Neues zum NS/VS-Mann Sebastian Seemann
Azzoncao-Recherche vom 01.01.2008
Kurz und knapp:
Gegen die V-Mann Führer des Nazis Sebastian Seeemann wird es kein Verfahren geben.
In diesem Jahr wird in Bielefeld ein Prozess gegen Seemann eröffnet.
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft ermittelt zur Zeit in einer weiteren schwerwiegenden Straftat gegen ihn.
Was bisher geschah:
Wie schon im Beitrag vom 11.09.2007 auf Indymedia berichtet führte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz ein aktives Mitglied der Dortmund-Lünener Naziszene als V-Mann. Dieser 27 jährige Mann, Sebastian Seemann, war nicht nur aktiv im inneren Bereich der dortigen Kameradschaften, dem engsten Umfeld der Naziband "Oidoxie" und des Naziladens "Donnerschlag". Er baute das verbotene "Blood and Honour" Netzwerk auf, war Kontaktperson zu belgischen Nazis und deren terroristischen Strukturen. Und aktiv im schwerkriminellen Milieu. So im Bereich der Prostitution, des Kokainhandels und nicht zuletzt des Waffen- und Sprengstoffhandels.
Laut der Neuen Westfälischen vom 30.8.2007 soll er darüber ein enger Freund des dreifachen Polizistenmörders Michael Berger gewesen sein. Der 31 jährige Nazi Berger erschoss am 14.6.2000 die drei PolizeibeamtInnen Thomas Goretzki (35 Jahre alt), Matthias Larisch (34 Jahre alt) und Yvonne Hachtkemper (34 Jahre alt), bevor er sich selbst tötete. (Artikel dazu als PDF)
Für Sebastian Seemann verstand es sich wohl von selbst, dass er die Waffen auch seinen Kameraden anbot (so einer Veröffentlichung der Dortmunder Kameradschaft).
Nicht zuletzt bot er eine Waffe einem Kameraden aus Dortmund Brechten an, den er, aller Wahrscheinlichkeit nach, zu einem Raubüberfall Anfang 2007 anstiftete. Bei diesem Überfall am 2. Februar auf eine PLUS-Filiale in Dortmund Brechten überlebte ein 60zig jähriger Tunesier nur knapp die vier Schußverletzungen des Nazis. Mitte des Jahres wurde diesem Mitglied der Brechtener Naziszene, dem 22jährige Robin Sch., am Dortmunder Landgericht der Prozess gemacht. Als über die Akteneinsicht seines Anwalt Andre Pickert (Beisitzer von Pro NRW) die Spitzelaktivitäten des Kameraden Seemann der Naziszene und dem Angeklagten bekannt wurde, gab es für den Angeklagten kein Halten mehr und er belastete Seemann als Anstifter des Überfalls. Im August des letzten Jahres wurde Robin Sch. zu acht Jahren Haft verurteilt.
Die verfänglichen Aktennotizen stammen sehr wahrscheinlich von der Bielefelder Drogenfahndung, die Seemanns handy abhörte und somit auch die Telefonate, die dieser mit seinem V-Mann Führer aus dem Inneministerium geführt hatte. Hierin soll der V-Mann Führer Seemann vor einer Überwachung durch die Polizei gewarnt haben.
Der Skandal löste, nicht nur in der Nazi-Szene, einigen Wirbel aus. Zeitweise war in der Presse von weiteren 12 V-Leuten in der Naziszene die Rede.
Vorwiegend ging es in der bürgerlichen Presse darum, wie ein Schwerkrimineller von dem Verfasssungsschutz als Spitzel geführt werden kann. Und darum, dass der Verfassungsschutz diesen vor der Überwachung durch die Bielefelder Drogenfahndung warnen konnte.
Die Presse blendete aus, dass der V-Mann Nazistrukturen aufbaute, den NRW-Nazis Netzwerke bis hin in den internationalen braunen Terroruntergrund organisierte und die NRW-Naziszene mit scharfen Waffen und Sprengstoff ausrüstete.
Auch auf parlamentarischer Ebene wurde die Offenlegung der Hintergründe zu dem Skandal gefordert. Eine lückenlose Aufklärung sollte den notwendigen Rücktritt des Innenministers, Dr. Ingo Wolff zu Folge haben. So nach dem sozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Karsten Rudolph. Es gab mehrere Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Obendrein lag noch die Strafanzeige von Bielefelder Beamten vor, die gegen den /die V-Mann Führer des Innenministeriums aus Düsseldorf gerichtet war. Diese lautete auf Geheimnisverrat und Strafvereitelung im Amt.
Seit gut drei Monaten war nichts mehr über den Skandal zu hören. Der Innenminister Dr. Ingo Wolff von der FDP wiegelte alles ab
und jetzt:
Es kam, wie es in einer "noivelle noirè", kommen mußte.
Als oberster Dienstherr legte Inneminister Dr. Ingo Wolff sein Veto ein und vereitelte eine Ermittlung gegen die zuständigen Beamten wegen Geheimnisverrats und Strafvereitelung. Ein Journalist drückte es folgendermaßen aus: "Das Inneministerium hat alle Register gezogen, um das zu verhindern. Unter Hinweis auf mögliche Sicherheitsrisiken verweigerte es der Bielefelder Staatsanwaltschaft die notwendige Ermächtigung gegen einen Verfassungsschützer wegen Geheimnisverrats zu ermitteln"(NW vom 27.11.2007). Die Begründung für diese Entscheidung ließ der Staatssekretär Karl-Peter Brendel verlautbaren. Er äußerte, dass eine mögliche Akteneinsicht Hinweise auf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offenbaren könnten. Und, dass diese dann einer Gefahr für Leib und Leben durch die Nazi-Szene ausgesetzt seien. (NW vom 9.11.2007)
Das lag ganz auf der Linie der NRW-Grünen. Deren innen- und rechtspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Monika Düker, nur die eine Sorge in einem möglichen Verfahren kannte. Dass "nicht massenhaft V-Leute verbrannt werden". So gegenüber dem WDR.
Allererste Sahne.
Das Innenministerium deckt und schützt nicht nur via eines V-Mann Führer schwerkriminelle Taten von Prostitution, über Drogen- bis Waffenhandel. Es sorgt, mittels eines ihrer Mitarbeiter, auch für den Aufbau staatlich verbotener Nazistrukturen wie "Blood and Honour" und die Aufrüstung der nordrhein-westfälischen NS-Szene mit Waffen und Sprengstoff. Als Argument, gegen eine solche geheimdienstliche Praxis vorzugehen, dient dem obersten Leiter dieser Behörde dann die Bewaffnung der Nazi-Szene, die sie mit zu verantworten haben. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht.
Diese Argumentationsstruktur ähnelt dem Diskurs in dem gescheiterten Verfahren zum NPD-Verbot. Hier war es der massive Einsatz von V-Leuten, der das Bundesverfassungsgericht zur Ablehnung der Verfahrensaufnahme brachte. (de.Wikipedia dazu) Man kann sagen, dass der bundesdeutsche Verfassungsschutz durch seine Praxis mit ermöglicht, dass sich eine Naziszene etabliert. Und gleichzeitig verhindert, dass gegen diese Antidemokraten von staatlicher Seite vorgegangen werden kann. Der Verfassungsschutz schützt also weder die Verfassung, noch die BürgerInnen dieses Landes vor Nationalsozialisten. Er ist ein Problem für die Verfassung und die Freiheits-und Grundrechte aller hier lebenden DemokratInnen.
Der Innenminister, Dr. Ingo Wolff, ist ein Mann, der versucht sich der parlamentarischen Kontrolle und seiner Verantwortung zu entziehen. Statt Verantwortung für seine ihm unterstellte Behörde zu übernehmen, nutzt er in perfider Manie deren Vergehen, d.h. die Bewaffnung der Nazi-Szene, noch zur Kaschierung der undemokratischen Methoden seiner Behörde. Dies erinnert doch sehr an das Vorgehen des ehemaligen Staatspräsidenten Italiens, Silvio Berlusconi. Auch dieser versuchte sich in Rechtsbeugung auf allen Ebenen und blieb deswegen so lange im Amt. Herrn Dr. Wolff kann man guten Gewissens eine ähnliche Mentalität zuschreiben. Zum eigenen Vorteil, Antidemokrat. Ein "piccolo Berlusconi" vom Rhein.
Die Verantwortung für zukünftige bewaffnete Gewalttaten der Nazi-Szene liegt nicht mittelbar, aber doch unmittelbar bei ihm und seiner Behörde.
Dass der Verfassungsschutz NRW seit geraumer Zeit nun hingeht und mit von ihm bezahlten SozialwissenschaftlerInnen (so z.B. Dr. Thomas Pfeiffer von der UNI Bochum bzw. Verfassungsschutz Düsseldorf/ siehe auch „Geheimdienst goes Zivilgesellschaft“ in LOTTA 29) sich als Partner der so genannten Zivilgesellschaft hinstellt, ist eine bodenlose Frechheit.
Und einer Organisation, wie dem VS, dazu die Möglichkeiten zu geben, ist entweder ein Ausdruck ausgesproch politischer Dummheit oder des Opportunismus. So bei den Dortmunder Grünen und dem Dortmunder "Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus". In blanker Ignoranz der Rolle des Verfassungsschutzes loben sie die Zusammenarbeit mit ihm und forcieren diese. So einem Interview mit Daniela Schneckenburger, der NRW Vorsitzenden der Grünen, und ihrem Lebenspartner dem Pfarrer Friedrich Stiller, Sprecher des Dortmunder "Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus". O-Ton Herr Stiller in der WR vom 21.Juni 2007: "Natürlich müssen wir bei den Jugendlichen ansetzen. Der Schülerkongress, den wir im vergangenen Jahr mit dem Verfassungsschutz durchgeführt haben, war gut. Aber so etwas müssten wir jetzt jedes Jahr machen...." (siehe dazu diese PDF)
Parteien, Verbänden und der Presse kann man im Bezug zum Verfassungsschutz-Skandal nur ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Hier wurde entschieden zu wenig Druck ausgeübt.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Opposition im Düsseldorfer Landtag sich damit konfrontiert sah, dass schon unter ihrer Ägide die gleiche geheimdienstliche Praxis stattfand.
Das hier nur über eine drohende die Enttarnung von Agenten des Verfassungsschutzes und einer eventuellen „Arbeitsunfähigkeit“ des Geheimdienstes lamentiert wurde, belegt, wie die autoritäre Schere im angeblich demokratischen Kopf funktioniert. Nicht demokratische Werte, Strukturen und Verhalten sind die Richtlinien der Bewertung. Sondern die Effektivität einer Geheimdienst- und Spionagebehörde. Also des Staates, der Obrigkeit.
Shame on you!
Allein den BeamtInnen aus Bielefeld, die sich zur Anzeige gegen die V-Mann-Führer entschlossen, ist Respekt zu zollen. Sie werden es mit Sicherheit nicht leicht in ihrer Behörde haben. Mitnichten haben sie aber versucht ihrem Job gerecht zu werden und Rauschgiftkriminalität zu bekämpfen. Auch haben sie sich als bessere Demokraten als so mancher ihrer Dienstherren bewiesen.
Obwohl wir von Azzoncao mit Sicherheit andere Lebensvorstellungen, andere soziale Werte und andere politische Ziele haben als diese BeamtInnen: Respekt!
Dortmund:
Unangetastet blieb bis dato die NS-Szene Dortmund, Lünen, Marl, Hamm und OWLs.
Wenn ein (Doktor) Wolf zum Hüter der Schafe ernannt wird, freut`s halt die anderen Wölfe.
Im „Streichelzoo für Nazis – Dortmund“ geht es wie immer zu. Wen wundert es bei einem Polizeipräsidenten wie Hans Schulze, der seit April 1993 Polizeipräsident Dortmunds ist. Unter seiner Ägide schaffte es die Dortmunder Kameradschaft, sich zu dem aufzubauen, was sie heute ist. Zwei links sollen dem/der LeserIn dazu einen kleinen Einblick gewähren:
http://www.dortmunder-polizeikessel.de und
http://projekte.free.de/schwarze-katze/texte/cops01.html .
Es bleibt weiterhin spannend:
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat Anklage gegen Sebastian Seemann erhoben. Im Zeitraum Mitte Januar bis Mitte August 2007 soll er in Bielefeld und Detmold mit nicht geringen Mengen Kokain gehandelt haben. Ebenso wird er wegen Verstöße gegen das Waffengesetz angeklagt. Der Prozess dürfte dieses Jahr stattfinden.
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft ermittelt zudem wegen seiner Beteiligung an dem Raubdelikt von Robin Sch. Anfang des letzten Jahres.
Was diese Ermittlungen und Prozesse an das Tageslicht bringen werden, wird so manch einen interessieren.
to be continued...