selbst | aktuell | periodika | archiv | netz | initiativ | suche |
Am 13.6.1995 durchsuchten schwerbewaffnete Polizeieinheiten in der ganzen BRD linke Zentren und Wohnungen unter anderem mit der Begründung, sie suchten Leute, die an der Herstellung der linken Zeitung radikal beteiligt waren. Damit fährt die verantwortliche Bundesanwaltschaft ein ganz neues Geschütz gegen freie Berichterstallung auf: sie erklärte das erstemal eine komplette Zeitungsredaktion zu einer 'terroristischen Vereinigung'.
Einige der von den Durchsuchungen Betroffenen sind wegen des Verdachts, RedakteurIn zu sein, ein halbes Jahr lang im Gefängnis gewesen. Die liberale Öffentlichkeit hat sich dennoch extrem zurückgehalten, eine breite Kampagne gegen diese faktische Abschaffung der Pressefreiheit hat es nicht gegeben.
Politiker der BRD lallen stattdessen, Unwissenheit demonstrierend oder heuchelnd: Die Freiheit des Internet muss weg, weil sonst Kinderpornos und Neonazis sich unkontrolliert ausbreiten. Das Recht, sich gegen den 'Überwachungsstaat' durch wirksame Verschlüsselung zu schützen, muß weg, weil sonst die Drogendealer und die MAFIA kommen und die 'Organisierte Kriminalität' (ein paar mehr Feindbilder werden sich da wohl noch ausgedacht werden, um den staatlichen Zugriff zu legitimieren).
In dieser Konstellation sehen wir eine sehr konkrete Gefahr für unser Archivprojekt. Es basiert nämlich darauf, daß auch weiterhin kleine, unabhängige Gruppen ohne viel Geld als Anbieter Zugang zum Internet haben, und das es keine inhaltliche Zensur gibt. Das Recht auf freie Berichterstattung halten wir für wertvoller, als die Gefahren, die sich durch Verbreitung von mißliebigem Gedankengut ergeben, für bedenklich.
Letztendlich werden sich Freiräume, die bisher durch technischen und visionären Vorsprung einiger progressiver Gruppen, Mailboxbetreiber und Hacker geschaffen wurden, heute, wo das Internet von der breiten Gesellschaft genutzt wird, nur noch gesellschaftlich aufrechterhalten lassen. Dazu bedarf es einer breiten Basis von Leuten, die die entsprechenden Rechte und Freiheiten verteidigen, und die Gefahr ist, dass sich diese Basis nicht bilden wird, weil sich zu wenige unserer Leute mit diesem Thema abgeben, und vor allem die Erfahrungen gemacht haben, die nötig sind, um die unserer Meinung nach wirklichen Vorteile dieser eigentlich gar nicht so neuen Medien von denen zu trennen, die ihnen von der mittlerweile überall präsenten Werbung vorgegaukelt werden.
Sylvester 1995, Infogruppe Hamburg
Kontakt:
Infogruppe Hamburg (ifghh@krabat.nadir.org)
Brigittenstrasse 5
20357 Hamburg
Tel.: +49-40-43 18 90 37
Fax.: +49-40-43 18 90 38
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ifghh/home-de.html