Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
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Kapitel 1
Blohm + Voss (B + V) ist sicherlich Hamburgs bekanntestes Unternehmen, und viele Hamburger sehen in ihm ein maritimes Wahrzeichen der Stadt. Eigentlich gibt es wenig Anlaß, auf den Schiff- und Maschinenbaukomplex schräg gegenüber den Landungsbrücken besonders stolz zu sein. B + V konstruiert und baut die teuersten Waffensysteme, die überhaupt in Deutschland hergestellt werden (Fregatten); und der Vorstand sucht unverändert sein Heil im Militärsektor. Bevor die Rüstungsgeschäfte von B + V im Einzelnen dargestellt und auf ihre Hintergründe untersucht werden, soll die veränderte Gesamtstruktur des Unternehmens vorgestellt, aber auch eine Vorstellung von der kriegerischen Tradition vermittelt werden, die mit dem Firmennamen verbunden ist.
Kapitel 1.1.
Bis 1995 war B + V eine Aktiengesellschaft mit den drei Unternehmensbereichen Schiffbau, Schiffsreparatur und Maschinenbau. Auf Betreiben des Mutterkonzerns Thyssen wurde die AG 1995/96 in drei mittelständische GmbHs aufgespalten: die Blohm + Voss GmbH (Schiffsneubau), Blohm + Voss Repair GmbH (Schiffsreparatur) und Blohm + Voss Industrie GmbH (Maschinenbau). Verfolgen wir kurz, wie es dazu gekommen ist.
Im Jahr 1982 sahen die Kapital- und Beteiligungsverhältnisse bei B + V wie folgt aus:
vgl. Schaubild 1 im Buch auf Seite 21
Die Thyssen AG konnte durch verschiedene finanzielle Transaktionen 1985 bis 1987 ihren Anteil am B+V-Kapital auf 74,1 Prozent erhöhen, während der Anteil der Blohm-Erben und anderer Einzelaktionäre auf 13,4 Prozent absank. Zwar hatte Thyssen schon bisher die Geschäftspolitik von B + V kontrolliert, doch war nach der Kündigung des bisher geltenden Konsortialvertrags seit dem 1. Januar 1988 auch eine formalunternehmensrechtliche Abhängigkeit vom Mehrheitsaktionär gegeben. 1
Große Veränderungen brachte das Jahr 1995: Die Siemens AG stieg aus der B + V AG aus und verkaufte ihr 12,5-Prozent-Paket an Thyssen. Die Thyssen AG übertrug ihren damit auf 86,6 Prozent gestiegenen Mehrheitsanteil auf den Tochterkonzern Thyssen Industrie AG. Kurz darauf begann die Zerschlagung der B + V AG. Durch Spaltungs- und Übernahmevertrag vom 12. September 1995 wurden zunächst die Teilbetriebe Werft und Maschinenbau voneinander getrennt; aus ihnen wurden die Blohm + Voss GmbH und die Blohm + Voss Industrie GmbH. Während die B + V GmbH zusammen mit der Emdener Schwesterwerft Thyssen Nordseewerke (TNSW) unter das Dach der Thyssen Werften GmbH (seit 1996 mit Sitz in Hamburg) kam, wurde die B + V Industrie GmbH dem zum 1. Oktober 1996 neugeschaffenen Thyssen-Geschäftsbereich Anlagentechnik zugeordnet (zu dem übrigens auch die Transrapid-Gesellschaft gehört). 2 Bei der Werft B + V GmbH kam es 1996 u einer weiteren Ausgliederung: Der Bereich Schiffsreparatur wurde bei gleichzeitigem Zusammenschluß mit der Tochterfirma Barthels & Lüders in die Blohm + Voss Repair GmbH umgewandelt. Die bisherige B + V AG existiert nur noch als Holding, d. h. ohne eigene Produktionstätigkeit, weiter.
Durch die Zerschlagung der B + V AG ist 1995/96 demnach die folgende Unternehmensstruktur entstanden:
vgl. Schaubild 2 im Buch Seite 23
Berichtigung: Die Fritz Thyssen Stiftung ist an der Thyssen AG mit 8,6 % beteiligt (im Buch auf Seite 23 steht irrtümlich "1,6%").
Kapitel 1.2.
Die vergangenen zwei Jahrzehnte sind bei B + V sind durch ständige "Kapazitätsanpassungen", d.h. durch einen gewaltigen Arbeitsplatzverlust, gekennzeichnet. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der B + V AG (nicht des B + V-Konzerns) veränderte sich in 5-Jahres-Abständen wie folgt:
31.12.1975 |
6737 |
31.12.1980 |
5952 |
31.12.1985 |
4590 |
30.09.1990 |
4738 |
30.09.1995 |
3474 |
Da die Belegschaft zwischen 1985 und 1990 leicht zunahm, war nicht Ausdruck der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Im Februar 1986 übernahm B + V das HDW-Werk Ross, in dem 1985 noch rund. 2.200 Personen beschäftigt waren. Der B+V-Vorstand setzte die Schliessung dieses Werks bis Ende 1988 durch, was die für meisten ehemaligen HDW-Beschäftigten der Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeutete. B + V hat im Ergebnis zwischen 1985 und 1990 rd. 2.000 Arbeitsplatz abgebaut.
Nach der Aufgliederung der B + V AG ist die rigide Personalreduzierung gegen den Widerstand der Betriebsverlegungen fortgesetzt worden. Ende 1996 standen bei den drei B+V-Gesellschaften - wie sich aus der obigen Übersicht ergibt - noch rd. 2.500 Beschäftigte in Lohn und Brot.
Die B + V AG ist in den sieben Geschäftsjahren 1988/89 bis 1994/95 auf einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 1,05 Mrd. DM gekommen. Von diesem entfielen im Durchschnitt auf den Schiffsneubau (mit Konsulten) fast 44 Prozent, auf die Schiffsreparatur 29 Prozent und den Maschinenbau gut 27 Prozent. Die größten Schwankungen wies dabei der Umsatz im Schiffsneubau auf, was hauptsächlich auf die Abrechnung von Kriegsschiffsaufträgen zurückzuführen ist.
Jahresumsatz in Mio. DM: 3
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AG gesamt |
Schiffbau |
Reparatur |
Maschinenbau |
Versch. |
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1988/89 |
823 |
176 |
324 |
346 |
-23 |
1989/90 |
848 |
323 |
324 |
210 |
-9 |
1990/91 |
1142 |
502 |
374 |
291 |
-25 |
1991/92 |
743 |
169 |
361 |
239 |
-26 |
1992/93 |
1013 |
492 |
254 |
273 |
-6 |
1993/94 |
1227 |
708 |
235 |
295 |
-11 |
1994/95 |
1550 |
886 |
269 |
394 |
1 |
19 männliche Vorstandsmitglieder haben von 1970 bis 1996 die Entwicklung des Unternehmens bestimmt. An der Spitze des Unternehmens agierten in dieser Zeit: Werner Barthels, Michael Budczies, Eckart Rohkamm, Peter Beer und Herber von Nitsch. Mit Dr.-Ing. Werner Barthels (geb. 1930) und dem Juristen Dr. Michael Budczies (geb. 1933) bestellte Thyssen 1970 zwei bisher in anderen Konzernbereichen tätige Manager zum Vorstand des Hamburger Unternehmens. Unter ihnen vollzog B + V die Umstellung vom Handels- auf den Kriegsschiffe. Barthels war bis Ende 1979 Vorsitzender des B+V-Vorstandes und stieg dann zum Chef der Thyssen Industrie AG in Essen auf. für ihn übernahm ab 1980 Budczies unter der Bezeichnung "kaufmännische Sprecher" die Führungsrolle bei B + V; Barthels "kontrollierte" die Geschäftspolitik seitdem als Vorsitzender des B+V- Aufsichtsrats. Im Herbst 1986 kam es - unter dem Vorzeichen roter Zahlen - zu einer Führungskrise, die damit endete, dass Budczies seinen Posten aufgab und Werner Barthels für ein gutes Jahr auf den Chefsessel bei B + V zurückkehrte. Barthels zweite Amtszeit als B+V-Vorstandsvorsitzender (bis Ende 1987) war durch harte Sanierungsplane, vor allem durch die Schliessung des von HDW übernommenen Werkes Ross, geprägt.
Am 1. Januar 1988 nahm Dr.-Ing. Eckart Rohkamm (geb. 1942) das Zepter bei B + V in die Hand. Seine Vorliebe für das Militärisch-Maritime 4 hat Rohkamms beruflichen Werdegang von Anfang an geprägt. 1968-72 war er Offizier der Bundesmarine und hat auch später als Wirtschaftsbuchs gerne an Reserveübungen teilgenommen (um 1990 wurde er zum Kapitalen zur See der Reserve befördern). Bei B + V verhalf ihm der Kriegsschiffe ab 1978 zu einer rasanten Karriere. Bereits 1980 wurde er zum Direktor und Leiter des Bereichs "Wehrtechnik See" berufen, seit 1983 war er Mitglied des B+V-Vorstands, von 1988 bis 1991 dessen Vorsitzender. Beim Mutterkonzern fand man seine Arbeit offenbar so überzeugend, dass an ihm 1991 die Führung der Thyssen Industrie AG in Essen übertrug - hier wurde er wiederum Nachfolger von Werner Barthels. Seitdem gehört Rohkamm zum exklusiven Führungszirkel der deutschen Industriemanager. Auf das Geschehen bei B + V hat er seit 1991 als Vorsitzender des Aufsichtsrats und des Verwaltungsrats weiter persönlichen Einfluss ausgeübt.
Der Chefposten bei B + V wurde 1991 zum ersten Mal mit einem Manager aus einem anderen Grosskonzern besetzt. Dr. Peter Beer war bis dahin Vertriebs-Geschäftsführer bei der Daimler-Benz-Tochter MTU Friedrichshafen, einem Weltmarktführer auf dem Gebiet der (Kriegs-) Schiffsmotoren. Knapp fünf Jahre blieb Beer Vorstandschef, dann ging er nach Verschlechterung der Geschäftsergebnisse ab 1993 und nach interner Kritik wegen angeblicher Führungsschwäche Ende 1995 in den vorgezogenen Ruhestand.
Seit dem 1. Januar 1996 hat Dipl.-Ing Herbert von Nitsch das Sagen; er ist zugleich Chef der Thyssen Werften GmbH, der Blohm + Voss GmbH und der Blohm + Voss Holding AG. Wie Rohkamm ist er dem Kriegsschiffe in besonderer Weise verbunden (siehe hierzu auch das Kapitel "Der ausgebliebene Kurswechsel"). Bereits Anfang der 80er Jahre war von Nitsch bei B + V mit der Abwicklung von Kriegsschiffsexporten und dem damit in Zusammenhang stehenden Technologietransfer befasst 5 Seit 1988 gehörte er dem B+V-Vorstand an; in den 90er Jahren berief die Essener Konzernzentrale ihn ausserdem zum Vorsitzenden der Geschäftsführung bei den Thyssen Nordseewerken in Emden.
Bescheidenheit gehört nicht zu den Tugenden, die man den Thyssen-Verantwortlichen attestieren kann. Man will nicht einfach nur Gewinne, sondern fette Gewinne. Nachdem der Thyssen-AG-Vorstand 1996 für den Gesamtkonzern eine Kapitalrendite von mindestens 12,5 Prozent gefordert hat, gelten bei Thyssen Industrie inzwischen noch höher gesteckte Ziele. Vorstandschef Rohkamm erklärte bei der Hauptversammlung seines Konzerns am 7. März 1997: "Kurzfristig streben wir eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals mit mehr als 20 % an. ...Mittelfristig soll die Verzinsung des eingesetzten Kapitals mehr als 30 % betragen." 6 Wird Thyssen die zusammengestutzten B+V- Nachfolgefirmen ganz im Stich lassen, wenn die Gewinnziele nicht erreicht werden? Weder der Werftenbereich noch der Bereich Anlagentechnik gehören zu den vom Thyssen-Industrie-Vorstand definierten Kerngeschäftsfeldern. In den vergangenen Jahren hat Thyssen Industrie mit der Preussag (Hannover) als Eigentümerin der Kieler Werft HDW über eine Vertiefung der - im Kriegsschiffe bereits seit Jahren bestehenden - Kooperation verhandelt. Ein Denkmodell sah die Fusion der Thyssen-Werften und von HDW zu einer Deutschen Werft AG vor. Von HDW-Seite wurde zu verstehen gegeben, dass auch eine solche Werftenkombination nur dann Chancen auf dem Weltmarkt habe, wenn ihr kontinuierlich Rüstungsaufträge erteilt würden. Daher würden "Auftragsgarantien vom Bund" erwartet. 7 Die Verhandlungen von Thyssen und Preussag haben vorerst zu keiner Verständigung geführt. Ende 1996 verdichteten sich die Anzeichen, dass Thyssen den Schiffbaustandort Hamburg bald ganz schliessen wolle. Entsprechende Hinweise kamen von Frank Teichmüller (IG Metall Küste) und dem schleswig-holsteinischen Wirtschaftsminister Peer Steinbrück. 8 Von Thyssen wurden jedoch derartige Schliessungsabsichten scharf dementiert. B + V sei, so konstatierte Rohkamm, auf "ein lebensfähiges Maß zurückgeschnitten" worden. 9 Im Januar 1997 klangen seine Worte schon nicht mehr so eindeutig: Grundsätzlich wolle man an den Werften in Hamburg und Emden festhalten, doch wenn die vorhandenen Strukturprobleme (zu hohe Kosten im Handelsschiffbau und in der Schiffsreparatur) nicht gelöst würden, "müssen wir schliessen".
Die Gespräche mit der Preussag sollen laut Rohkamm wieder aufgenommen werden. Einige Branchenkenner schliessen nicht aus, dass Thyssen bei einem Rückzug aus der Werftindustrie den gesamten Kriegsschiffssektor von B + V und TNSW an Preussag/HDW verkaufen könnte. Andere halten dies für unwahrscheinlich und glauben nicht, dass Thyssen auf die Profite und die überdurchschnittlich hohen Anzahlungen aus dem Kriegsschiffe verzichten will. Die latente Drohung mit der Schliessung von B + V kann jedenfalls auch als Druckmittel eingesetzt werden, um die Entscheidungsträger in Politik und Rüstungsbürokratie zur Vergabe neuer Rüstungsaufträge mit grosszügig bemessenen Gewinnmargen zu drängen.
Nachtrag:
Im November 1997 erklärte Preussag, gegenwärtig schliesse sie eine Fusion von HDW mit den Thyssen-Werften aus. Die Werftstandorte Hamburg, Kiel und Emden würden erhalten bleiben. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie sich die beschlossene Fusion von Thyssen und Krupp auf die geplante Neustrukturierung der Werftindustrie auswirken wird. Der Zeitschrift "Wehrtechnik" verdanken wir den Hinweis, dass Krupp die Kriegsschiffswerften von Thyssen offenbar schon bei seinem ersten, ,"feindlichen" Übernahmeversuch als "Filetstücke" im Auge hatte.
Anmerkungen: