Persönlicher Bericht
Sonntag, 23.03.2008
Die Gruppen AJB (antifaschistische Jugend Bochum) und Azzoncao aus Bochum beteiligten sich an dem Gedenken an Davide Cesare. Mittels eines Flugblatts in italienischer Sprache und eines Transparents versuchten wir einerseits unser Mitgefühl und unsere Solidarität mit den Hinterbliebenden und FreundInnen von Dax auszudrücken und andererseits auf neofaschistische Morde in anderen europäischen Ländern hinzuweisen.
Am Samstagabend fuhren wir zu dem Jugendzentum „Aurora“ in Rozzano. Unter den ca. 600 bis 700 BesucherInnen, welche kaum Platz in dem Veranstaltungssaal fanden, verteilten wir unsere Flugblätter. Dort bauten wir auch einen Merchandise-Tisch auf, auf dem wir „Antifaschistische Aktions“ - Fahnen und - Buttons, CDs, Broschüren, etc.auslegten.
Drei Bands traten auf: die Mailänder Hardcore Band RFT, die SKA Band Arpioni aus Bergamo und die Römische Red-Skin Band Banda Bassotti. Die Bands, besonders letztere, verbreiteten eine super Stimmung und der Mob tobte. Bei vielen Liedern sang das Publikum mit erhobener Faust mit. Der Laden platzte fast aus allen Nähten und wir verließen das Zentrum erst gegen 4 Uhr morgens schweißgebadet.
Auf der Rückfahrt in die Stadt hatten einige von uns noch eine Begegnung der besonderen Art - Dusche alá Polizia: 45 Minuten Polizei-Durchsuchung bei strömenden Regen.
Kurz vor der Stazione Garibaldi wurden ein paar von uns angehalten und die lieben Streifenpolizisten überprüften das Fahrzeug. Nachdem alle intensiv gefilzt wurden, entdeckten die Beamten schließlich die Polit-Materialien. Als sie die „Antifaschistische Aktions“ – Fahne aus den Kartons rauszogen und ausbreiteten, zogen sie recht gehässige Gesichter. Weiter ging es mit den CDs „La lotta continua“. Das verstand das einfach strukturierte Bullen-Hirn sofort. Und so mußte alles rausgeholt und ausgebreitet werden: „AIB“, „LOTTA“, „Der rechte Rand“, „Das Versteckspiel“ etc.p.p.. Alles wurde genau aufgeschrieben und protokolliert. Währenddessen durften wir uns bei knapp 5 Grad in strömenden Regen die lang überfällige Erfrischung des Abends abholen. Dazu gab's ein kleines Polizei-Quiz: Warum? Woher? Wohin? Wofür? Ect... Schließlich beschlossen die Bullen die politische Polizei, die DIGOS, einzuschalten. „La Lotta Continua“ und „Turn Anger and Grief into Resistance“ könnten ja einen Gewaltaufruf darstellen. Erst nachdem mit Anwälten und Deutscher Botschaft gedroht wurde, ließen die zwei langsamen Herren vom Wagen F5131 ab. Nicht jedoch ohne uns mitzuteilen, dass sie absolut „correti“ gehandelt hätten...
Am nächsten Tag ging es zum Park an der Piazza Vetra. Dort befindet sich das große Graffitti „senza memoria – nessuno futuro“. Auf Deutsch: „Ohne Erinnerung – keine Zukunft“. Dies ist zur Linken mit einem Bild des Partisanenkommandanten Giovanni Pesce und zur Rechten mit einem Bild von Davide Cesare „Dax“ bebildert. Hier sollte das Konzert stattfinden. Dafür hatten die GenossInnen einen LKW als Bühne organisiert. Noch als die erste Band (RFT) loslegte zog im Hintergrund ein gewaltiges Gewitter heran. Es lieferte eine gigantische Lightshow. Zu zuckenden roten (!) Blitzen gab es eine nette Darbietung italienischen Polit-Hardcores. Diese endete in einem halbstündigen Hagelschauer.Fluchtartig suchten die bis dato 600 Anwesenden unter Bäumen, an Wänden oder in Cafés Unterschlupf. Alles floh vor den teils Golfball-großen Hagelkörnern. Deren Wucht war so gewaltig, dass zig Alarmanlagen geparkter Fahrzeuge begannen loszuheulen und das Donnergetöse begleiteten. Nach 20 Minuten, während es wie verrückt hagelte, animierten die GenossInnen von Dax unter den Rufen „corteo, corteo“ - „Demo, Demo“ die Umstehenden aufzubrechen. Ca. 200 Leute schlossen sich dem Demozug an. Während fast die geiche Anzahl weiter das Ende des Hagelschauers abwartete. Trotz strömenden Regens war die Stimmung gut und man zog Bengalos abbrennend und Bankenund öffentliche Gebäude besprayend zur via Brioschi. Dort, an der Eckkneipe, in der die Leute von O.R.S.O. verkehrten, ist eine Gedenktafel für Dax angebracht.
Der Bühnen-LKW, der eigentlich die Demo begleiten sollte, stieß dort wieder dazu. Immer mehr (mehr oder minder trockene) Nachzügler trafen ein. Auf der kleinen Kreuzung wurde die Bühne geparkt, Info- und Verköstigungstische aufgebaut. Langsam war es richtig kalt geworden und die Meisten waren bis auf die Haut durchnäßt. Das tat aber der guten Stimmung keinen Abbruch. Die Hardcore Band „OFC HC“ aus Como und die „Los fastidios“ heizten den Leuten gut ein. Je später es wurde, um so mehr fand sich ein Mob aus Skins und Punks zum Pogen vor dem LKW zusammen. Bei den Fastidios-Liedern „S.H.A.R.P.“ und „Antifa Hooligan“ wurde es etwas eng.
Auch die Mutter von Dax war unter den ca. 400 Anwesenden. Wir nutzten die Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Unsere Grußworte kannte sie schon vom Blog der Mailänder Antifas. Sie freute sich, uns persönlich kennenzulernen. Für sie waren die Informationen neu, dass auch in anderen europäischen Ländern ein breites gesellschaftliches Desinteresse gegenüber faschistischen Gewalttaten vorhanden ist und Desinformation durch die Medien verbreitet wird. Sinngemäß sagte sie, es gebe immer zwei verschiedene Wahrheiten und zwei verschiedene Geschichtsschreibungen: einerseits die öffentlich publizierte und von Staat und den Reichen finanzierte, andererseits die Geschichte und die Wahrheit der Bevölkerung und der Straße. Dem konnten wir nur zustimmen.
Nach dem Konzert wurden von verschieden GenossInnen und FreundInnen Erinnerungen an und Poesie für Dax und andere Ermordete vorgetragen. So sprach ein Freund von Fausto und Iaio, zwei Genossen aus dem Centro Sociale Leoncavallo, die vor 30 Jahren in der Nähe dieses Sozialzentums von Faschisten und Mafiosi erschossen wurden. Bis heute blieb die Tat unaufgeklärt. Darüber berichteten in diesen Tagen auch die Mailänder Medien. Der Freund der Beiden trug auch noch eine längere Episode aus dem Partisanenkampf in der Stadt Alba vor. Eine Freundin von Dax widmete diesem ein Gedicht und ein Mailänder Genosse erinnerte an den von Faschisten ermordeten Renato aus Rom.
Lautstark Parolen rufend zogen im Anschluß 150 AntifaschistInnen durch den Stadtteil zu dem Haus, in dem Dax wohnte. Die nicht angemeldete Demo zog an der lokalen Polizeiwache vorbei. Die Wache wurde mit Farbeiern beworfen und die anwesenden DIGOS mit Böllern aufgeschreckt. Vor dem Haus, in dem Dax wohnte, wurden Schweigeminuten eingelegt, die durch Klatschen beendet wurden. Unter Umarmugen der Familienangehörigen, FreundInnen und GenossInnen von Dax löste sich die Versammlung auf.
Die Nachricht, dass am Tag der Gedenkveranstaltung in Moskau ein weiterer, 16jähriger Antifaschist ermordet wurde, bewegte manche Mailänder GenossInnen noch in der selben Nacht ein Graffiti zu sprühen (siehe Foto). Wir empfinden einen solchen Umgang mit einer sich in den letzten Monaten und Jahren verschärfenden Situation für AntifaschistInnen als sehr solidarisch. Solche Eindrücke sind es, die wir gern mit nachhause nehmen.