[ telepolis, 17.03.1997] Linke im InternetTilman Baumgärtel 17.03.97 Suchmaschinen und Soli-Gruppen Nur langsam überwindet die Linke ihre fast traditionell zu nennenden Vorurteile gegebenüber Computern im allgemeinen und dem Internet im besonderen und beginnt, die Möglichkeiten des Mediums für eigene Zwecke zu nutzen. Engagierte Zeitschriften, denen die finanzielle Substanz für eine Printausgabe fehlt, publizieren im WorldWideWeb, Soli-Gruppen und Atomkraftgegner nutzen Web und Email zu organisatorischen Zwecken. Ein immer breiter werdendes politisches Links-Spektrum, von der bodenständigen IG-Metall bis zu den kämpfenden Guerrileros von Tupac Amaru bekennt Farbe im Netzraum. Linke im Internet
Doch eins war diesmal anders: Während sich auf den Straßen im
Landkreis Lüchow-Dannenberg der Castor zentimeterweise
vorwärtsbewegte und Polizei und Castor-Gegner auf den
Zugangsstraßen Räuber und Gendarm spielten, herrschte zwischen
den Opponenten im Cyberspace beinahe olympischer Friede. Auf der Homepage der örtlichen
Polizei war nicht nur eine schöne, bunte Karte vom Wendland zu finden.
Auf einer eigenen Seite gab es auch jede Menge "Links" zu den
Internet-Angebot der Atomkraft-Gegner: Zur Anti-Castor-Bürgerinitiative ,
der Umweltschutzgruppe LiGA und zu Robin Wood .
Daß das Internet in den nächsten Jahren politische Konflikte entschärft, ist zwar nicht zu erwarten. Doch immerhin hat das Netz der Netze inzwischen eine Bedeutung angenommen, die es auch als Medium für linke und alternative Politik interessant erscheinen läßt. Die Castor-Gegner sind keineswegs die einzigen deutschen Linken, die in der letzten Zeit ans Netz gegangen sind. Auch hinter Namen wie "Nadir.org", "Dada" und"Trend" verbergen sich linke Online-Projekte, die in den letzten beiden Jahren begonnen haben, das Internet für ihre politischen Ziele zu nutzten. Auch wenn es Schätzungen gibt, nach denen nur ein Prozent aller deutschsprachigen Homepages politische Inhalte hat - nun beginnt die deutsche Linke, sich zu vernetzen. In der deutschen Öffentlichkeit gilt das Internet freilich bis auf weiteres als Sündenpfuhl: Die Berichterstattung über das neue Medium suggeriert, daß man mit rechtsradikalen und pornographischen Umflat nur so überschüttet wird, wenn man den Online-PC auch nur anschaltet. Gerade die deutsche Linke hat sich darum im Umgang mit den Internet bislang stark zurückgehalten. Im Gegensatz zu den USA, Skandinavien oder den Niederlanden, wo linksalternative Gruppen schon seit Jahren angstfrei das Netz als Kommunikations- und Informationsmedium nutzten, gibt es bei vielen deutschen Linken immer noch einen Generalverdacht gegen Computer im allgemeinen und Computernetzwerke im besonderen: das Internet als Überwachungsmaschine oder als verdummendes Berieselungssystem wie das Fernsehen, der Computer als unmenschlicher Arbeitsplatzkiller. Der Widerstand gegen Volkszählung und Computerisierung um 1984 hat bis heute seine Spuren im linken Bewußtsein hinterlassen. Die weltweite Vernetzung arbeitet einem Wesenszug entgegen, der bis heute die deutsche Linke prägt: die Paranoia. Bei der Recherche für diesen Artikel mußten sich unter anderem "Nadir.org" erst bei der Redaktion vergewissern, ob der Autor wirklich Journalist ist. "Netz-aktive" Linke bewegten sich darum bis vor kurzem nicht im Internet, sondern in geschlossenen Mailboxen wie denen des alternativen CL-Netzes. "Als wir 1995 angefangen haben, sind wir eigentlich überall auf Ablehnung gestoßen", sagt zum Beispiel Jan von "Nadir.org", einer linksradikalen Gruppe, die im WorldWideWeb ein Archiv mit Grundlagentexten und Zeitungsartikel vorhält. URL .
Erst in der letzten Zeit habe sich durch die Berichterstattung in der Presse ein gewisses Interesse am Netz entwickelt. Inzwischen sind bei "Nadir.org" unter anderem die Zeitschriften "Radikale Zeiten", die "Rote Hilfe Zeitung", "Gegendruck" und "ZECK", ein Blatt aus der besetzten Roten Flora in Hamburg, gespeichert. Mit einer eingebauten Suchmaschine kann man nach Stichworten stöbern, und findet in kurzer Zeit sämtliche Artikel zu einem bestimmten Thema - für Jan ein wichtiger Vorteil von Online-Angeboten: "Eine elektronische Informationssammlung kann wesentlich schneller durchsucht und ausgewertet werden als ein Papierarchiv" - und das weltweit von jedem PC mit einem Internetanschluß. Auch die Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus macht zum Teil seit Jahrzehnten vergriffene anarchistische Standardwerke online wieder zugänglich. Weniger Arbeit mit Vertrieb und Produktion einer Zeitschrift ist ein weiterer Grund für linke Gruppen, ins Netz zu gehen. Das linksradikale E-zine "Trend" wurde zu diesem Schritt geradezu gezwungen: In den 80er Jahren erschien "Trend" als gedrucktes Heft, und ging an die Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin-Kreuzberg. Nach einem politisch anstößigen Artikel ließ die Gewerkschaftleitung das letzte Heft einstampfen und strich der Redaktion die finanziellen Mittel. Die "Trend"-Redaktion, deren Mitglieder sich selbst als alte 68er bezeichnen, wollte weiter ein linkes Magazin machen und schloßen sich dem großen Treck in den Cyberspace an. Sie brachten sich HTML bei, und am 18. Janaur 1996 erschien die erste Ausgabe von "Trend" im Internet - und zwar auf dem Server des Online-Dienstes CompuServe, bei dem sich Kunden eine eigene Homepage einrichten können. Die "Trend"-Redaktion packte die 2MB Speicherplatz, die jedem CompuServe-User zustehen, voll mit Artikeln zu PKK, den Autonomen und dem "Freiheitsbegriff des Anarchismus". Als nach einem halben Jahr der Serverplatz voll war, zog man zu dem Provider "Berlinet" um, der für linke und alternative Projekte umsonst Speicherplatz auf seinem Rechner zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zu einem gedruckten Magazin müssen sich die "Trend"-Macher, die alle ehrenamtlich arbeiten, jetzt nicht mehr um Abonnements, Versand oder Auslieferung an Buchhandlungen kümmern. Jeder Internet-Surfer kann sich "Trend" auf den Bildschirm holen - was freilich alle auschließt, die offline sind. Trotzdem ist Karl Müller von der "Trend"-Redaktion überzeugt, daß sich Linke auch im "Grafikgewitter" des WorldWideWebs präsentieren müssen.
Im Internet könne auch ausgegrenztes oder totgeschwiegenes Wissen wieder zugänglich gemacht werden, weil im Netz jeder mit einem Computer, einem Modem und technischen Grundkenntnisse selbst zum Informationsanbieter werden könne. Bei "Trend" findet man jede Menge aktuelle Berichterstattung zu linken Themen von A wie Anarchismus bis Z wie Zapatisten. Die Erklärungen der Berliner Wagenburgen war in "Trend" genauso zu finden wie Artikel über Hausbesetzungen in Ostberlin. Als die ehemalige PDS-Vorsitzende Angela Marquardt im Februar wegen eines Interviews mit der "Wochenpost" in Berlin vor Gericht stand, gab es bei "Trend" noch am Nachmittag des gleichen Tages einen Bericht über die Verhandlung. Wer mehr lesen will, findet auch Klassiker des Kommunismus bei "Trend", zum Beispiel die Marxsche Werttheorie (Dateiname: "marx.zip"). Der Terminkalender, der Veranstaltungen und Demonstrationen in Berlin ankündigt, ist meist auf dem neusten Stand. Im Gegensatz zu einer Zeitung, bei der es - einmal gedruckt - keine Korrekturmöglichkeiten mehr gibt, kann "Trend" innerhalb kurzer Zeit aktualisiert werden. Für Redakteur Müller ist "Trend" darum "ein Projekt, das sich selbst fortschreibt". Sein Enthusiasmus wird freilich nicht von allen geteilt. Wie Jan von "Nadir.org" hervorhebt, macht das Programmieren einer Webseite eine Menge Arbeit. Zwar ist auch für ihn das Internet "das ideale Mittel, um Inhalte zu verbreiten, die in den großen Medien nicht vorkommen", aber "Nadir.org" kann nicht mehr, als anderen Gruppen Platz auf der eigenen Web-Site anzubieten: "Internetfähig machen müßen die ihr Material selbst, das können wir einfach nicht leisten." Die Seiten von "Nadir.org" kommen darum optisch sehr sparsam daher: statt sich mit visuellem "Spielkram" aufzuhalten, geht es der Gruppe vor allem darum, Texte möglichst schnell zu verbreiten.
Speicherplatz auf einem Internetserver ist freilich teuer: bei professionellen Internetanbietern kostet 1 MB Speicherplatz um die 500 Mark. Die chronisch unterfinanzierten Linken sind darum auf Internetangebote wie "Free" , Berlinet oder die Niederländer XS4all und Contrast.org angewiesen, die linksalternativen Projekten für wenig Geld oder sogar umsonst Serverplatz zur Verfügung stellen. Angebote im WWW sind freilich nicht die einzigen Möglichkeiten für linke Initiativen, um das Internet zu nutzten. Auch Email und Mailingliste können effektive Mittel sein, um das Netz politisch zu nutzen. Die "Aktionsgruppe Innenstadtaktion" , die im Sommer diesen Jahres in deutschen Großstädten Veranstaltungen gegen die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums veranstalten will, nutzt zum Beispiel eine Mailingliste, um ihre Aktivitäten zu koordinieren. Statt sich umständlich per Brief oder Telefon abzustimmen, sind nun alle Mitglieder der Mailingliste über den neuesten Stand der Planung informiert und könnnen auch neue Vorschläge diskutieren. Gerade Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen wollen die Möglichkeit der "Elektropost" nicht mehr missen. "Poonal" , eine alternative Nachrichtenagentur für Meldungen aus Lateinamerika verschickt seinen wöchentlichen Newsletter inzwischen nicht mehr nur mit der Schneckenpost, sondern auch per Email - und das zu einem Preis, der deutlich niedriger ist als der eines fünfminütigen Ferngesprächs. Auch der Kontakt mit ausländischen Korrepondenten in weit entfernten und technisch unterentwickelten Ländern, der für Publikationen wie die "Kurdistan-Rundbriefe" wichtig ist, ist per Email wesentlich schneller und billiger zu machen als mit Telefon oder per Fax. Gerade für linksradikale Gruppen, die die Verfolgung durch den Staatsanwalt fürchten, hat diese Art der Kommunikation außerdem den Vorteil, daß man seine Nachrichten verschlüsseln kann. Verschlüsselungsprogramme wie PrettyGoodPrivacy (PGP), die man umsonst aus dem Internet herunterladen kann, sind für Strafverfolger nicht zu knacken. Einen Nachteil hat die Internetkommunikation freilich auch: Da alles, was im Internet versendet wird, von Computern registriert wird, ist jede "Bewegung" im Cyberspace nachvollziehbar. "Das Internet könnte die Dialogfähigkeit der deutschen Linke wieder herstellen", sagt Karl Müller vom Ezine "Trend". Die chronisch verstrittenen Fraktionen könnten seiner Ansicht nach durch Internetvernetzung wieder in Kontakt miteinander treten. In der Tat hat nicht nur die Polizei im Wendland Links zum Gegner auf ihrer Homepage; auch auf dem Server von "Berlinet" ruhen Angebote von Anti-Rassisten und Umweltschützern, Dritte-Welt-Gruppen und Linksradikalen friedlich nebeneinander auf derselben Festplatte. Ob das zu einem neuen Dialog führt, bleibt abzuwarten. Auch Müller warnt, daß sich linke Politik nicht vollständig ins Virtuelle verabschieden darf: "Die Vernetzung muß dazu führen, daß die Leute im wirklichen Leben zusammenkommen, um gemeinsam Politik zu machen." Verlag Heinz Heise, Hannover |
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