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Keine Transparenz in der Struktur ...
Eine Antwort auf das Papier aus dem Schwarzmarkt

Es ist bedauerlich, daß ihr zwei Jahre damit gewartet habt, eure Diskussionen und Schwierigkeiten öffentlich diskutiertbar zu machen. Noch bedauerlicher ist es, wenn dieses Papier das Ergebnis eurer Diskussionen sein soll: Eure Analyse greift an vielen Punkten zu kurz und muß ergänzt werden. Wesentlicher erscheint mir jedoch, daß es an der Zeit ist, das derzeitige Konzept vom Schwarzmarkt wirklich radikal und ernsthaft in Frage zu stellen.
Es kann nicht nur um "neue Anstöße und Ideen" für die bestehende Struktur gehen. So sehr ich es auch verstehen kann, daß die MacherInnen am Laden "hängen", ist dies doch eher ein persönliches Problem. Wenn die Zukunft des Schwarzmarkts öffentlich diskutiert und mitgestaltet werden soll, dann mit allen Optionen — an der Oberfläche gekratzt wurde scheinbar lange genug.

Zur Notwendigkeit des Schwarzmarktes
Der Schwarzmarkt in seiner jetzigen Form ist für politische Arbeit nicht notwendig: Inhaltlich fehlt es dem Laden an allen Ecken und Kanten (außer vielleicht im Antifa-Bereich), d. h. das Archiv der sozialen Bewegungen, gewisse Buchläden in Hamburg oder auch die B5 und Flora sind bessere Info- und Kontaktstellen als der Schwarzmarkt.
Hinzu kommen die mitunter durchaus etwas lax gehandhabten Öffnungszeiten — welche stand noch nicht vor verschlossener Tür? Und wer hat es nicht nach dem dritten Reinfall endgültig geknickt? Die notwendigen Infos werden dann eben woanders gesucht und gefunden, der Schwarzmarkt fortan nur noch sporadisch besucht — wenn mensch eh gerade mal in der Nähe ist — und irgendwann vergessen...
Allerdings sollte zu "zwingender Notwendigkeit" auch bemerkt werden, daß der Schwarzmarkt diese nie besessen hat (auch wenn es einigen gemischt arbeitenden Autonomen so vorgekommen sein mag): Viele Solidaritätsgruppen zu Trikontländern konnten schon immer ohne diesen Infoladen arbeiten, viele FrauenLesben haben den Schwarzmarkt nur selten bis nie betreten, ohne deswegen politisch inaktiv gewesen zu sein, und auch Antirassismus- und Flüchtlingsgruppen waren nie auf die Existenz des Schwarzmarktes angewiesen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es geht also nicht um eine "verloren gegangene zwingende Notwendigkeit", wohl aber um eine extrem zugenommene Bedeutungslosigkeit dieses Infoladens.

Lamento über die Gründe
"Ein Infoladen ist Ausdruck der politischen Szene" — oft gehört, selbst gesagt und trotzdem: Banane.
Erstens meint "Szene" die gemischte Autonome, was u. a. der FrauenLesbenTag im Schwarzmarkt zu spüren bekam, also drück(t)en sich vielen "Szenen" überhaupt gar nicht im Laden aus. Dies ist heute, wo "die Szene" für alle sichtbar in Klüngel, Strömungen, Bereiche und was weiß ich "zerfallen" ist, im Schwarzmarkt selber deutlich: Präsent sind Antifa, AntiAkw etc., ich nenn‘s mal "Jugend-Themen", viele Inhalte ("Szenen") fehlen einfach.
Zweitens ist der Laden entweder Ausdruck der Leute, die ihn machen, oder ein (meist schlechter) Gemischtwarenladen. NutzerInnen des Schwarzmarktes waren und sind überwiegend KonsumentInnen von Infos — es wäre zwar schön, wenn sich mehr Leute aktiv in die Gestaltung einbringen würden, aber dadurch, daß es zum tausendsten Mal seit 10 Jahren bejammert wird, wird aus dem Wunsch keine Praxis. D. h. es war und ist immer Arbeit der MacherInnen, Infos zu sammeln, aufzubereiten, zur Verfügung zu stellen, zu verbreiten.
Und drittens impliziert der obige Satz eine prima Entschuldigung, sich nämlich aus der eigenen politischen Verantwortung zu ziehen und den Moralzeigefinger auf andere zu richten: "Die Szene" ist eben schuld. Und die ist eben seit Ewigkeiten am "Niedergehen". Schön diffus ist das Ganze auch noch...

Was hat sich nun also verändert?
Ein guter Schwung von Leuten, die Politik konsumieren, haben auch schon vor der Arranca! Nr. 8 — Auseinandersetzung den Weg zum Schwarzmarkt nicht mehr geschafft: Als er 1992 vom Paulinenplatz im zentralen St. Pauli in den Kleinen Schäferkamp ins entfernte Eimsbüttel wegzog, lag doch so praktisch die Druckerei auf der Strecke, daß sich der weite Umweg nicht mehr lohnte.
Und wer gerne und ausschließlich Broschüren und Bücher in sich hineinfrißt, ohne das Gefühl zum Handeln zu verspüren, für die/den war der Arranca-Boykott doch auch ganz praktisch: Konnten doch nun die bereits vorher nicht mehr im Schwarzmarkt verkauften Zeitungen Beute und Bahamas ohne schlechtes Gewissen zusammen mit der Arranca zentral eingekauft werden. Doch welche Auswirkungen hat das Ausbleiben "ehemals Aktiver", die heute Papiere rein zum Selbstzweck in sich reinstopfen und wieder auskotzen? Die Kasse klingelt weniger...
Diejenigen allerdings, die den Arranca-Boykott nicht nur individuell kritisierten, sondern sich politisch engagieren, haben deswegen nicht den Schwarzmarkt boykottiert. Dies ist zu kurz gegriffen.
Parallel ist in den letzten Jahren eine Umorientierung des Ladens um quasi 180° passiert. Es ist schon eine bittere Ironie: Noch bis vor 5 Jahren gab es heiße Diskussionen, wie die oben erwähnten Themen, die "die Jugend" ansprechen, im Laden Einzug erhalten könnten — der Laden samt Crew empfand sich als veraltet, nichts, wo junge Leute, die politische Hoffnung von morgen, sich wohl fühlen und einbringen könnten. Es gab eine ziemliche Diskrepanz zwischen den immer jüngeren NutzerInnen und den immer älter werdenden Menschen hinterm Tresen.
Dies natürlich auch thematisch. Denn jedeR MacherIn bringt immer auch ihre/seine politischen Interessen und Inhalte mit ein, als da waren Gefangene, Repression, diverse Trikontländer etc., aber auch Antifa und AntiAkw, allerdings vom Standpunkt der "Älteren", "Erfahrenen". Um die altersbedingte und thematische Diskrepanz zu schließen, wurden verstärkt jüngere Leute in den Schwarzmarkt miteinbezogen, und heute repräsentieren sie mit "ihren" Themen den Laden.
Doch so wie vor einigen Jahren die "Jüngeren" eher "abgeschreckt" wurden und sich nicht im Schwarzmarkt wieder fanden, geht es jetzt den "Älteren": Mit der personellen Kontinuität ("Ich gehe am Mittwoch in den Laden, weil da treffe ich immer...") ging quasi zwangsläufig auch die inhaltliche baden ("Das ist ja ein reiner Antifa-Jugend-Laden...").
Daß sich in Hamburg andere Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten entwickelt haben und dort inzwischen reges Treiben herrscht, ist ausdrücklich zu begrüßen, auch wenn es sich für den Schwarzmarkt vielleicht negativ anfühlt. Es kann nie genug solcher Orte geben — ein kontinuierlicher Austausch dazwischen wäre wünschenswert.

Was sich nie ändert...
Dennoch hat der gute, alte Infoladen auch noch seinen Sinn: während es z. B. in der Flora politisch auf- und ab- und aufgeht, und dies alles mitunter rasant und unberechenbar, kann eine Bestimmung des Infoladens das "Überwintern" (nunmehr seit 8, 10 Jahren, stöhn) von Strukturen sein, weil hier eine relativ eigenständige Kontinuität gewährleistet ist. Auch auf eine — themenunabhängige — bundes-/europaweite Vernetzung im Rahmen der Infoläden kann immer wieder bei Bedarf zurückgegriffen werden. Und natürlich sind die Infos von Polit-Touris aus anderen Ländern auch immer interessanter und wirklicher als die Frankfurter Rundschau.

... und was sich ändern sollte
Vor allem aber sollte die Frage, die ihr in eurem Papier in die "Zukunft" schiebt, als erstes diskutiert werden: Infoladen als politisches Projekt oder Dienstleistungsbetrieb.
Sicherlich ist diese strikte Trennung künstlich: Jeder Infoladen ist ein Dienstleistungsbetrieb (und muß es auch sein). Schon das Zugänglichmachen von Information ist Dienstleistung.
Um den Schwerpunkt darauf zu legen, müßte der Schwarzmarkt jedoch eine Professionalität entwickeln, die "ehrenamtlich" wohl kaum zu schaffen ist. Darüber hinaus muß er zu einem Gemischtwarenladen verkommen, der so gut wie alles anbietet. Dies würde dann keine öffentliche Diskussion erfordern, das wäre euer Bier...
Es geht also hier um Infoladen als politisches Projekt und welche Struktur dies tragen soll. Dazu folgende Thesen:
- Im Schwarzmarkt müssen möglichst viele Themen vertreten sein.
- Um eine Themenvielfalt zu gewährleisten, müssen verschiedene Leute mit unterschiedlichen politischen Schwerpunkten den Laden machen.
- Damit Leute jeglichen Alters, jung und alt und mittelalt, sich im Schwarzmarkt angesprochen und wohl fühlen, muß auch hinsichtlich des Alters alles, was möglich ist, am Laden beteiligt sein. Die Forderung, daß NutzerInnen auch selbst was einbringen, ist am ehesten zu realisieren, wenn diese mit den Leuten hinterm Tresen bekannt sind; dies steigert auch das Gefühl, sich für die Inhalte im Laden mehr mitverantwortlich zu fühlen.
- Um eine Kontinuität aufzubauen und zu erhalten, sollten Gruppen einzelne Tage übernehmen. Selbst wenn einzelne dann zeit- oder interessensbedingt den Ladenbetrieb nicht mehr machen (können/wollen), bleibt die Verantwortlichkeit bestehen.
- Die Gruppen sollten "feste" Tage haben, also immer am gleichen Tag für "ihr Klientel" ansprechbar/unterhaltsam sein.
- Alle Wochentage, auch der Donnerstag, sollten geöffnet sein. Drei Jahre nach dem Ende des FrauenLesbenTages und v. a. der damit zusammenhängenden Begründung sollte auch dieser Tag gemischt geöffnet werden.
Die von euch erwähnten "früheren Erfahrungen" mit "beträchtlichen Schwierigkeiten" bei einzelnen autonomen Tagen kann ich so nicht akzeptieren: Ein Delegiertenplenum (keine Vollversammlung) sollte in der Lage sein, die Vermittlung der einzelnen Tage herzustellen und gemeinsam zu reden.

Kraftakte sind möglich, wenn klar ist wofür.

P. S. Ich finde es sinnvoll und auch direkter, wenn ihr zu dem Thema mal ein Plenum oder so einberufen würdet — der Schriftwechsel über die Zeck ist doch eher die schlechtere Möglichkeit.


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