sozial labilen Gruppen" zu lesen, die vom Hauptbahnhof angezogen würden, dort durch "massiertes Auftreten" und die "Vermischung in eine große Szene" dem und der BürgerIn den "öffentlichen Raum" nähmen. Dem, so verspricht Maier, werde durch die Kombination aus Sozialarbeit und wirkungsvoller Koordination der verschiedenen Sicherheitskräfte abgeholfen. Das Konzept sieht zugleich vor, daß die Angebote ganz gezielt dort ausgeweitet werden, wo sich die Szenen nicht unbedingt aufhalten ("Dezentralisierung"), um eine Verteilung und Unsichtbarmachung "des Elends" zu erreichen. Besonders wird die Zusammenarbeit mit der AusländerInnenbehörde und damit die "beschleunigte Abschiebung ausländischer Drogendealer" hervorgehoben und dauerhaft auf Polizeipräsenz gesetzt ("auf eine Fortsetzung der Maßnahmen zum Zweck der Stabilisierung des Stadtteils (kann) nicht verzichtet werden").
Dieses Papier ist deswegen so interessant, da sich dort Leitlinien für die weitere Entwicklung finden. Dabei ist der Hauptbahnhof als Aushängeschild der Stadt zwar ein besonderes Gebiet, die dort eingesetzten Maßnahmen haben jedoch darüberhinaus Bedeutung. Die Umsetzung des Konzeptes "Repressive Toleranz" kann dabei je nach Kontext unterschiedlich ausfallen.
Das Spezifische am Schanzenviertel etwa ist die mediale Herstellung eines Mikrokosmos, in dem sich die Widerwärtigkeit als linksalternativ gerieren kann und der für die Umdeutung von Begrifflichkeiten eine wichtige Rolle spielt. Das "Viertel der Alternativen" wird unabhängig von der tatsächlichen Zusammensetzung der BewohnerInnen als Bild gebraucht, mit dem alle "ihren Stadtteil" hochhalten können. Dieses Bild entfaltet eine Integrationskraft, die unterschiedlichsten Gruppen eine Zusammenarbeit erlaubt (besorgte Eltern, Geschäftsleute, Polizei, alternativ angehauchte BürgerInneninis u.a.) Die einheitstiftende Wirkung dieses immer wieder beschworenen Bildes des eigentlich so "toleranten und vielfältigen Miteinanders im Schanzenviertel" ist nicht zu unterschätzen. Entlang der Parole des "alternativ-toleranten" Viertels werden aktuell klare Grenzlinien gezogen, durch den liberalen Mitleidsdiskurs legitimiert und durch polizeiliche Einschüchterung und Repressionsmaßnahmen verwirklicht.
Zusätzlich leistet die Berichterstattung die endgültige Legitimation reaktionärer Haltungen: Die begeisterte Analyse des Schanzenviertels hat immer wieder den Fokus auf die Behauptung gelegt, daß sogar den Alternativen die ganze Sache zu bunt wird - und wenn selbst die vermeintlich "Linken" die Schwarzen, die Dealer und die KonsumentInnen nicht ertragen können, sieht sich jedeR andere erst recht legitimiert, dagegen vorzugehen.
Im Rahmen der repressiven Toleranz sieht es manchmal so aus, als sei inzwischen alles und jedeR mit allen möglichen Positionen integrierbar. Die niedrigschwellige Sozialarbeit mit ihrem ehemals provokanten Ansatz wird genauso eingemeindet wie die alte linke Forderung, die Menschen in den Vierteln müßten befragt werde. Das Ganze heißt dann eben immer ein bißchen anders, als es mal gedacht war und nennt sich dann "Abstimmungsprozesse und Koordinierung zwischen polizeilichen Maßnahmen und denen der Drogenhilfe" oder Präventionsrat, aus Druckräumen werden Gesundheitsräume, die einen Aspekt des sog. 4-Säulenmodells aus Prävention, Überlebenshilfe, Therapie und Repression abdecken sollen und somit zumindest in der politischen Zielvorstellung "dazu beitragen, die Belastungen und Belästigungen der Allgemeinheit durch in der Öffentlichkeit stattfindenden Drogenkonsum [zu] reduzieren", wie es im Handlungskonzept Hauptbahnhof ausgeführt wird.

II.Die Unerträglichkeit der Alltäglichkeit
Es dürfte bis hierhin deutlich geworden sein, wie sich das Modell "repressive Toleranz" im Schanzenviertel konkret ausgestaltet.
Waren zunächst die Schwarzen im Sternschanzenpark vorrangiges Ziel polizeilichen Zugriffs, sind seit vergangenem Herbst im Zuge der durch die Polizeimaßnahmen erzwungenen Verlagerung der Szene in den Bereich um die Rote Flora UserInnen im gleichen unerträglichen Ausmaß betroffen. Nach anfänglicher "Untätigkeit" finden, auch auf Druck der AnwohnerInnen, seit spätestens Februar diesen Jahres tägliche Razzien im "provisorischen Druckraum" hinter der Flora und zunehmende ständige Kontrollen auf der Straße statt. Mittlerweile werden auch vermehrt Obdachlose Opfer des allgegenwärtigen polizeilichen Kontrollwahns, werden Menschen festgenommen, die gegen Platzverweise verstoßen, eben weil sie sich dort, wo sie leben, nicht aufhalten dürfen sollen.
Zwischen Fassungslosigkeit über die Offensichlichkeit von Inszenierungen und die Schamlosigkeit, mit der hier teilweise denunziert, gespitzelt und gezetert wird auf der einen und eigener Schwäche auf der anderen Seite ist es fraglich, wie politische Arbeit zu diesen Themen in Zukunft aussehen kann.
Das Erdrückende an der Situation besteht in ihrer Alltäglichkeit und Normalität. Genau das infragezustellen oder effektiv anzugreifen, wäre die Aufgabe linker Intervention. Es ist zugleich das Schwerste.
Die angeblich so bedrohliche Atmosphäre im Schanzenviertel besitzt eine bedrohliche Wirklichkeit - für die Betroffenen, an denen die Polizei tagtäglich demonstriert, daß Bürgerängste ernstgenommen werden. Darin besteht auch der qualitative Unterschied zwischen Medienhetze und Polizeipräsenz: Was, zumindest eine Zeitlang, als Einschätzungs- und Bewertungsfrage noch diskutierbar schien, ist längst entschieden. Die Definitionsmacht und die gesellschaftliche Tendenz sind eins. Was monatelang medienwirksam beschworen und als vorgebliche Realität in den Wahrnehmungen verankert wurde, wird alltäglich bestätigt. Die Polizei setzt nur um, was "öffentliche Meinung" ist, und wird dementsprechend herzlich aufgenommen. Die Umsetzung sorgt zum einen für die Aufrechterhaltung dieser "Meinung", zum andern macht es für die Betroffenen einen realen Unterschied, ob sie Gegenstand von Ablehnung und Vorurteilen sind, oder ob sie kontrolliert, vertrieben, in Gewahrsam genommen und zusammengeschlagen werden.
Es gab immer wieder Versuche, an unterschiedlichen Punkten gegen den aggressiven Abschottungsprozeß kritisch zu intervenieren.
Im Spätsommer 1997 veranstaltete ein "Bündnis gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung" Aktionstage am Sternschanzenbahnhof, um auf die massive Repression gegen Schwarze, die vor allem im Vorfeld des damaligen Hamburger Bürgerschaftswahlkampfes medienwirksam als "gefährliche Dealer" stigmatisiert wurden, zu reagieren und sich in Diskussionen einzumischen.
Im gleichen Sommer 1997 fanden zwei öffentliche Diskussionsveranstaltungen von der Gruppe "Blauer Montag" im Viertel statt.
Kontinuierlich agiert ein Bündnis "Kontrolleure kontrollieren!", das Sicherheitsbeamte "begleitet" und ihre Arbeit zu behindern versucht.
Anfang Oktober 1997 wurde die mobile Revierwache am Schanzenbahnhof, die im Zuge des breiten Aufschreis einzelner BürgerInneninis: "Wir-erobern-uns-den-Park-zurück" dort aufgestellt wurde und zugleich Bürgernähe und Präsenz der Polizei darstellen sollte, angegriffen und zerstört.
Am 8.November 1997 fand eine Demonstration "Rechte für afrikanische Flüchtlinge in Deutschland!" statt, die von den Betroffenen der Razzien am Sternschanzenpark und antirassistischen Gruppen getragen wurde.
Als chronologisch letzte massivere Aktion ist der militante Angriff auf einen Streifenwagen Mitte April 1998 und daraus folgende Auseinandersetzungen auf der Straße zu nennen.
Von der Flora aus gab es immer wieder das Bemühen, mit der Situation direkt am Gebäude umzugehen. Ende 1997 wurde mit der Einrichtung eines "provisorischen Druckraums" hinter dem Haus auf die Tatsache, daß der Platz dort vermehrt zum Drücken und als Treffpunkt der Drogenszene genutzt wird, reagiert. Über Flugblätter und Öffentlichkeitsaktionen wurde versucht, diesen Ansatz zu vermitteln. Seit die Polizei auch dort massiv vorgeht, wird versucht, regelmäßiger präsent zu sein und sich in die Razzien einzumischen. Inzwischen finden diese jedoch mehrmals täglich statt, und genau diese alltägliche Notwendigkeit des Eingreifens, nicht nur hinter der Flora, sondern im ganzen Viertel, zeigt die Schwierigkeiten und Schwächen linksradikaler Politik an diesem Punkt auf. Zwar wurde auf der Ebene von Diskussionen im letzten Jahr ein wichtiger Schritt vollzogen, indem - ein Novum in der autonomen Linken - die Position entwickelt wurde, daß sowohl das Konsumieren als auch das Dealen zu akzeptieren sind, daß die Hetze gegen die Betroffenen ausgrenzende und aggressive gesellschaftliche Tendenzen transportiert und daß die liberale Spaltung in "Junkies = arme Kranke" und "Dealer = Verbrecher" nicht nachvollzogen werden darf, da sich Konsum und Handel unter den Bedingungen der Illegalisierung nicht trennen lassen.
Daraus hat sich allerdings weder eine kontinuierliche und breiter getragene Debatte, noch ein gemeinsamer Prozeß linker Gruppen ergeben, der die isolierten Aktionen miteinander verknüpfen und eine engagierte Praxis ermöglichen würde. Die Entwicklung der Vertreibungslogik ist konsequent, der Widerstand dagegen besteht allzuoft aus dem gänzlich individualisierten Sich-Einmischen in Kontrollsituationen - so mensch nicht mittlerweile von der eigenen Hilflosigkeit gelähmt, verschämt vorbeigeht. Nach wie vor sind es nur wenige, die die tatsächliche Notwendigkeit linksradikaler Intervention gegen die Durchsetzung repressiver Toleranz als Politik- und Gesellschaftsmodell im Schanzenviertel ernstnehmen. Hilflosigkeit bis Desinteresse überwiegen.
Dennoch. Es ist wichtig, Klarheit darüber zu gewinnen, daß eine kritische linksradikale Politik, die sich gegen die selbstgerechte gesellschaftliche Tendenz zur Ausgrenzung unerwünschter Gruppen wendet, aktuell einen wichtigen Ansatzpunkt darstellt, um dem gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus, der Durchsetzung repressiver Kontroll- und Sicherheitskonzepte - seien sie die Kanthersche oder die nicht weniger gefährliche Variante eines rot-grünen Hamburger Senats - entgegenzutreten.
Nicht aus den Augen verloren werden darf dabei gleichzeitig, daß die rot-grüne Rede von der Liberalisierung der Drogenpolitik, die auch von einigen BürgerInneninis gerne in Anspruch genommen wird, nur das Vehikel darstellt, um guten Gewissens beifällig auf die Arbeit der Polizei blicken und zugleich auf der eigenen Offenheit und Toleranz beharren zu können. "Toleranz und Vielfalt" wird zur rosa Brille, die den Blick darauf vermeiden hilft, daß Praxis und Reden im und übers Schanzenviertel seit langem Ausdruck kaum verhohlener Aggressivität und spätestens in der inzwischen unvermeidlichen Alltagswahrnehmung "Schwarzer = Dealer" ganz unbestreitbar rassistisch sind. Daß mensch ja nun wirklich nichts dafür könne, wenn ausgerechnet Schwarze dealten, und es hier schließlich nur ums Dealen und nicht um die Hautfarbe gehe, war häufig das beleidigte Gegenargument von AnwohnerInnen auf die Kritik und den Rassismusvorwurf linker Gruppen. Hier gelangt jeder Versuch aufklärerischer Politik in die Sackgasse: Von den selbsternannten ProtagonistInnen und HüterInnen der Toleranz - Bullen eingeschlossen - kann keine Toleranz eingefordert werden, die die notwendigen Ausschlußmechanismen des erwünschten Multikultiparadieses in Frage stellt.
Das bedeutet für eine linksradikale Politik zwar nicht, daß nicht versucht werden müßte, auch auf argumentativer Ebene den erdrückenden Konsens im und übers Schanzenviertel aufzusplittern. Es bedeutet aber vor allem, daß der Punkt längst erreicht ist, an dem solche Politik sich gegen "AnwohnerInnen" richten und ganz offensiv Position beziehen muß zugunsten der Betroffenen, die die Objekte des ideologisch verkleisterten "Bei uns im Viertel"-Sicherheitswahns und Verfolgungswillens sind.
Die Zugehörigkeitskriterien und ihre Durchsetzung immer wieder in Frage zu stellen, eine Praxis zu entwickeln, die den Konsens bedroht, klare Grenzziehungen nicht zuzulassen , heißt letztlich eine bewußte Polarisierung. Diese ist notwendig.
Die eigenen Forderungen dürfen nicht integrierbar sein und so ungewollt den Mechanismus repressiver Toleranz stützen. Deswegen ist es so wichtig, die rassistische Dimension der aktuellen Atmosphäre und Vertreibungssituation zu begreifen und mit dem eigenen Handeln auf- und anzugreifen. Die Polizeikontrollen sind Teil der Umsetzung rassistischer Flüchtlingspolitik, wenn unter dem offiziellen Deckmantel der "Bekämpfung der Drogenszene jederzeit auch der Aufenthaltsstatus der Betroffenen festgestellt wird. Die saubere Trennung des Rassismus von der "Drogenproblematik", die im Schanzenviertel vollzogen wird, stellt eine wesentliche Legitimation für die Aufrechterhaltung des Konsens dar. Dieses Konstrukt muß aufgebrochen werden. Deshalb wäre es letztlich nicht nur ignorant, sondern auch gefährlich, den Schwerpunkt der eigenen Politik auf die aktuelle Drogendebatte zu beschränken. Selbst die zur Zeit so breit diskutierte und isoliert betrachtet auch progressive Forderung nach mehr Druckräumen und deren rechtlicher Absicherung ist konzeptuell aufs engste verbunden mit der weiteren Effektivierung der Abschiebepraxis, den Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen und darf deswegen nicht ohne deren Thematiserung und Bekämpfung stehen.
Im Schanzenviertel manifestiert sich die repressive Seite in der Alltäglichkeit der Bullenschikane, die so überaus erfolgreich ist, daß faktisch ganze Gruppen von Menschen sich keinen Schritt bewegen können, ohne der Kontrolle ausgesetzt zu sein. Durch diese Strategie wird die Stigmatisierung täglich öffentlich realisiert und festgeschrieben. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist und bleibt es für eine alltägliche Praxis notwendig, immer wieder gegen die "Arbeit der Polizei" vorzugehen und dem Anschein von "Normalität" entgegenzuwirken. Die Akzeptanz und Grenzziehung, die hier zur Zeit geschaffen wird, muß bekämpft werden. Das heißt, nicht zum Konsens bereit zu sein, sich nicht darauf einzulassen, daß z.B. das, was die Bullen hinter der Flora praktizieren, "irgendwie schon erträglich" sei. Nichts von dem, was sich hier gerade durchsetzt, ist erträglich.
Der Frieden, der im Schanzenviertel aktuell auf Kosten der Dealer, der KonsumentInnen, der Schwarzen und der Obdachlosen hergestellt wird, bedeutet eine Niederlage linksradikaler Politik.
Die drei vom blumenhandel
Anmerkungen:
1 So werden etwa in das alternative Wohlfühlambiente die erwünschten MigrantInnen explizit miteinbezogen bzw. treten etablierte MigrantInnen u.U. auch als ProtagonistInnen auf.

2 "[...] Eine sozial verträgliche und die Rechte aller Passanten schützende Gestaltung des Zusammenlebens im öffentlichen Raum erfordert - insbesondere an stark frequentierten Orten wie dem Hauptbahnhof - Mindeststandards von Verhaltensregeln. Hierzu gehören der Verzicht auf Belästigungen, Nötigungen oder das Versperren von U-Bahn-Eingängen. Die Einhaltung dieser Regeln ist von allen Beteiligten zu fordern. Neben umfassenden Hilfsangeboten für die verschiedenen von Obdachlosigkeit oder Sucht betroffenen Szeneangehörigen ist andererseits auch eine Verletzung der erwähnten Regeln angemessen zu sanktionieren [...]"

3 Danach begünstigen unsaubere Zustände oder "Verwahrlosung" einer Gegend kriminelles Verhalten. Daraus wird abgeleitet, daß es zur Bekämpfung von Straftaten wichtig sei, präventiv gegen eine breite Palette von Abweichungen vorzugehen.

[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]