[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]




Einen Fußbreit für die Antifa!
Mega-Flop Rostock: Wer sich auf bürgerliche Bündnisse verläßt, ist verlassen
Vielleicht muß man es mal aussprechen: Die Aktionen gegen den NPD-Aufmarsch in Rostock am 19. September (Jungle World, Nr. 39 / 98) waren der bisher größte Flop der Antifa-Bewegung. Trotz bundesweiter Mobilisierung machten sich nicht mal 2 000 Antifas aus dem linksradikalen, autonomen Spektrum auf den Weg in die Hansestadt, wo über 3 000 Nazis ungestört das Pogrom von 1992 feierten.
Auch die Tatsache, daß nochmal einige Tausend Menschen aus dem bürgerlichen Bündnisspketrum das Friedensfest in Lichtenhagen besuchten, und »die Guten« also insgesamt irgendwie mehr waren als die Nazis, macht die Sache nicht besser. Denn wie sich im nachhinein gezeigt hat, fand das ungewöhnlich breite Bündnis gegen Rechts, das von Autonomen bis zur SPD reichte, seine Aufgabe schließlich darin, Krawall zwischen rechten und linken Chaoten zu verhindern, anstatt den Nazis »keinen Fußbreit« zu gewähren.
Aus dem Bündnis kam der Druck auf die PDS, ihre eigene Demo-Anmeldung in Dierkow, wo die Nazis schließlich auflaufen konnten, zurückzuziehen, um eine Eskalation zwischen Antifas und Faschos zu vermeiden. Die PDS freilich, die in Rostock um ein Direktmandat für den Bundestag kämpfte, mußte nicht groß geschoben werden. Auch sie hatte keine Lust, für den zu erwartenden Zoff verantwortlich gemacht zu werden. Die von ihrer Partei mal wieder schwer enttäuschte Angela Marquardt sah es genau richtig: Die PDS hat sich »an der bürgerlichen Ausgrenzung gegenüber den Autonomen beteiligt«.
Doch auch die autonome Antifa brachte es nicht fertig, selber eine Kundgebung in Dierkow oder Umgebung anzumelden oder dort zumindest einen Treffpunkt anzugeben. Nachdem sich fast alle angereisten Antifas in der Innenstadt befanden, war es natürlich klar, daß es kein Durchkommen mehr nach Dierkow geben würde. Der Stadtteil liegt auf der anderen Seite der Warnow und ist nur über drei Brücken erreichbar.
Doch auch eine bessere oder flexiblere Planung hätte vermutlich nicht viel genutzt. Aus zwei Gründen: Zum einen wurde sich viel zu sehr auf ein Bündnis verlassen, das auch politisch höchst fragwürdig war (SPD!). Und zweitens funktionieren die klassischen Methoden, gegen Nazi-Aufmärsche vorzugehen, eben nicht mehr. Antifas können nicht mehr davon ausgehen, in der Regel gegenüber den Faschos in der Überzahl zu sein. Gegendemos werden zunehmend verboten oder von der Polizei massiv behindert.
Die Stärke ausstrahlende Parole »Keinen Fußbreit den Faschisten!« verkommt mehr und mehr zur Aufschneiderei. Vielmehr vermitteln wir bei dem üblichen Gewürge mit der Polizei, daß wir erstmal für »einen Fußbreit für uns« streiten müssen.
Da die autonome Antifa schwächelt, scheint es auf den ersten Blick sinnvoll zu sein, sich vermehrt in Bündnissen auch mit Bürgerlichen gegen den Nazi-Boom zu stellen. Sicher: Es ist ein Erfolg, wenn, wie in Rostock geschehen, sich die allgemeine Stimmung gegen einen NPD-Aufmarsch richtet, die Stadtverwaltung und der Oberbürgermeister zu Gegenveranstaltungen aufrufen und Hunderte BürgerInnen Transparente mit dem von einer Werbeagentur (!) entworfenen Slogan »Bunt statt braun« aus dem Fenster hängen.
Doch hat sich schließlich an der Absage der Antifa-Demo in Dierkow gezeigt, worum es den RostockerInnen ging: Das Image ihrer Stadt zu retten, indem man weit ab vom Schuß ein Friedensfest feierte. Und eben nicht darum, den Nazi-Marsch zu verhindern. Daß das Verbot der NPD-Demo vor Gerichten keinen Bestand haben würde, war vorauszusehen; die Nazis in dem Fall aus der Stadt zu jagen, war aber offensichtlich nicht geplant. Mit dem Entzerren der linken und rechten Aktivitäten beförderte das Bündnis nur das Polizeikonzept.
Neben der Unterstützung des Bündnisses gab es kein autonomes Konzept, das diesen Namen verdient hätte. Alles lebte von der Zielvorgabe des Bündnisses: »Möglichst viele verschiedene Menschen an diesem Tag gegen die Nazis auf die Straße zu bringen«, wie die Rostocker Antifas immer wieder betonten.
Auch wenn klar ist, daß man Fascho-Märsche nicht mehr wirklich unterbinden kann - zumindest der Versuch, sich ihnen entgegenzustellen, muß Anliegen autonomer Politik bleiben. Und dafür muß auch innerhalb von Bündnissen geworben werden. Denn eine linke Antifa-Demo zehn Kilometer vom Nazi-Auflauf entfernt symbolisiert eben nicht, daß man Nazis nicht tolerieren darf, sondern nur, daß es Linke und Rechte gibt in diesem Land. »Hoffen wir«, denkt sich der brave Bürger da, »daß die mal nicht aufeinandertreffen ...«
Eigentlich könnte man sich von der plumpen Anti-Nazi-Politik verabschieden. Weil die rassistische Politik in Bonn gemacht wird, oder weil der allgemeine gesellschaftliche Rassismus auch ohne organisierten Neonazismus sein Unwesen treibt. Nur leider ist es für Linke und AusländerInnen vor allem im Osten Deutschlands nicht möglich, das Fascho-Pack zu ignorieren. Sie haben jeden Tag auf der Straße mit dem Terror der Rechten zu tun. Ihretwegen darf man den Nazis die Straße nicht überlassen.
Deshalb muß es auch weiterhin antifaschistische Mobilisierungen gegen Nazis geben. Dabei ist es vernünftig, nach BündnispartnerInnen zu suchen; aber wer sich auf diese verläßt, ist verlassen.
Ricki Brizio
aus: jungle world Nr. 40, 30. Sept. 98




[ zurück zum ihnaltsverzeichnis ]