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Brief von Rolf Clemens Wagner
Anmerkungen zur Auflösungserklärung der RAF
Fangen wir mal von hinten an. Ich würde sagen, Revolutionen finden wohl gelegentlich statt, aber sagen tun sie eigentlich wenig.
Am allerwenigsten hierzulande, wo sie durch Abwesenheit glänzen.
Es war nie eine, es ist keine, und es wird in vorhersehbarer Zeit hier auch keine sein.
Das ist das geschichtliche Kontinuum, die Realität, mit der wir es zu tun haben und die wir ja gerade auch mit harten Mitteln angreifen wollten.
Aber ich will mich nicht mit dem linken Kitsch aufhalten, der die Erklärung durchzieht wie der Schwamm ein altes Gemäuer. Es nervt so schon genug, sich aus einer grundsätzlich veränderten Situation und einem entsprechend anderen Erkenntnisinteresse heraus mit dem Schnee von Vorgestern befassen zu müssen.
Aber man kann sich ja nicht unwidersprochen zum politischen Trottel stempeln lassen.
Ja, wir haben gedacht in der damaligen Konfiguration, wir hätten eine Chance, etwas aufzubrechen und in der Metropole einen dialektischen Prozeß für die Befreiung in Gang zu setzen. Dabei war die Vorstellung nie, wir könnten als kleine, klandestine Gruppe allein mit dem bewaffneten Kampf irgendetwas "reissen". Das Projekt war ausdrücklich politisch-militärisch, der bewaffnete Kampf war nur ein neues Element der Praxis, um gegen die Ideologielastigkeit und die Ohnmachtsgefühle zu realen Angriffen zu kommen. Das Konzept war weit genug gefaßt, um innerhalb einer Bewegung sinnvoll agieren zu können. Diese Bewegung gab es, hier und international, ich muß das nicht nochmal beschreiben.
Am Ende jedoch hat sich das starke Grundinteresse durchgesetzt, das eine Mehrheit auch der Linken mit dem "Normalbürger" verbindet: ein relativ sicheres und angenehmes Leben (zu welchem Preis und wer ihn zu zahlen hat tritt dabei in den Hintergrund). Die Metropole ist doch immer noch das wärmere Plätzchen mit vielen Annehmlichkeiten. Damals noch mehr als heute, denn eine "soziale Frage" im engeren Sinn gab es nicht. Die Wirtschaft boomte, es gab noch keine Massenarbeitslosigkeit, der Sozialstaat wurde noch ausgebaut, das Modell D an der strategischen Nahtstelle. Allerdings nur bis zum Ende der Blockkonfrontation, dann wurde es nicht mehr gebraucht und flog auf den Müllhaufen der Geschichte: "shareholder-value" statt sozialer Sicherheit.
Und was die Verknüpfung mit "dem Sozialen" anbelangt, erinnere ich mich noch gut an manche verlorene Gestalten im Morgengrauen zum Schichtwechsel mit Flugblättern am Fabriktor und die harsche Abfuhr, die sie sich meist geholt haben.
Diese Überlegungen, wie man das "Bedürfnis nach Emanzipation und Befreiung" hätte "wecken" können, sind vollkommen müßig. Um es mal anachronistisch zu sagen, es geht um das alte Problem, wie denn nun die "Klasse an sich" zur "Klasse für sich" wird. Wir sprechen also nicht von einem "militaristischen" Fehler im Konzept, sondern von einer vorgegebenen Bedingung für jeden emanzipativen politischen Ansatz, nicht nur für den bewaffneten Kampf, und es sind ausnahmslos alle linken Ansätze gescheitert, nicht nur die RAF.
Also gut, in den Siebzigern war dann die Parole "ab ins Private", ins alternative Leben, zurück an die Uni, auf den "langen Marsch". Und die Marschierer sind ja nun nach gut einem Vierteljahrhundert endlich im Zentrum angekommen und dürfen das Projekt der agressiven Neupositionierung Deutschlands mittragen.
Wahrscheinlich "wäre es besser gewesen", wenn statt dessen "der weltweite Aufbruch, aus dem auch die RAF kommt, durchgekommen wäre". Dann stünden wir heute vielleicht nicht vor dem Schlamassel. Aber hypothetische Sätze sind brotlos. Wie überhaupt das gedankliche Kreisen um die Revolutionsformen und -vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts - während sich die Welt unter unseren Augen so radikal umwälzt, daß heute praktisch nichts mehr so ist wie vor zehn Jahren noch - etwas von Don Quijote hat (wobei es sich mit "dem Sozialen" ebenso verhält wie mit Dulcinea).
Aber zurück zur Geschichte. Unvergessen ist auch, daß nach dem ersten wirklichen Repressionschub Anfang der siebziger Jahre abrupt Schluß war mit "Fisch im Wasser". Überall gingen für die RAF vorher offene Türen zu. Der eine oder andere hat es auch für angebracht gehalten, die Polizei zu informieren.
Jetzt gab es plötzlich unüberbrückbare politisch-ideologische Differenzen, schließlich mußte man diese opportunistische Absetzbewegung irgendwie erklären, die eine der Hauptursachen dafür war, daß damals fast alle Illegalen in den Knast gewandert sind. Ein paar Wochen zuvor sah das noch ein bißchen anders aus, nicht eitel Konsens natürlich, aber zur Polizei gerannt ist niemand. Und später hat man die Aktionen der RAF am Fernseher durchaus goutiert.
Safer politics, sozusagen.
Beim "Abdrängen von Sympathisantenpositionen" (Herold) mußten sich die Staatsorgane wahrlich nicht überarbeiten.
Danach war die Situation der RAF lange kippelig. Die Situation erzwang Konzentration einmal auf den Aufbau der Logistik und zum anderen auf die Gefangenen, die geschützt bzw. möglichst rausgeholt werden mußten, weil ihre psychophysische Integrität im staatlichen Gewahrsam offenkundig nicht gewährleistet war (was die, die uns oberschlau "Befreit-die-Guerilla-Guerilla" genannt haben, wenig gekratzt hat).
Wie das ausgegangen ist, ist ja bekannt. 1977.
Sicher, diese Konzentration war reduktiv und ganz von den Aktionen für die Gefangenen bestimmt, was auf die Aktionen selbst nachteilig rückgewirkt und u.a. zur falschen Entscheidung für die Flugzeugentführung geführt hat.
Die Verfasser wiederholen nun in ihrer Auflösungserklärung, was sie schon seit Jahren runterbeten: Diese Reduktion und einseitige Betonung der bewaffneten Aktion habe durch die ganzen Achtziger hindurch fortgewirkt. Das habe verhindert, die Sache auf eine politische Ebene heben zu können, das "Soziale" sei vernachlässigt worden, deshalb habe auch die "sozialrevolutionäre" Komponente gefehlt und was weiß ich nicht noch alles.
Ich kann das verschwiemelte Zeug nicht mehr hören. Was es real gab (und vermutlich immer geben wird), das waren einzelne widerständige Gruppen und Individuen, die sich - wenn sie nicht gleich zur RAF wollten - eine politische Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Gruppe vorstellen konnten. Soweit ich das beurteilen kann, waren das gerade in den Achtzigern nicht wenige.
Was es real in der ganzen Geschichte mit der RAF nie gab (und das war ja gerade die Erfahrung aus den Siebzigern), das waren wie auch immer definierte "soziale Bewegungen", die ein Interesse oder von mir aus Bedürfnis gehabt hätten, über möglicherweise gleichgerichtete politische Ziele auch nur zu reden, weil sie alle den Einsatz politischer Gewalt kategorisch abgelehnt haben (was ihnen, nebenbei, auch nicht geholfen hat).
Also dieser Eiertanz ums "Soziale", das ganze Lamento täuscht ja nicht darüber hinweg, daß sie - wenn es denn so war, wie sie sagen - lang und breit nur ihre eigene Unfähigkeit bejammern, einen Weg, den sie angeblich als falsch erkannt haben, nicht mehr weiter zu gehen, sondern etwas Neues zu suchen. Die Erklärung dafür ist wohl: Sie werden es so, wie es war, gewollt haben. Aber bevor sie das zugeben, behaupten sie lieber, der Fehler liege im Konzept. Nicht sie seien "militaristisch" gewesen, sondern "das Konzept", nach dem Motto, das war halt so, dafür konnten wir nichts. Echt pfiffig.
Es ist ja schon ein paarmal gesagt worden, aber ich sag es gern auch noch ein letztes Mal: Fakt ist, daß es lange Zeit in den Achtzigern sehr wohl Repolitisierungsversuche gab, harte Diskussionen, in denen Initianten damit abgebürstet wurden, sie trauten sich wohl nicht an Aktionen heran. Und als die Celler Gefangenen um
Unterstützung in dieser Auseinandersetzung angegangen wurden, kam lapidar zurück: "Eine Aktion, und dann die nächste. So läuft das."
Daß all die Leute sich heute hinstellen und ohne mit der Wimper zu zucken hierarchische, autoritäre, militaristische Strukturen in der RAF beklagen, das war schon bei den Kronzeugen nicht lustig.
Fakt ist weiter, daß der bewaffnete Kampf - wie transformiert oder modifiziert auch immer - seit Ende der Achtziger ohnehin politisch keinen Sinn mehr macht. Die Konstellationen stimmen nicht mehr, alle Bezugspunkte fehlen. Die auf allen Ebenen epidemische Gewaltanwendung macht überdies Gewalt als Mittel im politischen Kampf wirkungslos.
Und nun zum letzten Punkt:
"Nach unserer Niederlage von 1993 wußten wir, daß wir nicht alles einfach genauso weitermachen können. (...) Wir wollten noch mal mit denen, die noch in den Knästen waren, alles zusammen durchdenken und gemeinsam eine neue Etappe beginnen. Am Ende zeigte sich in der für uns schmerzlichen Spaltung eines Teils der Gefangenen von uns, in der wir zu Feinden erklärt waren, daß die Entstehungsbedingungen der RAF - Solidarität und Kampf um Kollektivität - bereits vollständig verraucht waren."
Was soll das sein - eine Art Dolchstoßlegende?
Da lege ich doch großen Wert auf ein paar Klarstellungen. Niederlage, sicher, das pfeifen seit Jahren die Spatzen von den Dächern. Aber wieso 93? War da was Spezielles? Ach ja, richtig, die Steinmetzsche Einheit, das vergißt man immer so schnell.
Davon, daß die Verfasser mit uns diskutieren wollten, haben wir irgendwie nichts gemerkt. Wir waren immer unvermittelt mit ihren Papers konfrontiert. Auf unsere Kritik daran war nichts als das Schweigen im Walde, bis zur nächsten einseitigen Erklärung.
Wir haben niemanden zum Feind erklärt, ja nicht einmal von Spaltung geredet, sondern uns sozusagen ganz sachlich von Leuten getrennt, die damit begonnen hatten, ihre Partikularinteressen gegen uns zu wenden (aber jetzt - noch so eine müde Pointe - von Solidarität und Kollektivität reden). Den Verfassern ging es darum, sich irgendwie aus der selbstgebastelten Sackgasse herauszuwinden, und es ist ihnen zu diesem Zweck nichts Besseres eingefallen, als unsere Geschichte in etwas umzudeuten, das sie nicht war. Ich finde es legitim, das nicht mit sich machen zu lassen.
Und wenn es jemanden gibt, der bei dem ganzen eine Niederlage einstecken mußte, dann sind das wir übriggebliebenen Gefangenen. Wir haben die "Öffnung" initiiert, auf der alle ihr Süppchen gekocht haben, während wir dafür bis zum Hals im Beton der "Kinkel-Initiative" stecken.
Für 26 Jahre, wenn es beliebt.
Vielleicht aber auch ein bißchen länger.
Schwalmstadt, Ende April 1998
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