[arranca, Nummer 15, Herbst 1998]
Gekürztes Interview mit zwei Leuten vom nadir-team (Peter
interviewt Kärle)
Peter |
Ihr charakterisiert euch als
"strömungsübergreifendes" Projekt. Gibt es bei nadir
"strömungsübergreifende" Diskussionen? Wie verhalten sich die
potientielle Nutzbarmachung einer technischen Kommunikationsstruktur und
ihre tatsächliche Nutzung? |
Karl |
Nein, es finden im Prinzip keine Diskussionen statt. Das
liegt daran, daß allgemein in bezug auf die Kommunikationsmedien so
etwas wie eine "Medienkompetenz" unterentwickelt ist. Das trifft
natürlich - mit punktuellen Ausnahmen - auch auf linke
Kommunikationsstrukturen zu. Die intensivste Kommunikation haben wir mit
Gruppen, zu denen eine physische Nähe besteht. |
Karl 1 |
Die technischen Möglichkeiten sind hierbei ein Mittel,
aber kein Hebel, geschweige denn ein Garant für einen Austausch.
Diskussionen - oder gar organisierte Diskussionen - sind allgemein
"mega-out", und da heben wir uns leider auch nicht von ab. |
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Peter |
Wäre es da nicht konsequent, daß man mit der
Zurverfügungstellung von Mail und News versucht, eine Anleitung zur
"Medienkompetenz" zu geben? |
Karl 2 |
Das ist richtig. Wir sind über das Niveau, technische
Anleitung zu geben, nicht hinausgekommen. Zu inhaltlicher Anleitung sind wir
aus zeitlichen Gründen nicht gekommen. |
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Peter |
Ich denke, das ist nicht nur eine Frage des Zeitmangels,
sondern eine Frage von Orientierung. |
Karl 1 |
Ich würde das nicht so grundsätzlich sehen. Wir
kommen im Moment nicht darüber hinaus, Infrastruktur für
interessierte Leute zur Verfügung zu stellen. Wir vermeiden aber ganz
bewußt, nadir zur Dienstleistung auszubauen. Es gibt genügend
kommerzielle Anbieter, die das besser können. |
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Peter |
In letzter Zeit ist auch die redaktionelle Arbeit in den
Hintergrund getreten. Liegt das daran, daß sich z.B. das /CL-Netz als
nicht so ansprechbar für die Informationen erwiesen hat? |
Karl 2 |
Nein, ich würde das /CL-Netz gegenüber dem WWW
favorisieren, weil News eher etwas wie Kommunikation ist, wo man sich
einbringen kann und teilhaben kann an dem, was andere Leute
veröffentlichen und zwar auf Sparten beschränkt, wohingegen das
WWW erst mal etwas Einseitiges ist: Man kann sich nur präsentieren,
bekommt aber nicht mit, was die in der Regel konsumierenden BenutzerInnen
dazu denken. Die Möglichkeit auf Webseiten zu reagieren, gibt es auch
(per E-Mail), sie ist dann aber in der Regel nicht öffentlich. Für
eine laufende Diskussion (z.B. zu Rassismus, Faschismus) oder zu aktuellen
Themen (wie dem MAI) ist News brauchbarer als das WWW, das wie ein
großes Archiv ist, in dem man recherchieren kann. |
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Peter |
Warum ist das Textarchiv von nadir in den Hintergrund
getreten? |
Karl 1 |
Für den Anfang des Archivs hatten wir eine Systematik,
die aber unseren heutigen Ansprüchen überhaupt nicht mehr
genügt. Deswegen ist die Archivarbeit ins Stocken geraten, und wir
haben sehr viel Zeit darauf verwendet, die Systematik weiterzuentwickeln,
oder überhaupt eine richtige zu entwickeln, und damit sind wir nach wie
vor nicht fertig. |
Karl 2 |
Seit 1995 wurde der Aufbau der Plattform für wichtiger
als die redaktionelle Arbeit erachtet. Wir wollten eine stabile,
arbeitsfähige und langfristige technische Infrastruktur schaffen. Weil
das Erstellen einer Systematik keine leichte Aufgabe ist und unsere
Gruppenmitglieder teilweise wenig Erfahrung mit Archiven haben, ist das
Archiv ins Hintertreffen geraten. |
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Peter |
Hätte nadir nicht von Anfang an ein
eingeschränkteres Projekt sein können, das z.B. einen
Antifaschwerpunkt hat? Ansonsten müßte man doch sagen: "Wir gehen
gezielt in die Punkte rein, wo Defizite in unserem Anspruch stecken." Trifft
sich das nicht wieder da, wo die redaktionelle Arbeit in den Hintergrund
getreten ist? |
Karl 2 |
Das hat etwas damit zu tun, daß einige Antifagruppen
schon ziemlich lange bei uns sind, darüber die Kontakte laufen und
somit weitere Antifagruppen zu uns gekommen sind. Daß wir Gruppen aus
anderen Bereichen ansprechen, geschieht zwar punktuell, hat aber keine Linie
und Kontinuität. In der Regel kommen Gruppen auf uns zu.
"Strömungsübergreifend" sagt erstmal nur aus, daß wir uns
nicht festlegen wollen. Ich denke auch, daß das weiterhin sinnvoll
ist. Es soll einfach nur sagen, daß wir nicht nur linksradikale oder
nur Antifagruppen haben (wollen), sondern offen sind für alle aus dem
linken und fortschrittlichen Spektrum. |
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Peter |
Ästhetische Normen und technische Standards werden
im Internet von anderen entwickelt. Können diese Entwicklungen nicht
das potientielle "Aus" von Projekten wie nadir bedeuten, wenn sie sich zu
diesen Normen und Standards nicht verhalten? |
Karl 2 |
Mit der Etablierung des WWW hat sich das Internet in den
letzten Jahren von einem Ort der "Freaks und Hacker", vom "Netz der
Anarchisten", wegentwickelt. Nach der Anfangszeit reduzieren sich die
meisten Leute aber in der Zeit, die sie aufwenden, um im WWW "rumzusurfen"
und konkretisieren die Benutzung des WWW auf bestimmte Fragen: Kino, Party,
Ausgehtips usw. Dahinter steht ein klares Informationsbedürfnis. |
Karl 1 |
Es wird u.a. damit Geld verdient, täglich immer neues
und tolleres Design zu machen. Dafür ist die technische Basis
eigentlich nicht da, die meisten sind davon meiner Meinung nach genervt:
lange Ladezeiten von irgendwelchen Seiten, die voll von aufwendigem Layout
und speicherintensiven Bildern sind. Bei unseren eigenen Seiten versuchen
wir, Gestaltungsrichtlinien einzuhalten, damit sie mit geringem technischen
Aufwand benutzbar sind. Dabei kommen keine bunten poppigen Seiten heraus.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf Informationsvermittlung und guter
Benutzbarkeit und nicht so sehr darauf, Leute durch "optische Reize
anzulocken". Wir machen da Kompromisse, und müssen dies zunehmend
machen. Ein Aspekt ist ja auch, daß Leute aus Versehen, im Vorbeigehen
auf linke Inhalte stoßen und insofern müssen wir da auch optisch
ansprechend sein, um nicht gleich abgetan zu werden. |
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Peter |
Die Arbeitsmetapher von nadir ist
"Informationsvermittlung" - im WWW außerhalb von nadir passiert etwas
anderes: Wie die Leute das Medium betrachten und die Art und Weise, wie sie
es benutzen, basiert nicht unbedingt auf Informationsbeschaffung. |
Karl 1 |
Wenn ich abends müde bin, dann surfe ich auch. Ich hab
das auch schon mal "Alternativfernseher" genannt. Dafür etwas zu tun,
daß Leute, wenn sie müde sind, nicht das Erste Programm gucken,
sondern rumsurfen, ist nicht so mein Interesse. Eine politische Entwicklung
oder Meinungsbildung ist ohne Auseinandersetzung einfach nicht zu haben. Die
Auseinandersetzung wird durch Zerstreuung nicht ohne weiteres
gefördert. |
Peter |
Alle Kultur ist nun auch nicht Zerstreuung. |
Karl 2 |
Ich bin da skeptisch, für mich ist klar: Das ist ein
Medium, wie Radio, Fernsehen oder Papier. Natürlich verändert
dieses Medium die Gesellschaft. Da bin ich vielleicht konservativ - die
Grundlage z.B. Radio zu machen, wäre für mich auch, Informationen
zu verbreiten, und sie so aufzubereiten, daß sie ansprechend und
interessant sind. |
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Peter |
Im Alaska-Artikel "Ich habe schon 20 Megabyte
Antifaschismus geschrieben..." wird am Beispiel von nadir kritisiert,
daß die linke Praxis im Internet stark davon bestimmt ist, die Frage
nach den Grundprämissen politischer Betätigung
zurückzustellen und sie nicht inhaltlich zu beantworten, sondern
technisch. Zum Beispiel dadurch, eine bessere Infrastruktur aufzubauen, die
"dann schon" genutzt würde. |
Karl 1 |
Ein trockener Kommentar dazu ist, daß die Linke schon
mal besser darin war, sich neue Techniken anzueignen, wenn man an Buchdruck,
den Druck von Flugblättern oder an Rundfunkbewegungen in den 20er
Jahren denkt, oder auch an die Bewegung von Freien Radios, die ja auch
durchaus noch aktiv sind. Es stimmt schon, daß sich viele Linke mit
dem Internet und seiner Nutzung beschäftigen - auf jeden Fall deutlich
mehr als vor zwei Jahren - aber aus meiner Sicht ist es nicht so, daß
viele in dem Bereich stark aktiv sind. Teilweise sind Gruppen erfreulich
nüchtern, die Möglichkeiten, die sich ihnen im Internet bieten, zu
nutzen, um das, was sie ansonsten in Form von Flugblättern und
Broschüren publizieren, auch im Internet zu publizieren. Von daher geht
nicht das letzte Quäntchen Kraft in diese vermeintlich "virtuelle Welt"
hinein. |
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Peter |
Ich denke, daß die Kritik konkreter gemeint ist,
nämlich auf die Praxis im Internet bezogen: Dort immer wieder die
politischen Prämissen zu überprüfen, um einen politischen
Prozeß von Diskussion und Austausch in Gang zu bekommen und nicht
Probleme technisch lösen zu wollen. |
Karl 1 |
Ja, aber das ist das, warum ich diese Kritik überhaupt
nicht verstehe: Was ist denn daran schlecht, von einer Druckerpresse oder
von einem Radiosender begeistert zu sein, wenn diese Begeisterung nicht in
Richtung Selbstbeschäftigung geht, sondern ganz klar an den Zweck
gebunden ist, Informationen zu vermitteln. Ich denke jetzt auch in bezug auf
Gestaltung und kulturelle Aspekte, da haben wir eher Defizite, also daraus
wird doch deutlich, daß wir nicht zur Selbstbeschäftigung
neigen. |
Karl 2 |
In bezug auf die Kritik an uns, daß wir nicht
politisch sondern technisch nach außen wirken, das Beispiel mit
unserem Adreßbuch: Es hat eine Phase der technischen Umsetzung von
etwa einem Jahr hinter sich, läuft jetzt seit ungefähr ein bis
zwei Monaten an, wird regelmäßig gepflegt und darüber baut
sich auch eine Kommunikation auf, weil die Gruppen, die dort eingetragen
werden, automatisch auch von uns angeschrieben werden. Und mir geht es
darum, Wissen "sozialistisch" zu verbreiten, d.h. Möglichkeiten zu
schaffen, die leicht verfügbar sind und bei denen Leute leicht
mitmachen können. Man könnte das Adreßbuch auch einfach
"platt" machen in Form einer Linkpage, die dann aber für Beiträge
anderer nicht so leicht nutzbar wäre. |
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Peter |
Im Zuge einer Kritik am linken Internethype wird oft
kritisiert, daß die Informationen, die im Internet zu bekommen sind,
bei weitem nicht so umfangreich sind, wie in einem Infoladen. |
Karl 2 |
Wenn man da mal genau darüber nachdenkt, dann ist das
"Metropolenchauvinismus", weil es in der "Pampa" keinen Infoladen gibt.
Für Leute aus der Provinz ist das Internet teilweise die
Möglichkeit, überhaupt an Informationen heranzukommen. Denn selbst
in den kleinen Städten gibt es keine Infoläden. |
Karl 1 |
Durch das Medium entstehen Möglichkeiten, wie bspw.
schriftliche Beiträge zu einer Broschüre, die bei uns im Archiv
veröffentlicht ist, beizusteuern, und das ist ein Unterschied zu den
Infoläden, weil der Kontakt über die Angabe einer E-Mail-Adresse
wesentlich leichter fällt. Und die Broschüre dort auch in drei
Jahren noch liegt und nicht schon längst wieder ausverkauft ist.
Warum es uns ja geht - obwohl wir vom Hype natürlich nicht
unbeeinflußt sind - ist es, das sog. "Gehen ins Internet" effektiv zu
gestalten. Wir wollen ein Projekt machen, wo von anderen gelernt werden kann
und wo nicht alle Anfangsprobleme und Schwierigkeiten für sich selbst
bewältigt werden müssen. Wir wollen den Anteil an
Selbstbeschäftigung und notwendiger Auseinandersetzung möglichst
klein halten und das Internet für Gruppen leicht nutzbar machen. Das
ist das Ziel. |
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